Economy

Die Wurzeln der Lebensmittelkrise in Pakistan

Wenn eine Hungersnot vermieden werden soll, muss Solidarität den Profit als das Prinzip ersetzen, das Pakistans Nahrungsmittelsysteme und Wirtschaft organisiert.
Millionen von Pakistaner*innen sind durch den COVID-19 Lockdown in eine Hungersnot getrieben worden. Die ersten pakistanischen Fälle von COVID-19 wurden inmitten einer zweijährigen Misswirtschaft durch die Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI) Regierung diagnostiziert.

Premierminister Imran Khan, dessen Regierung bereits für den Verlust von über einer Million Arbeitsplätzen im ganzen Land verantwortlich war, spielte dann die populistische Karte: Die Armen Pakistans könnten sich einen Lockdown nicht leisten.

Billige Lebensmittel unter Beschuss

Das war jedoch nicht die Linie, die die Regierung verfolgte, als sie unmittelbar nach der Machtübernahme eine bewusste wirtschaftliche Kontraktion im Land durchsetzte. Neben einem Einbruch des realen BIP um 30 Prozent in nur einem Jahr und der Übergabe der Kontrolle über die Finanzpolitik an IWF-Beamte in Ägypten begann die PTI-Regierung einen Angriff auf billige Lebensmittel im Land.

Im Dezember 2018, nur Monate nach ihrer Machtübernahme, kündigte die PTI-Regierung einen Plan zur Schließung von 1.000 sogenannter “Utility Stores” [staatliche Lebensmittelgeschäfte] im ganzen Land an. Insbesonders diese Attacke auf die Utility Stores zeigt, warum der Staat nicht in der Lage ist, inmitten des COVID-19 Lockdowns einzugreifen und die am stärksten verarmten Mitglieder der Gesellschaft mit Lebensmitteln zu versorgen. Die in den frühen 1970er Jahren gegründeten Utility Stores spielten eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung einer billigen Lebensmittelversorgung der wachsenden Bevölkerung des Landes inmitten der Massenvertreibung auf dem Land nach der Grünen Revolution. Seit der Ankündigung der Schließung der Utility Stores kämpfen ihre Mitarbeiter ums Überleben. Während der Minister für Planung, Asad Umar, Möglichkeiten für die Öffentlichkeit ankündigte, Online-Lieferungen von Utility Stores zu bestellen, streikten am 24. April alle Utility Stores im ganzen Land trotz des Lockdowns, um ihren Kampf für nicht-gezahlte Löhne und billige Lebensmittel für die ärmsten Bürger*innen Pakistans fortzusetzen.

Im nächsten Finanzjahr ließ die Regierung zu, dass der Verbraucherpreis für Weizen zu steigen begann, was in den hohen Weizen- und Zuckerpreisen vom Januar seinen Höhepunkt fand. Monatelange Profitmacherei mit lebenswichtigen Gütern gipfelte in einem überraschend offenen Untersuchungsbericht der “Federal Investigation Agency”, in dem festgestellt wurde, dass hochrangige Regierungsbeamte Nutznießer der Preismanipulation waren. Unter den Genannten sind der Minister für Ernährungssicherheit, Khusro Bakhtiar, der Leiter des landwirtschaftlichen Notfallausschusses des Premierministers, Jehangir Tareen, und das Mitglied der Regierungskoalition, Moonis Elahi. Die genannten agroindustriellen Kapitalisten, die die Agrarverarbeitung und -lagerung zum Nachteil der Weizen- und Zuckerrohrbäuer*innen kontrollieren, konnten so durch Lobbyarbeit für eine Subventionierung der Zucker- und Weizenexporte profitieren. Gleichzeitig bereichterten sie sich mit den daraus resultierenden hohen Inlandspreisen für verarbeiteten Zucker und Weizen, indem sie eine künstliche Knappheit dieser lebenswichtigen Nahrungsmitteln im ganzen Land schufen. Der Bericht bestätigt, dass die Weizenpreise in die Höhe schnellten, obwohl 21 Millionen Tonnen Weizen eingelagert waren.

Hunger und Unterernährung vor COVID-19

Der doppelte Angriff der PTI-Regierung auf billige Lebensmittel ist der Kontext, in dem der COVID-19 Lockdown begann. Da das öffentliche Verteilungssystem bedroht ist und die Preise für lebenswichtige Nahrungsmittel außer Kontrolle geraten sind, wurden Millionen von arbeitslosen Arbeiter*innen sich selbst überlassen. Es ist klar, dass die Politik der Regierung darauf ausgerichtet war, das ohnehin schon angespannte Gleichgewicht im pakistanischen Nahrungsmittelsystem weiter zu unterminieren.

Die Ironie, mit der Premierminister Imran Khan in seiner Antrittsrede über die Malaise der Unterernährung sprach, steht nach wie vor in einem ernsten Widerspruch zur eigentlichen Politik der Regierung. Statt auf die strukturellen Ursachen von Verarmung und Unterernährung einzugehen, kündigte Khan einen Plan für "Hausgeflügel" [also als Nutztiere gehaltenes Geflügel] an. Irgendwie sollte Hausgeflügel einspringen, während die Lebensmittelpreise in einem einzigen Jahr um mindestens 20 Prozent stiegen. Diese gescheiterte Politik missverstand damit absichtlich, warum Millionen Menschen im ganzen Land weiterhin hungern müssen.

Die 2018 durchgeführte Nationale Ernährungsumfrage zeigt, dass jede*r fünfte Pakistaner*in mit schwerem Hunger konfrontiert ist. Das Welternährungsprogramm schätzte im Jahr 2017, dass 68 Prozent der Familien in Pakistan sich keine Ernährung leisten können, die aus wissenschaftlicher Sicht ausreichend ist. Hinzu kommt die Tatsache, dass jeder fünfte Haushalt des Landes externe Schocks wie Überschwemmungen, Dürre und Vertreibung erlebt hat, die die jährliche Nahrungsaufnahme stark beeinträchtigt haben. Rund zwei Drittel der Haushalte des Landes leiden an Unterernährung, wobei der Unterschied in der Kinder-Unterernährung in ländlichen Gebieten mit rund 43 Prozent gegenüber 34 Prozent in städtischen Gebieten stark ausgeprägt ist.

Warum das pakistanische Nahrungssystem nicht funktioniert

Solche erschütternden Zahlen sind für Pakistan nicht neu. Der egalitäre Mythos der “bäuerlichen Landwirtschaft”, der durch die britische Kolonialherrschaft eingeführt wurde, entsprach keineswegs den ländlichen Gegenden, die von Landbesitzer*innen, Pächter*innen, ausgebeuteten Kleinbäuer*innen und einer großen Masse von Landarbeiter*innen geprägt war. Nettozuwächse in der Getreideproduktion in den kolonialen Agrarsiedlungen in den Indus- und Peshawar-Tälern wurden durch große Landbesitze, hohe Agrarsteuern, eine höchst ungleiche ländliche Gesellschaft und exportorientierte Agrarmärkte aufgehoben. Die Nahrungsmittelproduzenten hungerten weiterhin auf den üppigen grünen Feldern der kolonialen Agrarsiedlungen.

Diese kolonialen Agrarsiedlungen wurden zu dem Boden, auf dem das nationale Nahrungsmittelsystem Pakistans aufgebaut wurde. Der neue Staat folgte weiterhin dem gleichen Modell der landwirtschaftlichen Expansion, als in den 1960er Jahren neue Landwirtschaftszonen in Sindh, Belutschistan undSaraikistangeöffnet wurden. Viele sehen die Entwicklung der "nationalen Landwirtschaft" in den 1950er und 60er Jahren nach diesem Modell nach wie vor als die Maßnahme, die die anhaltende Nahrungsmittelknappheit im ganzen Land erfolgreich löste. Doch selbst die Verdoppelung der Getreideerträge in der Zeit nach der Grünen Revolution hat den meisten ländlichen und (wachsenden) städtischen, arbeitenden Armen des Landes wenig gebracht.

Während kleine und große Nahrungsmittelproduzenten mindestens anderthalb Jahrhunderte lang von den Agrarmärkten abhängig blieben, war die Zeit nach der Grünen Revolution durch eine bemerkenswerte Zunahme der Marktabhängigkeit für eine Reihe von landwirtschaftlichen Produktionsmitteln, darunter Saatgut, Düngemittel, Maschinen und Pestizide, gekennzeichnet. Die Grüne Revolution setzte einen Prozess der “Ent-Bäuerlichung” durch Vertreibungen und Mechanisierung in Gang, der zum Verlust von Land und der Existenzgrundlage von Millionen Menschen im ganzen Land führte. Das Resultat war die Schaffung eines großen Bevölkerungsüberschusses, der eine Krise erzeugte, die durch staatlich geförderte Massenmigration in den Golf und die Eingliederung der Armen in prekäre Beschäftigungsverhältnisse in Pakistans wachsenden städtischen Gebieten gelöst wurde. Ohnehin schon prekär lebende Bevölkerungsgruppen wurden noch weiter in die Ernährungsunsicherheit gedrängt.

COVID-19 trifft die Arbeiterklasse

Tatsache bleibt, dass das pakistanische Nahrungsmittelsystem nicht funktioniert und sich durch die Coronavirus-Krise nur noch weiter verschlechtert hat. Die großen Bevölkerungsgruppen, die aus ihrem ländlichen Leben vertrieben wurden, fanden einen Anschein von Zuflucht in der Beschäftigung im informellen Sektor. Noch bevor der COVID-19 Lockdown verkündet wurde, begannen große Textilfabriken mit Fabrikschließungen – eine Konsequenz des Zusammenbruchs des europäischen Marktes. Die Fabriken setzen ihre Praxis der Durchsetzung langjähriger gewerkschaftsfeindlicher Maßnahmen und der Beschäftigung von Arbeitskräften ohne Arbeitsverträge fort, was zu einem breiteren sektoralen Zusammenbruch und Massenarbeitslosigkeit führte. Die Schließung von Textilfabriken bedeutet die Schließung aller Formen der Verarbeitung, bis hin zu Webstuhlarbeiter*innen, Baumwollfarmer*innen und Baumwollpflücker*innen. Mit dem Beginn des Baumwollanbaus im April, sollten wir uns auf einen weiteren Zusammenbruch des Sektors vorbereiten, da die Bäuer*innen mit einer geringen Nachfrage rechnen. Dies wiederum wird sich während der im Herbst beginnenden Baumwollernte in einem deutlichen Rückgang der Einstellungen von Arbeitskräften auf den Farmen niederschlagen.

Das städtische Proletariat und die Landarbeiter*innen sind vereint in ihrem sich vertiefenden Elend aufgrund des Zusammenbruchs der Baumwoll-Textilkette. Die Geschichte ist in allen Wirtschaftssektoren die gleiche. Angesichts der Tatsache, dass viele so genannte formelle Arbeiter*innen arbeitslos geworden sind, wäre es nicht abwegig davon auszugehen, dass der Großteil der 73,3 Prozent der informellen Arbeitskräfte Pakistans ohne Einkommensquelle geblieben ist. Die Lage in den städtischen Zentren ist hoffnungslos und der Anblick der städtischen Arbeiter*innenklasse auf den Straßen hat auch die wohlhabenden Berufs- und Eliteschichten verängstigt.

Viele erinnern sich an die Lebensmittelunruhen von 2008 in ganz Pakistan. Das erneute Auftreten einer solchen Situation ist durchaus möglich, da die Lebensmittelversorgung der oberen Mittelschicht und Eliten in Pakistan weitgehend ungestört bleibt, während die Armen in den Städten dem Hungertod ins Auge blicken. Die Lebensmittelgeschäfte, die die Mittel- und Eliteschichten beliefern, sind nach wie vor geöffnet, während die informellen Lebensmittelverkäufer auf Karren, die die städtischen Armen beliefern, aufgrund der Mobilitätseinschränkungen nicht frei im ganzen Land operieren können.

Fälle von Lebensmittelplünderungen haben ebenfalls zugenommen, da der Staat weiterhin praktisch keine Rolle bei der Linderung des Elends der Hungernden inmitten der Pandemie spielt. Während sein Sicherheitsapparat gewaltsame Lockdowns durchgesetzt hat, spielt der pakistanische Staat bei der Verteilung von Nahrungsmitteln an die am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen nur eine begrenzte Rolle.

COVID-19 trifft die Bäuer*innen

Die Landwirtschaft ist wohl der am schlimmsten betroffene Sektor der Wirtschaft und bleibt gleichzeitig die wichtigste Voraussetzung dafür, dass die Bevölkerung weiterhin ernährt wird und die Industrie über funktionierende Arbeitskräfte verfügt. Der Agrarsektor ist für einen beträchtlichen Teil des Einkommens von mehr als der Hälfte der pakistanischen Bevölkerung, einen erheblichen Teil der industriellen Betriebsmittel und fast die gesamte Nahrungsmittelversorgung des Landes verantwortlich.

Pakistan befindet sich bereits seit über einem Jahrzehnt mitten in einer Agrarkrise, wobei die beiden Vorgängerregierungen den "landwirtschaftlichen Notstand" im Land ausgerufen haben. Die Landwirtschaft darbt auch an einer lang anhaltenden ökologischen Krise, die mindestens so weit zurückreicht wie der koloniale agrarische Siedlungsprozess. Das ist eine Krise, die sich nur noch verschärft hat. Wesentlich entscheidender war aber die Unterbrechung aller begrenzten Formen des Anbaus von Subsistenzpflanzen in den letzten anderthalb Jahrhunderten. Die Situation hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten noch verschärft, da die Preise für landwirtschaftliche Produktionsmittel weit über die mageren Preissteigerungen bei den Nutzpflanzen hinaus weiter gewachsen sind.

Diese fatale Situation ist der Kontext, in welchem die pakistanischen Agrarproduzenten den COVID-19 Lockdowns gegenüber standen. Die vollständige Stilllegung der Agrarhandelsmärkte, insbesondere derjenigen, die die Erzeugnisse von Bäuer*innen kaufen, hat zu erheblichen Verlusten für die Landwirt*innen geführt. Da der Warenverkehr ausgesetzt wurde, sind erntereife Feldfrüchte, darunter auch Getreide, auf den Feldern verfault. Das führt nicht nur zu unmittelbaren Verlusten für die Bäuer*innen, sondern bedeutet auch, dass Pakistans traditioneller Reserve-Weizenvorrat wahrscheinlich nicht mehr verfügbar sein wird. Stattdessen muss sich das Land, sobald die durch den Lockdown verursachte Knappheit vorbei ist, auf mindestens ein weiteres Jahr mit einem Mangel an lebenswichtigen Getreidesorten vorbereiten. Teurer zu produzierendes Gemüse ist auf den Feldern dem Verfall überlassen worden, was neben den Verlusten für die Bäuer*innen auch zu einer erheblichen Verringerung der Vielfalt an Nahrungsmitteln geführt hat, die der ländlichen und städtischen Bevölkerung zur Verfügung stehen.

Während man hätte erwarten können, dass die Knappheit der Nahrungsmittelversorgung auf den großen Märkten die Preise für lebenswichtige Lebensmittel in die Höhe treiben würde, stellte sich die Situation umgekehrt dar. Der Zusammenbruch der Nachfrage durch Arbeitslosigkeit und die Schließung aller Arten von Lebensmittelläden hat den Preis vieler Nahrungsmittel auf einen Tiefststand gebracht. Selbst vor dem Coronavirus erhielten Kleinbauern in ganz Pakistan niedrigere Preise, da sie ihre Produkte nur begrenzt vom Bauernhof zum Markt transportieren konnten. Unter den Lockdown-Bedingungen befand sich das gesamte Netzwerk des Agrarhandels in der Schwebe. Für die weiter operierenden Lebensmittelhändler hat das einen Raum für die weitere Ausbeutung der Kleinbäuer*innen eröffnet, indem letztere weit unter dem Preis bezahlt werden, zu dem die Lebensmittel auf dem Markt verkauft werden. Es gibt Berichte über multinationale Unternehmen, die Milch von Bäuer*innen zu einem Drittel des normalen Einkaufspreises kaufen, während sie weiterhin Milch in städtische Zentren zu den gleichen Preisen wie bisher liefern.

Zu den Lebensmittelproduzenten, die vom Zusammenbruch bedroht sind, gehört auch der Bereich Geflügel, der auf die nicht nachhaltige Massenproduktion von Hühnern für den Markt angewiesen ist. Angesichts der Zunahme von Coronavirus-Fällen und Todesfällen unter Fleischverarbeiter*innen weltweit sind die unsicheren Arbeitsbedingungen von Metzger*innen und Fleischverpacker*innen offensichtlich. Über unsichere Arbeitsbedingungen hinaus leiden die Beschäftigten entlang dieser Lieferketten unter der Krise. In Pakistan hat der Lockdown den Marktpreis für Hühnerfleisch von über 250 Rs pro kg auf 90 Rs pro kg gesenkt, während die Nachfrage weiter geschrumpft ist. Aus Berichten geht hervor, dass Brütereien die Küken sterben ließen und Eier vernichteten, während Geflügelfarmen nicht bereit waren, neue Lieferungen aufzunehmen. Die industrielle Fleischproduktion ist nach wie vor besonders anfällig für Pandemien; 2007 mussten Millionen von Vögeln aufgrund der Ausbreitung der Vogelgrippe gekeult werden. Während die industrielle Fleischproduktion in Pakistan unter den Auswirkungen der globalen COVID-19-Pandemie leidet, ist sie auch weiterhin akut anfällig für neue Pandemien.

Die erzwungene Rückkehr von Millionen von Arbeitslosen in ihr Zuhause hat zum ersten Mal seit Jahrzehnten zu einem Überschuss an Arbeitskräften auf dem Land geführt. Landwirte, die oft über Arbeitskräftemangel während der Erntesaison klagen, sehen sich nun einer einzigartigen Saison gegenüber, in der zwar Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, die Agrarmärkte aber kaum zugänglich sind. Sie haben keinen Anreiz, bei zusammenbrechender Nahrungsmittelnachfrage ihre Ernte einzubringen. Man könnte die romantische Ansicht vertreten, dass diese massenhafte Rückkehr der städtischen Arbeitskräfte bedeutet, dass die sogenannte "moralische Ökonomie" des Dorfes die letzte Zuflucht der Armen ist, in der es für die zurückkehrende landlose Bevölkerung irgendwie einen Lebensunterhalt geben wird. Doch tatsächlich ist es unwahrscheinlich, dass überschüssige Arbeitskräfte in den Dörfern ernährt werden können, wenn die Nahrungspflanzen nicht geerntet und die kommerzielle Ernte nicht verkauft wird. Zwar besteht theoretisch die Möglichkeit, dass sich eine Form der Solidarwirtschaft entwickelt, wie aus Berichten über ein Wiederaufleben von Tauschhandelspraktiken ineinem kleinem Maßstab in Teilen Indiens hervorgeht, doch gibt es erhebliche Hindernisse für solche Praktiken, die in einem Kontext entstehen, in dem landwirtschaftliche Betriebsmittel und Arbeitskräfte zunehmend aus der Not heraus monetarisiert werden. Die Realität sieht so aus, dass die meisten ländlichen Haushalte, einschließlich der kleinen und mittelständischen Landwirtschaftsbetriebe, Nettokäufer von Nahrungsmitteln sind. Das bedeutet, dass die Landwirte zwar Zugang zu einigen nicht vermarkteten Nahrungsmitteln haben, aber eine Reihe von Faktoren wie die Wahl der Nutzpflanzen, die Größe des Landbesitzes, die Höhe der eingegangenen Schulden und der Viehbestand der Haushalte entscheidend sind für die Fähigkeit bestimmter Landwirte, die Krise zu überstehen.

Eine permanente ökologische Pandemie

Die Coronavirus-Pandemie hat die ökologische "Pandemie" verschärft, die sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts in der pakistanischen Landwirtschaft zusammenbraut. Das pakistanische Agrarsystem ist nicht nur aufgrund der hohen Marktabhängigkeit verwundbar, sondern leidet auch unter der wachsenden ökologischen Krise der landwirtschaftlichen Produktionsweise des Landes. Es besteht wenig Zweifel daran, dass es mit der agrarindustriellen Produktionsweise zu tun hat, die den Boden ausgelaugt und den Grundwasserspiegel im ganzen Land gesenkt, die Artenvielfalt verringert, Monokulturen gefördert und Gift in Form von Herbiziden, Pestiziden und chemischen Düngemitteln in der ländlichen Landschaft verbreitet hat. Die Grüne Revolution hat das Verhältnis der Bäuer*innen und Landarbeiter*innen zu Land und Vieh grundlegend verändert: Die Logik der Produktivität hat die Logik der Nachhaltigkeit verdrängt. Wichtige Nutzpflanzen wie Baumwolle leiden nach wie vor unter Krankheits- und Schädlingsbefall, der sich seit der Umstellung auf (genetisch veränderte) Bt-Baumwolle immer stärker ausbreitet.

Die ökologische Bedrohung für die Landwirtschaft hat sich aufgrund äußerer Veränderungen, wie z.B. wechselnde Wettermuster und globale Heuschreckenschwärme, verschärft. Ungewöhnliche Regenfälle schädigen die Weizenernte weiterhin Saison für Saison schwer. Wieder einmal wird die stehende Weizenernte durch starke Regenfälle außerhalb der Saison beschädigt werden. Ganz zu schweigen von den Zyklen von Überschwemmungen und Dürren, die weiterhin jedes Jahr weite Teile des Landes heimsuchen. Die großen Heuschreckenangriffe, die im vergangenen Jahr vom südlichen Punjab bis nach Sindh fegten, sind erneut zurückgekehrtund werden auch in der Zukunft wiederkehren, da Jahrzehnte des Pestizideinsatzes ganze Populationen insektenfressender Vögel und Tiere vernichtet haben. Die natürliche Resistenz gegen Schädlinge ist zusammengebrochen, während chemische Pestizide nach wie vor nur begrenzt in der Lage sind, neuen Schädlings- und Krankheitsbefall zu bekämpfen.

Ein Nahrungsmittelsystem am Rande des Zusammenbruchs

Die Rückkehr eines Teils der Bevölkerung in das ländliche Pakistan führt nur dazu, dass in einem Nahrungsmittelsystem, das für die Nahrungsmittelproduzenten, geschweige denn für die übrige Bevölkerung des Landes, nicht funktioniert hat, noch mehr Mäuler gestopft werden müssen. Die Situation erinnert an die Arbeit von Amartya Sen, der erklärte, wie es in Zeiten der Massenproduktion aufgrund von Marktversagen zu großen Hungersnöten kam. Das Welternährungsprogramm (WFP) hat kürzlich apokalyptische Warnungen vor einer Hungersnot von "biblischen Ausmaßen" herausgegeben. Die Aussichten auf eine wirtschaftliche Erholung in der Zeit nach COVID-19 sind im globalen Sinne bereits düster. In diesem Zusammenhang steht Pakistans abgestumpfte Wirtschaft nach zwei Jahren der PTI- und IWF-Sparpolitik im Land vor besonders großen Herausforderungen.

Die von Sparmaßnahmen geleitete wirtschaftliche Rezession wird in Verbindung mit der erwarteten Rezession nach der Pandemie zu Massenarbeitslosigkeit führen. Die Fähigkeit der großen exportabhängigen Industriesektoren, sich zu erholen, hängt von einer raschen Erholung der Nachfrage in Europa ab. Das ist aber unwahrscheinlich, da weltweit Arbeitsplätze abgebaut und die Löhne weltweit sinken werden, sobald die COVID-19 Lockdown-Maßnahmen abgeschafft sind. Die Unfähigkeit der Industrien, sich zu erholen, hätte schwerwiegende Auswirkungen auf die Landwirtschaft, wo sowohl der Textil- als auch der Ledersektor wichtige Absatzmärkte für Agrarproduzenten sind. Darüber hinaus stellt sich die ernste Frage, ob die Arbeitnehmer*innen, selbst diejenigen mit hochgradig ausbeuterischen informellen Verträgen, in der Lage sein werden, wieder zu arbeiten, wenn die Industrien und Unternehmen nicht wieder geöffnet werden.

Zusammen mit den kurz- und langfristigen Verlusten, die sowohl die kleinen bäuerlichen als auch die größeren kapitalistischen Produzenten erleiden, untergräbt dies bereits jede Widerstandsfähigkeit, die ihnen der Zugang zu Anbauflächen bietet. Marktabhängigkeit ist für Kleinbäuer*innen auch in den besten Zeiten ein zweischneidiges Schwert. Die COVID-19 Lockdowns bedeuten, dass Ernteüberschüsse entweder auf den Feldern festsitzen oder zu stark gedrückten Preisen verkauft werden. Der Prozentsatz der Weizenernte, der am Ende in Pakistan geerntet wird, wird uns Anhaltspunkte dafür liefern, ob sich die apokalyptischen Vorhersagen des WFP über eine Hungersnot erfüllen werden. Es ist jedoch klar, dass die Risiken in einem Nahrungsmittelsystem, das Hunger und Unterernährung im gesamten ländlich-urbanen Spektrum hervorgerufen hat, selbst wenn es eigentlich hätte funktionieren sollte, gravierend sind.

Gibt es einen Ausweg?

Es gibt zwei Wege, wie man aus dieser Situation herauskommt. Mainstream-Lösungen schlagen mehr vom gleichen, gescheiterten Ansatz vor. Solche Maßnahmen drängen weiterhin auf die Intensivierung von Prozessen, die die Verwundbarkeit der Nahrungsmittelproduzenten erhöhen. Zu den Vorschlägen gehören eine stärkere Marktintegration für Landwirt*innen, die Förderung des Baus von Kühllagern und die Förderung des Anbaus kommerziellerer Nutzpflanzen, die der globalen agrarindustriellen Agenda dienen. Solche Lösungen reproduzieren weiterhin die Hybris des Privatsektors, der Welthandelsorganisation (WTO) und einer bunt zusammengewürfelten Crew sogenannter "Freihandels"-Länder des globalen Nordens, die vom Dumping von Getreide und überschüssiger Milch auf die Märkte des globalen Südens profitieren und im Gegenzug billige Nahrungsmittel aus dem Süden importieren.

Diese Ideen sind fehl am Platz in einer Zeit, in der viele Länder der Welt ihre Ernährungssysteme "renationalisieren" wollen. Es ist bekannt, dass Europa, als es während der COVID-19 Lockdowns die Grenzen für alle schloss, seine Landwirtschaft weiterhin durch den Import von osteuropäischen landwirtschaftlichen Arbeitskräften schützte. Es ist ebenso klar, dass die COVID-19 Lockdowns den katastrophalen Zustand der neoliberalen agrarindustriellen Lebensmittelsysteme aufgedeckt haben. Es handelt sich um ein Nahrungsmittelsystem, das nicht nur die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rechte der in der Landwirtschaft tätigen Menschen nicht schützt, sondern auch seine Kernaufgabe nicht erfüllt: die Versorgung der Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln.

Der Zusammenbruch des globalisierten Nahrungsmittelsystems angesichts von COVID-19 hat eine Rückkehr des "Nahrungsmittelnationalismus" erzwungen. Aus der letzten Ära des Nahrungsmittelnationalismus, der aus den antikolonialen Bewegungen der 1950er und 60er Jahre hervorgegangen ist, können wichtige Lehren gezogen werden. Die Schlüsselfrage ist heute wie damals die Frage: Wessen Stimme wird die Zukunft unserer Ernährungssysteme prägen? In den 1960er Jahren, der Blütezeit der Bäuer*innenbewegungen in der ehemals kolonialisierten Welt, gewannen Agronom*innen aus dem antikommunistischen Norden die Debatte durch die Mechanismen der Weltbank-Kredite und die von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO konzipierten Programme. Gerade unabhängig gewordene Länder, die von ihren Kolonialmächten ausgeplündert worden waren, waren zu abhängig von externen Krediten und externer Expertise, um einen Weg zu finden, der die Ketten der neokolonialen Netzwerke des Welthandels durchbrechen konnte. Es wurden Grüne Revolutionen durchgeführt, die eine Zeit lang die Bäuer*innen mit mehr Produkten und Staaten, die darum kämpfen, genug Nahrungsmittel für ihre eigene Bevölkerung zu produzieren, mit Nahrungsmittelüberschüssen zu belohnen schienen. Auf diesen kurzfristigen Boom folgte rasch der Zusammenbruch der internationalen Preise für landwirtschaftliche Primärgüter, die im globalen Norden kontrolliert wurden und immer noch werden.Der Nahrungsmittelnationalismus war tot, da die Handelsdefizite mit internationalen Schulden aufgefüllt wurden und die Liberalisierung der Volkswirtschaften des globalen Südens über den IWF in den 1990er Jahren erzwungen wurde.

Die Auswirkungen von COVID-19 auf die Ernährungssysteme haben ernsthafte Fragen zum "Nahrungsmittelnationalismus" aufgeworfen, insbesondere zur Fähigkeit des Staates, dem Hunger ein Ende zu setzen. Wie bereits erwähnt, wurde die gegenwärtige Krise durch den eigenen Angriff der pakistanischen Regierung auf billige Lebensmittel verschärft. Darüber hinaus sind die Unterbrechungen in der Lebensmittelversorgung, die vom Bauernhof zum Markt und vom Markt zur Verbraucherin führen, innerhalb der nationalen Wirtschaftsgrenzen aufgetreten. Pakistans nationale Lebensmittelsysteme leiden weiterhin unter den Angriffen von Sparmaßnahmen und Profitstreben. Auch wenn sich das Versäumnis des Staates, alle Menschen innerhalb seiner Grenzen mit Nahrung zu versorgen, nicht immer wiederholen muss, so ist doch klar, dass sowohl die derzeitige Staatsform als auch das nationale Nahrungsmittelsystem nicht in der Lage sind, die am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen des Landes zu ernähren. Darüber hinaus hat die Marktabhängigkeit der Bäuer*innen und Landarbeiter*innen dazu geführt, dass die Ernten verschwendet und nicht auf die massenhaft überschüssigen Arbeitskräfte verteilt werden, die in die Dörfer zurückgekehrt sind. Es mag zwar immer noch Nahrungsmittel geben, die diese Arbeiter*innen erreichen, aber die arbeitslosen Arbeiter*innen in den Städten wurden gezwungen, sich auf Almosen und Betteln zu verlassen, um über die Runden zu kommen.

Die massenhafte Rückkehr in die ländlichen Gebiete wirft ernsthafte Fragen über die binäre Beziehung zwischen städtischem und ländlichem Raum auf, die traditionell unser Denken über Lebensmittelsysteme untermauert hat. Die Arbeiterklasse pendelte seit langem zwischen diesen beiden Räumen, um die Mittel ihrer Reproduktion zu sichern. Jeder Weg nach vorn muss darauf ausgerichtet sein, einen Weg für die Reproduktion der Arbeiter*innen sowohl im städtischen als auch im ländlichen Raum zu sichern. Während städtische Siedlungen vielleicht nicht in der Lage sind, sich in der Lebensmittelversorgung selbst zu ernähren, täten Stadtplaner*innen gut daran, Vorkehrungen für städtische Bauernhöfe innerhalb von Arbeiter*innensiedlungen zu treffen. Die ländliche Welt muss auf der Grundlage von zwei Prinzipien umgestaltet werden: Landumverteilung und Lokalisierung. Das eine kann ohne das andere nicht funktionieren, wenn wir ein Nahrungsmittelsystem aufbauen wollen, das unsere Bevölkerung ernähren kann – insbesondere in Krisenzeiten.

Wer heute einen Weg zur Beseitigung des Hungers beschreitet, steht vor der Wahl: entweder der gescheiterten Politik der "Globalisierung der Nahrung" zu folgen oder der Stimme der globalen Bewegung der "Ernährungssouveränität", die in den Bäuer*innenbewegungen unserer Zeit verankert ist, Gehör zu schenken. La Via Campesina South Asia, in der über zwanzig große Bäuer*innenbewegungen in der Region zusammengeschlossen sind, ist eine der Stimmen vor Ort, die detaillierte Vorschläge unterbreitet hat, wie die unmittelbaren Auswirkungen der COVID-19 Lockdowns gemildert werden können, sowie Grundsätze zur Umgestaltung unseres Ernährungssystems zum Schutz der Bauern und Arbeiter*innen über die aktuelle Krise hinaus.

Es ist klar, dass der Weg zur Agrarreform auf einer neuen Grundlage eingeschlagen werden muss, mit einigen Prinzipien aus den Bäuer*innenbewegungen, die in den 1970er Jahren vorzeitig aufgegeben wurden, sowie einigen aus den heutigen Bewegungen. In einer Zeit, in der Hunderte Millionen von Arbeitern*innen in ihre Dörfer zurückgekehrt sind, um dem Massenhunger aufgrund des fehlenden Landbesitzes ins Gesicht zu blicken, müssen wir den Slogan "Land für das Volk" neu beleben. Es ist auch an der Zeit, eine neue Bäuer*innen-Arbeiter*innen-Solidarität aufzubauen, die auf der Anerkennung der gemeinsamen Beziehung zwischen Land, Arbeit und Nahrung basiert, die – wie uns der Lockdown vor Augen geführt hat – das Herz unseres Nahrungsmittelsystems ist. Wir müssen laut den Prinzipien der bäuerlichen Agrarökologie nach einem neuen ökologischen Prinzip für die Organisation der landwirtschaftlichen Produktion suchen, das eine ökologische Katastrophe in unseren Agrarsystemen vermeiden kann. Schließlich muss Solidarität an die Stelle des Profits als das Prinzip treten, das unsere Ernährungssysteme und unsere Wirtschaft organisiert, wenn wir Massenhunger vermeiden wollen.

Hashim Bin Rashid promoviert am SOAS in London über Bäuerinnenbewegungen im Punjab. Er arbeitet mit dem Pakistan Kissan Rabta Committee zusammen.*

Mohsin Abdali forscht im Bereich Agrarwissenschaften an der Punjab Universität in Lahore. Er ist Gründungsmitglied von Progressive Students Collective, Student Herald und Agrarians Collective.

Available in
EnglishPortuguese (Portugal)Portuguese (Brazil)GermanFrenchSpanish
Authors
Hashim Bin Rashid and Mohsin Abdali
Translators
Vanessa Jae and Tim Steins
Date
26.08.2020
Source
Pakistan Left ReviewOriginal article🔗
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