Economy

Afrikas Rückeroberung ökonomischer und monetärer Souveränität im Angesicht der Pandemie

Mehr als 600 Wirtschaftswissenschaftler*innen und Akademiker*innen aus der ganzen Welt fordern, dass Afrika die geldpolitische Souveränität erlangt, um seine Entwicklung nach Covid-19 wiederzubeleben.
Während Afrika von den schlimmsten Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die öffentliche Gesundheit verschont blieb, hat der damit verbundene Shutdown der Wirtschaft ökonomische Probleme und strukturellen Schwachstellen Afrikas stärker in den Fokus gerückt.

Als ressourcenreicher Kontinent verfügt Afrika über die Möglichkeit, allen Einwohner*innen eine angemessene Lebensqualität zu bieten. Afrika wäre in der Lage, universelle öffentliche Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit anzubieten, Menschen, die arbeiten wollen, Beschäftigung zu bieten und Menschen, die nicht arbeiten können, ein angemessene finanzielle Unterstützung zu gewährleisten. Jahrzehntelange koloniale und postkoloniale sozioökonomische Verwerfungen, die durch die Marktliberalisierung verschärft wurden, haben afrikanische Länder jedoch in einen Teufelskreis mehrerer struktureller Mängel gezwungen, wie etwa:

  • einen Mangel an Ernährungssouveränität
  • einen Mangel an Energiesouveränität
  • einen Fokus auf Industrieproduktion mit geringer Wertschöpfung

Diese unheilige Trinität erzeugt einen starken Abwärtsdruck auf die afrikanischen Wechselkurse, was wiederum höhere Preise für die Einfuhr lebenswichtiger Güter wie Lebensmittel, Treibstoffe und lebensrettende medizinische Produkte zur Folge hat. Um sich vor dieser Art von importierter Inflation zu schützen, nehmen afrikanische Regierungen Kredite in Fremdwährungen auf, um afrikanische Währungen gegenüber dem US-Dollar und dem Euro künstlich „stark“ zu halten. Diese ökonomische Scheinlösung zwingt Volkswirtschaften afrikanischer Länder zu einer verheerenden Wirtschaftsform, die sich ausschließlich darauf konzentriert, Dollar / Euro-Einnahmen zu erzielen, um diese Auslandsverschuldung zu bedienen. Infolgedessen sind afrikanische Volkswirtschaften in eine Austeritätsspirale geraten, die durch die Konditionalitäten des Internationalen Währungsfonds (IWF) und dem ständigen Druck anderer Gläubiger noch verstärkt wird, die ihre eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen verfolgen. Die ökonomische, monetäre und politische Souveränität afrikanischer Länder ist ständig unter Beschuss. Die Konditionalitäten des IWF und der internationalen Gläubiger konzentrieren sich grundsätzlich auf fünf problematische und unfruchtbare polit-ökonomische Strategien:

  • Exportorientiertes Wachstum
  • Liberalisierung ausländischer Direktinvestitionen
  • Verstärkte Förderung von Tourismus
  • Privatisierung staatseigener Unternehmen (SOEs)
  • Liberalisierung der Finanzmärkte

Jede dieser Strategien ist eine Falle, die als Lösung getarnt ist. Das exportgetriebene Wachstum erhöht die Importe von Energie, Investitionsgütern und Industriekomponenten mit hoher Wertschöpfung und fokussiert gleichzeitig die Exporte mit geringer Wertschöpfung. Und natürlich können nicht alle Entwicklungsländer gleichzeitig einem solchen Modell folgen.

Wenn einige Länder Handelsüberschüsse erzielen wollen, müssen andere bereit sein, Handelsdefizite einzugehen. Das durch ausländische Direktinvestitionen bedingte Wachstum erhöht die Energieimporte und zwingt die afrikanischen Länder zu einem endlosen Wettlauf, um Investoren durch Steuererleichterungen, Subventionen und reduzierte Arbeits- und Umweltstandards anzuziehen. Dies führt auch zu finanzieller Volatilität und zu erheblichen Nettoressourcentransfers in reiche Länder, teilweise in Form illegaler Finanzströme erfolgen.

Der Tourismus erhöht sowohl die Energie- als auch die Lebensmittelimporte, zusätzlich zu den erheblichen Umweltkosten der Industrie, dem resultierenden CO2-Fußabdruck und dem Wasserverbrauch. Die meisten Staatsunternehmen wurden bereits seit den 1990er Jahren privatisiert (unter anderem Telekommunikation, Elektrizitätsunternehmen, Fluggesellschaften, Flughäfen usw.). Jede weitere Privatisierung wird weitere soziale Sicherheitsnetze zerstören, die unter öffentlicher Kontrolle bleiben. Die Liberalisierung der Finanzmärkte erfordert in der Regel eine Deregulierung der Finanzmärkte, eine Senkung der Kapitalertragssteuern, die Aufhebung der Kapitalkontrollen und eine künstliche Erhöhung der Zinssätze und Wechselkurse.

All dies garantiert ein attraktives Umfeld für die größten Finanzspekulanten der Welt. Diese versammeln einen Strom von „hot money“, um „günstig zu kaufen und teuer zu verkaufen“. Dann ziehen sie sich wieder zurück und hinterlassen eine erschöpfte Wirtschaft. In der Summe zielen alle Freihandels- und Investitionsabkommen darauf ab, diese fünf Strategien zu beschleunigen und zu vertiefen, was die afrikanischen Volkswirtschaften tiefer in diesen destruktiven Sumpf treibt. Dieses verfehlte wirtschaftliche Entwicklungsmodell verschärft in der Konsequenz den Brain Drain in Afrika weiter, der in lebensgefährlichen Migrationsrouten für Wirtschafts-, Gesundheits- und Klimaflüchtlingen resultiert.

Diese fünf Scheinlösungen für eine Politik, die sich auf Übergangslösungen konzentriert, sind in der Regel attraktiv, da sie vorübergehende Erleichterungen im Arbeitsmarkt zu bieten scheinen und die Illusion von Modernisierung und Industrialisierung vermitteln. In der Realität sind die geschaffenen Arbeitsplätze jedoch zunehmend prekär und immer anfällig für externe Schocks, die aus globalen Lieferketten, globaler Nachfrage und den globalen Rohstoffpreisen resultieren. Mit anderen Worten, das wirtschaftliche Schicksal Afrikas wird mit diesen ‘Lösungen’ weiterhin zu stark vom Ausland bestimmt.

Die COVID-19-Pandemie hat diese Wurzeln der wirtschaftlichen Probleme Afrikas aufgedeckt. Daher kann die Erholung nach der Pandemie nicht nachhaltig sein, wenn nicht bereits bestehende strukturelle Mängel behoben werden. Zu diesem Zweck muss die Wirtschaftspolitik angesichts der bevorstehenden Klimakrise und der Notwendigkeit einer sozioökologischen Anpassung auf alternativen Grundsätzen und Vorschlägen beruhen.

Wir fordern alle afrikanischen Staaten auf, einen strategischen Plan zu entwickeln, der darauf abzielt, ihre monetäre und wirtschaftliche Souveränität zurückzugewinnen, der die Ernährungssouveränität, die Souveränität über erneuerbare Energien und eine Industriepolitik umfassen muss, die sich auf einen höheren Wertschöpfungsgehalt des verarbeitenden Gewerbes konzentriert. Afrika muss das race-to-the-bottom Rennen um die wirtschaftliche Entwicklung ein Ende setzen, das sich unter den nur scheinbar hehren Maximen von Wettbewerb und Effizienz vollzieht. Regionale Handelspartnerschaften innerhalb des Kontinents müssen auf koordinierten Investitionen beruhen, die darauf abzielen, horizontale industrielle Verbindungen in strategischen Bereichen wie der öffentlichen Gesundheit, Verkehr, Telekommunikation, Forschung und Entwicklung sowie Bildung herzustellen.

Wir fordern auch die Handelspartner Afrikas auf, das Scheitern des extraktiven Rohstoffexportmodells anzuerkennen und ein neues Kooperationsmodell in den Blick zu nehmen, das Technologietransfer, echte Partnerschaft in Forschung und Entwicklung sowie staatliche Insolvenzstrukturen - einschließlich Schuldenerlass - umfasst, die Produktion und Beschäftigung langfristig erhalten.

Afrikanische Staaten müssen eine klare und unabhängige langfristige Vision entwickeln, um ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber externen Schocks zu stärken. Wirtschaftliche und monetäre Souveränität erfordern keine Isolation, aber sie erfordern ein Bekenntnis zu wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Prioritäten. Das heißt, dass inländische und regionale Ressourcen mobilisiert werden, um die Lebensqualität auf dem Kontinent zu verbessern. Das bedeutet auch, selektiver zu werden, wenn es um ausländische Direktinvestitionen oder exportorientierte Rohstoffindustrie geht. Daraus folgt, dem Ökotourismus, der Pflege des eigenen kulturellen Erbes und indigenen Industrien Priorität einzuräumen.

Die Mobilisierung der Ressourcen Afrikas beginnt mit Verpflichtungen zu einer Vollbeschäftigungspolitik (ein Job-Guarantee Programm), Infrastruktur für öffentliche Gesundheitswesen, öffentlicher Bildung, nachhaltiger Landwirtschaft, erneuerbaren Energien, nachhaltiger Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen und zu einem kompromisslosen Engagement für ein Empowerment von Jugend und Frauen durch partizipative Demokratie, Transparenz und Verantwortlichkeit. Es ist Zeit für Afrika, voranzukommen und eine bessere Zukunft anzustreben, in der alle Menschen ein gutes Leben führen und ihr volles Potenzial entfalten können. Diese Zukunft ist in greifbarer Nähe und beginnt damit, dass Afrika seine wirtschaftliche und monetäre Souveränität zurückerobert.

Unterzeichnet:

Fadhel Kaboub, Denison University, Ohio, USA

Ndongo Samba Sylla, Dakar, Senegal

Kai Koddenbrock, Goethe-Universität, Frankfurt

Ines Mahmoud, Tunis, Tunesien

Maha Ben Gadha, Tunis, Tunesien

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Available in
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Date
09.09.2020
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