Statements

Die Amazon-Streiks und die Sprache der Macht

Amazon-Beschäftigte in Deutschland setzen sich heute für ihre Rechte ein. Ihre Forderung ist so einfach wie angemessen: Gesundheit vor Profit.
Amazon-Lagerarbeiter*innen in Deutschland streiken und greifen dabei auf die einzige Sprache zurück, die Amazon versteht—die Sprache der Macht.

In Deutschland, einem Land mit einer langen und produktiven Tradition, die Sozialdialog und Tarifverhandlungen befürwortet, hätte dieser Streik vermieden werden können. Die COVID-19-Pandemie hat aber deutlich gemacht, dass Amazon die Forderungen der Beschäftigten nur dann ernst nimmt, wenn es von Regulierungsbehörden, Gerichten oder gemeinsam handelnden Arbeiter*innen dazu gezwungen wird.

Seit Beginn der Pandemie entsprechen die Bedingungen in vielen Amazon-Lagerhäusern nicht den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsstandards, die von der WHO, den nationalen Behörden oder den Arbeitnehmer*innenvertretern vorgeschrieben werden. Da das Unternehmen versuchte, der wachsenden Nachfrage nach Lieferungen nachzukommen, wurden Arbeitsgeschwindigkeit und -tempo erhöht, was Händewaschen und soziale Distanzierung nahezu unmöglich machte.

Als Reaktion auf den unzureichenden Arbeitnehmerschutz bei Amazon während des Ausbruchs der Pandemie in den Vereinigten Staaten griffen nicht-gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte von Amazon in über 40 Betrieben in Kalifornien, Texas, Wisconsin, Florida und New York zu Streiks und anderen Arten des Arbeitskampfes, um gegen die Arbeitsbedingungen bei Amazon während der COVID-19-Pandemie zu protestieren. Das Unternehmen griff zu Vergeltungsmaßnahmen: mindestens drei Lagerarbeiter wurden von Amazon wegen “Verletzung der internen Unternehmensrichtlinien” entlassen. Die Entlassungen führten zu einer verstärkten behördlichen und politischen Kontrolle, wobei gewählte Führungspersönlichkeiten wie die Generalstaatsanwältin des Staates New York, Letitia James, eine Untersuchung gegen den Technologie-Riesen einleiteten.

Dank eines besseren Arbeitsschutzes konnten die Beschäftigten in Italien, Frankreich und Spanien die gewerkschaftliche Vertretung nutzen, um für ihre Rechte am Arbeitsplatz zu verbessern und zu schützen. In Italien streikten Beschäftigte, die sich über Gedränge, die Verfügbarkeit von persönlicher Schutzausrüstung (PSA) und bessere Sicherheitsmaßnahmen sorgten, in mindestens fünf verschiedenen Amazon-Betrieben und zwangen das Unternehmen, sich an strenge Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften zu halten.

In Frankreich riefen Gewerkschaften, darunter die UNI-Mitgliedsorganisation “Federation des Services” (CFDT), zu Streiks auf und beteiligten sich an einem Zivilverfahren gegen Amazon, weil das Unternehmen keine angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten vor der Gefahr des Coronavirus ergriffen—und zudem versucht hatte, die Gewerkschaften zu umgehen. Das Gericht stellte sich schließlich auf die Seite der Beschäftigten und Gewerkschaften, die eine Einigung aushandelten, zu denen eine obligatorische Konsultation zu Sicherheitsmaßnahmen, die Beauftragung externer Expert*innen durch Gewerkschaftsvertreter*innen zwecks Bewertung der Wirksamkeit der Maßnahmen und eine Erhöhung des Stundensatzes für Angestellte, die an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, beinhaltete.

In Spanien wurde Amazon angewiesen, die Mängel in seinem Gesundheits- und Sicherheitsplan gegen COVID-19 zu beheben, nachdem die Gewerkschaft “Comisiones Obreras” (FSC-CCOO) Arbeitsinspektoren wegen der Nichteinhaltung der COVID-19-Hygieneprotokolle durch das Unternehmen eingeschaltet hatte. Danach wurde das Unternehmen aufgefordert, soziale Distanzierung zwischen den Beschäftigten durchzusetzen, Einrichtungen zu desinfizieren, in denen bei Beschäftigten COVID-19 diagnostiziert worden war, persönliche Schutzausrüstung bereitzustellen und die Produktivitätsquoten zu lockern.

Aber selbst in Ländern mit mächtigen Gewerkschaften wie der deutschen ver.di müssen Arbeitnehmer*innen zu der Art von kollektiver Taktik greifen, auf der unsere Bewegung fußt, wenn Unternehmen sich weigern, ernsthaft zu verhandeln.

Heute sind alle Augen auf Deutschland gerichtet, wenn die tapferen deutschen Amazon-Arbeiter*innen ein Zeichen setzen, um gute und sichere Arbeit, einen Tarifvertrag und ein Ende der brutalen Bedingungen zu erreichen.

Der unglaubliche Reichtum und die Macht Amazons wächst in der Pandemie, während die Bedingungen am Arbeitsplatz weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind. Deshalb haben wir weltweit Arbeitskämpfe in Lagerhäusern erlebt; und deshalb treten ver.di-Streikende heute für ihre Rechte ein und sagen Amazon: Gute und gesunde Arbeitsplätze, Gesundheit vor Profit.

Christy Hoffman ist die Generalsekretärin von UNI Global Union. UNI Global Union vertritt mehr als 20 Millionen Beschäftigte aus über 150 verschiedenen Ländern in den am schnellsten wachsenden Dienstleistungssektoren der Welt. UNI und Mitgliedsorganisationen in allen Regionen tragen die Verantwortung dafür, dass diese Arbeitsplätze menschenwürdig sind und die Rechte der Arbeitnehmer geschützt werden, einschließlich des Rechts, einer Gewerkschaft beizutreten und Tarifverhandlungen zu führen.

Available in
EnglishGermanFrenchSpanishPortuguese (Brazil)RussianPortuguese (Portugal)
Author
Christy Hoffman
Translator
Boris Schneider
Date
30.06.2020
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