Briefing

PI-Rundbrief | Nr. 20 | Islamophobie und radikale Hindus

Während sich die Parlamentswahlen in Indien ihrem Ende nähern, nimmt die islamfeindliche Rhetorik der BJP noch weiter zu.
Im 20. Rundbrief der Progressiven Internationale im Jahr 2024 werfen wir einen Blick auf die laufenden Wahlen in Indien. Dort gerät ein hasserfüllter Wahlkampf außer Kontrolle. Wenn Du unser Briefing in Deinem Posteingang erhalten möchtest, kannst Du Dich über das Formular am Ende dieser Seite anmelden.

Die sechswöchigen Parlamentswahlen in Indien laufen nun schon seit vier Wochen. In fast 70 Prozent der 543 Wahlkreise des Landes wurde bereits gewählt. Die Endergebnisse für alle Parlamentssitze sollen am 4. Juni bekannt gegeben werden.

Bislang war es die wohl hässlichste Wahl seit der indischen Unabhängigkeit: Die regierende Bharatiya Janata Party (BJP) versucht mit ihrer offenen Propagierung einer Hindu-Vorherrschaft die 170 Millionen muslimischen Bürger*innen Indiens zu diskriminieren und auszugrenzen. Schon die vergangenen Monate und Jahre hatte die BJP damit verbracht, kritische Medien und die politische Opposition zu unterdrücken, um ihr grundlegend antidemokratisches und explizit diskriminierendes Projekt voranzutreiben.

Premierminister Narendra Modi hat den Ton angegeben, indem er die muslimische Bevölkerung Indiens als “Eindringlinge” bezeichnete, die “viele Kinder” bekommen und die Ressourcen und Sozialleistungen des Landes regelrecht verschlingen würden. In einer anderen Rede beschuldigte er die politische Opposition, einen “Wahl-Dschihad” anzuzetteln und voranzutreiben. BJP-Führer*innen und Social-Media-Accounts predigen offenen Hass gegen religiöse Minderheiten.

Am vergangenen Mittwoch riet BJP-Mitglied Yogi Adityanath, der Chief Minister von Uttar Pradesh (Indiens bevölkerungsreichstem Bundesstaat mit über 240 Millionen Einwohner*innen), der muslimischen Bevölkerung, “nach Pakistan zu gehen und dort zu betteln”. Sie sollten “nicht länger eine Last für Indien” sein. Eine solche Rhetorik ist nicht nur gefährlich und spaltend in einem Land mit seiner langen Geschichte interreligiöser Gewalt - sie verstößt auch gegen indisches Recht.

Denn der sogenannte Representation of the People Act verbietet es Kandidat*innen, “auf Basis [...] der Religionszugehörigkeit” für Wähler*innen zu werben. Bei Verstößen können Personen für bis zu sechs Jahre von der Kandidatur ausgeschlossen werden. Das Gesetz sieht außerdem eine dreijährige Gefängnisstrafe für Kandidat*innen vor, die “aus religiösen Gründen [...] Gefühle der Feindschaft oder des Hasses schüren”. Die indische Wahlkommission hat allerdings keine einzige Strafmaßnahme gegen die BJP oder ihre Parteichefs ergriffen.

Angestachelt von Modis Reden hat die Polizei in Uttar Pradesh im Wahlbezirk Sambhal mehrere Muslime an der Stimmabgabe gehindert. Muslimische Menschen wurden verprügelt, gedemütigt und nach Hause zurückgeschickt. Ihre Wahlscheine wurden von der Polizei entweder konfisziert oder direkt vor Ort zerrissen.

Im Rennen um mindestens drei Parlamentssitze haben sich Kandidat*innen anderer Parteien und Unabhängige bereits aus dem Wettbewerb zurückgezogen. Die Gewinner dieser Plätze im Parlament stehen somit bereits fest. Im Wahlkreis, in dem Innenminister Amit Shah kandidiert, sind 16 Kandidat*innen ausgestiegen. Einige von ihnen behaupteten, ihre Entscheidung sei unter Zwang und auf Druck der BJP getroffen worden. “Es ist durchaus möglich, dass ich getötet werden würde,” sagte ein Ex-Kandidat in einem Video. Er rief seine Landsleute auf: “Rettet diese Nation. Sie ist in Gefahr.”

Shah wirbt mit radikaler Islamophobie für die Wiederwahl seiner Partei. Seine Reden würzt er ähnlich wie Modi mit Verweisen auf Muslime als “Eindringlinge”. Ein Kreuz für die Opposition bei der Wahl sei “ein Kreuz für den Dschihad”.

Dies sind keine rhetorischen Ausrutscher, sondern die Kernbotschaft der BJP. Erst vergangene Woche hat der Chief Minister von Uttarakhand, Pushkar Singh Dhami, behauptet, die Oppositionsparteien im Kongress wollten “die Scharia im Land einführen und den Muslimen Privilegien einräumen. Sie werden die Hälfte des Reichtums der Hindus wegnehmen und unter den Muslimen verteilen.” Natürlich gibt es im indischen Nationalkongress keinerlei derartige Vorschläge.

Obwohl Modi explizite Islamfeindlichkeit als Wahlkampf- und Regierungsstrategie einsetzt, wird er immer noch von führenden Politiker*innen in der ganzen Welt begrüßt und gefeiert. So war er beispielsweise Gast von US-Präsident Joe Biden bei einem Staatsbankett und beim französischen Präsidenten Emmanuel Macron als Ehrengast beim Nationalfeiertag am 14. Juli zugegen.

In Indien kämpfen progressive Kräfte um den Erhalt der säkularen Demokratie des Landes. Eine Allianz sozialer Bewegungen aus dem ganzen Land hat die Wahlkommissionen aufgefordert, “Rückgrat zu zeigen oder zurückzutreten”. Diese Gremien müssen Hate Speech bekämpfen und Wahlmanipulationen verhindern, so die Forderung.

Die Beobachtungsmission der Progressiven Internationale ist weiterhin vor Ort und wird über die Entwicklungen bei den Wahlen in Indien berichten.

Das Neueste aus der Bewegung

Tag der Nakba

Die Nakba hat nie geendet. Die Katastrophe, die dem palästinensischen Volk durch die zionistischen Milizen und den britischen Imperialismus vor 76 Jahren widerfahren ist, dauert seitdem Tag für Tag an. Um zu verstehen, wie es dazu kam und warum die Nakba nie endete, empfehlen wir dieses Video von PI-Ratsmitglied Yara Hawari, das kurz vor dem 7. Oktober 2023 veröffentlicht wurde.

Heute verschärft sich die Nakba; Israel weitet seine barbarischen Angriffe auf Rafah aus. Die Vereinten Nationen haben mitgeteilt, es sei nun “nahezu unmöglich”, Hilfsgüter zu liefern, da alle Grenzübergänge zum Gazastreifen “geschlossen, unsicher oder logistisch nicht praktikabel” seien. Da Israel sogar lebensrettende Hilfe verweigert, sind nun auch viele frühere Skeptiker*innen davon überzeugt, dass Israel einen Völkermord begeht. In einem Artikel für das New York Review of Books schrieb beispielsweise Aryeh Neier, der Mitbegründer von Human Rights Watch: “Ich bin mittlerweile der Ansicht, dass Israel einen Genozid an den Palästinenserinnen und Palästinensern in Gaza begeht.”

Dieser Völkermord ruft nach wie vor Aktionen auf der ganzen Welt hervor. Am Nakba-Tag, dem 15. Mai, schlugen Aktivist*innen Alarm, als sie erfuhren, dass die Borkum, ein militärisches Frachtschiff mit Ziel Israel, im spanischen Hafen von Cartagena einlaufen sollte. Spaniens progressive Kräfte und Verbündete auf der ganzen Welt erinnerten Ministerpräsident Pedro Sánchez, er müsse internationales Recht einhalten und die Durchfahrt verhindern - ansonsten mache er sich mitschuldig am Genozid am palästinensischen Volk. Die spanische Regierung hat daraufhin behauptet, das Schiff sei nicht auf dem Weg in die israelische Hafenstadt Aschdod, sondern ihre Fracht unterwegs mit dem Ziel Tschechische Republik. Da Tschechien allerdings ein wichtiger Waffenexporteur für das israelische Regime ist, forderten die Aktivist*innen die Zusicherung, dass die Waffen später nicht weiter nach Israel geliefert werden.

In Berlin haben Tech-Angestellte beim Amazon Web Services (AWS) Summit gegen Amazons Project Nimbus protestiert - einen 1,2 Milliarden Dollar schweren Vertrag mit dem israelischen Militär. Die Arbeiter*innen fordern, AWS müsse das Projekt sofort einstellen.

Wie die USA den Krieg privatisierten

Die Art der Kriegsführung ändert sich. Künstliche Intelligenz wird eingesetzt, um Familien in Gaza zu bombardieren. Drohnen werden genutzt, um Geflüchtete an der amerikanisch-mexikanischen Grenze aufzuspüren. Aber die größte Veränderung ist die, über die wir am wenigsten sprechen: die Privatisierung des Krieges. Vom Jemen bis zum Sudan, von Syrien bis Nigeria kämpfen heute Zehntausende Söldner*innen und Auftragskiller im Auftrag anderer Staaten.

In Episode 7 von The International, der gemeinsamen Videoreihe von Jacobin und der Progressiven Internationale, erklärt Rania Khalek, wie es dazu kam. Es geht unter anderem um die Geschichte der berüchtigten US-Firma Blackwater und den Aufstieg der geheimen Söldnerarmeen, die die moderne Kriegsführung immer undurchsichtiger und verdeckter gemacht haben. Die Episode gibt es hier.

Als Philadelphia sich selbst bombardierte

Vor 39 Jahren ließ die Polizei der US-amerikanischen Stadt Philadelphia absichtlich C-4-Plastiksprengstoff in einer Häuserreihe in der Osage Avenue explodieren. Dabei wurden elf Menschen getötet. In den 1980er Jahren unterstützten die USA “verdeckte” paramilitärische Operationen in ganz Lateinamerika. Dies war Teil der Bemühungen der Reagan-Regierung, diejenigen zu unterdrücken, die es wagten, die Fesseln des Imperialismus sprengen zu wollen. Wie der Bombenanschlag in Philadelphia zeigt, war die militarisierte Brutalität auch im eigenen Land zu spüren, und zwar in Form rassistisch motivierter staatlicher Gewalt. Mehr Informationen zu diesem schockierenden Tag gibt es in unserem On This Day Post hier.

Kunst: Varunika Saraf ist eine in Hyderabad lebende Künstlerin und Kunsthistorikerin. Das gezeigte Bild ist ein Detail von Vikas Band & Co., einem fast zwei Meter breiten Aquarell auf Wasli, einem Material, das im 10. Jahrhundert in Indien entwickelt wurde.

Sarafs großformatige Gemälde stützen sich auf archivarische Quellen, um die Vorgeschichte zeitgenössischer politischer und sozialer Themen durch eine “Entführung” oder auch “Aneignung” der Tradition kritisch zu analysieren. Für ihre Kunstwerke in der Serie Caput Mortuum ließ sich Saraf von Griselda Pollocks Arbeit inspirieren, die erklärt, dass die Erinnerung “die Gegenwart aufrüttelt, um uns vor anhaltenden Bedrohungen zu warnen, nicht nur Völkermord, sondern auch eine experimentelle Ausarbeitung eines Systems totaler Herrschaft und systemischer Entmenschlichung”.

In Sarafs eigenen Worten: “Die Ereignisse, die auf der Oberfläche jedes Gemäldes eingeschrieben sind, dokumentieren die außergewöhnlichen Kämpfe, denen die Menschen ausgesetzt sind, und zeugen von einem Leben ohne Macht, ohne eigenes politisches Handeln, ohne Lobby.”

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Date
17.05.2024
BriefingDemokratie
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