Briefing

PI Rundbrief | Nr. 33 | Sand im Getriebe der israelischen Kriegsmaschine

Wie man Völkermord und die Kriegsmaschinerie stoppen kann.
Im 33. Briefing der Progressiven Internationalen stellen wir die Kampagne No Harbour for Genocide vor. Diese will verhindern, dass Kerosin für militärische Zwecke nach Israel gelangt. Wenn Du unser Briefing im Posteingang erhalten möchtest, kannst Du Dich über das Formular am Ende dieser Seite anmelden.

Wie können wir Sand ins Getriebe der israelischen Kriegsmaschinerie streuen, die weiterhin Tod und Zerstörung über die Palästinenser*innen bringt? Diese Frage stellen sich progressive Kräfte überall auf der Welt.

In den vergangenen Wochen haben zivilgesellschaftliche Organisationen im Mittelmeerraum versucht, eine Teilantwort auf diese Frage zu geben: Sie fanden und störten vom US-Militär gecharterte Tankschiffe, die Kerosin für Militärzwecke nach Israel liefern. Aktivist*innen, Politiker*innen und Arbeiterinnen in Palästina, Zypern, Frankreich, Gibraltar, Griechenland, Italien, Malta, Marokko, Spanien, Tunesien, dem Vereinigten Königreich, den Vereinigten Staaten und darüber hinaus haben sich unter dem Banner *No Harbour for Genocide (Kein Hafen für Völkermord) zusammengeschlossen, um die Lieferung von militärischem Kerosin zu verzögern. Weitere Störaktionen sind geplant.

Von den USA gecharterte Tankschiffe transportieren derartigen Treibstoff von einer Raffinerie des Unternehmens Valero Energy in Corpus Christi, Texas, über Mittelmeerhäfen nach Aschkelon in Israel. Aus einem Bericht von Oil Change International und Data Desk geht hervor, dass zwischen Oktober 2023 und März 2024 drei Lieferungen mit JP-8-Militärtreibstoff durch die unter US-Flagge fahrenden Tanker Overseas Santorini und Overseas Sun Coast erfolgten. Jede Lieferung umfasste dabei etwa 300.000 Barrel Flugzeugtreibstoff. Das reicht für etwa 12.000 Flüge der israelischen Kampfjets vom Typ F-16 und F-35. Im April 2024 hatte indes der UN-Menschenrechtsrat eine Resolution verabschiedet, in der er seine tiefe Besorgnis zum Ausdruck brachte, dieser Treibstoff könnte seitens Israels für Verstöße gegen das Völkerrecht genutzt werden.

Dennoch versorgen staatlich und privat geführte Häfen im Mittelmeer sowie NATO- und US-Militärbasen diese Öltanker weiterhin mit Treibstoff, Lebensmitteln, anderen Vorräten sowie auch Besatzungswechseln. So können die Schiffe weiterhin ununterbrochen Treibstoff für israelische Kampfflugzeuge liefern.

In Reaktion darauf haben diverse Gruppen, darunter auch PI-Mitglieder, unter dem Namen No Harbour for Genocide im Juli und August die Overseas Santorini, die Treibstoff von den USA nach Israel transportierte, getrackt und gestört.

Die Overseas Santorini ist eines von zehn Schiffen, die in das sogenannte Tanker-Sicherheitsprogramm der Schifffahrtsverwaltung im US-Verkehrsministerium aufgenommen wurden. Im Rahmen des Programms werden für “militärisch nutzbare und nützliche” Schiffe jährlich sechs Millionen Dollar zur Verfügung gestellt, um “einen gewissenhaften, zuverlässigen und loyalen Treibstofftransport für das US-Militär in Zeiten nationaler Krisen zu gewährleisten”.

Die beiden besagten Schiffe (ebenso wie die Overseas Mykonos) sind von der US-Regierung beauftragt, militärischen Treibstoff, der von der Valero Energy Corporation geliefert wird, nach Israel zu transportieren. Die israelische Regierung hatte den Kauf des Treibstoffs im Jahr 2020 über das US-Außenministerium zu einem Preis von drei Milliarden Dollar ausgehandelt. Valero hat von der US Defense Logistics Agency Energy (DLA Energy) einen Vertrag über die Lieferung von fast einer Milliarde Liter JP-8 Flugzeugtreibstoff, Diesel und bleifreiem Benzin erhalten. Damit dürfte die Versorgung der israelischen Streitkräfte für viele Jahre gesichert sein.

Für die jüngste Auslieferung verließ die Overseas Santorini Corpus Christi am 15. Juli 2024 und lief am 31. Juli durch die Straße von Gibraltar ins Mittelmeer ein. Dank koordinierter Aktionen von zivilgesellschaftlichen Gruppen, sozialen Bewegungen und Hafenarbeiter*innen konnte das Schiff seine üblichen Häfen im spanischen Algeciras sowie in Gibraltar nicht anlaufen. In Malta wurde ebenfalls Druck ausgeübt, so dass sich die Schiffsführung gezwungen sah, direkt zum Terminal in Aschkelon weiterzufahren.

Die gesamte Reise der Overseas Santorini war von Problemen geprägt. Grund dafür ist eine transnationale Mobilisierung gegen die Lieferung von Kerosin für den israelischen Völkermord. Am 25. Juli gaben die Gewerkschaften der Hafenarbeiter*innen in Spanien eine Erklärung ab, in der sie sich weigern, das Schiff zu versorgen; zahlreiche spanische Politiker*innen sprachen sich ebenfalls gegen das Anlegen des Schiffes aus und über zweihundert Menschen demonstrierten in Algeciras. Sie riefen die Kommunalverwaltung auf, die von ihnen so genannten “Schiffe des Todes” nicht mehr im Hafen zu dulden.

Angesichts dieser Aktionen wurde der Tanker zunächst nach Gibraltar umgeleitet. Daraufhin forderten jedoch britische Parlamentsabgeordnete Außenminister David Lammy und Fabian Picardo, den Premier von Gibraltar, in einem Schreiben auf, das Anlegen des Schiffes ebenfalls abzulehnen. Unterdessen mobilisierten Aktivist*innen vor Ort in Gibraltar, um die Route des Schiffes nachzuverfolgen und gegen eine Anlandung zu protestieren.

Das Schiff wurde somit erneut gezwungen, abzudrehen und nicht anzudocken.

Ähnliche Kampagnen von Aktivist*innen und Politiker*innen - in enger Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und Hafenbehörden - wurden in praktisch jedem potenziellen Hafen entlang der Route der Overseas Santorini durchgeführt. So forderte beispielsweise die Fortschrittliche Partei des arbeitenden Volkes (AKEL) in Zypern die Regierung auf, das Anlegen oder Auftanken des Schiffes in zypriotischen Häfen zu verhindern. Sowohl auf Zypern als auch auf Kreta machen Aktivist*innen gegen einen möglichen Zwischenstopp mobil.

Die Overseas Santorini reagierte darauf, indem sie ihr Tracking-System über eine Woche lang abschaltete, um weiteren Störungen durch Aktivist*innen zu entgehen. Nach vielen Problemen erreichte sie schließlich Aschkelon und entlud dort am 8. August ihre tödliche Ladung. Ihre Positionstransponder waren dabei immer noch ausgeschaltet.

Sowohl die Overseas Santorini als auch die Overseas Sun Coast verschleiern inzwischen routinemäßig und absichtlich ihre Fahrtdaten und Positionen. So war die Overseas Santorini im Mittelmeer weitgehend unauffindbar, während das nächste Ziel der Overseas Sun Coast bisher nicht bekannt gegeben wurde.

Das Ausschalten der Ortungssysteme führt dazu, dass andere Schiffe die Tanker möglicherweise nicht rechtzeitig erkennen - und erhöht damit die Gefahr von Kollisionen auf See. Das Ausschalten könnte sogar einen Verstoß gegen das Seerecht darstellen. Im Zusammenhang mit dem Völkermord in Palästina soll das Ausschalten der Ortungssysteme natürlich vor allem dafür sorgen, dass die Routen nicht mehr einsehbar und man sich öffentlich nicht mehr dafür rechtfertigen muss, dass möglicherweise internationale Gesetze und Verpflichtungen übergangen werden.

Die Ausweichmanöver führen allerdings auch dazu, dass nun im gesamten Mittelmeerraum Suchmeldungen veröffentlicht werden: Aktivist*innen, Fischer*innen, Hafenarbeiter*innen und andere Bootsfahrer*innen werden damit mobilisiert, um die Route der Overseas Santorini aufzuspüren und das Schiff zu identifizieren.

In der Zwischenzeit ist die Overseas Sun Coast, die länger im südfranzösischen Hafen von Lavera, 30 Meilen westlich von Marseille, gelegen hatte, am 7. August wieder ausgelaufen. Das Schiff war vom US/NATO-Marinestützpunkt im spanischen Rota gekommen. Sein nächster Anlaufhafen wurde noch nicht bekannt gegeben. Palästina-Solidaritätsgruppen, darunter das Comité local des Soulèvements de la terre de Marseille, Urgence Palestine Marseille und BDS Provence, forderten die französische Regierung auf, das Abdocken von Schiffen zu verhindern und zu verbieten, wenn diese militärischen Treibstoff von ihrem Hafen nach Israel transportieren. Andernfalls riskiere Frankreich, sich mitschuldig an einem Völkermord zu machen. In einer Mitteilung werden außerdem die Arbeiter*innen im Hafen von Lavera aufgerufen, sich gegen eine indirekte Beteiligung am Völkermord und gegen eine Anlandung von Schiffen wie der Overseas Sun Coast zu wehren.

Neben der Erklärung des UN-Menschenrechtsrats vom April haben auch zahlreiche Jurist*innen betont, dass Staaten mit Blick auf potenziellen Genozid die Pflicht haben, den Transit von militärischem Treibstoff durch ihre Häfen zu verhindern. Ein von mehr als 60 internationalen Rechtsexpert*innen unterzeichnetes Schreiben wurde an die UN-Missionen aller Anrainerstaaten des Mittelmeers und des Golfs von Mexiko gesandt. In diesem wird gewarnt, dass die Durchfuhr von militärischem Treibstoff durch ihr jeweiliges Staatsterritorium gegen internationales Recht verstoßen dürfte.

Dementsprechend wird die Verantwortung der jeweiligen Regierungen betont, “diesen Schiffen die Erlaubnis zu verweigern, die Hoheitsgewässer der Staaten zu durchqueren oder sie in Häfen unter der Gerichtsbarkeit dieser Staaten zu versorgen [...] Andernfalls könnte dies eine Verletzung der internationalen rechtlichen Verpflichtungen und eine Mitschuld an den von Israel begangenen Völkerrechtsverletzungen bedeuten”.

Die Expert*innen betonten mehrfach, die Mittelmeerhäfen müssten ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommen und Schiffen den Transit verweigern, wenn deren Ladung Israel unmittelbar in die Lage versetzt, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere schwere Verstöße gegen das Völkerrecht zu begehen. Derartige Maßnahmen stünden im Einklang mit solchen, die von Staaten und Arbeiter*innen ergriffen wurden, um die Apartheid in Südafrika zu beenden, und in jüngerer Zeit mit Kampagnen, um Verbindungen zwischen Schifffahrtsunternehmen und der Militärjunta in Myanmar aufzudecken und zu kappen.

Diese jüngsten, erfolgreichen Mobilisierungen sind nur die erste Phase einer Reihe geplanter globaler Störaktionen, die sich gegen Valero Energy, die Tanker für den Transport von militärischem Kerosin, die Unternehmen, die diese Schiffe warten, die Versicherer der Schiffe und alle Einrichtungen, die von der Ermordung palästinensischer Menschen profitieren, richten werden. 

Die Bewegung macht eines deutlich: Solange Konzerne und Staaten weiterhin den Verkauf und Transport von Waffen, Munition und militärischem Treibstoff möglich machen und davon profitieren, kann es nur eine Antwort geben: No Harbour for Genocide.

Das Neueste aus der Bewegung

Bangladesch am Scheideweg

Nach der Absetzung von Premier Sheikh Hasina befindet sich Bangladesch am Scheideweg. Hasina war 15 Jahre lang Premierministerin und in den vergangenen Monaten für das gewaltsame Vorgehen gegen demonstrierende Menschen verantwortlich, bei dem Hunderte getötet wurden.

Die Arbeiterbewegung im Land versucht, die Gunst der Stunde zu nutzen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen: In der vergangenen Woche stellte die Sommilito Garments Sramik Federation unter der Leitung von PI-Ratsmitglied Nazma Akter eine Reihe von Forderungen an die neue Interimsregierung, die vom Mikrokredit-Pionier (und Liebling der westlichen Finanzinstitute), Mohammad Yunus, geführt wird. Die Federation fordert die sofortige Rücknahme der 35 Strafverfahren, die während der Proteste gegen den Mindestlohn 2023 gegen Arbeiter*innen und Gewerkschaftsführer*innen eingeleitet wurden, einen neu ausgehandeltn Mindestlohn, der den steigenden Lebenshaltungskosten Rechnung trägt, die Änderung des Arbeitsgesetzes von 2006, um es mit den internationalen Arbeitsnormen in Einklang zu bringen, sowie die Freilassung von 57 bangladeschischen Wanderarbeiter*innen, die ihre Solidarität mit der Studierendenbewegung in den Vereinigten Arabischen Emiraten bekundet hatten.

Um die aktuellen Entwicklungen besser zu verstehen, veranstaltete das PI-Mitglied Peace and Justice Project ein Webinar, das von PI-Ratsmitglied Jeremy Corbyn geleitet wurde. Dort kamen Psymhe Wadud (Dozentin an der juristischen Fakultät der Universität Dhaka), Saeed Naqvi (bekannter indischer Journalist und Kommentator), Kalpona Akter (eine führende Arbeitsrechtaktivistin und Gründerin des Bangladesh Center for Workers Solidarity) und Fahmida Khatun (Geschäftsführerin des bangladeschischen Thinktanks Centre for Policy Dialogue, CPD) zu Wort.

Du kannst das Webinar hier ansehen.

Amazon Teamsters siegen vor Gericht

Die von der Gewerkschaft Teamsters Local 396 vertretenen Amazon-Lieferfahrer*innen im kalifornischen Palmdale haben einen wichtigen Sieg vor Gericht erzielt. Damit wird es Amazon-Lieferfahrer*innen im ganzen Land möglich, sich gewerkschaftlich über die Teamsters zu organisieren. Nach einer mehr als einjährigen Untersuchung stellte das zuständige National Labor Relations Board Region 31 fest, dass Amazon ein Gesamtarbeitgeber seiner Fahrer*innen (den sogenannten Delivery Service Partners, DSP) und somit gesetzlich verpflichtet ist, die Teamsters als Arbeiter*innenvertretung anzuerkennen und mit ihnen zu verhandeln.

Kunst: Rheim Alkadhi lebt in Berlin und beschäftigt sich mit umfangreichen Recherchen vor Ort zu den Themen Migration, Grenzen, Imperialismus und Ökologie. Besonderes Interesse gilt dabei dem Abbau von Ressourcen, der zu Vertreibung führt, sowie den Umweltauswirkungen, die mit dem Material verbunden sind. Alkadhi verwendet in den Arbeiten daher häufig gefundene Planen und Zeltreste. Diese aus fossilen Ressourcen gewonnenen Stoffe werden häufig für Transportfahrzeuge an den Grenzen und für den Bau von Notzelten verwendet. Alkadhi hat an Projekten entlang der europäischen Grenzen gearbeitet sowie in Palästina, im Libanon, in Jordanien und im Irak, dem fünftgrößten Öl- und Erdölproduzenten der Welt - und Heimat Alkhadis.

Available in
EnglishFrenchGermanSpanishPortuguese (Brazil)
Translator
Tim Steins
Date
27.08.2024
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