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Die rückläufigen Wassermassen rund um Nairobi haben zerstörte Häuser, beschädigte Infrastrukturen und vernichtete Lebensgrundlagen zutage gefördert und damit die prekäre sozialökonomische Lage verschärft - insbesondere in den inoffiziellen Siedlungen Mathare, Mukuru, Kibera und Dandora, wo die Überschwemmungen am schlimmsten waren. Bei den Überflutungen entlang des Mathare-Flusses kamen 40 Bewohner ums Leben, und Hunderte von ihnen sind für Lebensmittel, Wasser und Notunterkünfte nach wie vor auf die Hilfe von Freiwilligen vor Ort angewiesen. Obwohl solche extreme Wetterereignisse immer häufiger auftreten, ist die kenianische Regierung ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen, die vorhersehbaren Schäden von Klimakatastrophen zu verhindern und die am stärksten ausgegrenzten und gefährdeten Bevölkerungsgruppen zu schützen, darunter Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen und Arme.
Diese Erklärung wird in Solidarität mit den Organisatoren und Aktivisten des Mathare Social Justice Centre (MSJC) und des Ecological Justice Network veröffentlicht, die den Kampf für Gerechtigkeit für diejenigen anführen, die von der Regierung im Stich gelassen wurden, da sich der Staat nicht auf die Klimakatastrophe vorbereitet hat und auch keine Katastrophenhilfe und Unterstützung leistet. Seit Beginn der Überschwemmungen haben das MSJC und andere Gemeinschaftsgruppen schnell und effektiv auf die Bedürfnisse der Menschen reagiert - sie haben Lebensmittel und medizinische Hilfe bereitgestellt, den Opfern bei der Suche nach Unterkünften geholfen, vermisste Personen ausfindig gemacht und dringend benötigte Geldtransfers in die Wege geleitet. Das MSJC hat sich auch in der Gemeinschaft dafür starkgemacht, die Landesregierung - die United Democratic Alliance (UDA) - für die Unmenschlichkeit gegenüber dem kenianischen Volk und dessen Demütigung in den letzten zwei Monaten zu verurteilen.
Die Ankündigung der Regierung, keine Hilfe und Unterstützung zu leisten und stattdessen die Häuser und Lebensgrundlagen der von den Überschwemmungen betroffenen Menschen in den Siedlungen abzureißen, ist ein klarer Angriff auf die Armen und ein Missmanagement der Krise. Die Entscheidung, die Flutopfer ohne Pläne für eine Umsiedlung oder Landzuteilung ihrem Schicksal zu überlassen, stellt einen direkten Verstoß gegen Artikel 43 der kenianischen Verfassung dar, der den Bürger*innen das Recht auf angemessenen Wohnraum, Nahrung, den höchstmöglichen Standard bei der Gesundheitsversorgung und das Recht auf sauberes und leicht zugängliches Wasser zuspricht. Es ist die Pflicht der kenianischen Regierung, die betroffenen Gemeinden zu unterstützen und die gefährdete Bevölkerung zu schützen.
Die Geschichte von Mathare ist eine Geschichte des antikolonialen Kampfes. Mathare, der zweitgrößte Slum in Nairobi, besteht aus 13 Gemeinschaften und ist durch die Landflucht, die durch koloniale Landnahme, kapitalistische Vertreibungen und die anhaltende Ausbeutung der Produktionsverhältnisse in Kenia ausgelöst wurde, auf fast 500.000 Einwohner angewachsen. Als Kenia 1920 zum britischen Protektorat erklärt wurde, entwickelte sich Mathare zur städtischen Hochburg gegen die Unterdrückung durch den Kolonialismus. Die Menschen in Mathare verstanden die Zusammenhänge zwischen dem Kampf um Land und Freiheit auf dem Land und in der Stadt, und das Gebiet wurde - weit weg von der Überwachung durch die Kolonialbehörden - zum Epizentrum der Kämpfer der Kenya Land and Freedom Army (KLFA) und der nationalistischen Unabhängigkeitsbewegung. Das Gebiet wurde zum Knotenpunkt zwischen den Kämpfern in Waldgebieten, der KLFA und den verschiedenen Gewerkschaften und anderen Gruppen, die sich für das Ende des Kolonialismus einsetzten - ein Ort, an dem politisches Bewusstsein gefördert und Strategien für den Kampf um die Unabhängigkeit entwickelt wurden.
Nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft im Jahr 1963 spielte Mathare im Kampf gegen die Unterdrückung durch die postkolonialen Regimes weiterhin eine entscheidende Rolle. Heute ist diese Gemeinschaft das Epizentrum des Widerstands gegen den Imperialismus und ein Hoffnungsträger für die Befreiung und Gerechtigkeit in Kenia.
Seit 2015 arbeitet das MSJC mit der Gemeinschaft zusammen, um die soziale Gerechtigkeit zu fördern. Mathare hat jahrzehntelang unter verschiedenen Formen von struktureller Gewalt gelitten, die auf der marktorientierten Entwicklungspolitik Kenias gründet. Zu diesen Formen der Gewalt gehören Landraub und Zwangsräumungen, polizeiliche Übergriffe und extralegale Hinrichtungen, politische Straffreiheit und andere sozialökonomische und psychologische Missbräuche. Frühere Forschungen legen nahe, dass die politische Ökonomie der zivilgesellschaftlichen Akteure - sowie ihre Abkopplung von den Problemen und Ungerechtigkeiten in der breiten Bevölkerung - diese Formen des strukturellen Leids entpolitisiert und keineswegs zu lösen gedenkt. Die jüngsten Versäumnisse der Zivilgesellschaft, um Tod und Zerstörung durch vorhersehbare Überschwemmungsrisiken zu verhindern und den Bedürfnissen der Gemeinschaften nach angemessenem Wohnraum und Klimaresilienz gerecht zu werden, sind ein weiterer Beweis für diese Vermutung. Die Organisationen leisten wichtige Arbeit an der Basis, um auf die organischen Bedürfnisse und Forderungen der Gemeinschaft, die immer wieder auf taube Ohren stoßen, zu reagieren. Angesichts der Kürzungen in den staatlichen Ausgaben für Grundleistungen und der Vermarktung der Zivilgesellschaft arbeiten die Akteure in Mathare eng mit Gemeindemitgliedern und einem landesweiten Netzwerk von Verfechtern sozialer Gerechtigkeit zusammen, um sich gegen die strukturelle Gewalt der kapitalistischen Interventionen zu wehren, gemeinsam Lösungen für soziale Kämpfe zu erarbeiten und den sozialen Wandel voranzutreiben.
Seit ihrer Gründung haben sich die Mitarbeiter und Freiwilligen des MSJC an zahlreichen Initiativen beteiligt, deren Ziel es ist, die soziale Gerechtigkeit und eine Gesellschaft ohne Menschenrechtsverletzungen mittels engagierter Gemeinden und sozialen Bewegungen zu fördern. Zu den laufenden Kampagnen, die alle auf partizipativer Aktionsforschung beruhen, gehören Kunst für den sozialen Wandel, reproduktive Gerechtigkeit, politische Verantwortlichkeit und Bildung sowie ökologische Gerechtigkeit.
In Anbetracht der dringenden Notwendigkeit, nachhaltige Lebensgrundlagen zu schaffen, hat das MSJC im Januar eine Initiative ins Leben gerufen, die sich zur Förderung der ökologischen Gerechtigkeit auf den Umweltschutz konzentriert. Die Kampagne „Lasst die Flüsse fließen“ zielte darauf ab, die Gemeinschaft durch Aufklärung zu sensibilisieren, die Interessenvertretung zu stärken und die Politik in Bezug auf sauberes und sicheres Trinkwasser sowie die Umgestaltung, Sanierung und Erhaltung des Mathare-Flusstals zu beeinflussen. Zur Feier dieser Bemühungen, des Erfolgs der Kampagne und der Einrichtung von Gemeinschaftsparks entlang des Flusses, organisierten das MSJC und Partnergruppen Anfang dieses Jahres das Flussfestival. Während der Veranstaltung bekräftigten die Organisatoren der Kampagne ihr Ziel, illegale Slums in umweltbewusste, widerstandsfähige und nachhaltige Gemeinschaften umzuwandeln; doch strukturelle Gewalt und globale Klimaungerechtigkeiten untergraben weiterhin ihre Forderungen und Aktionen für eine bessere Zukunft.
Die strukturelle Gewalt des Kapitalismus, gegen die das MSJC kämpft, ist kein unbeabsichtigtes Nebenprodukt der wirtschaftlichen Entwicklung Kenias; sie ist ein untrennbarer interner Mechanismus, der dem Kapital hilft, seine unersättlichen Reproduktionsbedürfnisse in seinem Streben nach konsolidierter Macht und Dominanz zu befriedigen. Das Leben in den Siedlungen von Nairobi hat zu sozialen Konflikten geführt, die ihre Wurzeln im Kolonialismus und in der Klassenpolitik haben. Das MSJC steht im Kampf gegen diese unterdrückenden Kräfte und Strukturen im Mittelpunkt, von wo es eine Bewegung für einen radikalen Wandel hin zu einer gerechten und gleichberechtigten Zukunft Kenias anführt.
Am Morgen des 8. Mai schlossen sich Mitglieder der Mathare-Gemeinde zusammen, um ihr Recht auf menschenwürdiges Wohnen und ein menschenwürdiges Leben zu verteidigen. Dies war die Reaktion der Gemeinschaft auf die kenianischen Behörden, die am Vortag damit begonnen hatten, die von den Überschwemmungen betroffenen Häuser mit Bulldozern zu zerstören und die aus Eisenblech bestehenden Wände einzureißen, während die Menschen verzweifelt und hilflos zusahen. Trotz öffentlicher Versprechungen von Präsident William Ruto hatte die Regierung den Betrag von 10.000 kenianischen Schilling (USD 75) an diejenigen, die aufgefordert wurden, ihre Häuser an Fluss- und Dammufern aufzugeben, nie ausbezahlt. Das Versäumnis der Regierung, den Bewohnern Hilfe und Unterstützung zukommen zu lassen, veranlasste das MSJC und das Ecological Justice Network, direkte Aktionen zu organisieren. In einer vor der Demonstration veröffentlichten Erklärung schrieben die Organisatoren des MSJC, dass die Regierung unter dem Vorwand, „die Armen vor der Natur zu retten“, die Lebensgrundlage zahlloser Kenianer durch den illegalen Abriss ihrer Siedlungen und ohne angemessene Unterstützung bei der Umsiedlung zerstört hat.
Die Demonstration am 8. Mai begann an der Juja Road und verlief entlang der Mau Mau Road, wo die kenianische Polizei mit tyrannischer Gewalt gegen die Demonstranten vorging, Tränengas einsetzte und Aktivisten und Gemeindemitglieder gewaltsam auseinandertrieb. Nach der Kundgebung und einer Presseerklärung im Mathare Community Park führte die General Service Unit (GSU) - ein paramilitärischer Flügel der kenianischen Polizei - eine Razzia in den Büros des MSJC und der Ghetto Foundation durch und verhaftete 26 Mitarbeiter wegen angeblicher Aufwiegelung. Einzelheiten über die angebliche Aufwiegelung wurden nicht bekannt gegeben. Mitglieder der Kenyan Social Justice Centres Working Group und des Social Justice Travelling Theatre gehörten zu denjenigen, die zu Unrecht verhaftet und auf der Polizeistation von Pangani festgehalten wurden. Unter den Verhafteten war auch der nationale Schatzmeister der Kommunistischen Partei Kenias, Wahome Waringa. Nach 24 Stunden wurden alle Verhafteten wieder freigelassen, und die Staatsanwaltschaft lehnte es ab, die grausamen Anklagen zu akzeptieren.
Diese systematische Anwendung roher Gewalt wird immer wieder und auf der ganzen Welt beobachtet und erlebt - zuletzt gegen friedliche Studenten, die in den USA für einen Waffenstillstand im Gazastreifen protestierten, gegen Gewerkschafter aus der Bekleidungsindustrie in Bangladesch, gegen pro-palästinensische Demonstranten in den Straßen Deutschlands und gegen demokratische und antiimperialistische Aktivisten in Senegal.
Die jüngsten Überschwemmungen in Mathare und in ganz Kenia erfordern ein Umdenken in Bezug auf die kapitalistische Reaktion auf die Klimakrise. Die Aufgabe der Polizei ist es, das Kapital zu schützen und den Interessen der herrschenden Klasse zu dienen. Die demokratischen Freiheiten unschuldiger kenianischer Gemeindemitglieder werden mit Füßen getreten, und das muss durch beharrlichen Widerstand gestoppt werden. Es ist kein Verbrechen, eine Demonstration gegen unrechtmäßige und verwerfliche Entscheidungen und Maßnahmen der Regierung zu organisieren - es ist ein unbestreitbares Recht, das in der kenianischen Verfassung verankert ist.
In Mathare und anderen Siedlungen in Nairobi geht der Kampf um angemessene Hilfeleistung, Unterstützung und Klimagerechtigkeit weiter. Ein Großteil des verfügbaren Wassers ist verseucht, und internationale humanitäre Organisationen haben davor gewarnt, dass durch Wasser und Mücken übertragene Krankheiten wie Cholera und Malaria bereits ein großes Problem darstellen. Die Straßen in den Siedlungen sind von den wenigen Habseligkeiten ihrer Einwohner gesäumt, schlammig und von den anhaltenden Regenfällen beschädigt. In der Zwischenzeit handelt die Regierung nur langsam und unzureichend, und trotz der Warnungen der Wetterdienste, die weitere instabile und extreme Wetterbedingungen vorhersagen, kommen die Vorbereitungen zur Verhinderung künftiger Katastrophen nur schleppend voran.
Was braucht es, um ein ungerechtes System zu besiegen und den Menschen in Mathare, Mukuru, Kibera und anderen Siedlungen in Kenia Würde und Gerechtigkeit zu verschaffen? Ein organisierter Kampf, der die Wahrheit und Transparenz ans Licht der Öffentlichkeit zieht und es dem Staat unmöglich macht, sich weiterhin seiner Verantwortung zu entziehen. Dieser Kampf, der nur mit einer Führung von der Basis möglich ist, braucht unsere Unterstützung. Die Worte, Arbeit und Aktionen des MSJC bieten wertvolle Lektionen, aus denen Organisatoren lernen können, wie man Menschenrechte organisch verteidigt und soziale Gerechtigkeit kollektiv fördert.
Wir sind solidarisch mit den Menschen in Mathare und allen Bewohnern solcher Siedlungen, die von der unmenschlichen und unwürdigen Handhabung der Klimakrise durch die kenianische Regierung, den Überschwemmungen und der vorsätzlichen Vertreibung Tausender Bewohner betroffen sind.
Wir stehen den Mitarbeitern des MSJC und des Environmental Justice Network in ihren Bemühungen zur Seite, die kenianische Regierung zur Rechenschaft zu ziehen und den Widerstand gegen die grausame Art und Weise zu organisieren, mit der der Staat auf die jüngsten Überschwemmungen, Verwüstungen und den Verlust von Menschenleben reagiert hat. Wir sind solidarisch mit denjenigen, die zu Unrecht schikaniert und verhaftet wurden, während sie ihr demokratisches Recht ausübten, sich zu organisieren und gegen den Versuch der herrschenden Klasse zu demonstrieren, die Kosten der Umweltkrise den Armen in den Städten und den am meisten ausgegrenzten Menschen in Kenia aufzubürden.
Updates, weitere Informationen und um zu erfahren, wie Sie den Kampf für ökologische Gerechtigkeit in Kenia unterstützen können, finden Sie auf der Webseite des Mathare Social Justice Centre.
Zachary J. Patterson ist ein unabhängiger Forscher, Aktivist und Mitarbeiter von roape.net. Er schreibt über Kenia, NROs, sozialistische Politik und Bewegungen auf dem afrikanischen Kontinent. Außerdem arbeitet er im Bereich Kunst und revolutionäre Politik und wirkt beim Indianapolis Liberation Center in der Organisation mit.
Photo: ROAPE