Am 8. Februar, zwei Tage nach den verheerenden Erdbeben in der Türkei, besuchte Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan eine der am stärksten betroffenen Städte und sagte: “Dieser Moment ist ein Moment der Einheit.” Er prangerte die Kritik an der Erdbebenhilfe seiner Regierung an, die “lediglich politischen Interessen diene.”
Doch Erdoğan tut genau das, was er vorgibt zu kritisieren. Abgesehen von der Beschlagnahmung und Monopolisierung von Hilfe und Unterstützung, um seine Aussichten bei den bevorstehenden Wahlen zu stärken, verfolgt seine Regierung weiterhin politisch motivierte Fälle gegen die Demokratische Volkspartei (HDP) inmitten dieser nationalen Krise.
Am 17. März 2021 reichte die türkische Generalstaatsanwaltschaft erstmals eine Klage für ein politisches Verbot der HPD vor dem türkischen Verfassungsgericht ein. Daraufhin beschloss das Verfassungsgericht am 5. Januar 2023 — etwa ein halbes Jahr vor dem Wahltermin —, die Bankkonten der HDP einzufrieren und ihren Anteil an den öffentlichen Mitteln für den Wahlkampf in Höhe von 539 Millionen Türkischen Lira (28,7 Mio. USD) zu sperren.
Das Verbotsverfahren gegen die HDP geht nun in seine letzte Phase. Am 11. April, nur wenige Wochen vor den Wahlen, wird das Verfassungsgericht die Argumente der HDP-Ko-Vorsitzenden Pervin Buldan und Mithat Sancar gegen die Aussetzung der Finanzierung der Partei und den Versuch, sie aufzulösen, anhören. Die endgültige Entscheidung könnte noch vor den Wahlen erfolgen.
Das Schließungsverfahren ist der Höhepunkt einer staatlichen Kampagne gegen die HDP seit 2015, als sie erstmals als unabhängige Partei ins Parlament einzog. Seitdem wurden Tausende von Parteimitgliedern, darunter ihre ehemaligen Ko-Vorsitzenden und mehrere gewählte Bürgermeister*innen, unter fadenscheinigen Vorwänden inhaftiert.
Die Aussicht, dass die drittgrößte Partei im türkischen Parlament — die bei den letzten beiden Parlamentswahlen mehr als 10% der Stimmen gewann — so kurz vor den anstehenden Wahlen dauerhaft verboten werden könnte, bringt die türkische Demokratie in große Gefahr.
Die Menschen in der Türkei müssen in der Lage sein, ihre Abgeordneten frei und fair zu wählen — auch die HDP. Die Partei setzt sich für eine demokratische und inklusive Türkei ein, in der Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit für alle gelten. Sie steht für Ökologie, die Emanzipation der Frauen und das friedliche Zusammenleben verschiedener ethnischer und religiöser Gruppen.
Wenn die Erdoğan-Regierung die Demokratische Volkspartei (HDP) auflöst, wird sie damit auch die Grundlagen der Demokratie in der Türkei auflösen.
Wir verteidigen das Recht der HDP auf Vereinigungsfreiheit, freie Meinungsäußerung, friedliche Versammlung und Teilnahme an den bevorstehenden Wahlen. Es ist an der Zeit, die juristischen Angriffe gegen die HDP jetzt ein für alle Mal zu beenden.
Unterzeichnet von:
Noam Chomsky, Professor, Vereinigte Staaten
Jeremy Corbyn, Mitglied des Parlaments, Vereinigtes Königreich
Janine Wissler, Mitglied des Bundestages; Ko-Vorsitzende der Partei Die Linke, Deutschland
Yanis Varoufakis, Mitglied des Griechischen Parlaments, Griechenland
Niki Ashton, Mitglied des Parlaments für Churchill-Keewatinook Aski, Kanada
Jean-Luc Melenchon, ehem. Mitglied der Nationalversammlung, Frankreich
Leïla Chaibi, Mitglied des Europäischen Parlaments, Frankreich
Juliano Medeiros, Präsident der Partei des Sozialismus und der Freiheit, Brasilien
Idoia Villanueva, Mitglied des Europäischen Parlaments; Leiterin des internationalen Sekretariats von Podemos, Spanien
Manu Pineda, Abgeordneter des Europäischen Parlaments, Spanien
Nikolaj Villumsen, Abgeordneter des Europäischen Parlaments, Dänemark
Zarah Sultana, Mitglied des Parlaments, Vereinigtes Königreich
Apsana Begum, Mitglied des Parlaments, Vereinigtes Königreich
John McDonnell, Mitglied des Parlaments, Vereinigtes Königreich
Marc Botenga, Mitglied des Europäischen Parlaments, Belgien
Ericka Ñanco Vásquez, Mapuche-Mitglied der Abgeordnetenkammer, Chile
Nadia Whittome, Mitglied des Parlaments, Vereinigtes Königreich
Sophia Chikirou, Mitglied der Nationalversammlung, Frankreich
Andy McDonald, Mitglied des Parlaments, Vereinigtes Königreich
Gonzalo Winter, Mitglied der Abgeordnetenkammer, Chile
Arnaud Le Gall, Abgeordneter der Nationalversammlung, Frankreich
Beth Winter, Mitglied des Parlaments, Vereinigtes Königreich
Amanda Della Ventura, Mitglied des Mercosur-Parlaments; Mitglied des Senats, Uruguay
Ricardo Canese, Abgeordneter des Mercosur-Parlaments, Paraguay
Adolfo Mendoza Leigue, Abgeordneter des Mercosur-Parlaments, Bolivien
Sandra Pereira, Mitglied des Europäischen Parlaments, Portugal
Daniel Caggiani, Mitglied des Senats, Uruguay
Manon Aubry, Mitglied des Europäischen Parlaments, Frankreich
Alejandro Sánchez, Mitglied des Senats, Uruguay
András Jámbor, Abgeordneter, Ungarn
Fabian Molina, Mitglied des Schweizer Nationalrats, Schweiz
Martin Schirdewan, Abgeordneter des Europäischen Parlaments, Deutschland
Chris MacManus, Mitglied des Europäischen Parlaments, Irland
Lloyd Russell-Moyle, Mitglied des Parlaments, Vereinigtes Königreich
Martina Michels, Mitglied des Europäischen Parlaments, Deutschland
Sebastián Sabini, Mitglied des Senats, Uruguay
Daniel Olesker, Mitglied des Senats, Uruguay
Stelios Kouloglou, Mitglied des Europäischen Parlaments, Griechenland
Özlem Demirel, Mitglied des Europäischen Parlaments, Deutschland
Miguel Urbán, Abgeordneter des Europäischen Parlaments, Spanien
Helmut Scholz, Abgeordneter des Europäischen Parlaments, Deutschland
Sandra Lazo, Mitglied des Senats, Uruguay
Cornelia Ernst, Mitglied des Europäischen Parlaments, Deutschland
Nathalie Oberweis, Mitglied der Abgeordnetenkammer, Luxemburg
Ana Merelis, Mitglied des Mercosur-Parlaments, Bolivien
Liliam Kechichián, Mitglied des Senats, Uruguay
Richard Leonard, Abgeordneter des schottischen Parlaments, Vereinigtes Königreich
Sara Condori, Abgeordnete des Mercosur-Parlaments, Bolivien
Myriam Cecchhetti, Mitglied der Abgeordnetenkammer, Luxemburg
Walden Bello, ehem. Mitglied des Repräsentantenhauses, Philippinen
Tauriq Jenkins, Hoher Kommissar des Goringhaicona KhoiKhoin Indigenous Traditional Council, Südafrika
Martha Ruiz, Mitglied des Mercosur-Parlaments, Bolivien
Maite Mola, Leiterin der Abteilung Internationale Beziehungen, Partei der Europäischen Linken, Spanien
Christian Rodriguez, Leiter der Abteilung Internationale Beziehungen, La France Insoumise, Frankreich
Ammar Ali Jan, Haqooq-e-Khalq-Bewegung, Pakistan
Mametlwe Sebei, Präsident der General Industries Workers Union of South Africa (GIWUSA), Südafrika
Nilab Ahmadi, Mitglied des Stadtrats von Amsterdam, Niederlande
Amineh Kakabaveh, Ehemaliges Mitglied des Parlaments, Schweden
Srećko Horvat, Philosoph, Kroatien
Kerem Schamberger, Medienwissenschaftler, Deutschland