Wenn wir über die Westsahara sprechen, sprechen wir über die letzte Bastion der Entkolonialisierung in Afrika. Für diese Situation ist Spanien direkt verantwortlich; das reiche nordafrikanische Gebiet stand mehr als 200 Jahre lang unter seiner Herrschaft.
Zudem sprechen wir über einen der festgefahrensten Konflikte in der Geschichte des afrikanischen Kontinents, der um ein Land mit einer kleinen Bevölkerung, aber einem Reichtum an natürlichen Ressourcen und einigen der ergiebigsten Fischgründe der Welt ausgetragen wird. Die Westsahara ist das “perfekte Territorium zum Erobern”, so ein französischer Diplomat in Hijos de las nubes: la última colonia (Kinder der Wolken: die letzte Kolonie), einem von Javier Bardem produzierten Dokumentarfilm über den Konflikt.
Der Diplomat lag nicht weit daneben. Die Portugiesen wussten sehr wohl um die Vorzüge der Westsahara, doch ihre ersten Versuche, das Gebiet zu kolonisieren, scheiterten am Widerstand der Saharauis. Dann kamen die Spanier, die sich durch Abkommen mit den wichtigsten Stämmen, die das Gebiet bewohnten, in der Westsahara niederließen und es nicht nur zu einer Kolonie machten, sondern auch in den spanischen Staat integrierten. Die Westsahara wurde die 53. Provinz Spaniens.
Wie alle Völker Afrikas erhob sich auch die Bevölkerung der Westsahara, um ein Ende der Kolonialisierung zu fordern. Mit dem Ziel, die Selbstverwaltung ihres Gebiets zu erreichen, gründeten sie 1973 ihre erste organisierte Befreiungsbewegung, die Frente Polisario.
Diese Geschichte ist lang, aber im Wesentlichen ist sie eine des Verrats. Spanien hat das Volk der Westsahara verraten, indem es seiner Verantwortung, das Gebiet zu entkolonialisieren, nicht nachkam, wie es von den Vereinten Nationen und dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag gefordert wurde. Es hat die Westsahara verraten, indem es das saharauische Volk und sein Land im Austausch für politische und wirtschaftliche Vorteile an Marokko und Mauretanien auslieferte. Es hat die Westsahara verraten, indem es tatenlos zusah, wie ihr Volk überfallen, bombardiert, ins Exil gezwungen, durch eine Mauer geteilt und durch eine brutale marokkanische Besatzung verfolgt wurde. Dies sind Verbrechen, für die Spanien die Hauptverantwortung trägt.
Das saharauische Volk, angeführt von der Polisario-Front, hat in all diesen Zeiten standgehalten. Obwohl es von Spanien im Stich gelassen und 80 % des Territoriums durch Marokko besetzt wurde, hält sein Widerstand nun schon seit fast 50 Jahren an. Bis heute führt das saharauische Volk einen unermüdlichen und tadellosen Kampf, um die Ziele der Entkolonialisierung und Unabhängigkeit zu erreichen.
In diesen 50 Jahren hat das saharauische Volk unvorstellbare Entbehrungen ertragen müssen. Mitte der 1970er Jahre begannen die saharauischen Flüchtlinge, die vor den marokkanischen Bombardierungen und Angriffen auf die von der spanischen Regierung verlassenen Städte der Westsahara flohen, in Lagern in Südalgerien zu landen. Viele andere blieben in den von Marokko besetzten Gebieten. Infolgedessen ist das saharauische Volk nun geteilt. Tausende leben in Flüchtlingslagern in Algerien, weitere Tausende in den Fängen der strengen marokkanischen Besatzung in der Westsahara. Diese Trennung wird durch eine Besatzungsarmee und eine 2.700 Kilometer lange Mauer aufrechterhalten.
Am 18. März 2022 wurden die Sahauris erneut verraten. In einem Schreiben an den marokkanischen König Mohammed VI. erklärte der spanische Präsident Pedro Sánchez seine Unterstützung für eine “Autonomie der Sahara, aber immer innerhalb Marokkos”. Dies war nichts weniger als eine offizielle Billigung der illegalen Besetzung der Westsahara durch Marokko. Diese Entscheidung hat in ganz Spanien, wo die öffentliche Unterstützung für den Kampf des saharauischen Volkes nach wie vor groß ist, Schockwellen ausgelöst. Die spanische Gesellschaft ist sich der Verantwortung ihrer Regierung gegenüber der Westsahara sehr wohl bewusst. Nur wenige hatten erwartet, dass Spanien 47 Jahre nach seinem ersten Verrat das Gebiet erneut an Marokko abtreten würde.
Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Die spanische Regierung unterstützt eine militärische Besatzung, die einen Völkermord an den Menschen in der Westsahara begangen hat. Kein geopolitisches, wirtschaftliches oder strategisches Argument kann die Doppelzüngigkeit einer Regierung rechtfertigen, die bereit ist, die Menschenrechte und das Völkerrecht in einigen Teilen der Welt zu verteidigen, während sie den Völkermord vor ihrer Haustür unterstützt und beschönigt. Es ist an der Zeit, das Projekt der Entkolonialisierung abzuschließen und das Versprechen der Souveränität einzulösen, das Generationen von Saharauis verweigert wurde.
Taleb Alisalem ist ein Aktivist und politischer Analyst, der sich auf die Westsahara spezialisiert hat.
Foto: Taleb Alisalem