Die Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS) feierte im September dieses Jahres ihr 100-jähriges Bestehen.
Es ist bekannt, dass sich die RSS von faschistischen Bewegungen im Europa der Vorkriegszeit inspirieren ließ. Der RSS-Ideologe MS Golwalkar bewunderte Nazi-Deutschland dafür, dass es „die Welt durch die Säuberung des Landes von semitischen Rassen schockiert hatte“, „um die Reinheit der Rasse und ihrer Kultur zu bewahren“. Die RSS-Bewegung übernahm auch die militärischen Ausbildungsformen und -methoden des italienischen Faschismus.
Nicht genug ist jedoch darüber bekannt, wie sehr die RSS und die breitere Hindu-Nationalismus-Bewegung dem britischen Kolonialismus verpflichtet sind, insbesondere hinsichtlich ihrer begeisterten Übernahme der von den britischen Kolonialisten konstruierten Geschichte Indiens. In ihr wird die Religion als treibende Kraft dargestellt und die indische Geschichte basiert demnach ausschließlich auf dem Konflikt zwischen Hindus und Muslimen. Das Wissenssystem zum Thema Indien, indische Geschichte und indische Identität, das die Briten zur Förderung ihrer kolonialen Interessen geschaffen haben, ist als „übertragbare Weisheit” in der indischen Wissenschaft, in Geschichtsbüchern sowie in der populären Literatur und Kultur mehr oder weniger unverändert geblieben. Dieser Beitrag versucht aufzuzeigen, wie die westliche Geschichtsschreibung über Indien immer noch unser Wissen über die Vergangenheit verzerrt und wie sie weiterhin die Mobilisierung von Angst, Hass und Stolz durch die Hindu-Nationalisten steuert – mit schwerwiegenden Folgen für das heutige Indien. Wenn wir uns nicht von diesen orientalistischen Fesseln befreien, wird es unmöglich sein, den Majoritarismus in Frage zu stellen.
VD Savarkar, der bedeutendste Ideologe des hinduistischen Nationalismus, glaubte, dass Indien aufgrund seines hinduistischen Gedankenguts etwas Besonderes sei und dass Hindutva, also das Hindu-Sein, Indien eine klare Identität verlieh. Die wichtigsten Merkmale dieser Identität seien, so Savarkar, ihre Heiligtümer: Aryavarta, wie es in den Veden definiert ist; die Rasse der Hindus, Nachkommen vedischer Väter, die seit Urzeiten Bharat bewohnten; und die Sprache Sanskrit, die beste aller Sprachen und neben Hindi eine Säule der hinduistischen Identität. Savarkar glaubte, dass die Vorherrschaft der Hindus in Indien durch die Anwesenheit von Nicht-Hindus bedroht sei.
Insbesondere Muslime, die Savarkar aufgrund ihres Panislamismus, ihrer aggressiven Haltung und ihrer besseren Organisation für überlegen hielt, könnten die Hindus ausmanövrieren, die „verweichlicht und in viele Kasten und Sekten gespalten“ seien. Unter anderem sind es diese Grundgedanken über Indien, Muslime und Hindus, die bis heute die Politik und Vorgehensweise der hinduistischen Nationalisten bestimmen.
In ihrer Vorstellung von Indien und ihrer Konstruktion eines Diskurses über Minderheiten, insbesondere über Muslime, folgten hindu-nationalistische Denker also lediglich dem Weg, den ausgerechnet koloniale Historiker mit ihrer Geschichtsschreibung Indiens vorgegeben hatten, als sie sich daran machten, diese riesige Kolonie zu verwalten.
Die Anfänge dieser Geschichtsschreibung liegen in den frühen Jahren der Kolonialherrschaft mit der Gründung von Fabriken in Kalkutta, Madras und Bombay. Parallel zur Eroberung von Territorien durch die Britische Ostindien-Kompanie erfolgte im Laufe des 18. Jahrhunderts die Aneignung von Texten und Wissen. Koloniale Persönlichkeiten sammelten, verarbeiteten und reproduzierten Wissen über Indien. So sollte ein Diskurs entstehen, der ihre Herrschaft legitimierte.
Zu den frühesten Vertretern dieser Entwicklung zählt Alexander Dow, Offizier der Bengalischen Infanterie, der die Geschichte Indiens (1768) verfasste, mit einer Fortsetzung unter dem Untertitel „Abhandlung über die Ursprünge und das Wesen des Despotismus in Indien“. William Jones, Richter am Obersten Gerichtshof von Kalkutta und Gründer der Asiatic Society of Bengal (1784), schuf die indische Chronologie von „fünftausend Jahren“ und den Diskurs über das Goldene Zeitalter Indiens, geprägt von Gewaltlosigkeit und Toleranz, vor der muslimischen Eroberung und dem darauf folgenden „Verfall“. Er postulierte außerdem die gemeinsamen Wurzeln von Sanskrit, Latein und Griechisch. Später zementierte James Mill in seiner „Geschichte Britisch-Indiens“ (1817) die Dreiteilung der indischen Geschichte in das vormuslimische und das muslimische Indien, wobei ersteres als urgeschichtlich, einheimisch und als das Goldene Zeitalter der Hindus angesehen wurde, während letzteres als fremd, dunkel und muslimisch galt.
Dies legte den Grundstein für die dritte Phase, das liberale Britisch-Indien, die Moderne. Henry Elliot, Sekretär der indischen Regierung im Außenministerium, schuf die Archivstudie „Mohammedan India“ (1853): Die Versinnbildlichung des dunklen Zeitalters war Ausdruck des kolonialen Verständnisses von Muslimen als fremden Eindringlingen, verkörpert durch Mahmud von Ghazni und das Leitmotiv seiner 17 Feldzüge nach Indien.
Die moderne Geschichtsschreibung ist heute dabei, diese Geschichte zu dekonstruieren. Der Historiker Manan Asifzeigt, wie in diesen Berichten von Verwaltungsbeamten und Gelehrten mehrere zentrale Argumente vorgebracht wurden, die dann das Fundament für das Wissen über Indien bildeten: dass die wahre Geschichte Indiens fünftausend Jahre lang sei; und dass der natürlichen Chronologie der alten hinduistischen Könige und der Sanskritsprache des Goldenen Zeitalters die Chronologie der ausländischen Invasoren des Mittelalters und ihre Verwüstungen gegenüberstehe, einschließlich der Eroberungen durch Mahmud bin Qasim (712 n. Chr.), Mahmud Ghazni (990 n. Chr.) und Babur (1526 n. Chr.).
In dieser Vorstellungswelt war festgelegt, dass Muslime in Indien Fremde und ihre einzige Beziehung zu den Einheimischen die des Despotentums sei. „Zwangsbekehrungen und Tempelzerstörungen belegten in diesen Darstellungen die Fremdheit der Muslime in Hindustan – die Außenseiter, die am besten durch die Mogulherrscher repräsentiert wurden, die fanatisch, lüstern und gewalttätig waren, während die hinduistische Bevölkerung lange unter ihrer Herrschaft leiden musste“, erklärt Asif. Mit dieser Darstellung Indiens legten die Kolonialisten den Grundstein für die Legitimierung der britischen Herrschaft als emanzipatorisches Projekt, um Indien vom Joch der muslimischen Fremden zu befreien.
In ihrer Geschichtsschreibung griffen Kolonialhistoriker auf Vorurteile zurück, die in der europäischen Vorstellung über den Islam und die Muslime bereits existierten. Muslime wurden als „bösartige Rasse“ verurteilt, wie es Papst Urban II. bei seinem Aufruf zum ersten Kreuzzug (1095 n. Chr.) formulierte, und die Geschichte der Muslime wurde als eine Geschichte der Gewalt und Eroberungen verstanden, verbildlicht durch das Motiv des islamischen Schwertes.
Nach dem Aufstand von 1857, für den die Briten vor allem die Muslime verantwortlich machten, verfestigten sich diese Vorurteile weiter. Kolonialhistoriker brachten oft ihre unverhohlene Islamfeindlichkeit zum Ausdruck, wie dieser Auszug von Alfred Lyall, ICS-Beamter und Vizegouverneur der Nordwestprovinzen, zeigt:
„Die Mohammedaner mit ihren ausgesprochen aggressiven Grundsätzen und ihrer despotischen Spiritualität müssen für uns immer eine Quelle der Unruhe sein, solange ihre theologischen Vorstellungen noch in diesem kompromisslosen und intoleranten Stadium sind, dass ihre erste Pflicht darin besteht, sich durchzusetzen und, wenn nötig, zu verfolgen.“
Es war diese Geschichte Indiens, die von der neuen Klasse der Inderinnen übernommen wurde. Die Produkte britischer Herrschaft und englischer Bildung verinnerlichten die darin enthaltenen Kernbotschaften. Alex Padamsee, Wissenschaftler für postkoloniale Literatur, zeigt, wie die britische Geschichtsschreibung dazu beitrug, nachfolgende indische Generationen „in einer binären Denkweise zu erziehen, die zunehmend anfällig für die Logik der religiös-ethnischen Teilung war”. Beispielhaft dafür waren die historischen Romane des 19. Jahrhunderts, etwa von Romesh Chander Dutt (Banga Vijeta) und Bankim Chandra Chatterjee (Anand Math*), die die Behauptungen kolonialer Historiker über die Fremdheit und Despotie der Muslime untermauerten.
Ähnliche Trends in der Entwicklung der Hindi-Literatur in Uttar Pradesh zu dieser Zeit trugen dazu bei, neben dem Erfolg des zynischen Projekts der kolonialen Legitimierung eine hinduistisch-hindustanische Vergangenheit zu konstruieren. Der Historiker Sudhir Chandra zeigt dies unter Berufung auf den Hindi-Essayisten Radhacharan Goswami (Bharat Mein Yavan Raj, Muslimische Herrschaft in Indien), der den hinduistischen Weisen Vamdev den Engländern danken ließ:
„Sieg sei mit Huzoor! Huzoor hat uns Hindustanis vor dem sicheren Tod bewahrt. Seit Jahrhunderten haben uns die Muslime keine Ruhe gegönnt. Heute hat uns die Entmachtung ihres Raj große Freude bereitet. Möge Gott Ihre Herrschaft für immer bestehen lassen.“
Die Teilung des Subkontinents im Jahr 1947 basierte darauf, dass antikoloniale Politiker und Intellektuelle – sowohl unter Hindus als auch unter Muslimen – diese koloniale Erzählung verinnerlicht hatten. Laut Asif besteht sie auf einem expliziten Verständnis, dass Differenz schicksalshafte Vorbestimmung ist.
Postkoloniale Historiker*innen zeigen heute, dass die Quellen und Archive, die Kolonialhistoriker zur Erstellung ihrer Version der indischen Geschichte in Bezug auf Hindus und Muslime verwendet hatten, wobei sie sie neu ordneten und unterteilten, in Tat und Wahrheit eine ganz andere Version Indiens präsentieren – und zwar eine, die keine Spaltungen vornahm und politische Macht nicht in den Vordergrund stellte.
Der Haupttext hier ist Tarikh-i-Firishta, die „erste umfassende Gesamtgeschichte“ Hindustans. Sie wurde im 17. Jahrhundert vom Deccan-Historiker Mohammad Firishta verfasst und wurde zu einer Hauptquelle kolonialer Texte über Indien. Manan Asif zeigt auf, dass Farishtas Geschichte Indiens tatsächlich ganz anders war: Sie stützte sich auf hinduistische und islamische Geschichten und Helden, darunter Krishna und Rustam; sie begann ihre Geschichte Indiens mit dem Mahabharata; sie legte eine Chronologie Indiens fest, die auf der Zeitrechnung der Brahmanen statt auf der des Korans basierte; sie wies auf die große Vielfalt der Glaubensrichtungen in Hindustan hin und lieferte eine Genealogie der Orte in Indien, „die weder hinduistisch noch muslimisch waren, sondern kontrapunktisch miteinander verflochten”.
Sayyid Ahmad Khan – besser bekannt als Gründer der Aligarh Muslim University – schrieb mit seiner Geschichte Delhis eine ähnlich verflochtene Darstellung der Kaiserstadt. Neben einem detaillierten Katalog des umfangreichen Repertoires an Denkmälern der Stadt lieferte Asar us Sanadid im Jahr 1852 eine lebendige Geschichte des zeitgenössischen Delhi, einschließlich der Beschreibung religiöser und sozialer Praktiken an historischen Stätten, wie dem von den Moguln geförderten Fest „Phool waalon ki sair”, das sich um den Schrein des Sufi Bakhtiyar Kaki sowie den angrenzenden Jog Maya-Tempel drehte. Im Gegensatz zu seinem Zeitgenossen Alexander Cunningham, dem ersten Direktor des Archaeological Survey of India, der 1863 die historischen Stätten Delhis nach Regimes geordnet katalogisierte, lieferte Khan uns eine reichhaltige Darstellung der vorangegangenen zweihundert Jahre. Er bezog die Idee von Delhi in den Rahmen des Mahabharata ein und verwendete eine Chronologie der Könige von Delhi beginnend mit Yudhishtra.
Es war diese verwobene Geschichte Indiens, die die Kolonialisten auslöschten, als sie eine zweigeteilte indische Geschichte schufen, die von ihren eigenen orientalistischen Vorurteilen geprägt und auf ihre kolonialen Ziele zugeschnitten war. Hindu-Nationalisten haben nun, als die wichtigsten „intellektuellen Erben“ des britischen Kolonialismus, diese konstruierte Geschichte Indiens aufgegriffen und nutzen sie als Waffe für ihre eigenen Machtkämpfe der Gegenwart.
Der ehemalige Premierminister AB Vajpayee, lebenslanges Mitglied der RSS, verwies in seiner Rede vor BJP-Mitgliedern nach den Pogromen in Gujarat im Jahr 2002 auf den Despotismus muslimischer „Terrorakte und Drohungen” und beharrte darauf, dass „Muslime, wo immer sie leben, nicht gerne mit anderen zusammenleben”. Das erinnert an ICS-Beamte wie Lyall. Die derzeitigen Führer der RSS und der BJP bedienen sich regelmäßig ähnlicher kolonialer Diskurse über den tausendjährigen Konflikt zwischen muslimischen „Eindringlingen“ und hinduistischen Inder*innen, über Zwangskonvertierungen und mutwillige Tempelzerstörungen. Eine „verweichlichte“ und „gespaltene“ hinduistische Gesellschaft muss sich demnach vereinen und stärken, um Rache zu üben und das Goldene Zeitalter des Hinduismus wiederherzustellen. Angst, Hass und wiederauflebender Stolz werden mobilisiert, um politisch an der Macht zu bleiben.
Diese Autorität des kolonialen Wissens über Indien trug nicht nur zur Aufrechterhaltung der Kolonialherrschaft bei, sondern besteht bis heute fort und beeinflusst den politischen Kurs Indiens auch nach der Erlangung der Unabhängigkeit. Sie muss in Frage gestellt werden, wenn wir die Seele Indiens retten wollen. Die „dekoloniale“ Geschichtsschreibung, ein etablierter Trend in der Wissenschaft, muss Teil der öffentlichen Debatte werden, damit sie wirklich Fortschritte erzielen kann. Die Tatsache, dass die indische Geschichte auch heute noch umgeschrieben wird, um die Wahrheit zu vertuschen und zu verschleiern, macht diese Mission umso dringlicher.
Sajjad Hassan ist Menschenrechtsforscher und -aktivist.
Photo source: The San Diego Museum of Art Collection