Economy

Amazons Jagd nach öffentlichen Aufträgen trifft auf Widerstand

Amazon erhält von Regierungen in ganz Europa Verträge über große Summen, aber Aktivist*innen hoffen, den Erhalt öffentlicher Gelder gegen den Konzernriesen richten zu können.
Im Juli 2021 wurde die Welt Zeuge des "besten Tages aller Zeiten", als Jeff Bezos ins All flog. Kurz nachdem er aus seinem Shuttle ausgestiegen war, bedankte sich der reichste Mann der Welt bei allen Amazon-Mitarbeiter*innen und -Kund*innen, "weil ihr für all das hier bezahlt habt."

Die öffentliche Empörung über diese krasse und wahre Aussage war groß und berechtigt. Amazon ist dafür bekannt, dass es Beschäftigten das Recht auf Mitsprache am Arbeitsplatz, einen Arbeitsvertrag oder sogar eine Toilettenpause vorenthält. Der Arbeitsdruck ist hoch, jeder Schritt der Beschäftigten wird überwacht, und jede Andeutung von Unzufriedenheit wird mit heftiger Unterdrückung beantwortet.

Was die Welt damals nicht wusste, war, dass Bezos vergessen hatte, einer anderen Gruppe zu danken, die diesen Weltraumspaziergang bezahlte: den Steuerzahler*innen.

Nach neuen Untersuchungen von UNI Europa, der europäischen Dienstleistungsgewerkschaft, hat Amazon in den letzten drei Jahren über eine Milliarde Euro, Pfund, Schweizer Franken und dänische Kronen an Steuergeldern durch öffentliche Aufträge erhalten.

Die europäischen Regierungen füttern die ohnehin schon vollen Taschen von Amazon mit öffentlichen Geldern. Amazon hat umfangreiche Verträge mit der Europäischen Kommission, dem dänischen Steuerministerium (welch’ Ironie), dem britischen Kabinettsamt, dem Innenministerium und vielen weiteren Ministerien, lokalen Behörden und Regierungsstellen.

Diese Regierungen lassen zu, dass ein Unternehmen, das im Mittelpunkt von Skandalen um die Zerschlagung von Gewerkschaften, Steuerhinterziehung und Marktabsprachen steht, bei der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen eine "too big to fail"-Rolle spielt. Als das Unternehmen vom Europäischen Parlament aufgefordert wurde, sich zu seiner aufdringlichen Überwachung von Beschäftigten zu äußern, lehnte es dies rundweg ab

Progressive Abgeordnete des Europäischen Parlaments reagierten schnell auf die neuen Enthüllungen. "Wenn Amazon nicht in der Lage ist, sich mit den Gewerkschaften zusammenzusetzen und Vereinbarungen zu treffen, dann werden wir eine klare Botschaft in der einzigen Sprache senden, die Amazon zu sprechen scheint: Geld", sagte die Europaabgeordnete Agnes Jongerius.

Die Europaabgeordnete Leïla Chaibi schlug vor, dass "öffentliche Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden sollten, die ihre Beschäftigten respektieren und ihre Steuern zahlen." Das öffentliche Auftragswesen kann und muss zum Wohle der Allgemeinheit eingesetzt werden, um die Standards zu erhöhen, indem nur Unternehmen belohnt werden, die ihrer Verantwortung gegenüber ihren Beschäftigten, der Öffentlichkeit und dem Planeten gerecht werden. Eine wachsende Zahl von Bürger*innen und Abgeordneten des Europäischen Parlaments unterstützt die Forderung der Arbeitenden, das Beschaffungswesen auf EU-Ebene zu regeln.

Der UNI Europa-Bericht hebt nicht nur den offensichtlichen Widerspruch hervor, ein Unternehmen mit öffentlichen Aufträgen zu belohnen, dessen Bilanz der Steuerhinterziehung und des Zerschlagens von Gewerkschaften den erklärten politischen Zielen widerspricht, sondern wirft zwei weitere Fragen auf, die diese Verträge hervorrufen.

Erstens geben mehrere dieser Verträge die Verwaltung von Regierungsdaten an Amazon ab. Wie die Europaabgeordnete Kim van Sparrentak argumentiert hat, könnte dies "die Durchsetzung der EU-Datenschutzvorschriften erschweren", da Amazon seinen Sitz außerhalb der EU hat. Zweitens: Wenn Amazon gewerkschaftlich organisierte Arbeitgeber durch Preisunterbietung aus dem Markt drängt und sein konfliktreiches Arbeitsmodell ausweitet, ist dies auch ein Angriff auf die Arbeitenden und ihre Chance auf einen fairen Anteil an dem von ihnen geschaffenen Wohlstand. Wie die Europaabgeordnete Evelyne Gebhardt es formulierte, "hat Amazon seine E-Commerce-Aktivitäten in Europa aggressiv ausgeweitet, obwohl es angeblich mit Verlust arbeitet. Diese Ausweitung war nur durch die riesigen Summen möglich, die von Amazons lukrativer Web- und Cloud-Computing-Abteilung (Amazon Web Services, AWS) überwiesen wurden." Aber Amazons Gier, dieses öffentliche Geld zu beanspruchen, könnte nach hinten losgehen. Von den Straßen bis zu unseren Parlamenten wächst die Bewegung, um gegen Amazons Missbrauch vorzugehen. Die Tatsache, dass Amazon große öffentliche Gelder erhält und gleichzeitig so wenig Steuern zahlt, ist eine offensichtliche Ungerechtigkeit, die zum Handeln anregen könnte, einschließlich der Behebung von gebrochenen Beschaffungsregeln, die solche kopflastigen Entscheidungen ermöglichen.   

Auf der ganzen Welt haben Beschäftigtekollektive Maßnahmen ergriffen, um sich gegen Amazon zu wehren. Die Make Amazon Pay-Koalition hat Beschäftigte und Protestierende über Grenzen und Themen hinweg zu einer mächtigen Allianz für Veränderungen zusammengeführt. Amazons teure öffentliche Aufträge sind vielleicht gut für die kurzfristigen Gewinne des Unternehmens, aber sie könnten den weit verbreiteten Forderungen, Amazon bezahlen zu lassen, weiteren Auftrieb geben.    

Oliver Roethig ist Regionalsekretär für UNI Europa.

Foto: War on Want, Flickr

Available in
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Author
Oliver Roethig
Translator
Nicole Millow
Date
22.11.2021
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