Der Tod von George Floyd in den Vereinigten Staaten hat eine Reihe wichtiger Gespräche ausgelöst, insbesondere über soziale Gerechtigkeit und Polizeiarbeit. Obgleich sich die Proteste gegen brutale Strafjustizsysteme und die Forderungen nach einer Aufarbeitung des kolonialen Erbes in der ganzen welt ausweiteten, wurde dem Strafvollzug – der einzigen Institution, die diese beiden Stränge zusammenführt – nicht allzu viel Aufmerksamkeit geschenkt.
Die über den afrikanischen Kontinent verteilten Gefängnisse sind sowohl ein Erbe der kolonialen Unterwerfung als auch Schauplatz ungeheurer Menschenrechtsverletzungen. Dennoch gab es nur wenige Versuche, sie abzuschaffen oder ihnen die Mittel zu kürzen. Tatsächlich scheint es selbst während der gesamten Zeit der antikolonialen Unruhen und Kämpfe nur wenige solcher Forderungen gegeben zu haben. Das ist merkwürdig angesichts der Tatsache, dass in Afrika Inhaftierungen vor der Ankunft der Europäer*innen als Strafmaß völlig unbekannt waren.
Vorkoloniale Justizsysteme "waren eher opfer- als täterzentriert mit dem Endziel, Entschädigung statt Inhaftierung zu erreichen", bemerkt Prof. Jeremy Sarkin. Obwohl Untersuchungshaft üblich war und einige zentralisierte Staaten, wie zum Beispiel das westafrikanische Königreich Dahomey, über permanente Gefängnisse verfügten, handelte es sich dabei nicht um Strafanstalten, sondern vielmehr um Einrichtungen für eine vorübergehende Inhaftierung, während der Verdächtige oder Verurteilte auf Gerechtigkeit warteten.
Doch schon in der vorkolonialen Epoche begann die Interaktion mit Europa, die Strafvollzugssysteme und Vorstellungen über den Freiheitsentzug zu beeinflussen. Florence Bernault, schreibt in A History of Prison and Confinement in Africa: "Die Intensivierung des Sklavenhandels im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert und die Gewalt, die er zum Zeitpunkt der Abschaffung mit sich brachte, bedeutete, dass eine noch nie dagewesene Zahl von Afrikaner*innen der Gefangennahme und Versklavung ausgesetzt war und dass der vorkoloniale Einfluss der Europäer*innen auf die afrikanischen Strafsysteme vor allem auf die Verbreitung veralteter Vorrichtungen zur körperlichen Züchtigung und Folter zurückzuführen war".
In den indigenen Systemen waren Körper- und Todesstrafen für die schlimmsten Verbrechen reserviert, während, wie Leonard Kercher in seiner Abhandlung von 1981 über das kenianische Strafvollzugssystem schreibt, "Ausgrenzung, religiöse Sanktionen und Vertreibung ... hauptsächlich gegen weniger gewohnheitsmäßige Straftäter eingesetzt wurden, die für Empörung gesorgt und die Geduld [der Gesellschaft] erschöpft hatten". In einigen Gesellschaften nahmen solche Vertreibungen die Form der Versklavung an und der Sklavenhandel bot einen Anreiz, diese Strafe für eine zunehmende Zahl von Verbrechen zu verhängen. Die Verkauften wurden in Lagern festgehalten; die Männer wurden dort gefesselt, wobei es in einigen Fällen Frauen und Kindern gestattet war, auf dem bewachten Gelände herumzulaufen während sie auf ihre Verschiffung warteten.
Als die Abschaffung des Sklavenhandels durchgesetzt wurde, hielten sowohl Sklavenhändler*innen als auch Sklavenretter*innen ihre Opfer in ähnlicher Weise in geschlossenen Anlagen fest – erstere, um Patrouillen zu vermeiden, und letztere, um sie in sogenannten "Dörfer der Freiheit" unterzubringen und zu beaufsichtigen. Auf diese Weise wurde die Idee der Gefangenschaft vielen auf dem Kontinent immer vertrauter, obwohl sie noch nicht mit Strafe verbunden war; das kam mit dem Kolonialismus. Es gibt keinerlei Beweise für die Existenz vorkolonialer Gefängnissen in Kenia.
Es ist jedoch bemerkenswert, dass Gefängnisse zu den ersten Gebäuden gehörten, die die Briten in ihren künftigen Kolonien bauten. Innerhalb der ersten 16 Jahre nach ihrer Ankunft in Kenia im Jahr 1895 hatten sie 30 Gefängnisse mit durchschnittlich 1.500 Inhaftierten pro Tag gebaut. In den nächsten 20 Jahren würde sich sowohl die Zahl der Gefängnisse als auch die der Insassen mehr als verdoppeln. Mit 145 Gefangenen je 100.000 Einwohner*innen, befand sich zu Beginn des Zweiten Weltkrieges in Kenia ein weitaus größerer Anteil der Bevölkerung hinter Gittern als anderswo in den britischen Kolonien in Ost- und Zentralafrika. In 1951, kurz vor Beginn des Mau-Mau-Krieges beherbergten die Gefängnisse fast 12.000 Insass*innen.
Daniel Branch führt die hohe Inhaftierungsrate auf die Tatsache zurück, dass Kenia eine Siedlerkolonie war, und auf die Tatsache, dass, wie sein Historiker-Kollege David Anderson berichtet, "Recht und Ordnung für bestimmte Teile der europäischen Siedlergemeinschaft fast schon eine Obsession waren". Hier lassen sich Parallelen zu den USA ziehen, wo der Ausdruck "Recht und Ordnung" (Law and Order) lange Zeit benutzt wurde, um den schwarzen Widerstand gegen die rassistische Hierarchie mit Kriminalität in Verbindung zu bringen, zuletzt von Präsident Donald Trump im Zusammenhang mit den Black-Lives-Matter-Protesten.
In ähnlicher Weise ging es in Kenia bei der Inhaftierung im Dienste von Forderungen nach "Recht und Ordnung" nicht darum, Gerechtigkeit zu üben. Wie Branch bemerkt, "verbüßten kenianische Gefangene Strafen in Institutionen ohne historisch abgeleitete Bedeutung, nachdem sie für Aktivitäten verurteilt worden waren, die sie selbst nicht als Vergehen betrachten würden". Gefängnisse waren vielmehr eine Erweiterung des Kolonialisierungsprojekts, ein Strafmechanismus, der die Einhaltung der rassistischen Kolonialordnung sowie ihrer Vorschriften und die Privilegien der weißen Autorität sichern sollte.
Das koloniale Gefängnis unterschied sich von seinem Gegenstück in Europa. "Körper und Schmerz sind nicht die ultimativen Objekte ... der Bestrafung", schrieb Michel Foucault in seinem Buch Überwachen und Strafen, das die langfristigen Veränderungen im Fokus der europäischen Strafrechtswissenschaft beschreibt. Doch, so Bernault, "während die westliche Strafanstalt freie Individuen als gleichberechtigte Bürger und Rechtssubjekte betrachtete, fasste das koloniale Gefängnis die Afrikaner in erster Linie als Objekte der Macht auf". Es ging um die Ausübung von Macht über sie und um Ideen wie Rehabilitation von Straftätern, die im Westen von der Gefängnisreformbewegung propagiert wurden. Diese Reformen hatten wenig Einfluss darauf, wie das Kolonialgefängnis geführt wurde.
Wie Branch anmerkt, wurden die kenianischen Gefängnisse von Anfang an von Kritiker*innen als "ungenügend streng" eingestuft. In seinem Aufsatz "Imprisonment and Colonialism In Kenya" zitiert er einen Besucher von Lamu aus dem Jahr 1909, der sich darüber beschwerte, das Gefängnis sei "eine Farce – die Bestrafung, anstatt abschreckend zu wirken, ermutigt die Gefangenen nur dazu, Straftaten zu begehen, sie haben keine ordentliche Arbeit zu verrichten, ihnen werden alle Feiertage zugesprochen".
Bei der Inhaftierung ging es nicht nur um Bestrafung; sie war auch ein Mittel zur Beschaffung von Arbeitskräften und Ressourcen für den Kolonialstaat. Gefangene wurden zur Arbeit an öffentlichen Projekten gezwungen und Strafarbeit galt als wesentlicher Bestandteil der Kolonialwirtschaft. Bernault betont: "Bis 1933 war die Zwangsarbeit zu einer so häufigen Strafe geworden, dass die Regierung damit begann, Gefangenenlager zu errichten, die ausschließlich für landwirtschaftliche und öffentliche Arbeiten bestimmt waren".
Diese Abhängigkeit von Gefängnisarbeit machte die Inhaftierung von Menschen attraktiv. In seinem Bericht an die Bushe-Kommission, die 1933 nach einer Reihe skandalöser Vorfälle eingerichtet wurde, um das kenianische Justizsystem zu untersuchen, stellte der Kommissar der Provinz Ukamba, Sydney Hubert La Fontaine, die Vorliebe für die Inhaftierung von Menschen unter Beweis. Er räumte ein, dass er nur selten Alternativen zur Inhaftierung von Einheimischen wegen eines ersten Vergehens in Betracht ziehe und ihnen auch keine Zeit zur Zahlung von Geldstrafen lasse. "In der überwiegenden Mehrheit der Fälle werden sie inhaftiert."
Ein weiterer Vorfall, den der britische Anti-Imperialist Norman Leys in seinem Buch “A Last Chance for Kenya” geschildert hat, zeigt die Mitwisserschaft der Kolonialbehörden bei der Inhaftierung von Afrikanern*innen, von der sie im Klaren waren. Er erzählt die Geschichte eines entsetzen Bezirksbeamten, der bei Antritt seiner neuen Stelle feststellte, dass weiße Siedler*innen seinen Vorgänger dazu gebracht hatten, ihre weniger effizienten Arbeiter*innen ins Gefängnis zu stecken und sie für bis zu sechs Monate lang mit harter Arbeit zu bestrafen, obwohl diese eigentlich kein Verbrechen begangen hatten! Als er versuchte, den Brauch zu unterbinden, wandten sich die Siedler*innen an den Gouverneur; der Beamte wurde verwarnt und eine Untersuchungskommission zur Überprüfung seiner Handlungen eingerichtet.
Auch ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Siedlerinnen in großem Umfang von der Zwangsarbeit der Verurteilten auf ihren Farmen profitierten, was einen Präzedenzfall für künftige afrikanische Eliten schaffen würde. 1954 sagte der kenianische Verteidigungsminister Jake Cusack über den Einsatz der Mau-Mau-Häftlingsarbeit: "Wir sind Sklavenhändler\innen und die Beschäftigung unserer Sklav*innen erfolgt in diesem Fall durch die Abteilung für öffentliche Arbeiten".
Eine solche Vorgehensweise stieß jedoch unweigerlich an die Grenzen des Strafvollzugs, der stark unterbesetzt und unterfinanziert war. Zu Beginn der 1930er Jahre beschäftigte die Strafvollzugsabteilung laut Branch nur 20 Europäer*innen (hauptsächlich in Nairobi) und über 400 Afrikaner*innen. Zum Vergleich: Die Gesamtzahl der Personen, die sie im Laufe der 1930er Jahre überwachen sollten, betrug über 21.000. Auch die Bezahlung war ziemlich schlecht, und eine Stelle im Strafvollzugsdienst war denjenigen vorbehalten, die keine anderen Möglichkeiten hatten, so dass Personalwechsel häufig waren. Das Bildungsniveau war dagegen abgrundtief niedrig, da das Kolonialregime es vorzog, das Gefängnispersonal aus den oft ungebildeten ehemaligen Soldaten zu rekrutieren.
Die Gefängnisse waren nicht nur unterfinanziert, sondern auch auf die unentgeltliche Arbeit ihrer Insass*innen angewiesen, um den Betrieb aufrechtzuerhalten und einen wesentlichen Teil ihrer Operationen zu finanzieren. Im Jahr 1930 beispielsweise machten die Einnahmen der Gefängnisindustrie ein Fünftel der Gesamtkosten der Strafvollzugsabteilung aus – etwa 8.856 £; das entspricht heute fast 600.000 £ oder rund 80 Millionen Schilling.
Darüber hinaus waren die Gefängnisse und insbesondere die Gefangenenlager, die 1926 in dem vergeblichen Versuch, die Überfüllung der Gefängnisse zu lindern, für Kleinkriminelle eingerichtet worden waren, eine marode Angelegenheit. Im Allgemeinen wurden sie eher nach den Bedingungen der Inhaftierten als nach denen der Wärter*innen geführt. In vielen Lagern gab es kaum eine Trennung der Gefängnisgemeinschaft von der übrigen Gesellschaft, wobei die Insass*innen in einigen Fällen kommen und gehen konnten, wie es ihnen gefiel, was für einige seltene lustige Momente sorgte. Branch berichtet zum Beispiel von einem Fall, in dem ein Richter in Mombasa bei der Inspektion eines Gefangenenlagers auf einen Häftling stieß, den er früher am Tag dorthin verbannt hatte, "als er mit seiner Frau und seinen Kindern Tee trank, geradeso innerhalb des Zaunes". Außerdem durften die Häftlinge 1952 in Thika einen Spaziergang machen und im Municipality Club ihren eigenen Schnaps brauen.
Doch diese momentanen Ausbrüche machten vielleicht keinen großen Unterschied, da das Leben außerhalb des Gefängnisses zunehmend die Bedingungen innerhalb des Gefängnisses widerspiegelte. Wie Caroline Elkins in ihrem mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Buch, Britain’s Gulag, bemerkt: "Jahrzehnte vor dem [Mau-Mau-]Notstand versuchten die britischen Kolonisator*innen, die afrikanische Bevölkerung durch ein komplexes, Apartheid-ähnliches Regelwerk zu kontrollieren, das unter anderem vorschrieb, wo die Afrikaner*innen leben, wohin und wann sie umziehen, welche Pflanzen sie anbauen und welche öffentlichen Orte sie aufsuchen durften.
Das Gefängnis war nur ein Teil des Systems zur Durchsetzung dieser brutalen rassistischen Hierarchie, zu deren weiteren Elementen öffentliche Auspeitschungen und erpresserische Geldstrafen gehörten. Wie Leys berichtet, gab es zum Beispiel Fälle, in denen afrikanische Jungen für den Diebstahl eines Brotlaibs mit einer Geldstrafe in Höhe eines Monatslohns bestraft wurden.
Die Raubzüge und Auferlegungen des Kolonialstaates und die damit einhergehenden Widerstände nahmen zu und gipfelten im Ausbruch des Mau-Mau-Aufstandes im Jahr 1952. Dieser würde das ohnehin schon brutale kenianische Gefängnissystem grundlegend zum Nachteil verändern, als Zehntausende von Mau-Mau-Häftlingen und Verurteilten das System überfluteten, die etablierten Hierarchien innerhalb des Systems umstürzten und das Gefängnis in der Vorstellung des Volkes als einen Ort der physischen Schändung und des sozialen Todes zementierten. Es wurde zu einem furchterregenden modernen Schreckensbild, das die vorkolonialen Körper- und Todesstrafen, Ausgrenzungen und Vertreibungen vereinte und sie in einem bis dahin unvorstellbaren Ausmaß anwendete.
Patrick Gathara ist ein sozialer und politischer Kommentator und Karikaturist mit Sitz in Nairobi.
Foto: Citizen TV