Am 3. Oktober startete der indische Staat die größte Razzia gegen die Presse seit der Unabhängigkeit. 46 Journalist*innen und ihre Familien wurden in den frühen Morgenstunden des Dienstags von einer Spezialeinheit der Polizei in Delhi geweckt, die ihre Wohnungen durchsuchte und Telefone und Computer beschlagnahmte.
Nach Angaben der Behörden waren die Razzien einer Anti-Terror-Einheit, die direkt der Unionsregierung von Narendra Modi untersteht, notwendig, weil die Journalist*innen angeblich direkt oder indirekt mit der Nachrichten-Website NewsClick in Verbindung stehen.
Die Berufung auf Anti-Terror-Gesetze gegen ein ganzes Medienunternehmen ist beispiellos, beunruhigend und antidemokratisch.
Die jüngste Kampagne des indischen Staates gegen NewsClick begann im August nach einer “Red Scare”-Story in der New York Times, in der behauptet wurde, das Unternehmen verbreite chinesische Propaganda und werde vom US-amerikanischen Tech-Mogul Neville Roy Singham finanziert. NewsClick wies die Anschuldigungen entschieden zurück, aber dennoch wurde sein Vermögen eingefroren.
Den verhafteten Journalist*innen zufolge ging es der Polizei nicht um chinesische Propaganda, sondern um kritische Berichterstattung über die Modi-Regierung. Die Berichterstattung über wichtige Themen wie die antimuslimischen Ausschreitungen in Delhi, den Streik der Landwirt*innen gegen neue Landwirtschaftsgesetze, die Proteste gegen das antimuslimische Staatsbürgerschaftsgesetz und die Reaktion der Regierung auf die Covid-19-Pandemie wurden in Frage gestellt.
Nach drei Tagen hat NewsClick noch immer keine offizielle Mitteilung über die Anklage erhalten. Die Polizei weigert sich, auch nur einen “ersten Informationsbericht” vorzulegen und beruft sich auf das Anti-Terror-Gesetz, den “Unlawful Activities (Prevention) Act”.
In einer Erklärung heißt es: “Wir verurteilen nachdrücklich diese Maßnahmen einer Regierung, die sich weigert, die journalistische Unabhängigkeit zu respektieren, und die Kritik als Volksverhetzung oder "antinationale" Propaganda behandelt.”
Angriffe auf die Presse sind nichts Neues. Indien rangiert auf Platz 161 des Pressefreiheitsindex und ist in den zehn Jahren von Modis Herrschaft stark zurückgegangen.
Medien, die kritisch berichten, werden regelmäßig schikaniert. Im Februar führten Steuerbeamte eine Razzia in den Büros der “British Broadcasting Corporation” durch, nachdem diese eine Dokumentarserie veröffentlicht hatte, die Modi, den Aufstieg des Hindu-Nationalismus und seine Verbindungen zu antimuslimischer Gewalt untersuchte. Im Juli 2021 leiteten die Steuerbehörden eine Untersuchung gegen Dainik Bhaskar ein, eine der größten Zeitungen Indiens, die Missstände im Umgang der Regierung mit Covid-19 aufgedeckt hatte. Auch bei unabhängigen Websites gab es ähnliche Razzien, bei denen die elektronischen Geräte von Journalist*innen beschlagnahmt wurden.
In einem Appell an den Obersten Richter Indiens nach dem jüngsten Angriff auf ihre Kolleg*innen schrieb eine Koalition aus indischen Journalistengewerkschaften und -organisationen, dass “ein großer Teil der Journalisten in Indien unter der Bedrohung von Repressalien arbeitet”. Nach der Razzia forderte das in New York ansässige Committee to Protect Journalists die sofortige Freilassung der Journalist*innen und forderte die Regierung auf, “die Einschüchterungsversuche gegen Journalisten einzustellen”.
Wir sind solidarisch mit all den mutigen, nach Wahrheit suchenden und die Macht herausfordernden Journalist*innen in Indien, die jetzt ihre Freiheit riskieren, um die Menschen zu informieren, und mit all jenen, die sich der Zerstörung der indischen Demokratie entgegenstellen.
13 Parteien, Gewerkschaften und Bewegungen treten PI bei
In dieser Woche konnten wir mit Stolz und Freude 13 neue Mitgliedsorganisationen in unseren Reihen begrüßen, wodurch sich unsere Mitgliederzahl auf 75 aus 40 Ländern erhöht hat. Varsha Gandikota-Nellutla, Ko-Generalkoordinatorin der Progressiven Internationale, sagte bei der Begrüßung: “Sie alle sind inspirierende Kämpfer für Gerechtigkeit, die die Mächtigen herausfordern und sich auf die Seite der Menschen in ihren jeweiligen Ländern stellen. Unser gemeinsamer historischer Moment ist in den dunklen Schatten der Bedrohung gehüllt, birgt aber auch viele Chancen. Gemeinsam werden wir unsere Politik auf mehr Feuer und Ehrgeiz ausrichten und das Ausmaß unserer Krisen mit dem Ausmaß der Maßnahmen, die wir dagegen ergreifen, in Einklang bringen.”
Erfahre hier mehr über unsere neuen Mitglieder und halte in den nächsten Ausgaben dieses Newsletters Ausschau nach ausführlicheren Profilen unserer Mitglieder und ihrer Arbeit.
Hände weg von Haiti
Diese Woche stimmte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dafür, eine multinationale Sicherheitstruppe unter kenianischer Führung zu ermächtigen, in Haiti zu intervenieren. Dieser Schritt wurde von progressiven Kräften in der westlichen Hemisphäre und in Kenia scharf kritisiert, die in der von den USA finanzierten Truppe kaum mehr als neokoloniale Schönfärberei sehen.
Haiti hat unter endlosen ausländischen Interventionen gelitten, seit sein Volk vor 200 Jahren die Sklaverei und den Kolonialismus besiegte und eine Republik gründete. Das Kabinett der Progressiven Internationale hat “ein dringendes Ende des Interventionismus in Haiti” gefordert.
Übersetzer*innen der Welt, vereinigt euch!
Am Samstag, den 30. September, war der Internationale Tag der Übersetzung. Die Progressive Internationale beging diesen Tag und ehrte unsere Übersetzer*innen und Dolmetscher*innen, die uns eine Stimme gegeben haben, indem sie auf einige unserer beliebtesten Übersetzungen zurückblickte – Essays, Analysen und Geschichten des Kampfes, die ein breites Publikum erreicht haben.
Kunst: Sudhir Patwardhans Gemälde Street Play von 1981. Es entstand im Vorfeld des massiven Streiks der Textilfabriken, der 1982 Mumbai erschütterte, und zeigt eine aus verschiedenen Teilen der Stadt zusammengesetzte Straßenlandschaft, eine Abfolge von Tafeln.