Colonialism

Israel nimmt weiteren großen Schritt in Richtung Annexion des Westjordanlandes

Mit dem massiven Siedlungsausbau Israels im Westjordanland wird palästinensisches Land annektiert, was zu Zerstörungen und zunehmender Gewalt durch die Siedler führt.
Die Entscheidung Israels, 22 neue Siedlungen im Westjordanland zu errichten, wurde in den Medien als unspektakuläre Nachricht abgetan. Dahinter verbirgt sich jedoch einer von zahlreichen Schritten, um die israelische Kontrolle des besetzten Gebiets zu festigen.

Die Entscheidung der israelischen Regierung im Mai, 22 neue Siedlungen im Westjordanland zu errichten, wurde in den meisten Mainstream-Medien als banale Nachricht abgetan. Obwohl Länder wie Großbritannien, Finnland und einige arabischen Staaten dieses Verhalten öffentlich verurteilten, hatte die Entscheidung trotz europäischer Drohungen, Sanktionen zu verhängen, keinerlei praktische Konsequenzen für Israel.

Andererseits wurde der Entschluss in der israelischen Politik als alles andere als gewöhnlich angesehen und mit großer Freude aufgenommen. Das israelische Verteidigungsministerium bezeichnete ihn als eine „historische Entscheidung“. Der Verteidigungsminister Israel Katz fügte hinzu, dass die Entscheidung „Israels Kontrolle über Judäa und Samaria stärkt“, wie Israel das besetzte Westjordanland nennt. Israels extremistischer Finanzminister Bezalel Smotrich feierte den Schritt als „einen großen Tag für die Siedlungsbewegung und einen wichtigen Tag für den Staat Israel“.

Die Freude Israels ist verständlich. Es handelt sich hier schließlich um eine der bedeutendsten Entscheidungen zur Siedlungsausweitung seit Jahrzehnten. Damit wurde gleichzeitig der Wiederaufbau von Siedlungen gebilligt, die 2005 geräumt worden waren und bereits bestehende Außenposten legalisiert, die nach israelischem Recht bislang rechtswidrig waren. Darüber hinaus wurde der Bau weiterer Siedlungen genehmigt.

Die geografische Aufteilung dieses geplanten Siedlungsnetzes, von dem einige Siedlungen bereits existieren, dient dazu, Israels Einflussnahme auf das Westjordanland noch allumfassender zu gestalten. Das weitläufige Netz umfasst vier Siedlungen in der Gegend von Ramallah im zentralen Westjordanland, vier in Jenin im Norden, vier weitere in Hebron im Süden, zwei in Nablus im mittleren Norden, eine in Salfit im Nordosten, drei in Jericho im südlichen Jordantal, drei weitere im Jordantal selbst und eine in Ost-Jerusalem. 

Kurz gesagt, es ist eine Annexion, die nur nicht so genannt wird.

Die Entscheidung folgt nach Jahren früherer Schritte mit diesem Ziel. Deswegen ist in den letzten Monaten die Situation auch dramatisch eskaliert. 

Die Genehmigung von 22 neuen Siedlungen im vergangenen Mai sollte insbesondere als eine Folgemaßnahme zu einem früheren Beschluss des ehemaligen israelischen Verteidigungsministers Yoav Gallant vor genau einem Jahr gesehen werden, die das israelische Entflechtungsgesetz von 2005 aufhob und zur Auflösung von vier Siedlungen im Gebiet von Jenin im nördlichen Westjordanland sowie zur Evakuierung israelischer Siedlungen im Gazastreifen führte. Die vier damals aufgelösten Jenin-Siedlungen sind Teil der neu genehmigten 22 Siedlungen.

Mehr als ein Jahr in der Entwicklung

Anfang April kündigte Israel eine Reihe neuer Siedlungsinfrastrukturprojekte im gesamten Westjordanland an, wodurch das Gebiet im Wesentlichen in zwei Teile aufgeteilt wird. Die Projekte legten den Grundstein für den Ausbau der israelischen Siedlungsaußenposten nach ihrer erwarteten Legalisierung. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der vollständigen Trennung des palästinensischen vom israelischen Siedlerverkehrs, indem neue Straßen für Palästinenser gebaut wurden, die von israelischer Beschlagnahmung bedrohte Gebiete umgehen würden, insbesondere im Jerusalemer Gebiet E1. Dies würde weite Teile des Landes im Westjordanland für palästinensische Fahrzeuge unzugänglich machen und dadurch würde es für Bewohner*innen palästinensischer Gemeinden in der Region, wie Khan al-Ahmar, praktisch unmöglich machen, ihre Häuser mit dem Auto zu erreichen.

Darüber hinaus beschloss die israelische Regierung Anfang letzten Monats, das Verfahren zur Registrierung von Grundbesitz in der Zone C freizugeben, das Israel bei seiner Besetzung des Westjordanlandes im Jahr 1967 eingefroren hatte. Durch die Entscheidung würden die Besitzurkunden aberkannt werden, die von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) in der Zone C ausgestellt worden sind. Diese Zone macht im Rahmen des Oslo-Abkommens über 60 Prozent des Westjordanlandes aus, in der die PA keine institutionelle Präsenz hat. Dieser Schritt Israels würde Gebiete des Westjordanlandes als Teil des „eigentlichen Israels“ behandeln, indem er die Registrierung von Besitzurkunden bei israelischen zivilen Regierungsinstitutionen ermöglicht. Die Tür wäre jetzt offen, um palästinensisches öffentliches Land oder Grundstücke, deren Registrierungsprozess am Vorabend der Besetzung des Westjordanlandes im Jahr 1967 noch nicht abgeschlossen war, in israelisches Staatsland umzuwandeln.

Wiederum, kurz gesagt, eine Annexion, die nur nicht so genannt wird. 

Kontext: Großangriff auf das Westjordanland

Diesen Beschlüssen folgte eine Eskalation der Zerstörung palästinensischen Eigentums im Westjordanland und zunehmende Gewalt der Siedler vor Ort. Laut Daten, die vom UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) erhoben wurden, zerstörte Israel allein im Jahr 2024 1.768 palästinensische Infrastrukturen, was einen Höhepunkt bei der Zerstörung im Westjordanland seit 2009 darstellt.

Laut OCHA waren 43,1 Prozent dieser abgerissenen Immobilien bewohnte Häuser, 26,4 Prozent landwirtschaftliche Strukturen und 12,9 Prozent andere Arten von Existenzgrundlagen. Durch die Zerstörungen wurden 4.265 Palästinenser*innen obdachlos und über 165.000 Menschen waren davon betroffen. Seit Anfang 2025 hat Israel bereits 819 palästinensische Immobilien im Westjordanland zerstört.

Wenige Tage vor der Entscheidung der israelischen Regierung starteten israelische Siedler ebenfalls eine weitere Welle gewaltsamer Angriffe auf palästinensische Dörfer. Siedler setzten im Dorf Mughayyer Ackerland in Brand, fackelten eine Bauernhütte in der Stadt Turmusayya ab, blockierten den Dorfeingang von Sinjil und führten die ethnische Säuberung und vollständigen Zerstörung von Generationen alten Beduinengemeinschaften an, zuletzt die Bewohner von Mughayyir al-Deir – alles im östlichen Umland von Ramallah.

Diese Kombination aus staatlichen und nichtstaatlichen Handlungen Israels weist in eine Richtung: die Zerstörung der Lebensgrundlagen der palästinensischen Bevölkerung und deren Auswechselung durch israelische Siedlungen.

Während Israel seinen endlosen Angriff auf Gaza in die Länge zieht, werden Schritte vorangetrieben, den andauernden Krieg auszunutzen, um das Kolonisierungsprojekt für palästinensisches Land im Westjordanland voranzutreiben. Und man bemüht sich, schnellstmöglich Smotrichs Versprechen zu erfüllen, dass 2025 „das Jahr der Auferlegung der israelischen Souveränität“ im Westjordanland sein wird.

Available in
EnglishSpanishPortuguese (Brazil)GermanFrenchItalian (Standard)ArabicRussianChinese (PRC)
Author
Qassam Muaddi
Translators
Fabienne Nyffenegger, Nathalie Guizilin and Open Language Initiative
Date
19.06.2025
Source
MondoweissOriginal article🔗
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