Politics

Der Neo-Faschismus in Italien: Europas Rückfall

Melonis Triumph ist eine deutliche Niederlage für das europäische Projekt und ein erneuter Rückschlag für dessen langjähriges Versprechen von fortschrittlicher Demokratie, Menschenrechten, Kultur und sozialer Integration für alle.
1922 bildete und führte Benito Mussolini eine Koalitionsregierung aus verschiedenen rechten Parteien. Obwohl er nur 8,15 % der Stimmen erhielt, kam der Führer der Nationalen Faschistischen Partei an die Macht, indem er den savoyardischen König mit dem Marsch der Schwarzhemden auf Rom zur Aufgabe zwang. Genau ein Jahrhundert nach diesem “giornata particolare” steht eine geistige Erbin Mussolinis, Giorgia Meloni, an der Spitze der nächsten italienischen Regierung. Sie ist die Führerin und Erneuerin der postfaschistischen Partei Fratelli d'Italia, die ihren Ursprung in der MSI (Italienische Soziale Bewegung) von Giorgio Almirante hat, einem Faschisten, der in der Republik von Saló, der letzten mit den Nazis verbündeten Mussolini-Bastion in Norditalien, aktiv war.

Die italienischen und europäischen Mainstream-Medien haben versucht, das Ausmaß dieser erschütternden Wahl mit einer verzerrten, euphemistischen Sprache herunterzuspielen. Einige bezeichnen Melonis Zusammenschluss mit der fremdenfeindlichen Lega Nord und Berlusconis Machismo-Putinismus als “Mitte-Rechts-Block”, “Koalition der Rechten” oder “konservative Allianz”, während andere aus Angst vor den Äußerungen anderer vom “Triumph der extremen Rechten” sprechen.

In Wirklichkeit stehen wir in der drittgrößten Volkswirtschaft der Europäischen Union vor einem überwältigenden Sieg einer Koalition, die von einer faschistisch inspirierten Formation angeführt wird — einer Formation, die die Flamme des Mussolini-Grabes in ihrem Logo trägt. Es ist nicht nur die extreme Rechte: Es ist der ewige Faschismus, wie er von Umberto Eco theoretisiert wurde, der an die Macht zurückkehrt, aber in anderen Kleidern und Erscheinungen. Diesmal als junge Frau aus einem armen Viertel und als Verbündete der postfaschistischen Internationalen (Amerikanisch, Polnisch, Ungarisch, Französisch, Spanisch). Und wir sollten nicht vergessen, dass sie dabei schamlos von den einst antifaschistischen Medien und den christdemokratischen oder konservativen Parteien unterstützt wurde.

Der unangefochtene Sieg Melonis, von 4,4 % der Stimmen im Jahr 2018 auf 26,2 % im Jahr 2022, stellt somit die endgültige Normalisierung der neofaschistischen Parteien im Herzen Europas dar. Es geht nicht mehr um das ferne Ungarn oder das ultrakatholische Polen. Italien ist ein Gründungsmitglied der Europäischen Union. Der Triumph der Fratelli d'Italia ist im tiefsten Sinne eine deutliche Niederlage des europäischen Projekts und ein schwerer Rückschlag für dessen langjähriges Versprechen, Demokratie, Menschenrechte, Kultur und soziale Integration für alle zu fördern. Diese Gründungsprämisse wurde teilweise durch Deutschlands katastrophales Management der Krise von 2008 zunichte gemacht, das beschloss, die Bürger*innen für die Exzesse des Finanzsektors zu bestrafen und Syriza in Griechenland zu demütigen, wodurch die Ausbreitung der extremen Rechten auf dem gesamten Kontinent gefördert wurde. Man erntet, was man sät. 

Die Wahlenthaltung von 36 %, die höchste seit Italien den Weltkrieg mit seiner antifaschistischen Verfassung hinter sich gelassen hat, erinnert uns auch daran, dass der Neofaschismus, wie der Faschismus vor einem Jahrhundert, immer von drei eng miteinander verknüpften Faktoren profitiert: die Schönfärberei seiner antidemokratischen Ideologie durch die Mainstream-Medien und ihre Eigentümer; die Überdrüssigkeit und Unzufriedenheit einer Wählerschaft, die sich nur dann zur Teilnahme am öffentlichen Geschehen genötigt fühlt, wenn sie alle vier Jahre zur Wahl geht; und dadurch, dass die Sozialdemokratie die Umverteilungspolitik und ihre frühere Berufung zu sozialer Gerechtigkeit aufgibt, indem sie sich unmissverständlich dem Dogma des sadistischen Kapitalismus anschließt.

Niemand sollte sich von Melonis vorgetäuschter Mäßigung in ihrer Siegesrede täuschen lassen. Wie auf der Wahlkampfveranstaltung von Vox in Andalusien zu sehen war, ist sie ein richtiger Hitzkopf, und ihr Projekt birgt deutliche Gefahren für Minderheiten. Ihr Plan ist es, die Rechte der Frauen, der LGTBI-Kollektive, der Immgrant*innen und der Ärmsten in der Gesellschaft zu untergraben, um das Großkapital, die reaktionärste Kirche und andere Kräfte zu begünstigen, die weniger und nicht mehr Demokratie wollen. Ihr Triumph ist eine schreckliche Nachricht, aber letztlich ist er logisch. Die Dynamik des Krieges beschleunigt den Rückfall Europas, und Italien war schon immer, im Guten wie im Schlechten, das frühreifste aller politischen Laboratorien. Nach dem Berlusconi-Ventenium und fast einem Jahrzehnt falscher sozialdemokratischer Technokratie sind die Neofaschisten, solange sie die NATO und die Austerität akzeptieren, geeignete Kandidaten, um die neue Ausnahmesituation zu verwalten. So steuert Italien auf eine autoritär geprägte Regierung zu, die die zentrale Schraube einer bizarren neofaschistischen Achse Rom-Budapest-Warschau sein wird.

Es hat zwar keinen Sinn, über verschüttete Milch zu weinen, aber Nanni Moretti hatte Recht, als er D'Alema aufforderte, “etwas Linkes” zu sagen!

Available in
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Date
04.10.2022
Source
Original article🔗
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