Am 30. November 1999 störten Demonstrierende das Ministertreffen der Welthandelsorganisation in Seattle. Die WTO, das Kronjuwel des neoliberalen Globalismus, sollte ein Gesetz für die Weltwirtschaft schaffen — mit dem Ziel, den Freihandel für alle dauerhaft zu gewährleisten. Die Aktivist*innen in Seattle, die meisten davon linke, widersetzten sich der Organisation, die die Rechte der Unternehmen der demokratischen Kontrolle entziehen wollte.
Es hat 20 Jahre gedauert, aber die WTO scheint nun auf dem Sterbebett zu liegen. Falls es in letzter Minute keine Überraschungen gibt, wird sie im nächsten Monat ihre Arbeit ganz einstellen, da die Trump-Regierung weiterhin die Ernennung neuer Richter für das Berufungsgremium blockiert.
Bedeutet dies, dass “die Demonstrierenden von Seattle dank Trump endlich gewinnen könnten”, wieBloomberg News-Kolumnist Noah Smith bemerkte?
Nein. Tatsächlich zeigt der Vorschlag selbst, wie sehr wir sowohl die Gegenwart als auch die Vergangenheit missverstehen. Wir hören immer wieder, dass wir uns in einer Ära der offenen gegen die geschlossene Gesellschaft, des Kosmopolitismus gegen die Isolation befinden. Feinde von Feinden müssen Freunde sein. Gegen die WTO zu sein, muss also bedeuten, sich mit Trump zu verbünden. Es geht um die Welt oder die Nation: Man kann sich nur für eines von beiden entscheiden.
Aber diese Geschichte ist falsch, wenn nicht sogar lächerlich. Abseits einiger weniger Randerscheinungen verlangt heute keine ernsthafte politische Formation Autarkie, Eigenständigkeit oder einen substanziellen Rückzug aus der Weltwirtschaft. Was fast alle wollen, ist eine Revision des Status quo der “langen 1990er Jahre”, die von den Anfängen der WTO, von NAFTA und dem Maastricht-Vertrag der EU über die Umbrüche von Trump, Brexit und der Eurozonen-Krise im Jahr 2010 dauerte.
Wir sind keine Zeugen eines Kampfes zwischen Globalisten und Nationalisten, sondern — wie 1999 — eines Zusammenpralls unterschiedlicher Globalisierungskonzepte. Um den Begriff der 1990er Jahre zu verwenden, ist die Alter-Globalisierung wieder da. Aber dieses Mal kommt sie sowohl von links als auch von rechts.
Nehmen wir die gut dokumentierten WTO-Proteste von 1999. Was sieht man in den Archivaufnahmen? Keine Forderungen nach Mauern oder die Verunglimpfung der ausländischen Konkurrenz im Stile Trumps, sondern eher eine Feier der Vielfalt und des internationalen Charakters des politischen Kampfes. Einer der bekanntesten Dokumentarfilme der Proteste beginnt mit einer dunkelhäutigen südasiatischen Frau in einem Sari und Bindi: Vandana Shiva von der “International Coalition on Globalization”. Sie sagt, dass “die Verweigerung der Gestaltung der Wirtschaft das Ende der Demokratie ist”. Minuten später sehen wir einen Mann vor einer Menschenmenge sprechen, der ihnen sagt, sie sollten “dafür sorgen, dass die Regierungen der führenden Politiker*innen in der ganzen Welt diesen Tag, den 20. November 1999, nie vergessen werden”. Dieser Mann afrikanischer Abstammung ist Leroy Trotman von der “Barbados Workers Union”. “Diese Demonstration ist keine Demonstration der Vereinigten Staaten”, fährt er fort, “es ist eine Demonstration aller Menschen der Arbeiter*innenklasse auf der ganzen Welt - reiches Land, armes Land, weißes Land, schwarzes Land, alle Länder”.
“Viele Menschen aus der Arbeiter*innenklasse in diesem Land stellen die Verbindung nicht her”, sagt ein amerikanischer Latino-Organisator später, “dass sie direkt mit den Menschen in Mexiko-Stadt verbunden sind und dass das, was diesen Menschen passiert, ihnen passiert, vielleicht nicht sofort, aber, verdammt nochmal, es wird passieren”. Ein anderer dunkelhäutiger Organisator in einer Lederjacke mit dem Kampfnamen “War Cry” (“Schlachtruf”) sagt: “Unsere Unterschiede sind unsere Stärken. Ich glaube nicht, dass jemand in einer homogenen Kultur leben will.”
Verbindung, Globalität, Vielfalt: Das sind alles Schlagworte der 1990er Jahre — genau die, die heute so kommodifiziert und verpackt sind, dass sie von Kleidersocken bis hin zur Wohlfahrtsreform alles verkaufen. Und es stimmt, dass sowohl die linke Anti-Globalisierungsbewegung als auch das, was heute von einigen als “progressiver Neoliberalismus” verurteilt wird, zumindest oberflächlich diese lingua franca teilen, die von Benetton, Coca-Cola und dem Londoner Millennium Dome populär gemacht wurde. Dennoch könnten ihre Botschaften nicht unterschiedlicher sein.
Die Aktivist*innen in Seattle akzeptierten die Globalisierung als Tatsache, stellten aber gleichzeitig die Frage, welche Institutionen diese dazu bringen würden, auf soziale Gerechtigkeit und nicht auf Entmachtung und Ungleichheit hinzuarbeiten. Es wurde nach Institutionen gesucht, die —im Jargon der Zeit — die Menschen über den Profit stellen.
Der am häufigsten verwendete Slogan für die Demonstrierenden in Seattle ist ein Bündnis zwischen “Teamstern und Schildkröten” und bezieht sich auf die gemeinsame Front der organisierten Arbeiterschaft und der Umweltgruppen. Die Einführung von Arbeits- und Umweltstandards in Handelsabkommen waren zwei Kernforderungen der Menschen auf der Straße. Beide Forderungen wurden und werden in den Urteilen der WTO routinemäßig als unfaire Handelsbarrieren abgetan.
Bedeutet das, dass globale wirtschaftliche Governance an sich unmöglich ist? Wie könnten solche Ziele verfolgt werden, wenn nicht durch alternative Formen der internationalen Organisation? Die Demonstrierenden von Seattle waren nicht blind für diese Herausforderungen. Sie suchten nach Bündnissen mit Diplomat*innen und einheimischen Aktivist*innen im gesamten globalen Süden, um neue Institutionen zu schaffen. Das Ziel war nicht, aus der Globalisierung auszusteigen, sondern sie neu zu gestalten.
Zwanzig Jahre später scheinen die Demonstrierenden in Seattle mehr richtig als falsch zu liegen. Die WTO hat ihr Demokratieproblem nie gelöst. Die Ungleichheit, die durch das Ignorieren der Forderungen der Arbeiterschaft entstand, nährte das Aufkommen von zerstörerischen sozialen Bewegungen und aufrührerischen politischen Parteien. Ökologische Fragen stehen im Mittelpunkt jeder ernsthaften Agenda. Ein weniger offensichtliches Leitmotiv ist die Besteuerung. Attac, eine in Frankreich nach den Protesten von 1995 gegründete Organisation, stand ursprünglich für “Action for a Tobin Tax to Assist the Citizen” (“Aktion für eine Tobin-Steuer zur Unterstützung der Bürger”) und setzte sich für eine kleine Steuer (wie vom Ökonomen James Tobin vorgeschlagen) auf die nach Mitte der 1990er Jahre stark gestiegenen Finanztransaktionen ein. Diese Forderungen finden heute ein Echo in der Arbeit progressiver Ökonomen wie Thomas Piketty, Emmanuel Saez und Gabriel Zucman, aber auch in den Parteiprogrammen von Jeremy Corbyns Labour-Partei und den Wahlreden der demokratischen Kandidaten Elizabeth Warren und Bernie Sanders. So gesehen haben die Demonstrierenden nicht verloren. Sie stellten politische Forderungen vor, die immer weiter in den Mainstream vorgerückt sind.
Linke Alter-Globalisierungsaktivist*innen wollten — und viele versuchen es immer noch — die globale Wirtschaftsordnung umgestalten und sie auf Ziele ausrichten, die eine größere Befürwortung von jenen Bevölkerungsgruppen gewinnen könnten, die sich von den Erträgen der Explosion der grenzüberschreitenden Finanztätigkeit und des Handels seit Ende der 1990er Jahre ausgeschlossen fühlen. Das ist weit entfernt vom rechten Bild der Globalisierung, das das Zerschreddern globaler Umweltabkommen, die Senkung der Unternehmenssteuern auf das absolute Minimum und die Nutzung von Zöllen zur Dominierung geopolitischer Rivalen beinhaltet. Die Absurdität der Behauptung, dass Trump die Forderungen der Protestierenden verwirklicht, sollte daher mehr als deutlich sein.
Trumps Version der alternativen Globalisierung kann durch die Handlungen eines seiner Kabinettsmitglieder, Handelsminister Wilbur Ross, einige Jahre vor Seattle verstanden werden — die bei weitem nicht die einzigen Proteste dieser Art waren: es folgten der zapatistische Aufstand in Chiapas, Mexiko, im Januar 1994, ein großer Streik der öffentlichen Angestellten in Frankreich im Dezember 1995 und der größte organisierte Streik der Geschichte im Januar 1997 in Südkorea. Genau dort kam nach der asiatischen Finanzkrise der Investmentfonds von Ross — ein so genannter “Vulture Fund” (“Geier-Fonds”), der zum Kauf und Verkauf von notleidenden und bankrotten Vermögenswerten bestimmt war — auf den Markt, kaufte eine Mehrheitsbeteiligung an Koreas größtem Autoteile-Exporteur und erzwang eine Reihe von Kürzungen bei Arbeitsplätzen und Leistungsansprüchen.
Die Beschäftigten reagierten mit Streiks, die in der Regel zu einer Einigung mit der Unternehmensleitung führten. Bloß dieses Mal forderte Ross den Staat zum Handeln auf, und dieser kam dem nach, indem er 8.000 Polizisten mit Bulldozern und Tränengas schickte, um den in verschiedenen Städten stattfindenden Streik zu brechen. Ein Viertel der Beschäftigten wurde entlassen und 25 Gewerkschaftsführer kamen ins Gefängnis. Das war das erste Mal, dass die neue Regierung Gewalt gegen Streikende anwendete. “Ich habe dem Unternehmen einfach klar gemacht, dass es, wenn die Unruhen weitergehen, [das Unternehmen] finanziell unrentabel machen würde”, sagte Ross damals. In einer perversen, aber symptomatischen Wendung war ein zentraler Beitragszahler von Ross' Fonds — und damit Miteigentümer des Autoteile-Herstellers — die kalifornische Agentur für Beamtenrente CalPERS. Das bedeutet, dass gewerkschaftlich organisierte US-Arbeiter*innen vom Streikbruch auf der anderen Seite der Welt profitierten.
Das hemmungslose Vorgehen gegen diejenigen, die die Rendite gefährden, ist ein Beispiel für die Alter-Globalisierung der Rechten. Wie die Linke sind rechte Globalisierungsgegner wie Trump, Boris Johnson und mitteleuropäische Parteien wie die Alternative für Deutschland, die Schweizerische Volkspartei und die Freiheitliche Partei Österreichs der Meinung, dass das derzeitige System ungerecht ist. Aber ihre Forderungen, die in Parteiprogrammen und Entwürfen für Post-Brexit-Handelsverträge festgehalten werden, bestehen nicht darin, die multilaterale Governance in Richtung Umverteilung durch Steuern zu verändern, die Arbeitsstandards zu erhöhen oder eine Post-CO2-Wirtschaft zu verfolgen. Sie wollen die 1990er Jahre nicht so sehr umkehren, sondern sie dramatisch beschleunigen, mit weniger Umweltschutz und einem schnelleren “Race-To-The-Bottom”; die Vorschläge der britischen Regierung, den nationalen Gesundheitsdienst des Landes (NHS) in einem Post-Brexit-Handelsabkommen mit den Vereinigten Staaten auszuhöhlen, sind nur das jüngste Beispiel für die Konsequenz dieser Ideologie.
Die Kontinuitäten zwischen dem neoliberalen Globalismus und den sogenannten Populisten sind leicht zu finden. Der Möchtegern-Svengali Steve Bannon zitiert die neoliberale Ikone Friedrich Hayek auf seinen Reisen durch Europa, während er (bisher erfolglos) eine eigene rechte Internationale ins Leben rufen will. Die “Bruges Group”, die von Think-Tankern der britischen Konservativen gegründet wurde, nachdem Margaret Thatcher 1988 ihre Besorgnis über die Europäische Union zum Ausdruck gebracht hatte, rühmt sich auf ihrer Website, dass sie “den intellektuellen Kampf um eine Abstimmung zum Verlassen der Europäischen Union anführte”. Statt einer Wendung nach innen beginnt ein kürzlich auf der Website der “Bruges Group” veröffentlichter Beitrag, dass “wir jetzt alle global sind”. Die von ihnen vorgeschlagene Unterscheidung gibt einer alten Trope der Rechten eine neue Wendung: “globale Realisten gegen wurzellose Kosmopoliten”.
Zwanzig Jahre nach Seattle ist Trump nicht dabei, die WTO zu zerstören, um die Forderungen der Demonstrierenden zu verwirklichen, die die Straßen dieser Stadt füllten. Er zerstört sie, um eine noch asymmetrischere Architektur der Handelsordnung an ihre Stelle zu setzen: eine, die China eindämmt und die Vereinigten Staaten wieder in die Position der globalen Kontrolle versetzt, aus der sie sich zu Unrecht verdrängt fühlt. Unter Boris Johnson wird ein Großbritannien nach dem Brexit ein Juniorpartner in dieser neu begonnen Weltordnung sein. Die Vision von Seattle wird immer weiter in die Ferne gerückt.
Wenn wir die aktuellen geopolitischen und wirtschaftlichen Konflikt jenseits der bereits abgestandenen Klischees von offen und geschlossen betrachten, sehen wir, dass eine “Rückkehr” zur Nation nicht nur eine falsche Alternative ist — es ist nicht einmal eine, die irgendjemand ernsthaft fordert. Wie 1999 ist die Frage nicht “Ja” oder “Nein” zur Welt, sondern eine ernsthafte Abrechnung mit der Art von Globalisierung, die wir wollen.
Quinn Slobodians jüngstes Buch ist “Globalists: The End of Empire and the Birth of Neoliberalism” (Harvard 2018). Er lehrt Geschichte am Wellesley College.
Foto: Steve Kaiser, Flickr.