Social Justice

Trumps “Vision” benutzen, um sich von der Vergangenheit zu lösen

Die Palästinenser*innen können die Trumps ”Vision” nutzen, um sich von den politischen Strukturen zu befreien, durch die ihre Rechte und Freiheiten so lange eingeschränkt wurden.
Es gibt viele Möglichkeiten, der drohenden Katastrophe einer weiteren israelischen Annexion und Enteignung entgegenzuwirken und sie stattdessen in eine Chance zu verwandeln.
Es gibt viele Möglichkeiten, der drohenden Katastrophe einer weiteren israelischen Annexion und Enteignung entgegenzuwirken und sie stattdessen in eine Chance zu verwandeln.

Viele gängige politische Ideen über die Zukunft Palästinas beziehen sich in erster Linie auf die Eindämmung der einheimischen Palästinenser*innen und die Sicherheit des israelischen Siedlerstaates. Die jüngste Ausprägung dessen war die "Vision für Frieden, Wohlstand und eine vielversprechende Zukunft für Israel und das palästinensische Volk" der Trump-Regierung. Diese "Vision" schlug nichts Geringeres als eine palästinensische Kapitulation vor, bei der die Palästinenser im Westjordanland von einer Reihe von Bantustans eingeschlossen würden und der Gazastreifen eine belagerte Enklave bliebe, während die Rechte der Palästinenser im Exil, einschließlich der Rechte der Flüchtlinge, aufgegeben würden.

Trumps Vision – die von der israelischen Rechten angetrieben wird – bricht nicht radikal mit dem, was den Palästinenser*innen zuvor als mögliches Zukunftszenario präsentiert wurde. Vielmehr folgt sie einer Tradition von Friedensvorschlägen der letzten Jahrzehnte, in der Grundrechte für Palästinenser*innen keine Voraussetzung sind und palästinensische Souveränitätsbestrebungen außer Acht gelassen werden. Einige argumentieren, dass die Trump-Vision aufrichtiger ist als frühere Friedensbemühungen, da sie unverhohlen das darstellt, was die USA und Israel als eine akzeptable Form palästinensischer Staatlichkeit betrachten: Die im Visionsdokument vorgeschlagene Karte gibt die gegenwärtige geopolitische Realität vor Ort genau wieder.

Die palästinensische Führung hat schwach reagiert und hält weiterhin an einer politischen Linie fest, die das palästinensische Volk an seinen verwundbarsten Punkt in der Geschichte seit 1948 geführt hat. Darüber hinaus haben die palästinensischen Anführer ihre Hoffnungen auf Akteure gelenkt, die über Jahrzehnte bewiesen haben, dass sie nicht über den politischen Willen verfügen, die palästinensischen Rechte zu verwirklichen, wie zum Beispiel die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten. Sie haben außerdem unbeliebte und unstrategische politische Dialoge verfolgt, wie zum Beispiel das von der PLO sanktionierte "Kommunikationskomitee", das sich im Februar 2020 in Tel Aviv mit israelischen Politiker*innen der Israelischen Arbeiterpartei (Meretz) traf. Die jüngste Erklärung von Abbas, alle Abkommen mit Israel und Amerika zu kündigen, gingen ähnliche Erklärungen und Drohungen voraus, die aber kaum umgesetzt wurden. Es bleibt abzuwarten, ob es diesmal tatsächlich dazu kommt.

Trotz dieser Hindernisse können die Palästinenser*innen Trumps "Vision" nutzen, um sich von dem politischen Rahmen zu befreien, durch den ihre Rechte und Freiheiten so lange eingeschränkt wurden. Es gibt viele Möglichkeiten, der drohenden Katastrophe einer weiteren israelischen Annexion und Enteignung entgegenzuwirken und sie in eine Chance zu verwandeln. Hier sind nur drei.

  • Für viele Palästinenser*innen wurde die Illusion, dass die Verhandlungen die Rechte der Palästinenser*innen erfüllen würden, in den Jahren nach dem Oslo-Abkommen zerschlagen, als klar wurde, dass die Vereinbarung zur Kapitulation führen würde. Für einen Großteil der übrigen Welt beginnt die Illusion jedoch erst jetzt zu zerbrechen. Es ist wichtig diese Realität zu verstehen, falls Dritte palästinensische Rechte tatsächlich sicherstellen wollen. Ebenso wichtig ist es, einen Ansatz voranzutreiben, bei dem die Rechte im Vordergrund stehen, das heißt einen Ansatz, der das inhärente Machtgefälle zwischen Palästinenser*innen und Israelis anerkennt und versucht, palästinensische Grundrechte zu sichern, und zwar langen bevor es zu politischen Verhandlungen kommt. Um dritte Parteien in diese Richtung zu drängen, bedarf es konzentrierter und strategischer Anstrengungen der palästinensischen Zivilgesellschaft und der palästinensischen Solidaritätsbewegung, um Dritte aufzuklären und zur Rechenschaft zu ziehen, insbesondere in Europa, da diese in der Vergangenheit bereit waren, den USA die Führung des so genannten "Friedensprozesses" zu überlassen.
  • Die lauwarme globale Reaktion auf Trumps Vision, trotz der totalen Untergrabung des Völkerrechts, zeigt die Grenzen des völkerrechtlichen Regimes beim Schutz der Palästinenser*innen vor aggressivem israelischen Kolonialismus. Enthusiasten des Völkerrechts sollten zur Kenntnis nehmen: Es ist unerlässlich, dass die Palästinenser*innen das Völkerrecht als nur ein Instrument in einer umfassenderen Strategie des Widerstands betrachten und die Energie auf andere Instrumente umverteilen, wie zum Beispiel Boykotte, Wiederaufbau von Gemeinschaftsnetzen und Stärkung der Solidarität mit anderen politischen Kämpfen.
  • Die oben skizzierte Realität bedeutet, dass Palästinenser*innen ihre politische Agenda und Strategie neu ausrichten müssen. Dazu brauchen sie eine rechenschaftspflichtige, legitime und repräsentative Führung, die eine Zukunftsvision vorlegen kann, die auf einem breiten Konsens der Palästinenser*innen beruht. Mangelt es an Souveränität und Selbstbestimmung, ist es notwendig, über alternative Wege nachzudenken, auf denen diese Repräsentation und dieser Konsens außerhalb der gegenwärtigen strukturellen Grenzen erreicht werden können. In der Tat liefert uns die palästinensische Geschichte eine Fülle von Beispielen, in denen revolutionäre Legitimität und Demokratie außerhalb der gegenwärtigen Grenzen praktiziert werden können, inklusive der von ausländischen Geldgebern auferlegten Beschränkungen. Der palästinensische Aufstand von 1936-9 gegen die britische Herrschaft, der Erfolg der PLO bei der Vermittlung der palästinensischen Darstellung eines feindseligen Westens zwischen 1968 und 1988 und die Komitees und revolutionären Gruppen des ersten Intifada (Aufstand) sind nur drei Beispiele, aus denen man lernen kann.

Dieser Artikel wurde ursprünglich auf der Webseite von Al-Shabaka veröffentlicht.

Yara Hawari ist Senior Palestine Policy Fellow von Al-Shabaka: “The Palestinian Policy Network”. Sie promovierte in Nahost-Politik an der Universität von Exeter, wo sie verschiedene Bachelor-Kurse unterrichtete und weiterhin als ehrenamtliche wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig ist. Neben ihrer akademischen Arbeit, die sich auf indigene Studien und mündliche Geschichte konzentrierte, schreibt sie auch häufig politische Kommentare für verschiedene Publikationen wie The Guardian, Foreign Policy und Al Jazeera English.

Available in
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Author
Yara Hawari
Translators
Vanessa Jae and Jennifer Lennartz
Date
16.07.2020
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