Economy

Ausplünderung Afrikas – Einkommensdeflation und ungleicher ökologischer Austausch unter Strukturanpassungsprogrammen

Die in den 1980er und 1990er Jahren vom IWF und der Weltbank auferlegten Strukturanpassungsprogramme hatten in Afrika verheerende Folgen, weil sie den Kontinent zu Sparmaßnahmen, Privatisierungen und eine exportorientierte Politik zwangen.
Dylan Sullivan und Jason Hickel kritisieren in ihren jüngsten Forschungsergebnissen aufs Schärfste die Auswirkungen der Strukturanpassung in Afrika in den 1980er und 1990er Jahren. Anhand aktueller Daten über die Nutzung materieller Ressourcen in Afrika zeigen Sullivan und Hickel auf, wie Strukturanpassungsprogramme in dieser Zeit zu einer deutlichen Zunahme des „ungleichen ökologischen Austauschs“ führten, einem Prozess, bei dem afrikanische Länder gezwungen waren, mehr Rohstoffe, Energie und andere Ressourcen zu exportieren, als sie durch Importe einführten. Das Ungleichgewicht, so argumentieren Sullivan und Hickel, stellte einen kostenlosen Transfer von realen, greifbaren Rohstoffen aus Afrika in die kapitalistische Weltwirtschaft dar.

In den 1980er und 1990er Jahren zwangen der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank die Regierungen in ganz Afrika zur Umsetzung neoliberaler Strukturanpassungsprogramme (SAP). Mit den SAP wurden die postkolonialen Regierungen gezwungen, öffentliche Dienstleistungen und die Produktion des öffentlichen Sektors zu kürzen, Arbeitsmarktregulierungen und Lohnschutz abzuschaffen, staatliche Vermögenswerte zu privatisieren und protektionistische Maßnahmen sowie eine Industriepolitik aufzugeben, die auf eine souveräne industrielle Entwicklung abzielten.

Diese Reformen zerschlugen die fortschrittliche Politik der damaligen afrikanischen Nationalisten und Sozialisten, die nach der Katastrophe des europäischen Kolonialismus versuchten, ihre industrielle Basis aufzubauen und ihren Lebensstandard zu verbessern. Viele afrikanische Führer und Gelehrte – darunter Thomas Sankara und Samir Amin – betonten, dass die SAP zum Ziel hatten, die imperialen Beziehungen wiederherzustellen, indem sie die Kontrolle des Westens über die nationale Wirtschaftspolitik durchsetzten, afrikanische Ressourcen verbilligten und die Produktion um den Export in den imperialen Kern herum organisierten, und zwar in untergeordneten Positionen innerhalb der globalen Rohstoffketten.

Es ist allgemein bekannt, dass die SAP verheerende Auswirkungen auf die Völker Afrikas hatten. Zwischen 1980 und 1994 sank das Pro-Kopf-BIP Afrikas von rund $4.500 auf unter $4.200 (2023 KKP). Das Pro-Kopf-Einkommen erholte sich erst 2001. Mit anderen Worten, die SAP leiteten eine Rezession in die Wege, die über zwei Jahrzehnte andauerte. Studien zeigen, dass die SAP mit erhöhten Kindersterblichkeitsraten und Müttersterblichkeitsraten, höherer Armut und schlechteren Ergebnisse in der menschlichen Entwicklung zusammenhingen. In einigen Fällen war die Krise so schwerwiegend, dass sie zur Verringerung der körperlichen Statur der Einwohner führte, ein Zeichen für extremen Ernährungsstress und den Zusammenbruch des öffentlichen Gesundheitswesens. Zum Beispiel waren Personen, die in den 1980er Jahren in Tansania geboren wurden, etwa einen Zentimeter kleiner als jene, die ein Jahrzehnt – oder sogar ein Jahrhundert – zuvor auf die Welt gekommen waren.

Die jüngsten Daten über den Verbrauch materieller Ressourcen in Afrika – d. h. die Gesamtmenge an materiellen Gütern (in Tonnen), die von afrikanischen Volkswirtschaften verbraucht werden – liefern neue Erkenntnisse darüber, wie sich diese Krise entwickelt hat (siehe Abbildung 1). „Domestic extraction“ (DE) bezieht sich auf die Pro-Kopf-Gesamtmenge der in Afrika aus der Umwelt gewonnenen Rohstoffe – mit anderen Worten, die gesamte Biomasse, Metalle, Mineralien, Baumaterialien und fossilen Brennstoffe, die in Afrikas Minen, Farmen, Wäldern, in der Fischerei usw. produziert werden. Die DE ist ein recht robuster Indikator für die physische Produktion. Wir sehen, dass die Pro-Kopf-DE in den 1980er und 1990er Jahren im Zuge der Strukturanpassung um über 10 Prozent zurückgegangen ist. Dies deutet stark darauf hin, dass die SAP eine Rezession oder einen Rückgang der physischen Produktion ausgelöst haben, was von den Daten bestätigt werden, die einen Rückgang des Pro-Kopf-BIP in der gleichen Zeitspanne zeigen.

Was entscheidend ist, ist dass der „materielle Fußabdruck“ (MF) in Afrika pro Kopf wesentlich stärker zurückging als die inländische Extraktion (Abbildung 1). Der MF bezieht sich auf die Gesamtmenge der in Afrika verbrauchten Rohstoffe, einschließlich derjenigen, die in importierten Waren enthalten sind, und ohne solche, die in exportierten Waren enthalten sind. Die MF-Daten zeigen, dass der afrikanische Konsum von 1980 bis in die 1990er Jahre um 20 Prozent abnahm und sich erst 2013 wieder auf sein früheres Niveau erholte. Der Rückgang des afrikanischen Konsums war stärker als der Rückgang  seiner Produktion.

Natürlich kann ein Rückgang des Materialverbrauchs manchmal auf Effizienzsteigerungen zurückzuführen sein, aber dies geschieht normalerweise nur in entwickelten Volkswirtschaften mit starker technologischer Leistungsfähigkeit und geht mit einem steigenden BIP einher. In Afrika war das nicht der Fall, denn das BIP sank zur selben Zeit. In der Tat arbeiteten die afrikanischen Länder nicht an der technologischen Front, wo solche Effizienzsteigerungen in der Regel stattfinden – ein Problem, das durch die SAP, die jegliche öffentlichen Investitionen in die technologische Entwicklung verhinderten, noch verschärft wurde.

Die Daten deuten darauf hin, dass die Afrikaner nach 1980 weniger produzierten, aber sie konsumierten sogar noch weniger. Wohin ging die fehlende Produktion? Sie wurde in den Rest der Welt exportiert, und zwar ohne gleichwertige materielle Gegenleistung.

Abbildung 1. Materieller Pro-Kopf-Verbrauch von Ressourcen in Afrika (1=1980).

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Wir erkennen dieses Muster, wenn wir uns die Exportdaten ansehen. Abbildung 2 zeigt die afrikanischen Exporte von 1980 bis Anfang der 2000er Jahre, gemessen sowohl in US-Dollar als auch in "Rohstoffäquivalenten". [[1]](https://roape.net/2025/02/28/plundering-africa-income-deflation-and-unequal-ecological-exchange-under-structural-adjustment-programmes/#_ftn1) Die Rohstoffäquivalente umfassen sowohl die Ausfuhr von Primärrohstoffen als auch Zwischen- und Endprodukte sowie alle in ihrer Herstellung enthaltenen Materialien. Diese Daten bestätigen, dass der Materialverbrauch in Afrika zwar zurückging, die Materialexporte jedoch rasant zunahmen. Mit anderen Worten, es scheint, dass Afrikas Produktionskapazität und materielle Produktion vom regionalen Bedarf weg hin zum Export umgelenkt wurde. Doch selbst als die physischen Exporte zunahmen, ging der Totalbetrag, den Afrika dafür erhielt, zurück. Während der physische und der Geldwert der Exporte in den 1970er Jahren parallel anstiegen, kam es in den 1980er Jahren zu einem dramatischen Bruch, und beide gingen danach stark auseinander. Dies deutet darauf hin, dass die Exportpreise Afrikas niedergedrückt wurden, sodass Afrika weniger pro Exporteinheit bekam (siehe Tabelle 1).

Abbildung 2. Ausfuhren aus Afrika (1=1980).

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Es lohnt sich, hier innezuhalten, um die Bedeutung einer solchen Analyse des Handels zu würdigen. Auswertungen konventioneller Handelsdaten – d.h. auf einer Geldbasis gemessen – zeigen auf, dass die Exporte Afrikas in den 1980er Jahren zurückgingen. Aber Abbildung 2 und Tabelle 1 zeigen, dass dies eine Illusion ist: Es war ein Effekt sinkender Preise. In Wirklichkeit stiegen Afrikas physische Exporte, nur die Exporteinnahmen gingen zurück. Diese Daten fügen der Geschichte der Strukturanpassung einen wichtigen neuen Abschnitt hinzu.

Die SAP drückten die afrikanischen Preise auf unterschiedliche Art und Weise. Sie schafften die Exportkontrollen und andere staatliche Programme ab, die darauf abzielten, faire Preise für afrikanische Bauern und Produzenten zu gewährleisten. Sie beseitigten auch den Arbeitsschutz und verursachten eine Massenarbeitslosigkeit, womit die Löhne und Preise unter Druck gerieten, während gleichzeitig die öffentlichen Ausgaben eingeschränkt und die Regierungen zu einer deflationären Finanzpolitik gezwungen wurden. Die SAP reduzierten die Nachfrage im Inland, indem sie Ressourcen verbilligten und sie dem Exportsektor zur Verfügung stellten – ein Prozess, der als Einkommensdeflation bekannt ist.

Tabelle 1: Exporte aus Afrika in die Welt in der Zeit der Strukturanpassungsprogramme.

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Infolge dieser Dynamik waren die afrikanischen Länder gezwungen, mehr physische Güter zu exportieren, um das gleiche Niveau der physischen Importe von Rohstoffäquivalenten aufrechtzuerhalten. In Abbildung 3 ist dieses Muster deutlich zu erkennen. Während die materiellen Exporte Afrikas in den 1980er und 1990er Jahren um 55 Prozent zunahmen, blieben die materiellen Importe nahezu unverändert. Die Differenz zwischen den beiden stellt ein kostenloses Geschenk an die kapitalistische Weltwirtschaft dar – ein Transfer von realen, greifbaren Rohstoffen aus Afrika in den Rest der Welt, kostenlos.1980 exportierte Afrika bereits netto 720 Millionen Tonnen an physischen Materialien in die übrige Welt. Anfang der 2000er Jahre war diese Zahl auf 1,5 Milliarden angestiegen. Die Strukturanpassung zwang Afrika, seine Exporte in die übrige Welt zu verdoppeln, ohne eine gleichwertige Gegenleistung zu erhalten, während der Verbrauch im Inland einbrach.

Abbildung 3. Afrikanische Exporte und Importe, gemessen in Rohstoffäquivalenten (1=1980).

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Diese Muster helfen zu erklären, warum Regierungen und Kapitalisten im globalen Norden so eifrig darauf bedacht waren, Afrika die SAP aufzuzwingen, trotz der verheerenden Folgen für die dort lebenden Menschen. Die Reduzierung des afrikanischen Konsums, der Druck auf die afrikanischen Preise und die Umstrukturierung der Produktion auf Exporte der SAP verursachten eine deutliche Zunahme des „ungleichen ökologischen Austauschs“, einem Prozess, bei dem afrikanische Länder gezwungen sind, mehr Rohstoffe, Energie und andere Ressourcen zu exportieren, als sie durch Importe einführen. Indem sie die afrikanischen Exportpreise im Verhältnis zu den Importen niederdrückten, trugen die SAP dazu bei, den Materialabfluss zu erhöhen. Die Importe stagnierten, während die Exporte zunahmen. Afrikas Produktionskapazitäten und Ressourcen, die in die eigene Industrialisierung und menschliche Entwicklung hätten investiert werden können, wurden stattdessen verbilligt und exportiert, um der Bereicherung des imperialen Kerns dienlich zu sein.

[[1]](https://roape.net/2025/02/28/plundering-africa-income-deflation-and-unequal-ecological-exchange-under-structural-adjustment-programmes/#_ftnref1) Wir haben den Dollarwert der Exporte anhand des US-Verbraucherpreisindex, der vom Internationalen Währungsfonds ermittelt wurde, an die Inflation angepasst.

Dylan Sullivan ist Doktorand im Rahmen eines Cotutelle-Abkommens zwischen der Macquarie University in Sydney und der Autonomen Universität Barcelona. Seine Forschungsschwerpunkte sind globale Ungleichheit, Armutsmessung, politische Ökonomie und sozialistische Planung. 

Jason Hickel ist ICREA-Professor am Institut für Umweltwissenschaften und Technologie (ICTA-UAB) der Autonomen Universität Barcelona und Gastprofessor an der London School of Economics and Political Science. Er beschäftigt sich vor allem mit globaler Ungleichheit, Imperialismus und internationaler Entwicklung. Seine neuesten Bücher heißen „The Divide: A brief guide to global inequality and its solutions“ und „Less is more: How degrowth will save the world“.

Foto: Der Gouverneursrat des Internationalen Währungsfonds im Jahr 1999 (Wikimedia Commons).

Available in
EnglishSpanishPortuguese (Brazil)GermanFrenchItalian (Standard)Arabic
Translators
Nathalie Guizilin and ProZ Pro Bono
Date
28.04.2025
Source
Review of African Political Economy ROAPEOriginal article🔗
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