Dr. Naledi Pandor: Es ist Zeit für eine progressive globale Agenda

Dr. Naledi Pandor fordert die BRICS-Staaten auf, eine Bewegung des progressiven Wandels und kollektiven Handelns anzustoßen und sich unipolarer Dominanz, wirtschaftlicher Ausbeutung und schwachem Multilateralismus entgegenzustellen.
In dieser Grundsatzrede für das internationale BRICS-Symposium "Ascendant" der Progressiven Internationale untersucht Dr. Naledi Pandor die Krisen der unipolaren Hegemonie, des erodierenden Multilateralismus und der systemischen Ungleichheit, unter denen der globale Süden leidet.

Geehrte Sitzungsleitung,

Exzellenzen,

Verehrte Gäste,

Damen und Herren,

Genoss*innen:

Ein herzliches Willkommen an Sie alle. Es ist mir eine große Ehre und ein Privileg, in der ersten Sitzung dieses wichtigen und aktuellen Symposiums zu Ihnen sprechen zu dürfen.

Die Welt steht heute an einem Wendepunkt: Wir sind konfrontiert mit einer fanatisch feindseligen und rachsüchtigen Unipolarität, einer sich vertiefenden Krise, was den Multilateralismus und die Achtung des Völkerrechts angeht, mit zügelloser Habgier und abscheulicher Bereicherung, mit erdrückender Armut und den sichtbaren Auswirkungen von Katastrophen und Klimawandel.

In ihrem wertvollen Buch Shock Therapy (2008) belegt Naomi Klein, dass dies keine zufälligen Entwicklungen sind. Diese Vorgänge sind, so Klein, Erscheinungsformen der "Schock-Strategie“: Die Mächtigen nutzen drohende Kriege und interne Konflikte aus, um so viel Chaos zu sähen, dass sie die Ressourcen der Entwicklungsländer rücksichtslos plündern können. Damit wird die Abhängigkeit der Entwicklungsländer von den mächtigsten Nationen für ihre Rettung und ihr Überleben zementiert. Unterstützt werden diese Nationen von den etablierten Bretton-Woods-Institutionen, die eine Reihe wohlbekannter Methoden anwenden: darunter den Wirtschaftskollaps, staatliche Sparpläne und die Streichung von Programmen des öffentlichen Dienstes, die der Grundversorgung dienen.

Es ist sehr ermutigend, dass die Organisator*innen des Symposiums sich mit dieser gut durchdachten Methode befassen wollen, mit der die Nationen des Südens gezielt davon abgehalten werden, ihre Nachteile erfolgreich zu überwinden. Kleins deskriptive Analyse weist jedoch darauf hin, dass wir alle uns diesem Problem widmen und wirksame und angemessene Antworten darauf finden müssen. Wir stehen einem komplizierten und katastrophalen Kontext und dementsprechenden Herausforderungen gegenüber. Darauf mit wortgewandter Rhetorik und gut formulierten Reden zu reagieren, reicht nicht aus.

Es gibt mehrere Schlüsselfragen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen.

Erstens hat sich die Idee, dass die USA der Dreh- und Angelpunkt der Welt seien, sehr lange gehalten. Obwohl sie eine Bedrohung für die Multipolarität darstellt, gibt es wenig Anhaltspunkte dafür, dass wir diese Machtposition der USA anfechten können.

Zweitens sehen sich die wichtigsten aufstrebenden Mächte wie Indien und unter Umständen auch China nicht als gleichwertiges ideologisches Gegengewicht zum dominierenden Westen. Ihnen scheint es hauptsächlich um wirtschaftlichen Erfolg und weniger darum zu gehen, eine progressivere globale Identität und Beziehungen zu etablieren.

Drittens hat Afrika Jahrhunderte des Kolonialismus noch nicht überwunden und zugelassen, dass geringe Leistungsfähigkeit, niedriges Wachstum und Abhängigkeit seine Geopolitik bestimmen. Dass man sich auf dem Kontinent für die Generierung staatlicher Einnahmen auf Ressourcenextraktion konzentriert hat, hat die Industrialisierung verzögert und die Produktionsleistung gebremst. Die derzeitige Rolle der Afrikanischen Union und die Bemühungen um die Umsetzung der Agenda 2063 deuten aber darauf hin, dass es in Afrika ein Potenzial für echte Fortschritte gibt.

Viertens deuten die zunehmenden Verstöße gegen das Völkerrecht darauf hin, dass der globale Konsens zu Normen der internationalen Beziehungen brüchig wird und weltweit eine deutliche Bekräftigung dieser Normen erforderlich ist. Dazu bräuchte es ein klareres Bekenntnis zu einer echten UN-Reform und zu mehr Unterstützung für eine robuste, reformierte und effiziente UN.

Fünftens hat sich die Gruppe der BRICS-Staaten ausgeweitet, aber ohne das Fundament einer klaren politischen Agenda. Das Ergebnis ist eine amorphe Gruppierung, die in einem sich rapide auflösenden geopolitischen Umfeld einen gemeinsamen Nenner finden muss.

All diese Faktoren erfordern dezidiertes und fokussiertes Engagement. Wenn wir uns darauf einigen, dass BRICS zum Vorreiter progressiver Ideale werden könnte, dann sollten wir unter Umständen eine gut ausgestattete Gruppe strategischer Denker*innen ins Leben rufen. Sie könnten in enger Zusammenarbeit mit den Staatsoberhäuptern der BRICS-Staaten eine Vision einer umgestalteten Welt ausarbeiten, in der die BRICS-Staaten eine Schlüsselrolle bei der strategischen Entwicklung spielen. Die derzeitige BRICS-Präsidentschaft steht Überlegungen zu einer strategischeren Rolle der BRICS-Staaten anscheinend offen gegenüber. Also ist jetzt der richtige Moment, auf eine neue politische Ausrichtung hinzuarbeiten.

Obwohl BRICS in den 17 Jahren seines Bestehens wichtige Fortschritte gemacht hat, wissen wir alle, dass es sich weitgehend um eine konsensorientierte Formation handelt. Eine Absicht zur Neugestaltung des Weltgeschehens bzw. des bestehenden multilateralen Systems wurde bis jetzt nicht besonders klar zum Ausdruck gebracht. Das deutlichste Signal für einen Standpunktwechsel war die Gründung der Neuen Entwicklungsbank. Der Erfolg der Bank mit ihrem auf BRICS-Länder spezialisierten Investitionsprogramm deutet auf das immense Potenzial für progressiven Wandel innerhalb von BRICS hin. Die Bank braucht mehr Aktionär*innen und eine verstärkte Partnerschaft mit in Entwicklung investierende Banken.

Die jüngsten globalen Ereignisse haben deutliche Abweichungen in der politischen Haltung der BRICS-Mitgliedstaaten offengelegt. In der Frage des Russland-Ukraine-Krieges waren die BRICS-Länder geteilter Ansicht. In Bezug auf den israelischen Völkermord in Gaza und den besetzten palästinensischen Gebieten war es schwierig, eine gemeinsame BRICS-Perspektive zu finden, und die diesbezügliche Erklärung im Jahr 2023 hatte historische Bedeutung. Aber obwohl man die Ermordung von Unschuldigen verurteilte, wurden aktive Beziehungen zwischen Israel und einigen BRICS-Ländern aufrechterhalten. Noch besorgniserregender war, dass BRICS nicht in der Lage war, Lösungen vorzuschlagen oder einzugreifen, als der Konflikt sich verschärfte. Noch einmal – dieses Forum und die BRICS-Think-Tanks sollten den BRICS-Staatsoberhäuptern nahelegen, dass, wenn sie das Weltgeschehen beeinflussen und gestalten wollen, sie als Kollektiv sichtbar werden und Verhandlungen zu Friedensmissionen und konstitutionellen Vereinbarungen anstoßen müssen.

Natürlich kann BRICS das nicht im Alleingang schaffen. Unser größtes Problem ist die Vielzahl an tendenziell unstrukturierten Organisationen, die eine progressive Agenda vorantreiben sollten, dies aber nicht tun.

Die BRICS-Oberhäupter sollten mit den Staats- und Regierungschefs der ASEAN, der Afrikanischen Union, der G77 plus China, der NAM und anderer regionaler Vereinigungen Treffen einberufen und gemeinsame Maßnahmen planen. Sie sollten sich auf eine gemeinsame progressive Agenda einigen, die darauf abzielt, die Verbreitung von Atomwaffen, die Klimazerstörung und die Ausbeutung der Schwachen und Marginalisierten zu beenden. Zwei BRICS-Mitgliedsländer haben in den letzten vierzig Jahren in der Armutsbekämpfung unglaubliche Ergebnisse erzielt. Indien und China könnten viel dazu beitragen, eine neue, am Süden orientierte globale Agenda aufzustellen. Ihre Lehren können an den afrikanischen Kontinent, an die Karibik und andere Regionen weitergegeben werden, um sicherzustellen, dass auch sie eine souveräne Rolle im Weltgeschehen spielen können.

Mit BRICS Ascendant bildet sich eine Gruppierung heraus, die Multilateralismus offen unterstützt und die Gleichberechtigung der Geschlechter, die Entwicklung Afrikas, Frieden und Sicherheit fördert. Die BRICS-Staaten sollten eng zusammenarbeiten, um das multilaterale System zu bewahren und zu reformieren, sodass es immer noch primär durch die Vereinten Nationen vertreten wird. BRICS sollte bei der aktiven Unterstützung und Umsetzung der Nachhaltigen Entwicklungsziele und anderer progressiver globaler Strategien eine Führungsrolle übernehmen. Die Welt braucht die Hoffnung einer klar artikulierten progressiven Agenda, die globale Verbesserungsmaßnahmen inspirieren und anstoßen kann.

Die BRICS-Staaten müssen progressive und ideologisch aktive Gewerkschaften wiederbeleben und den Arbeiter*innen ermöglichen, an der Spitze radikaler Veränderungen zu stehen. Die Gewerkschaften sind in der Weltpolitik zu abwesend und unterwürfig geworden; sie nehmen die Unterdrückung der Arbeiterschaft hin und müssen ihren Kurs ändern. Die BRICS-Staaten sollte auch daran arbeiten, die Entwicklungsziele durch einen globalen Finanzierungsmechanismus zu stärken und sicherstellen, dass sie in nachhaltige Entwicklung investieren und sich anders verhalten als die Bretton-Woods-Institutionen. Es muss jedoch eine erfolgreiche Bank sein, die nicht aufgrund fauler und korrupter Praktiken ihrer Schuldnerstaaten zusammenbricht.

Schließlich müssen wir alle, die wir hier versammelt sind, mit Gemeinschaften und Organen der Zivilgesellschaft kommunizieren. Wir müssen die Mehrheit davon überzeugen, dass die aktuellen Angriffe auf progressive Programme und Institutionen eine direkte Bedrohung für sie darstellen und dass wir mit Massenmobilisierung und kollektivem Handeln dazu beitragen können, eine bessere Welt zu schaffen. BRICS ist das einzige Forum, das sich dieser Herausforderung annehmen kann. Es gibt innerhalb von BRICS eine breite Palette von Strukturen, mit denen PI in Verbindung treten sollte, um die Erosion progressiver Ideale zu besprechen und dabei zu helfen, die unglaubliche latente Kraft der wachsenden BRICS-Formation freizusetzen

Available in
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Translators
Constanze Huther, Nathalie Guizilin and Open Language Initiative
Date
30.05.2025
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