Environment

Bäuer*innen, nicht Konzerne, werden das Ernährungssystem verändern

Der “UN Food Systems Summit” ist von Unternehmensinteressen eingenommen – die Menschen gestalten eine Alternative.
Im September dieses Jahres wird der “Global People’s Summit” Bäuer*innen- und Bewegungen aus der ganzen Welt zusammenbringen, um ein Ernährungssystem zu fordern, dass das Recht auf Land, Souveränität und Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stellt.

Ein Kampf um die Zukunft unseres Landes, unserer Nahrung und unserer Rechte ist im Gange.

Im September findet in New York der “Food Systems Summit” der Vereinten Nationen (UN FSS) statt, um die politische Agenda für Ernährung und Landwirtschaft für die kommenden Jahrzehnte festzulegen. Auf dem Gipfel sollen sogenannte „game-changing“ Lösungen vorgestellt werden, um angeblich die globalen Ernährungssysteme zu „transformieren“, um den Hunger auszurotten, die Armut zu reduzieren und der Klimakrise zu begegnen.

Die Ironie ist, dass es sich bei den Teilnehmern des Gipfels um dieselben transnationalen Konzerne (TNCs) und Finanzinstitute handelt, deren neoliberale Rahmenbedingungen und Profitgier uns tief in die heutige Nahrungsmittel-, Biodiversitäts- und Klimakrisen, gedrängt haben.

Das wird durch die strategische Partnerschaft der UN mit dem Milliardärsclub World Economic Forum (WEF) und die Ernennung von Agnes Kalibata, Leiterin der von Bill Gates finanzierten “Alliance for a Green Revolution in Africa” und Mitglied des Global Agenda Council des WEF, zur Sonderbeauftragten für den UN-FSS deutlich. Sogar die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO), die den Auftrag hat, eine nachhaltige Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik zu fördern, hat eine formelle Partnerschaft mit CropLife International geschlossen, dem globalen Handelsverband, der die größten Pestizidunternehmen der Welt vertritt. Zahlreiche von Unternehmen finanzierte Lobbys haben sich in den sogenannten “Action Tracks” des Gipfels verschanzt (z. B. die Global Alliance for Improved Nutrition der Gates Foundation) und werden voraussichtlich auf marktorientierte, technologiegesteuerte und vom Privatsektor geleitete "Lösungen" drängen.

Die Entscheidung, den Prozess in einem "Multi-Stakeholder-Ansatz" durchzuführen, weist auf den wahren Charakter des Gipfels hin. Der Multi-Stakeholder-Ansatz schließt nicht nur große Unternehmen ein, sondern setzt sie auch an die Spitze der Entscheidungsfindung und übertönt die Stimmen der wenigen handverlesenen NRO, die teilnehmen. Sogar die Vertretung in den so genannten "unabhängigen Dialogen" ist in überwältigender Weise zugunsten des Großkapitals ausgerichtet, da fast ein Drittel der Teilnehmer entweder aus Unternehmen oder internationalen Finanzinstituten stammt.

Gleichzeitig werden die Probleme und Lösungsvorschläge der Kleinbäuer*innen, der Mehrheit der weltweiten Nahrungsmittelproduzenten, ignoriert. Die UN FSS spricht von "Transformation", ohne anzuerkennen, wie die neoliberalen globalen Lebensmittelsysteme die arme, hungernde und marginalisierte Landbevölkerung des globalen Südens im Stich gelassen haben — diejenigen, die unsere Tische mit Lebensmitteln versorgen, aber selbst wenig oder nichts zu essen haben.

Etwa eine Milliarde Menschen gehen jede Nacht hungrig schlafen, obwohl Bäuer*innen genug Nahrungsmittel produzieren, um das 1,5-fache der Weltbevölkerung zu ernähren. Das ist keine einfache Anomalie, sondern das Ergebnis jahrzehntelanger imperialistischer Ausbeutung und Unterdrückung.

Die von der Weltbank durchgeführten Bodenmarktreformen haben den Besitz und die Kontrolle über landwirtschaftliche Flächen in den Händen einheimischer Eliten und großer multinationaler Konzerne konzentriert. Schätzungen zufolge bewirtschaften 1 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe mindestens 70 Prozent der weltweiten Anbauflächen. Diese leiten die Nahrungsmittel in korporatistische globale Versorgungsketten ein, die auf neokolonialen Handelsregeln beruhen, die in der Welthandelsorganisation und in Megahandelsabkommen verankert sind. Für die Agrarländer des globalen Südens bedeutet die Handelsliberalisierung die Zerstörung der einheimischen Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln (d.h. die Bäuer*innen können ihre eigenen Erzeugnisse wegen des Zustroms importierter Nahrungsmittel nicht mehr verkaufen). Sie bedeutet den anhaltenden Anstieg der exportorientierten Produktion, die Gemeinschaften von ihrem eigenen Land vertreibt und das abholzt, was von unseren Wäldern noch übrig ist.

Nur vier Konzerne aus den USA, China und der EU besitzen und kontrollieren mehr als die Hälfte der weltweiten Märkte für Saatgut, Düngemittel und Agrochemikalien. Seit der Grünen Revolution haben die Regierungen unsere Landwirt*innen von gefährlichen Pestiziden und gentechnisch verändertem Saatgut, das von diesen Unternehmen gefördert wird, abhängig gemacht und gleichzeitig traditionelles Saatgut und eine biodiverse, nachhaltige Landwirtschaft zum Verschwinden gebracht. Der FSS verleiht diesen Unternehmen, die auf eine lange Geschichte von Betrug und Vergehen zurückblicken können, die Legitimation der UNO. Sie sind in der Lage, sich als "Retter" und "Verfechter" der globalen Lebensmittelsysteme zu profilieren, wobei sich sogar Pestizidunternehmen wie BASF und Sumitomo als "Food System Heroes" bezeichnen.

Die Kontrolle der Unternehmen über die Nahrungsmittelsysteme ist so umfassend, dass sogar die Meere überfischt und fast ausschließlich von reichen Nationalstaaten ausgebeutet werden, die 97 Prozent der Aktivitäten sowohl auf hoher See als auch in den globalen ausschließlichen Wirtschaftszonen kontrollieren. Gleichzeitig kontrolliert das globale Oligopol im Getreide- und Pflanzenhandel die Lebensmittelversorgung.

Es ist klar, dass das derzeitige neoliberale Lebensmittelsystem den weltweiten Hunger, die gähnende Kluft der Ungleichheit innerhalb und zwischen den Nationen und die Klimakrise, mit der wir heute konfrontiert sind, aufrechterhält und verschärft. Es hat sogar dazu geführt, dass die weltweiten Lebensmittelpreise in einem einzigen Jahr inmitten einer grassierenden Pandemie um 39 Prozent gestiegen sind. Das bedeutet, dass sich immer mehr Menschen keine nahrhaften Lebensmittel mehr leisten können, wenn sie sie am dringendsten brauchen!

Auch der weltweite Landraub nimmt weiter zu, und die Zahl der Bauernmorde und konfliktbedingten Hungersnöte steigt weiter an. Landwirt*innen ernähren die Welt — doch während sie ihre Rechte auf Land und natürliche Ressourcen kollektiv verteidigen und ums Überleben kämpfen, werden sie von Konzernen und staatlichen Behörden gejagt. In Wahrheit müssen sie nicht als "Food Systems Heroes" auf der gleichen Plattform anerkannt werden wie ihre Unterdrücker. Was sie von der Weltordnungspolitik brauchen, sind keine beleidigenden Lippenbekenntnisse, sondern eine klare Abkehr von seit langem diskreditierten Rahmenwerken, Strategien und Lösungen.

Deshalb wird der “Global People's Summit on Just, Equitable, Healthy and Sustainable Food Systems” (Globaler Gipfel der Völker für gerechte, ausgewogene, gesunde und nachhaltige Lebensmittelsysteme) im September dieses Jahres von Volksbewegungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen als Gegengipfel zum UN FSS mitorganisiert. Seit Anfang des Jahres finden verschiedene Aktivitäten, Dialoge und Workshops statt. Wir hoffen, dass wir durch den People's Summit unsere Forderungen weiterentwickeln und erweitern können, um ein breites Spektrum von Rechteinhabern und Menschen, insbesondere aus dem globalen Süden, einzubeziehen. Ein Aktionsplan der Menschen zur Verwirklichung gerechter, fairer, gesunder und nachhaltiger Lebensmittelsysteme wird das wichtigste Ergebnis des People's Summit sein.

Der People's Summit ist davon überzeugt, dass die Bäuer*innen und nicht die Konzerne die globalen Lebensmittelsysteme wirklich verändern werden. Dieser Wandel kann nur durch vier große, miteinander verbundene Säulen aufrechterhalten werden. Erstens müssen die Bäuer*innen das Recht auf Land und Ressourcen haben. Zweitens muss es eine gemeinschaftlich geführte Agrarökologie oder Nachhaltigkeit in der Lebensmittelproduktion, -verteilung und -konsumption geben. Drittens muss die Ernährungssouveränität der Menschen, das heißt die Macht der Menschen und Gemeinschaften, ihr Recht auf Nahrung und die Produktion von Nahrung durchzusetzen und zu verwirklichen, im Mittelpunkt der Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik stehen. Nur dann können die Menschen ihr Recht auf angemessene, sichere, nahrhafte und kulturell angepasste Lebensmittel wahrnehmen, oder was wir als "Nahrung für alle" anstreben.

Erfahrt mehr oder nehmt am Global People's Summit on Food Systems teil!

Ilang-Ilang Quijano ist der Informations- und Kommunikationsbeauftragte von PAN Asia Pacific  (PANAP), einem regionalen Advocacy-Netzwerk, das einer der Organisatoren des “Global People’s Summit on Food Systems” ist.


Photo: Ramadhani Rafid / Unsplash

Available in
EnglishSpanishItalian (Standard)FrenchGermanPortuguese (Brazil)
Author
Ilang-Ilang Quijano
Translator
Stefan Maier
Date
25.08.2021
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