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Tausende protestieren gegen Annexion. Aber reicht das aus?

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu und seine Regierung stoßen auf Widerstand wegen der Pläne, große Teile des besetzten Westjordanlandes bereits im nächsten Monat zu annektieren.
Israelische und palästinensische Demonstrierende gingen am Wochenende auf die Straße, um ihren Widerstand gegen die Pläne zum Ausdruck zu bringen.
Israelische und palästinensische Demonstrierende gingen am Wochenende auf die Straße, um ihren Widerstand gegen die Pläne zum Ausdruck zu bringen.

Tausende von Demonstrierenden versammelten sich am 6. Juni in Tel Aviv zu einer von linken Aktivist*innen und NGOs in Israel organisierten Demonstration unter dem Banner “Nein zur Annexion, Nein zur Besatzung, Ja zu Frieden und Demokratie”.

Einige Demonstrierende schwenkten palästinensische Flaggen, andere hielten Schilder mit den Aufschriften “Palestinian Lives Matter” und “Stop Apartheid”. Die Demonstrierenden trugen Masken und hielten Abstand voneinander, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern.

Gegen Ende des Protestes berichteten israelische Medien, dass die Polizei mit einer kleinen Gruppe von Protestierenden zusammenstieß, mindestens fünf Personen gewaltsam festnahm und einen Haaretz Fotografen angriff.

US-Senator Bernie Sanders wandte sich an die Demonstrierenden in einer Videoansprache und sagte: “Es war noch nie so wichtig, für Gerechtigkeit einzutreten und für die Zukunft zu kämpfen, die wir alle verdienen.”

“Es liegt an uns allen, autoritären Anführern die Stirn zu bieten und eine friedliche Zukunft für jeden Palästinenser und jeden Israeli aufzubauen”, sagte Sanders.

Der Leiter der Joint List, Ayman Odeh, sagte der Menge: “Wir stehen an einem Scheideweg. Der eine Weg führt zu einer gemeinsamen Gesellschaft mit einer echten Demokratie, bürgerlicher und nationaler Gleichheit für arabische Bürger ... Der zweite Weg führt zu Hass, Gewalt, Annexion und Apartheid”, berichtete Haaretz.

Die israelischen und palästinensischen Medien berichteten ausführlich über den Protest und bezeichneten das Ereignis als einer der ersten starken Auftritte der israelischen Linken seit einiger Zeit, nachdem sie jahrelang von der wachsenden Rechten in Israel ins Abseits gedrängt worden war.

Viele hoben jedoch die Tatsache hervor, dass Umfragen zeigen, dass etwa die Hälfte der Israelis die Annexion tatsächlich befürwortet, und dass ein solcher Protest in der Vergangenheit Zehntausende von Demonstrierenden angezogen hätte.

In einem Op-Ed für Haaretz kommentierte der israelische Journalist Chemi Shalev die Gegenüberstellung der Proteste mit der “Black Lives Matter”-Bewegung in den USA, indem er schrieb:

"Eine offensichtliche Lücke ist unbestreitbar: Die Mehrheit der öffentlichen Meinung in den USA erkennt nun die Legitimität schwarzer Beschwerden an, während die Mehrheit der Israelis - einschließlich der Mehrheit der jüdischen Mitte-Linken - die Palästinenser, zumindest diejenigen jenseits der ehemaligen Grünen Linie, weiterhin als Todfeinde betrachtet, die auf die Zerstörung ihres Landes aus sind.”

“Liberale Israelis mögen die Besatzung im Prinzip ablehnen, aber ihre Sympathie für die Notlage der Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen ist, gelinde gesagt, begrenzt”, fuhr Shalev fort.

“Die meisten Israelis, einschließlich der Mitte-Linken, sehen die Annexion als Todesurteil für die Zwei-Staaten-Lösung, die sie als den einzigen Weg ansehen, der Israel daran hindern würde, sich in einen Apartheid- oder binationalen Staat zu verwandeln. Sie mögen Ersteres aus moralischen Gründen ablehnen, aber sie verabscheuen Letzteres, weil es letztlich die Erfüllung der übergreifenden Forderung ihrer amerikanischen Gegenspieler nach sich ziehen würde: Gleiche Rechte, einschließlich des Wahlrechts, das als Todesstoß für den ‘jüdischen Staat’ angesehen wird, mit dem sie sich weiterhin identifizieren”, schrieb er.

Der Protest in Tel Aviv kam nur wenige Tage, nachdem die Trump Regierung Netanjahu angeblich aufgefordert hatte, inmitten der anhaltenden Coronavirus-Krise und der Black Lives Matter-Proteste, die seine Regierung in den USA überwältigten, “[den Prozess [der Annexion] stark zu verlangsamen](https://www.middleeasteye.net/news/kushner-netanyahu-slow-process-annexation-while-us-grapples-domestic-issues)”.

Der israelische Sender Channel 13 zitierte hochrangige israelische Beamte mit den Worten, dass während einer Telefonkonferenz mit hochrangigen US-amerikanischen und israelischen Beamten, Trumps Schwiegersohn und leitender Berater Jared Kushner Netanjahu aufgefordert habe, die “Begeisterung [für die Annexion] herunterzuspielen”.

Netanjahu hat in den letzten Wochen seine Versprechen zur Annexion nochmal bekräftigt und den 1. Juli als Frist für den Beginn des Prozesses festgelegt, der von der internationalen Gemeinschaft weitgehend als schwerwiegender Verstoß gegen das Völkerrecht verurteilt wurde.

Laut israelischen Medienberichten wäre der erste Schritt im Annexionsprozess die einseitige Annexion von 132 illegalen Siedlungen im Westjordanland, in denen schätzungsweise 450.000 israelische Siedler leben.

Der Rest des in Trumps Friedensplans an Israel versprochenen Territoriums, das fast 30 Prozent des gesamten Westjordanlandes ausmacht, würde Berichten zufolge zu einem späteren Zeitpunkt nach Vereinbarung einer territorialen Aufteilung durch ein gemeinsames amerikanisch-israelisches “Kartierungskomitee” annektiert werden.

Palästinensische Führer haben sich den Plänen unerbittlich und lautstark widersetzt, wobei Palästinenserpräsident Mahmud Abbas im vergangenen Monat das Ende aller Abkommen mit Israel und den USA über die Annexionspläne Israels verkündete.

Der Verhandlungsführer der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), Saeb Erekat, hat die internationale Gemeinschaft aufgefordert, Sanktionen gegen Israel wegen seiner Annexionsbemühungen zu verhängen. Er sagte: “Länder, Bündnisse und Blöcke müssen alle mit Israel unterzeichneten Abkommen systematisch überprüfen, um sicherzustellen, dass sie nicht zur Besetzung und Beherrschung palästinensischen Landes und palästinensischen Lebens beitragen.”

Spannungen zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) dürften mit dem Näherrücken des 1. Juli zunehmen, wobei viele mit weit verbreiteten Protesten und Konfrontationen im gesamten besetzten Gebiet rechnen.

Foto: Twitter

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Author
Yumna Patel
Translator
Vanessa Jae
Date
15.06.2020
Source
Original article🔗
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