An einem vom Smog stickigen Morgen Ende November in Delhi versammelten sich Arbeitnehmer*innen, Gewerkschaftsführer*innen und politische Verbündete im Dunst der Winterverschmutzung, um eine Botschaft an eines der mächtigsten Unternehmen der Welt zu senden: „Make Amazon Pay“ (Amazon muss bezahlen). Die Kundgebung war Teil eines weltweiten, von Streiks und Demonstrationen geprägten Protesttags, und unter den Rednern befand sich Gorakh Mengde, der Generalsekretär der Amazon India Workers Union, der sagte, dass das „Management von Amazon versucht hat, uns auf verschiedene Art und Weise davon abzuhalten [an diesem Tag zu protestieren]. Wir möchten Amazon sagen: Ihr konntet uns heute nicht aufhalten, und ihr könnt uns auch in Zukunft nicht aufhalten.“
Während Amazon auf Einschüchterung setzte, entschied sich ein anderes Unternehmen für einen direkten Vergeltungsschlag. Ein Zomato-Delivery-Arbeiter, der an derselben Kundgebung eine Rede hielt, wurde sofort entlassen – und erst noch per WhatsApp. Sein Vorgesetzter schickte ihm kurz davor ein Video mit seiner Rede, gefolgt von einer kalten Benachrichtigung, dass er von der App gesperrt wurde.
Solche Geschichten über Hyper-Prekariat werden alarmierend häufig. Indien hat bereits über acht Millionen Gig-Arbeiter*innen, und bis 2030 könnte diese Zahl auf 23 Millionen explodieren. Unternehmen wie Zomato, Swiggy und Urban Company betrachten sich jedoch lediglich als „digitale Vermittler“ und nicht als Arbeitgeber – eine rechtliche Wortklauberei, die es ihnen ermöglicht, sich der Verantwortung für faire Löhne, sichere Arbeitsbedingungen oder soziale Sicherheit zu entziehen.
Rahul Gandhi, der Anführer der indischen Opposition, zeigte diese Woche auf, was auf dem Spiel steht. Er schrieb: „Diese Arbeiter*innen bringen uns Essen, liefern lebensnotwendige Waren und fahren uns sicher herum – bei Hitze, Kälte und Regen. Doch allzu oft werden sie ohne Angabe von Gründen in ihren Apps gesperrt, ihre Krankschreibungen werden abgelehnt und sie werden nach undurchsichtigen Algorithmen bezahlt.“
Der Kampf der App-Arbeiter*innen ist der Gipfel des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit. Aber die Arbeitnehmer*innen warten nicht auf Veränderungen – sie organisieren sich, um Gewerkschaften zu gründen und zu gewinnen, indem sie den neuen Herausforderungen für Arbeiter*innen durch wegweisende Durchbrüche im Arbeitsrecht begegnen.
Zwei Mitglieder der Progressiven Internationale stehen dabei in Indien an der Spitze: Mazdoor Kisan Shakti Sangathan (MKSS) und die Telangana Gig and Platform Workers Union (TGPWU).
Dank ihren Bemühungen werden bereits neue Gesetze geschaffen: Im Jahr 2023 wurde Rajasthan – nach einer unermüdlichen Kampagne von MKSS – Indiens erster Bundesstaat, der den Sozialversicherungsschutz für Gig-Arbeiter*innen verabschiedete. Die Gewerkschaft zwang nicht nur die Regierung zum Handeln, sondern sicherte Nikhil Deysich, einen erfahrenen MKSS-Aktivisten, auch einen Platz am Entwurfstisch.
Diese Woche folgte der Staat Karnataka nach einem langen Kampf und einer intensiven Kampagne diesem Beispiel. In Karnataka stieß die Kampagne für eine Gesetzgebung für Gig-Arbeiter*innen auf heftigen Widerstand und Blockaden durch Indiens mächtige Aggregator- und Softwareindustrie, die alarmierende Äußerungen vorbrachten und das Gesetz über eineinhalb Jahre lang blockierte. Gig-Arbeitergruppen und -Gewerkschaften, darunter die MKSS, setzten die Kampagne jedoch unbeirrt fort, und schließlich sorgte die politische Führung dafür, dass im Staat ein Gesetz mit zahlreichen fortschrittlichen Bestimmungen verabschiedet wurde. Das Gesetz von Karnataka geht noch weiter als Rajasthans Garantie für soziale Sicherheit. Es macht die algorithmische Bezahlung transparenter, setzt der willkürlichen Blockierung von Arbeitnehmer*innen von Apps sowie faktischen Entlassungen ohne ordentliches Verfahren ein Ende und legt Bestimmungen für faire Vertragsbedingungen fest.
In Telangana hat die Mobilisierungskraft der TGPWU zu noch besseren Ergebnissen geführt. Die Gewerkschaft hat Streikwellen gegen Plattformen organisiert, darunter auch gegen Zepto erst letzte Woche. Die Früchte dieser harten Organisationsarbeit werden am Montag, dem 2. Juni 2025, zu sehen sein, wenn der Bundesstaat Telangana sein Gesetz für Gig-Arbeiter*innen verabschiedet. Es geht noch einen Schritt weiter und enthält wichtige Bestimmungen für faire Löhne, soziale Sicherheit und für einen Schlichtungsmechanismus. Das Gesetz sieht vor, dass die Gewerkschaften mit der Regierung und den Unternehmen in einem trilateralen Sozialausschuss an einen Tisch kommen. Alle App-Mitarbeitenden werden bei diesem Ausschuss registriert, damit sie Sozialversicherungsleistungen erhalten können.
Wegweisend ist, dass der Gesetzentwurf den Arbeitnehmer*innen das Recht einräumt, auf Informationen über Algorithmen zuzugreifen, die sich auf ihre Arbeitsbedingungen auswirken, unter anderem auf Tarife, Gehälter, Kundenfeedback und damit verbundene Informationen. Es verhindert auch das willkürliche Sperren der Arbeiter“innen von den Apps und macht die Unternehmen für die Bereitstellung einer sicheren Arbeitsumgebung verantwortlich. Trotz dieser Fortschritte fordert die TGPWU noch mehr für ihre Mitglieder, einschließlich eines branchenspezifischen Mindestlohns.
Der Kampf in Telangana fand international große Unterstützung. Im April traf sich eine Delegation der Progressiven Internationale – darunter Clara López (Kolumbien), Andres Arauz (Ecuador) und Giorgio Jackson (Chile)– mit Vertretern der Landesregierung, der MKSS und der TGPWU, um das Gesetz zu stärken. Ihr Engagement unterstreicht eine Tatsache, die die Gig-Giganten gerne ignorieren: Arbeitersolidarität macht nicht an Landesgrenzen halt.
Die indischen App-Arbeitnehmer*innen beweisen, dass kollektives Handeln funktioniert, auch wenn sie jahrelang als entbehrlich behandelt wurden. Erfolg ist ansteckend. Die Macht der App-Arbeiter*innen wächst.
Die kürzlich erlassenen indischen Gesetze müssen studiert werden, um zu bewerten, ob zumindest einige der fortschrittlichen Formulierungen in anderen Teilen der Welt in ihre eigenen Gesetze übernommen werden können. PI wird sich bemühen, diese Erkenntnisse als Teil der Solidarität, der Erfolge und der Inspiration der Arbeitnehmer*innen über Grenzen und Kontinente hinweg weiterzugeben, wo immer neue Herausforderungen auftauchen.
Die Progressive Internationale war diese Woche in Brasilia für das BRICS Ascendant, einem zweitägigen internationalen Symposium, das zusammen mit Organisationen wie Plataforma CIPÓ, dem BRICS Policy Center, der Fundação Rosa Luxemburgo, der Universität von Brasilia und dem brasilianischen Finanzministerium organisiert wurde.
Das Symposium brachte über 50 Delegierte aus über 20 Ländern aus den BRICS+-Ländern und der ganzen Welt zusammen, darunter Visionäre wie Naledi Pandor (Südafrikas ehemaliger Minister für internationale Beziehungen), Wang Wen (Dekan des Chongyang Institute for Financial Studies), Richard Kozul-Wright (ehemaliger Direktor der Globalisierungsabteilung der UNCTAD), Dialo Diop (Vizepräsident von PASTEF im Senegal), Souad Aden-Osman (Exekutivdirektor der Koalition für den Dialog über Afrika) und Andrés Arauz (ehemaliger Gouverneur der Zentralbank Ecuadors).
Im Laufe von zwei Tagen haben die Delegierten in der brasilianischen Hauptstadt vielversprechende Vorschläge zu den sechs von Präsident Lula festgelegten Themenbereichen ausgearbeitet, von Handel und Investitionen bis hin zu Multilateralismus und künstlicher Intelligenz – und nebenbei ein globales Netzwerk von Regierungsbeamt*innen, Vertreter*innen der Zivilgesellschaft und internationalen Wissenschaftler*innen aufgebaut, die eine aktive Rolle in der BRICS-Struktur übernehmen sollen.
Die längste Revolution ist eine großformatige Stickerei auf Baumwollstoff von Varunika Saraf (1981, Indien). Saraf ist Künstlerin und Kunsthistorikerin in Hyderabad. Ihre großformatigen Werke, die hauptsächlich Gemälde auf Wasli, einem Malmaterial aus Indien des 10. Jahrhunderts, umfassen, stützen sich auf eine Vielzahl von Archivquellen wie Kunstgeschichte, Zeitungen und Populärkultur, um einen konzeptionellen Dialog mit der Vergangenheit zu führen. Ihr Ziel ist, die Vorläufer unserer gegenwärtigen politischen und sozialen Probleme kritisch zu analysieren, wobei ihr besonderes Interesse an der „exponentiellen Gewaltzunahme“ liegt.
Zu diesem Werk sagte Saraf: „Ich interessiere mich für die Handlungsfähigkeit von Frauen, Frauen als Gestalterinnen ihrer eigenen Zukunft und als Akteurinnen des gesellschaftspolitischen Wandels.“ Sarafs komplizierte Kunstwerke versuchen, die unbequeme Realität der Gewaltbereitschaft aufzuzeigen, indem sie sie als wunderschöne Gemälde präsentiert und den Schlag somit lindert. Ende 2024 steuerte Varunika Saraf ein Kunstwerk zur Reihe der limitierten Spendenposter der Progressiven Internationale mit dem Titel „Diebe im Wald“ bei, das von menschlicher Gier und tiefen humanitären und ökologischen Krisen spricht.
Lies mehr darüber und unterstütze die Progressive Internationale mit dem Kauf eines Exemplars.