Housing and Land Rights

Israel nutzt die US-Wahlen als Deckmantel, um eine palästinensische Gemeinde zu vertreiben

Israelische Streitkräfte zerstörten die gesamte Beduinen-Gemeinde Khirbet Humsah im nördlichen Jordantal und ließen 41 palästinensische Kinder obdachlos zurück, gerade als sich Winterstürme über das Westjordanland ausbreiteten.
Israel hat ein klares Ziel: Palästinenser*innen aus diesem Land zu vertreiben, sie durch Siedler zu ersetzen und das Land an Israel zu annektieren. Und sie tun alles das vor den Augen der internationalen Gemeinschaft.
Israel hat ein klares Ziel: Palästinenser*innen aus diesem Land zu vertreiben, sie durch Siedler zu ersetzen und das Land an Israel zu annektieren. Und sie tun alles das vor den Augen der internationalen Gemeinschaft.

Am 11. November veranstaltete die Progressive Internationale eine Diskussion über die planetarischen Auswirkungen der US-Wahl, unter anderem mit Dr. Yara Hawari, Autorin und Aktivistin in der palästinensischen Frauenbewegung Tal3at. Sehen Sie die Diskussion hier.

Während die Welt von den sich entfaltenden US-Wahlen am 3. November vereinnahmt wurde, riss Israel im Stillen eine ganze Beduinen-Enklave im nördlichen Jordantal nieder und ließ mehr als 70 Palästinenser*innen obdachlos zurück, gerade als die Temperaturen im besetzten Westjordanland zu sinken begannen.

Gegen 11 Uhr am Dienstagmorgen sahen die Bewohner*innen von Khirbet Husna schockiert zu, wie eine Karawane israelischer Militärjeeps, begleitet von einer Reihe von Bulldozern und Baggern, den Feldweg zu ihrem Dorf hinunter fuhr.

"Die Soldaten kommen oft hierher, um uns zu evakuieren, wenn sie eine militärische Übung haben", sagte Fatima Abu Awwad gegenüber Mondoweiss, als sie inmitten den Trümmern dessen saß, was nur 24 Stunden zuvor ihr Zuhause war.

"Aber normalerweise geben sie uns eine Vorwarnung. Diesmal kamen sie und sagten uns, wir sollen unsere Häuser verlassen, sie gaben uns nur 10 Minuten", sagte sie und fügte hinzu, dass die Soldaten von Dutzenden von Arbeiter*innen der israelischen Zivilverwaltung begleitet wurden, der Behörde, die für die Durchsetzung von Dingen wie dem Abriss von Häusern im Westjordanland zuständig ist.

FATIMA ABU AWWAD SITZT VOR IHREM EHEMALIGEN ZUHAUSE, NACHDEM ISRAELISCHE TRUPPEN IHR DORF KHIRBET HUMSAH IM JORDANTAL ZERSTÖRTEN. NUN LIEGEN IHRE HABSELIGKEITEN AUF EINEM HAUFEN, ABGEDECKT MIT EINER PLASTIKPLANE.

Nach nur gefühlt wenigen Sekunden, als Abu Awwad und ihr Mann versuchten, ihr Haus so weit wie möglich zu leeren, begannen die israelischen Bulldozer alles um sie herum abzureißen, während sie, wie sie beschrieb, von Hunderten von Soldaten und Mitarbeiter*innen der Zivilverwaltung umgeben waren.

"Sie haben nichts unberührt gelassen", sagte Abu Awwad. "Unsere Häuser, unsere Ställe, unsere Toiletten, unsere Wassertanks, Solarzellen, alles. Sie haben alles zerstört."

Nur wenige Stunden, nachdem die israelischen Streitkräfte ihre Abrisskampagne in Khirbet Humsah beendet hatten, fegte eine Kaltfront durch das Westjordanland, so dass die Familien des Dorfes sich auf die Suche nach irgendeiner Form von Unterkunft machen mussten.

"Es war kalt, windig und regnerisch, und wir konnten nirgendwo hingehen, nirgendwo, um uns und unsere kleinen Kinder zu schützen", sagte sie und fügte hinzu, dass die Familie gezwungen war, unter provisorischen Plastikzelten zu schlafen, auf kalten nassen Matratzen auf der aufgeweichten Erde darunter.

"Ich fühle mich innerlich zerstört", verriet Abu Awwad gegenüber Mondoweiss. "Schauen Sie sich um, was mit uns passiert ist, wie würden Sie sich fühlen? Wir haben nichts mehr übrig."

“Das ist Terrorismus.”

Khirbet Humsah ist eine palästinensische Beduinengemeinde, die aus mehreren winzigen Ansammlungen von Zelten und Hütten besteht und sich über die al-Buqei'a Ebenen im nördlichen Jordantal ausbreitet. Sie ist die Heimat von 11 Beduinen-Hirtenfamilien, die seit Jahrzehnten auf dem Land leben.

Die Familien führen eine halbnomadische Lebensweise und sind auf Viehzucht und Ackerbau angewiesen, um sich und ihre Familien, die 74 Personen, darunter 41 Kinder, umfassen, zu versorgen.

EINE KINDERKRIPPE UND EINE MATRATZE WURDEN VON DEN BEWOHNERN VON KHIRBET HUMSAH GEBORGEN, NACHDEM IHRE HÄUSER VON ISRAELISCHEN TRUPPEN ZERSTÖRT WORDEN WAREN.

Nach Angaben der israelischen Menschenrechtsgruppe B'Tselem haben die israelischen Streitkräfte zusätzlich zu 18 Wohngebäuden im Dorf 29 Zelte und Schuppen, die als Stallungen für Tiere dienten, drei Lagerschuppen, neun Zelte, die als Küchen genutzt wurden, 10 tragbare Toiletten, 10 Viehboxen, 23 Wasserbehälter, zwei Solarzellen und Futter- und Wassertröge für das Nutzvieh sowie mehr als 30 Tonnen Viehfutter zerstört und sowohl ein Fahrzeug, als auch zwei Traktoren von drei Bewohner*innen beschlagnahmt.

Mehrere der im Dorf zerstörten Strukturen, wie die tragbaren Toiletten und Solarzellen, wurden von der Europäischen Union und anderen ausländischen Hilfsorganisationen gespendet.

DIE ÜBERRESTE EINES VON DER EU FINANZIERTEN BADEZIMMERS IM DORF KHIRBET HUMSAH, DAS AM 3. NOVEMBER 2020 VON ISRAELISCHEN TRUPPEN VOLLSTÄNDIG ZERSTÖRT WURDE.

Palästinensische Kommentatoren wie Ali Abunimah kritisieren das anhaltende Versäumnis der EU, konkrete Maßnahmen gegen Israel wegen der Zerstörung palästinensischer Häuser und Strukturen — von denen viele, insbesondere in Beduinengebieten wie Khirbet Humsah, von der EU gespendet werden — zu ergreifen.

Bei einem Rundgang durch das Dorf einen Tag nach dem Abriss bezeichnete der Minister der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Walid Assaf, Leiter der “National Colonization and Wall Resistance Commission”, den Abriss als einen "Terrorakt".

Vor einer der zerstörten Solarzellen stehend, fragte Assaf: "Welche Gefahr stellt dies für die Sicherheit eines Staates dar, der über die stärkste Armee und Atomwaffen verfügt?" Er wies darauf hin, dass die Solarzellen Lichter im Dorf antrieben, die nicht an Strom- oder Wassernetze angeschlossen sind.

Assaf versicherte den Bewohner*innen, darunter Abu Awwad und ihr Ehemann, dass sie die "volle Unterstützung" der PA hätten, die vorhabe, eine Reihe neuer Zelte für den Wiederaufbau des Dorfes zu liefern.

"Israel will uns vertreiben, uns ethnisch säubern und unsere Dörfer zerstören, um die Annexion und die Vertreibung der Palästinenser*innen aus dem Jordantal vorzubereiten", sagte Assaf und fügte hinzu: "Ich werde bei euch bleiben, bis alles wieder aufgebaut ist. Selbst wenn wir hier schlafen müssen, wenn wir Zelte aufstellen müssen, wie wir es bei Khan al-Ahmar getan haben, werden wir dieses Gebiet nicht verlassen".

“Es läuft alles auf die Annexion hinaus.”

Khirbet Humsah liegt im Herzen des Jordantals und gehört zu den mehr als 60 Prozent des Westjordanlandes, die sich im Gebiet C befinden.

Laut Aktivisten*innen ist die Zerstörung der gesamten Gemeinde eine der größten Abrissoperationen, die von israelischen Streitkräften seit Jahren durchgeführt wurde.

B'Tselem bemerkte, dass das Jahr 2020 mit dem Abriss der Khirbet Humsah bisher zu einem der schlimmsten Jahre für die Palästinenser*innen in Bezug auf die Zerstörung von Wohnraum geworden sei, da allein in den ersten zehn Monaten dieses Jahres mehr Palästinenser*innen ihr Zuhause verloren haben als in jedem anderen Jahr seit 2016.

"Infolge der israelischen Politik haben im Jahr 2020 bereits 798 Palästinenser*innen ihr Zuhause verloren, darunter 404 Minderjährige, die in 218 Häusern lebten – im Vergleich zu 677 Palästinenser*innen im gesamten Jahr 2019, 397 im Jahr 2018 und 521 im Jahr 2017", sagte die Gruppe.

Obwohl das Land von Khirbet Humsah nicht den Beduinen selbst gehört, ist es im Privatbesitz einer Reihe lokaler palästinensischer Landbesitzer, die in der nahe gelegenen Stadt Tubas und den umliegenden Dörfern wohnen.

Einer dieser Landbesitzer, Moataz Bisharat, ist ein lokaler Aktivist im Jordantal. Er erzählte Mondoweiss, dass der Staat Israel das Land trotz der Urkunden, die seinen Besitz belegen, auch als Staatsland betrachtet, welche für die aktive militärische Ausbildung genutzt werden.

"Israel erklärt diese Länder als aktive 'Schießzonen' und 'geschlossene Militärzonen' und benutzt diese als Vorwand, um die hier lebenden Palästinenser*innen konsequent zu evakuieren und zu vertreiben", sagte Bisharat.

Während diese "Schießzonen" die palästinensischen Hirtengemeinschaften im Jordantal seit Jahrzehnten beeinträchtigen, haben Aktivisten*innen laut Bisharat in den letzten Jahren einen Anstieg eines beunruhigenden Trends erlebt, den der Staat in diesen Gebieten einsetzt.

"Die Armee wird kommen und diese Gemeinden zerstören oder sie aus ihren Häusern vertreiben und behaupten, dass sie sich nicht in diesen militärischen Gebieten aufhalten können", sagte er.

"Aber nachdem die Palästinenser*innen vertrieben worden sind, wird die Armee das Land an die Siedler übergeben", fuhr er fort. "Das haben wir in den letzten Jahren in den Gebieten al-Mzuqah, Abu al-Qanduh, al-Farsiyeh und Khirbat al-Sweid gesehen."

Der Prozess der Vertreibung von Palästinensern*innen und der Übergabe von Land an die Siedler, so Bisharat, sei indikativ für die israelische Agenda in der Region des Jordantals: "Es läuft alles auf die Annexion hinaus."

Bisharat betonte, dass Israel zwar die Annexion nicht wie geplant am 1. Juli dieses Sommers offiziell durchgesetzt habe, dass es aber weiterhin die Gegebenheiten vor Ort geändert habe, und zwar alles mit, wie er sagt, "voller Unterstützung und Rückendeckung von Ländern, die dies normalisieren" wie die VAE und Bahrain.

"Israel hat ein klares Ziel: Palästinenser*innen von diesem Land zu vertreiben, sie durch Siedler zu ersetzen und das Land an Israel zu annektieren", sagte er. "Und sie tun dies alles vor den Augen der internationalen Gemeinschaft."

US-Wahlen dienen als "Tarnung"

Moataz Bisharat verurteilte zusammen mit mehreren anderen lokalen und internationalen Aktivisten*innen die israelischen Streitkräfte dafür, dass sie die US-Wahlen als "Tarnung" für ihre Abrisskampagne in Khirbet Humsah genutzt hatten.

"Während die internationale Gemeinschaft die Annexion abgelehnt hat, wollte die [israelische] Besatzung dies still und leise hinter ihrem Rücken tun", sagte Bisharat. "Was jetzt gerade geschieht, ist die Annexion des palästinensischen Landes, eine stille, leise Annexion".

Der palästinensische Premierminister Muhammad Shtayyeh twitterte: "Da die Aufmerksamkeit auf #USElection2020 gerichtet ist, wählte Israel diesen Abend, um ein weiteres Verbrechen zu begehen/ zu vertuschen: 70 palästinensische Strukturen, einschließlich Wohnhäuser, zu zerstören."

Omar Shakir von Human Rights Watch wandte sich ebenfalls an Twitter, um "genug ist genug" zu schreiben, und fügte hinzu, dass das "Kriegsverbrechen" stattfand, während die Welt durch die US-Wahl abgelenkt war.

Bisharat warf der Trump-Regierung vor, der "rechtsextremen Regierung" Israels grünes Licht für solche Verbrechen im Jordantal gegeben zu haben, und bezeichnete den Abriss von Khirbet Humsah als "organisierten internationalen Terrorismus gegen die palästinensische Existenz und die Palästinenser*innen".

Yumna Patel ist eine Korrespondentin für Mondoweiss mit Sitz in Bethlehem, Palästina.

Foto: Yumna Patel, Mondoweiss

Available in
EnglishFrenchGermanPortuguese (Brazil)TurkishSpanishPortuguese (Portugal)Italian (Standard)
Author
Yumna Patel
Translator
Vanessa Jae
Date
13.11.2020
Source
Original article🔗
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