In etwas mehr als drei Wochen wurde mehr als die Hälfte der Häuser in Gaza zerstört. Mehr als 1,4 Millionen der 2,3 Millionen Menschen in dem winzigen Streifen wurden vertrieben. Und weit über 8.000 Menschen wurden getötet, mehr als 40 % davon Kinder.
Das Grauen dieses andauernden Massakers ist schwer zu vermitteln.
Wir sehen Bilder und Videos von zerstörten Stadtvierteln, leblosen, grauen und roten Kinderleichen, weinenden Großvätern, Großmüttern, Vätern, Müttern, Ehefrauen, Ehemännern, Schwestern und Brüdern, die in den Trümmern nach ihren Opfern suchen. 825 ganze Familien sind ausgelöscht worden — alle Generationen wurden aus dem Melderegister gestrichen. Die Gewalt ist so schlimm, dass die Ärzte im Gazastreifen ein neues medizinisches Akronym prägen mussten: WCNSF — “wounded child, no surviving family”.
Wir hören Geschichten von Palästinenser*innen und ihren Verbündeten, die versuchen, ihrer groben Entmenschlichung durch westliche und israelische Propaganda entgegenzuwirken. Neffen mit Instagram-Accounts, die nichts mehr posten werden, fußballspielende Töchter, die ihr letztes Tor geschossen haben, junge Verliebte, die ihren letzten Spaziergang am Strand geteilt haben.
Das palästinensische Volk darf nicht allein gelassen werden, um für seine Würde einzutreten. Diese entsetzlichen Zahlen, schockierenden Bilder und tragischen Geschichten müssen zum Handeln führen.
Und das tun sie auch. In den letzten Wochen gab es weltweit gewaltige Mobilisierungen. Überall auf unserem Planeten haben sich die Menschen zu Straßenprotesten zusammengeschlossen. Riesige Märsche, Demonstrationen und Sit-ins finden rund um den Globus statt. Sie vermehren sich, breiten sich aus und wachsen. Sie lernen voneinander. Heute füllt sich die Grand Central Station in New York City, morgen die Liverpool Street in London mit Tausenden, die einen Waffenstillstand und die nationale Befreiung Palästinas fordern.
Hinzu kommen mutige direkte Aktionen gegen die israelische Kriegsmaschinerie selbst. Aktivist*innen und Arbeiter*innen blockieren die Produktion und den Vertrieb von Kriegswaffen, streuen Sand in die Räder von Israels mörderischem Feldzug und beleuchten die globale Struktur der Kriegsmaschinerie. Wie Ahmed Alnaouq, ein Palästinenser, der bereits 23 Familienmitglieder durch die Bombardierung verloren hat, erklärte: “Die Israelis haben den Abzug betätigt. Aber es war eine F16 aus amerikanischer Produktion, mit der meine Familie getötet wurde. Und es waren die westlichen Medien, die darüber berichtet und grünes Licht gegeben haben.”
Mehr praktische Solidarität gegen die Kriegsmaschinerie, die Berichten zufolge “auf große Profite” aus dem Konflikt aus ist, ist nötig und wird kommen. In einem dringenden Aufruf, der von der Progressiven Internationale veröffentlicht wurde, riefen die palästinensischen Gewerkschaften ihre Brüder und Schwestern in der weltweiten Arbeitendenbewegung auf, sich mit ihnen zu solidarisieren, indem sie sich weigern, für Israel bestimmte Waffen zu bauen oder Waffen nach Israel zu transportieren. Ihr Aufruf wurde erhört. Die italienische Logistikgewerkschaft Si Cobas hat angekündigt, dass ihre Mitglieder keine Waffen für Israel transportieren werden, und vier belgische Gewerkschaften haben angekündigt, dass sie sich “weigern, für den Krieg in Palästina bestimmtes militärisches Gerät zu handhaben.” Sie machen aus Solidarität mehr als nur einen Slogan.
Auch einige Regierungen des Globalen Südens gehen über die Forderung nach einem Waffenstillstand hinaus und üben durch den Abbruch der Beziehungen zusätzlichen diplomatischen Druck auf Israel aus. Kolumbien, Chile, Bolivien, Jordanien und Bahrain haben alle ihre Beziehungen abgebrochen, die israelischen Botschafter in ihren Ländern ausgewiesen oder ihre eigenen Botschafter aus Israel abberufen. Südafrika hat gefordert, dass Israel für seine Verstöße gegen das Völkerrecht zur Rechenschaft gezogen wird. Das Gleichgewicht der normativen, moralischen Macht in der internationalen Gemeinschaft verschiebt sich von Nord nach Süd.
Das ist zum Teil der Grund, warum die USA und das Vereinigte Königreich so wenig Einfluss auf ihre Bevölkerungen haben. Zwei Drittel der US-Amerikaner*innen wollen einen Waffenstillstand, nur acht Prozent der Brit*innen sind dagegen. Diese Ablehnung der Politik ihrer Regierungen kommt trotz der nahezu vollständigen Unterstützung Israels und seiner Verbrechen durch die politische und mediale Klasse in den USA und im Vereinigten Königreich.
Es wird noch viel mehr Protest, praktische Solidarität und südliche Diplomatie geben, die die Fähigkeit Israels und seiner imperialen Unterstützer, das palästinensische Volk auszulöschen, in Frage stellen.
Was könnte diese schnell wachsende globale Bewegung für Palästina bedeuten? Was könnte sie erreichen?
Ja, es ist eine Mobilisierung für den Frieden, die bei ausreichender Kraft und Größe Leben retten könnte. Aber sie kann auch darüber hinausgehen. Die langjährige Antwort des israelischen Staates auf die völkerrechtlich verbrieften Rechte der Palästinenser*innen — auf Rückkehr, Selbstbestimmung und den Kampf dafür — besteht darin, sie zu leugnen und zu versuchen, “die Tatsachen vor Ort” zu ändern. Diese Politik zielt darauf ab, einen palästinensischen Staat in jedweden Grenzen unmöglich zu machen und “die Landkarte des Nahen Ostens dauerhaft zu verändern”, wie Premierminister Benjamin Netanjahu versprochen hat.
Doch die derzeitigen weltweiten Mobilisierungen und Aktionen können auch die “Fakten vor Ort” verändern. Indem sie Israel und seinen US-amerikanischen und britischen Unterstützern die Kosten für ihre Verbrechen vor Augen führt, kann die weltweite Solidaritätsbewegung die palästinensische Bewegung für nationale Befreiung stärken. Unser Ziel ist nicht nur der Frieden, sondern auch Gerechtigkeit für die Palästinenser*innen: ein Ende der Nakba nach 75 Jahren.
Dieser Prozess der Stärkung der Palästinenser*innen in ihrem Kampf drängt notwendigerweise die Staaten des Südens, die sozialen und politischen Akteure sowie die wirklich progressiven Kräfte im Norden gegen den Imperialismus. Wie Joe Biden, damals noch Senator, 1986 im US-Senat sagte: “Gäbe es kein Israel, müssten die Vereinigten Staaten von Amerika ein Israel erfinden, um ihre Interessen in der Region zu wahren.”
Das Potenzial dieses Moments reicht über den Frieden in Westasien hinaus, sogar über die Befreiung der Palästinenser*innen selbst, hin zu einer Demokratisierung der globalen Ordnung. Israels Verbrechen gegen das palästinensische Volk werden von dieser Ordnung unterstützt, die das US-Imperium über alles andere stellt. Recht, Normen, Gerichte sind nur ein Feigenblatt für die reine militärische und wirtschaftliche Macht. Dieser Konflikt offenbart diese Realität mit blendender Klarheit.
Er zeigt auch, dass die USA, das Vereinigte Königreich und der imperiale Club trotz ihrer lautstarken Behauptungen selbst keine Demokratien sind. Für die Menschen im Globalen Norden bedeutet Imperialismus im Ausland Oligarchie im eigenen Land. Die riesigen Profite, die durch die Kontrolle und den Abbau von Ressourcen in aller Welt erzielt werden, sind die Quelle der politischen Macht dieser herrschenden Klassen.
Imperialismus im Ausland bedeutet auch Unterdrückung im eigenen Land. Dieselben Waffen, die an der gefangenen palästinensischen Bevölkerung getestet werden, kommen zurück, um Demonstrierende in London zu unterdrücken oder die US-mexikanische Grenze zu überwachen. Um unsere kollektive Befreiung zu erreichen, müssen wir also die imperiale Herrschaft im Ausland zerschlagen.
Dieser Moment der globalen Aktion für Palästina kann ein leuchtendes Beispiel dafür werden, wie sich die Meuterei im Norden mit der Meuterei im Süden gegen eine kapitalistische und imperialistische Ordnung, die Leben und unseren Planeten zerstört, verbinden kann.
Deshalb erheben wir heute, morgen und bis zum Sieg unsere Stimmen zu einem stolzen Schrei: In unseren Tausenden, in unseren Millionen sind wir alle Palästinenser*innen.
Die Gaza-Resolution
“Wir sind uns bewusst, dass die faschistische Gewalt gegen das palästinensische Volk heute ein Vorgeschmack auf die Gewalt des westlichen Imperialismus gegen alle Arbeiter und unterdrückten Völker der Welt von morgen ist, weil dies die historische Tendenz des zerfallenden Kapitalismus ist…”
Mehr als 50 Bewegungen, Parteien und Gewerkschaften in der ganzen Welt haben sich verpflichtet, für die Befreiung Palästinas einzutreten und ihre Komplizenschaft mit dem Staat Israel zu beenden. Die Resolution erkennt die kolonialen, imperialistischen und kapitalistischen Wurzeln der Unterdrückung des palästinensischen Volkes an und geht auf die Forderungen der palästinensischen Bewegung für nationale Befreiung ein. Du kannst die Resolution hier lesen.
Würde für die Bekleidungsarbeiter*innen in Bangladesch
Die Bekleidungsarbeiter*innen in Bangladesch kämpfen aktiv für Lohn und Würde. Sie setzen sich für einen monatlichen Mindestlohn von 209 Dollar ein. Sie stellen Kleidung und Gewinne für einige der größten Marken der Welt her, darunter auch Amazon, und haben noch nicht einmal Anspruch auf einen Mindestlohn von 209 US-Dollar pro Monat. Diese Arbeiter*innen setzen nicht nur ihre Arbeit, sondern auch ihr Leben aufs Spiel und fordern ihre Rechte und ihre Würde ein. In dieser Woche erschoss die Polizei in Bangladesch Rasel Howlader, einen 25-jährigen Maschinenarbeiter, der sich für den Mindestlohn einsetzte.
Eines der Ratsmitglieder der Progressiven Internationale, Nazma Akter, führt diesen Kampf an. Wir werden dich in den kommenden Wochen mit weiteren Informationen versorgen.
Honduras Resiste
Die Progressive Internationale mobilisiert nach Honduras, um direkt von den Gemeinden zu hören, die von den ZEDEs betroffen sind, um die internationale Aufmerksamkeit auf das Verbrechen des Konzernkolonialismus zu lenken und um die Regierung von Präsidentin Xiomara Castro zu unterstützen, um ihn zu besiegen. Der Fall wird auch in einem kürzlich erschienenen Artikel in Jacobin hier erläutert.
Mada Masr unter Beschuss
Wir verurteilen auf das Schärfste den Angriff des ägyptischen Staates auf PI-Syndikatspartner Mada Masr. Das Medienhaus wurde wegen seiner Berichterstattung über die israelischen Kriegsverbrechen in Gaza an die Staatsanwaltschaft verwiesen und seine Website für sechs Monate gesperrt.
Kunst: Das Bild The Sea is Mine von Sliman Mansour zeigt eine Frau, ein Mädchen und einen Jungen, die ihre Hände in die Höhe strecken und einen Strand entlang marschieren. Stift und Pinsel symbolisieren Kreativität, das Gewehr steht für Widerstand und der Olivenzweig und die weiße Taube für Frieden. Der Schlüssel steht als Symbol für den Kampf der Palästinenserinnen für das Recht auf Rückkehr der Flüchtlinge.*