Women's Rights

Junge afrikanische Frauen leisten grenzüberschreitenden Widerstand

bwohl sie immer noch mit der tief verwurzelten Unterdrückung durch patriarchalische Macht konfrontiert wird, nutzt eine neue Generation afrikanischer Frauen das Internet, um ihre Kämpfe zu mobilisieren, zu organisieren und zu vereinen.
Anfang des Jahres 2020, kurz bevor die Pandemie die öffentliche Diskussion und das Leben dominierte, nutzten junge ugandische Frauen Twitter, um Männer zu enttarnen, die sie angeblich sexuell belästigt und in einigen Fällen sexuell missbraucht hatten. Diese Twitter-Threads schlugen Wellen über die Onlinewelt hinaus und brachen das nationale Schweigen über den weit verbreiteten sexuellen Missbrauch im Land.

Zum ersten Mal meldeten sich junge Frauen gemeinsam zu Wort, wenn auch manche nur kurzzeitig. Sie erzählten von ihren Erfahrungen als Überlebende sexueller Gewalt und es bestand kein Zweifel daran, dass viele der von ihnen als Vergewaltiger geouteten Männer mehrere junge Frauen angegriffen hatten. Dies war Ugandas eigener #MeToo Moment, auch wenn es ein langer und schwieriger Kampf war, Rechenschaft zu fordern. Diese jungen Frauen knüpften an den Mut von Frauen an, die trotz des öffentlichen Hasses, der ihnen entgegengebracht wurde, ihre Geschichten erzählt hatten.

Sheena Bageine übernahm die Vertretung derer, die noch immer nicht öffentlich über ihre Erfahrungen sprechen konnten. Sie nahm ihre Geschichten entgegen und veröffentlichte sie anonym. Sheena wurde verhaftet, verbrachte eine Nacht in einer Polizeizelle und wurde später wegen beleidigender Kommunikation und Cyberstalking angeklagt. So funktioniert patriarchalische Macht, vom Mundtotmachen im Internet bis hin zu staatlichen Systemen, die bereit sind, Frauen, die sich weigern, den Mund zu halten, eine “Lektion zu erteilen”.

Junge ugandische Frauen reagierten, von Anwält*innen über Spezialist*innen für psychische Gesundheit bis hin zu Social Media Warriors, und der Hashtag #FreeSheena trendete. Innerhalb weniger Stunden war sie zu einer Belastung für die verunsicherte Polizei geworden, die sie auf Kaution frei ließ. Sheenas Fall ist noch nicht abgeschlossen. Aber die Aktionen ihrer Mitstreiterinnen und die von ihr geweckte Solidarität zeigen, wie agil die Mobilisierung junger Frauen im digitalen Zeitalter ist, trotz der festgefahrenen Hegemonien, die im Alltag immer noch vorherrschen.

Dieser Mut wurde durch die Kühnheit einer langen Reihe von Organisatorinnen und Widerstandskämpferinnen inspiriert. In den letzten Jahren hat Dr. Stella Nyanzi, eine Dichterin und Akademikerin, den Ton angegeben, wie radikal junge Frauen sein können, wenn sie es wollen. Sie hat alte Formen der Verweigerung von Höflichkeit im Umgang mit denjenigen, die Macht missbrauchen, aufgegriffen. In einem Gedicht auf Facebook bezeichnete sie den Präsidenten von Uganda herausfordernd als ein Paar Arschbacken, weil er jugendlichen Mädchen, die die Schule abbrechen, keine Damenbinden zur Verfügung stellt. Sie wurde verhaftet, vor Gericht gestellt und für mehr als ein Jahr inhaftiert.

Millionen junger Frauen auf dem gesamten afrikanischen Kontinent haben eine gemeinsame Stimme für den Aufbau von Gemeinschaften, Organisation und Mobilisierung gefunden und profitieren von der stetig wachsenden Internetverbreitung und der Ausbreitung billiger Smartphones.

Obwohl sie weniger online sind als Männer, ist die mutige Empörung und Organisierung junger afrikanischer Frauen unübersehbar. Zugang zu Informationen war schon immer der Schlüssel zu einem erwachenden Bewusstsein. Für diese Generation ist der Zugang zu Informationen trotz der nach wie vor bestehenden wirtschaftlichen und digitalen Ungleichheiten sehr viel schneller als für ihre eigenen Eltern.  

Wenn sie sehen, dass andere junge Frauen es wagen, die Grenzen der von Frauen erwarteten Höflichkeit zu überschreiten, finden auch sie den Mut, sich in kleinen, aber wachsenden Gemeinschaften zusammenzuschließen. Online-Räume haben somit eine panafrikanische Organisierung ermöglicht. Ein Protest in Namibia oder im Sudan kann innerhalb weniger Stunden oder Tage auch in anderen Ländern bekannt werden, wo sich andere solidarisch zeigen können.

Einem Afrobarometer-Bericht aus dem Jahr 2019 zufolge hat sich der Anteil der Frauen, die das Internet regelmäßig nutzen, in den letzten fünf Jahren in 34 afrikanischen Ländern mehr als verdoppelt — von 11 Prozent auf 26 Prozent. Der Bericht zeigt aber auch, dass die Kluft zwischen den Geschlechtern weiterhin zwischen 8 und 11 Prozent liegt. Frauen haben eine geringere Wahrscheinlichkeit als Männer, “ein Mobiltelefon zu besitzen, es täglich zu benutzen, ein Mobiltelefon mit Internetzugang zu haben, einen Computer zu besitzen, regelmäßig auf das Internet zuzugreifen und ihre Nachrichten aus dem Internet oder sozialen Medien zu beziehen”.

Frauen auf diesen Plattformen stehen vor enormen Herausforderungen. Sie werden oft nicht als Expertinnen angesehen, auch nicht von ihren Kolleg*innen in den Kampagnen der progressiven Bewegung — und selbst dann nicht, wenn es um Themen geht, bei denen es um die Lebenserfahrungen von Frauen geht. Oder die Stimmen junger Frauen werden in eine Schublade gesteckt und dürfen nur bei “Frauenthemen” gehört werden. Die Marginalisierung im öffentlichen Diskurs setzt sich auch in der Online-Welt fort, wo Hierarchien darüber, wer gehört wird, neu geschaffen und aus dem Offline-Bereich übernommen werden. Viele ziehen sich von öffentlichen Plattformen in kleinere Gruppen von vertrauten Freunden zurück. Dadurch wird ihnen eine öffentliche Stimme verwehrt. Und wie Männer müssen auch sie sich mit dem wachsenden Trend der Abschaltung des Internets und Überwachung durch Regierungen auseinandersetzen.

Trotz dieser Hindernisse zeigen afrikanische feministische Stimmen sowohl online als auch offline Wirkung. Wie bei den Männern sind diejenigen, die den besten Zugang zum Internet haben, unverhältnismäßig gut ausgebildet und wohlhabend genug, um die Kosten für den Internetzugang zu tragen. Doch die wachsende Zahl feministischer Kollektive, die sich der Zusammenarbeit und Inklusion verschrieben haben, zeugt von dem Potenzial für eine inklusive Politik.

In einigen Fällen rücken Themen, die in der Vergangenheit lediglich als “Frauenthemen” behandelt wurden, langsam in den Mittelpunkt politischer Auseinandersetzungen. Jüngere Menschen auf dem Kontinent drängen auf Veränderungen, die selbst die Älteren, als auch diejenigen, die den Status quo ablehnen, nicht zulassen. Feministische Stimmen gewinnen an Bedeutung und sind ein wichtiger Teil dieses Widerstands.

So hat die Feministische Koalition in Nigeria mobilisiert, um auf die Bedürfnisse der Protestierenden bei den #EndSARS-Protesten zu reagieren, die Nigeria als Reaktion auf die Polizeibrutalität im Oktober 2020 erschütterten. Etwa zur gleichen Zeit forderten in Namibia die von Jugendlichen angeführten #ShutitAllDown Protestierenden Maßnahmen zur Bekämpfung von Femizid, Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch.

Die Initiative #SudanWomenProtest wurde 2019 während des Volksaufstands gegen das Regime von Umar al-Bashir gegründet und brachte Tausende von Frauen zusammen, um gegen “Militarisierung, allgegenwärtige Ungerechtigkeit gegenüber Frauen und Mädchen, geschlechtsspezifische Tötungen und die Normalisierung sexueller Gewalt als Ergebnis schwerwiegender diskriminierender Gesetze, die im Sudan immer noch in Kraft sind” zu protestieren. Sudanesische Frauen leisten seit Jahrzehnten Widerstand, aber ihre Sichtbarkeit in der Revolution von 2019, die Bashir stürzte, kam für die Welt als “Schock”, nachdem ein Video einer Frau auf einem Auto, die Protestgesänge anführte, viral ging. Im März 2021 setzte die Initiative den Druck auf die sudanesische Übergangsregierung fort, alle sexistischen und diskriminierenden Gesetze abzuschaffen.

Im Bewusstsein globaler Internetkampagnen wie #BlackLivesMatter, #SayHerName und #IBelieveHer haben junge Frauen auf dem ganzen Kontinent eigene Initiativen ergriffen. Und wie ihre Kolleginnen in anderen Ländern haben sie intersektionelle feministische Perspektiven in ihre Organisierung einfließen lassen. In Südafrika haben sie Bewegungen für Geschlechtergerechtigkeit gegründet, wie die #AmINext-Proteste als Reaktion auf die Vergewaltigung und Ermordung der Universitätsstudentin Uyinene Mrwetyana im Jahr 2019. Aber auch in den Bewegungen #RhodesMustFall und #FeesMustFall haben junge Frauen eine Schlüsselrolle gespielt.  

Offline bleiben junge feministische Bewegungen und Kollektive jedoch selbst in den Bewegungen junger Menschen, die auf politische Veränderungen drängen, marginalisiert. Junge Menschen in Afrika organisieren sich zunehmend auf der Suche nach einem radikalen Wandel in der Art und Weise, wie afrikanische Nationen regiert werden, um den Stimmen der Bürger*innen Würde und Respekt zu verschaffen. Ohne die gleichwertige Beteiligung und Führung junger Feministinnen wird ein solcher gesellschaftlicher Wandel jedoch schwer zu erreichen sein.

Junge afrikanische Frauen lernen und lehren, dass Kämpfe miteinander verknüpft werden müssen, anstatt sich gegenseitig ausschließende Alternativen aufzustellen. In Nigeria zum Beispiel bestehen junge Aktivistinnen inmitten der Kampagne #EndSars gegen Polizeibrutalität auch darauf, dass #NigerianQueerLivesMatter.

Es ist nicht akzeptabel, von jungen Frauen und queeren Afrikanern*innen zu verlangen, dass sie ihre eigenen Anliegen beiseite schieben, um dem Argument nachzugeben, dass die “nationale” Befreiung an erster Stelle stehen muss, wie es unsere Vormütter immer wieder getan haben.

Frauen spielten eine zentrale Rolle in den Unabhängigkeitsbewegungen und im alltäglichen Widerstand gegen die Kolonialherrschaft. Doch oft verwandelten sich die Bewegungen selbst in Hegemonien der herrschenden politischen Klasse. Und obwohl wir in Afrika die Zahl der Frauen in den Parlamenten auf den weltweiten Durchschnitt von 25 Prozent erhöht haben, liegt die tatsächliche Macht sowohl in der Regierung als auch in der Gesellschaft weit hinter dieser Errungenschaft zurück. Eine wirkliche Emanzipation der Frauen und Minderheiten von den Fesseln, die durch die koloniale Unterdrückung der Geschlechter eingeführt wurden, ist nach wie vor schwer zu realisieren. Von den Haushalten über die Bars bis hin zu den Straßen und Arbeitsplätzen — trotz aller Fortschritte bei der “Ermächtigung der Frauen” müssen wir die wirkliche Befreiung der Frauen in dem Sinne noch erleben, dass sie frei in ihrer eigenen Haut und ihrem eigenen Körper durch die Welt gehen können — frei von Gewalt.

Oft wird von unterdrückten Menschen, in diesem Fall von jungen afrikanischen Frauen und Menschen mit diversen Geschlechtern, erwartet, dass sie zivilisiert sind, wenn sie die Anerkennung ihrer vollen Menschlichkeit fordern, mit herablassenden Phrasen wie “ihr verlangt zu viel”.

Aber wer definiert, was zu viel für die Freiheit und die Existenz eines Menschen ist? Für Sheena Bageine und Stella Nyanzi hier in Uganda und für junge Frauen und queere Afrikaner*innen, die sich auf dem ganzen Kontinent gegen die Entmenschlichung wehren, besteht die Antwort darin, “zu viel” zu sein. Nur wenn wir “zu viel” sind, können neue Risse in der Mauer der patriarchalen Diktaturen entstehen.

Rosebell Kagumire ist Schriftstellerin, preisgekrönte Bloggerin, panafrikanische feministische Aktivistin und Kommunikationsstrategin. Sie ist die derzeitige Kuratorin und Redakteurin von AfricanFeminism.com. Sie ist außerdem Co-Redakteurin des kürzlich erschienenen Buches “The Role of Patriarchy in the Roll-back of Democracy”, das sich auf Länder in Ostafrika und am Horn von Afrika konzentriert (zum kostenlosen Download verfügbar). Mehr über ihren Hintergrund gibt es in diesem Interview vom März 2021 zu lesen.

Foto: Sheena Bageine, Twitter

Available in
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Author
Rosebell Kagumire
Translators
Vanessa Jae and Stefan Maier
Date
11.08.2021
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