Economy

Lasst uns für Gerechtigkeit sorgen - und nicht Nobelpreise an Wirtschaftsverbrecher verleihen

“Jene, die für die Zerstörung ganzer Volkswirtschaften verantwortlich sind, dürfen nicht einfach mit ihren Verbrechen davonkommen.”
Im Folgenden abgedruckt ist die Dankesrede von Walden Bello anlässlich der Preisverleihung zum “Most Distinguished Human Rights Defender” von Amnesty International Philippinen – in seiner Abwesenheit gelesen von Bellos Stieftochter Annette Ferrer im Hotel Luxent am 10. Juni 2023.

Ich möchte Amnesty International für die Auszeichnung zum “Most Distinguished Human Rights Defender” 2023 danken. Ich fühle mich insbesondere geehrt, in die Fußstapfen von Senatorin Leila de Lima zu treten, die 2018 ausgezeichnet wurde, und in die aller ehemaligen und gegenwärtigen Preisträger*innen der Ignite Awards. Ich bedaure es sehr, diesen wunderbaren Abend nicht mit ihnen teilen zu können.

Amnesty hat mir einige Minuten zugestanden, in diesem dicht getakteten Programm meine Gedanken mit Ihnen zu teilen. Zwar setze ich mich seit langem für den Schutz der Rechte auf Leben, auf Freiheit von Verfolgung und auf ordentliche Verfahren ein, doch ich hoffe, dass die Vergabekommission  ihre Entscheidung auch auf Basis meines Engagements zu wirtschaftlichen Rechten getroffen hat.

Den Großteil meines Lebens habe ich der Aufgabe verschrieben, die Ideologie und Umsetzung des Neoliberalismus sowohl intellektuell als auch politisch zu zerstören – jenes Neoliberalismus', der so viel Unheil nicht nur bei uns, sondern in zahlreichen Ländern der Welt angerichtet hat. Der Abbau unserer Industrie und die Verwüstung unserer Landwirtschaft hat zu so viel Armut und Ungleichheit und blankem Elend geführt, dass der Jugend keine Wahl bleibt, als unser ruiniertes Land zu verlassen.

In der Theorie Isaiah Berlins gibt es  “negative Rechte”, wie das Recht auf Freiheit von Folter, und “positive Rechte”, also solche, die unserer vollen Entfaltung als Menschen dienen. Oft zielen Menschenrechtskampagnen auf negative Rechte, zum Beispiel den Schutz vor Unterdrückung und Verfolgung. Ich glaube, wir müssen beginnen, auch gegen jene Individuen und Institutionen vorzugehen, die die positiven Rechte der Menschen verletzen. Neoliberale Politik – auferlegt von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds, umgesetzt durch die wirtschaftspolitische Elite der Philippinen und gerechtfertigt von Manager*innen und Ökonom*innen zugleich – hat eine massive Armut und Ungleichheit geschaffen, die für fünf Jahrzehnte Millionen unserer philippinischen Mitbürger*innen die Möglichkeit auf eben jene volle Entfaltung als Menschen geraubt hat. Eine Politik, die zerstörte, entmündigte und unserem Land die Lebensgrundlage – unsere Wirtschaft – nahm. Das ist ein Verbrechen.

Heute ist neoliberale Politik diskreditiert. Der “Washington Consensus” liegt längst auf dem Schrottplatz. Kein*e seriöse*r Wirtschaftspolitiker*in, außer vielleicht auf den Philippinen, nimmt mehr Bezug auf die “Magie des Marktes” oder die sogenannten Vorteile des freien Handels.

Und doch bleibt in so vielen Ländern, nicht bloß auf den Philippinen, eben jene neoliberale Politik Normalität – wie die sprichwörtliche Hand des toten Lokführers auf dem Gaspedal des rasenden Zuges. Noch immer richten sie schweren Schaden für Millionen Filipinos und Filipinas an, denn sie wurden längst in Gesetze überschrieben.

Jene, die für die Zerstörung ganzer Volkswirtschaften verantwortlich sind, dürfen nicht einfach mit ihren Verbrechen davonkommen, so wie das Monster Duterte nicht mit dem Mord an 27.000 Filipinos und Filipinas davonkommen darf. Die Bürokrat*innen und Technokrat*innen des IWF und der Weltbank, ihre lokalen Komplizen im Finanzministerium und der Nationalen Behörde für Wirtschaft und Entwicklung (im Folgenden: NEDA), so wie die neoliberalen Ideolog*innen in ihren Hochsitzen wie der Universität Chicago und der UP School of Economics – sie alle müssen vor den Internationalen Strafgerichtshof gebracht werden.

An Dutertes Händen klebt Blut, doch auch die dieser Wirtschaftskriminellen sind schmutzig. Bloß wegen ihrer räumlichen Entfernung von Tod, Leid und Armut sind sie nicht unschuldig. Genau wie der Drohnenpilot in Texas, wenn er eine pakistanische Hochzeit zerstört, oder der Bomber auf 27.000 Fuß Höhe die Schuld für ihr Handeln tragen.

Es ist höchste Zeit, Gerechtigkeit für solche Wirtschaftsverbrechen zu fordern. Statt ihnen  Wirtschaftsnobelpreise zu verleihen, müssen wir diese Kriminellen vor den IStGH bringen. Sollte  ihre Verhaftung an der Reform des Römischen Statuts scheitern, dann lasst uns zumindest eine Ahnenhalle der Niedertracht schaffen, um die toten und lebenden Stars des Neoliberalismus zu ehren: Nobelpreisträger Milton Friedman, der ideologische Seelenverwandte General Augusto Pinochets; Michael Camdessus und Christine Lagarde, die bekanntesten Gesichter der vom IWF auferlegten Austerität; der ehemalige Präsident der Weltbank Robert McNamara, der sich mit dem Diktator Marcos verschwor, um die Philippinen zu einem Versuchskaninchen der Strukturanpassung zu machen; und Pascal Lamy und Mike Moore, die den Globalen Süden einsperrten im stählernen Käfig des Freihandels – der Welthandelsorganisation. 

Genauso sollten die lokalen Vorreiter*innen des Neoliberalismus geehrt werden, die uns mit den internationalen Technokraten zu ständiger Schuldknechtschaft verdammen, unsere Industrie zerstören und unsere Landwirtschaft zu Grunde richten. Dazu gehören die Manager und Ökonomen Jesus Estanislao, Gerry Sicat, Cesar Virata, Bernie Villegas und Carlos Dominguez.

Nicht zu vergessen Cielito Habito, der als Chef der NEDA beinahe die gesamte philippinische Industrie auslöschte, als er die Zölle im Schnitt auf 4-6% senkte – nur um zu beweisen, dass Filipinos und Filipinas wirtschaftliches Leid besser vertrügen als Pinochets Chicago Boys in Chile, deren Zollsätze nie unter 11% lagen. Auch Ramon Clarete muss erwähnt werden, jener Söldner von WTO und USAID, der den Angriff auf unsere Landwirtschaft mit dem Versprechen beschönigte, der Beitritt der Philippinen zum WTO-Agrarabkommen schüfe auf dem Land jedes Jahr 500.000 neue Jobs!

Man mag einwerfen: Habito und Clarete sind zu sanftmütig, um als Verbrecher gebrandmarkt zu werden. Doch das galt auch für den Nazi Adolf Eichmann, den Hannah Arendt bekannterweise als Vertreter der “Banalität des Bösen” bezeichnete. Andere mögen sagen: Nun, sie hatten Unrecht, aber hatten sie nicht gute Absichten? Diese Ausrede verdient nicht einmal eine Antwort, denn auch Marcos Sr. und Duterte hielten sich für wohlmeinend, als sie ihre Gräueltaten begingen. Die Straße zur Hölle, man muss es immer wieder sagen, ist gepflastert mit guten Absichten.

Ein Prozess vor dem IStGH oder eine Aufnahme in die Hall der Niedertracht wäre eine Lektion für alle, dass schlechte Ideen und fehlgeschlagene Politik schwerwiegende Konsequenzen haben; dass man für akademische Planspiele nicht leichtsinnig die Leben von Millionen Menschen gefährden darf.

Lassen Sie mich abschließend einige Forderungen stellen: Die Freilassung von Senatorin Leila de Lima, die Überstellung von Duterte an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, ein Ende der Straflosigkeit und die Aufhebung all der neoliberalen Politik, die unsere Wirtschaft zerstört und unserem Volk so viel Leid gebracht hat. Und nochmals vielen Dank an Amnesty.

Walden Bello ist Wissenschaftler, Dissident und Internationalist. Er ist Gründer und Vorsitzender des linken Bündnisses Laban ng Masa und war Mitglied des Repräsentantenhauses der Philippinen. Er war Mitbegründer von Focus on the Global South und führte in den 1990er Jahren wichtige Proteste gegen die WTO und die G8 an.

Available in
EnglishGermanArabic
Author
Walden Bello
Translators
Leon Prag and Daniel Kopp
Date
13.06.2023
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