Democracy

Tama Kallsen: „Unser Kampf muss mit den radikalen Maßnahmen dieser Regierung mithalten“

Tama Kallsen von der Volksfront Darío Santillán über die Zukunft Argentiniens unter der rechtsextremen Regierung von Javier Milei
In diesem Interview erläutert Tama Kallsen, die Sprecherin der Volksfront Darío Santillán, wie Javier Mileis rechtsextreme Regierung die Lebensqualität der Argentinier*innen aufs Spiel setzen will, während Armut und Inflation ansteigen und wichtige Gesetze zum Schutz von Frauen und LGBTQIA+-Rechten aufgehoben werden.
In diesem Interview erläutert Tama Kallsen, die Sprecherin der Volksfront Darío Santillán, wie Javier Mileis rechtsextreme Regierung die Lebensqualität der Argentinier*innen aufs Spiel setzen will, während Armut und Inflation ansteigen und wichtige Gesetze zum Schutz von Frauen und LGBTQIA+-Rechten aufgehoben werden.

Nach der Regierungsübernahme des rechtsextremen Milei-Regimes in Argentinien hat die soziale Bewegung den Kampf zur Verteidigung ihrer Rechte und Durchsetzung von Volksbegehren verstärkt aufgenommen. Colombia Informa hat mit Tama Kallsen gesprochen, der Sprecherin der historischen Organisation „Volksfront Darío Santillán“.

Colombia Informa: Was ist ihre Analyse des Kampfes gegen die Regierung Milei? Wie radikal wird er sein?

Tama Kallsen: Wir denken, dass die Volksbewegung seit dem 20. Dezember sehr schnell reagiert hat. Auf den Straßen wurde gegen die Kriminalisierung von Demonstrationen mobilisiert.

Von da an gab es zahlreiche, oft spontane Straßenproteste: Nachbar*innen versammelten sich auf den Plätzen und in den Zentren aller Städte, Gemeinden und Provinzen. Sie waren durch die Ankündigungen alarmiert, die diese neue Regierung lauthals zu verkünden begann.

Milei begann, die Strategien sichtbar zu machen, mit denen er unsere Rechte auszuhebeln plant: über das Arbeits- und Mietrecht, durch die Auslöschung öffentlicher Güter unseres Landes und unserer Kultur, durch den extremen Preisanstieg für Dinge des täglichen Bedarfs. All dies und noch viel mehr wurde in das Notstandsdekret (DNU: Decree of Necessity and Urgency und das „Omnibus-Gesetz“ eingebaut.

Wir glauben, dass unser Kampf genauso radikal sein muss wie die Maßnahmen dieser Regierung. Die vorgeschlagenen Reformen stellen eine totale Aushöhlung dar und erinnern an die schlimmsten Privatisierungsorgien der 90er-Jahre. Sie fallen zurück in die gewaltsame Ideologie Mauricio Macris, unter der die Volksbewegung auf das Bösartigste attackiert wurde. Den repressiven Staatskräften wurde freie Hand gelassen und mit aggressiven Polizeieinsätzen und Polizeigewalt massive Proteste unterdrückt, wie die, die im Kongress vor der Rentenreform stattfanden.

Wir halten es für entscheidend, dass wir im Rahmen dieser Verteidigungskämpfe ein Gerüst errichten, von dem aus wir offensiv für die Strukturreformen kämpfen können, die unser Land braucht. Im Gegensatz zu dem, was die extreme Rechte vorschlägt, brauchen wir neue ökonomische Strukturen, die der großen Mehrheit zugutekommen.

CI: Welche Selbstkritik würden Sie an der sozialen Bewegung und der Volksbewegung in Argentinien üben, wenn man den Aufstieg der rechtsextremen Regierung bedenkt? Worauf sollte die Bewegung sich jetzt konzentrieren?

Tama Kallsen: Die Volksbewegung ist in den letzten Jahren gewachsen, im Hinblick auf territoriale Konstrukte, die die Lebensbedingungen der Bevölkerung garantieren sollen, und auch durch alternative Vorschläge dazu, wie wir unser Leben gestalten können.

Allerdings fehlt es am Aufbau einer politischen Alternative, die die Mehrheit überzeugt. Unser Volk ist es müde, unter prekären Bedingungen zu leben, mit zu niedrigen Löhnen, und mit einer Regierung, die keine Antworten hat, wenn diese Bedürfnisse vorgebracht werden.

Seit Jahren beobachten wir den Verfall unseres Lebensstandards. Ohne Zugriff auf eine materielle Grundversorgung ist unsere Existenz nie mehr als bloßes Überleben.

Die Armut ist gewachsen, die Inflation hatte die Bevölkerung im Würgegriff, und in diesem Kontext der Hoffnungslosigkeit hat die extreme Rechte sich geschickt als möglicher Akteur positioniert – eine Alternative zur ausweglosen Gegenwart. Die Progressiven und die Linke hatten ein Vakuum hinterlassen. Wenn wir diesen Raum irgendwann zurückerobern wollen, und damit die Möglichkeit, ein Leben in Würde und mit wirklich garantierten Rechten leben zu können, dann müssen wir unsere Streitereien überwinden und im Sinne der Einheit unser Volk wieder zusammenbringen.

CI: Was wird Ihrer Meinung nach mit Mileis Regierung und der argentinischen Rechten in den kommenden Jahren passieren?

Tama Kallsen: Wir glauben, dass diese Regierung zunächst einmal viel improvisiert hat und strukturelle Reformen in einem Ausmaß vorschlagen wollte, wie es sie in der gesamten Geschichte unseres Landes noch nicht gegeben hat. Wir sehen bereits, wie ihre Legitimität brüchig wird – ohne, dass wir deshalb in falschen Optimismus verfallen.

Ob die Regierung ihren von Hyperindividualismus und der Vertiefung von Ungleichheiten geprägten Kurs durchsetzen kann, wird davon abhängen, inwieweit sie populäre Unterstützung findet.

Sobald wir das Narrativ widerlegen, ein freier und deregulierter Markt und ein ausgehöhlter Staat könnten die Wirtschaft unseres Landes retten, werden unsere linken Bewegungen eine historische Chance haben.

Das Projekt der Rechten ist sehr klar: Die Gewinnspanne des Großkapitals soll exponentiell erhöht werden, auf Kosten einer immer extremer werdenden Prekarisierung unserer Existenz. Die linken Parteien müssen sich nun dringend einbringen und sich an unserem Projekt beteiligen.

 CI: Die feministische Bewegung in Argentinien ist ein Maßstab für Lateinamerika. Was werden unter der momentanen rechtsextremen Regierung die Hauptkämpfe und Slogans sein?

Tama Kallsen: Die Rechte, die von verschiedenen Formen des Feminismus in Argentinien erkämpft wurden, sind nun bedroht durch die patriarchalen und bürgerrechtsfeindlichen Positionen dieser Regierung.

Zunächst einmal müssen wir das Erreichte verteidigen. Wir müssen fordern, dass diese Errungenschaften tatsächlich umgesetzt werden: Zugang zu einem Leben mit garantieren Rechten in den Bereichen Gesundheit, Identität, Arbeit und Bildung für Cis- und Trans-Frauen, Trans-Männer, Bisexuelle, nichtbinäre Personen, Lesben, und intersexuelle Menschen.

 Die Quote für Transpersonen, das Gesetz zum freiwilligen Schwangerschaftsabbruch, umfassender Sexualkundeunterricht, das Gesetz zur Geschlechtsidentität, Zugang zu Informationen über die sexuelle Gesundheit, Verhütungsmittel, kostenlose Behandlung für sexuell übertragbare Krankheiten – das sind Gesetze, die die Rechte aller Menschen garantieren. Aber im Besonderen kommen sie jenen Menschen zugute, die historisch gesehen Misshandlungen, Zurückweisung und einen Mangel an Rechten erfahren haben.

Die Abschaffung dieser Gesetze, wie Milei sie anstrebt, würde die Lebensqualität dieser Risikogruppen ganz entscheidend verringern, und die durchschnittliche Lebenserwartung von Menschen, die von der Hetero- und Cis-Norm abweichen, verringern.

Darüber hinaus hat es auch einen Anstieg von Hass-Attacken gegen LGTTBIQNB+ Personen gegeben. Menschen, die im Bereich der Sexualerziehung für gleiche Rechte kämpfen, oder das Recht auf Abtreibung unterstützen, wurden an den Pranger gestellt und angegriffen.

Das von uns skizzierte Programm schlägt daher auch einen Strategiewechsel vor. Wir wollen einen Dialog zum Thema Selbstverteidigung und wie diese umgesetzt werden kann. Das ist in der Debatte darüber, wie wir im Angesicht einer Politik des Hasses und der Zerstörung Widerstand leisten und existieren können, ein zentrales Anliegen.

Photo:Colombia Informa

Available in
SpanishEnglishGermanFrenchArabicChinese (PRC)Italian (Standard)UrduPortuguese (Brazil)
Translators
Constanze Huther and ProZ Pro Bono
Date
01.03.2024
Source
Original article🔗
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