Social Justice

Gemeinschaftswachen: Selbstschutz und Autonomie

Gruppen von Gemeinschaftswachen der Bäuer*innen, Cimarrona und Indigenen aus ganz Kolumbien haben im vergangenen Juli in Cali die Nationale Volksversammlung (NVV) abgehalten. Sie pflegen die seit Jahrhunderten überlieferten Praktiken der Volks- und Ahnenmacht und organisieren die Gemeindemitglieder zur Verteidigung ihrer jeweiligen Gebiete und Räume.
Ein Interview mit den Anführern der Bäuer*innen-, Cimarrona- und indigenen Gemeinden über die Aktivitäten, die sie seit dem Beginn des nationalen Streiks in Kolumbien durchgeführt haben. Für sie geht Selbstjustiz über die Ausübung von Autorität hinaus. Sie bedeutet, ihr Gebiet und das Leben derer, die ihr Land bewohnen, zu schützen.

Die Nationale Volksversammlung (NVV), die vom 17. bis 19. Juli in der Universidad del Valle in Cali stattfand, wurde systematisch von staatlichen Kräften angegriffen und sabotiert. Dank des Eingreifens der indigenen, Cimarrona-, und Bäuer*innen-Gemeindegarden und der Demonstrierenden an vorderster Front konnte die Versammlung jedoch sicher und friedlich abgehalten werden.

Cimarrona-Wache

"Die Polizist*innen wissen, wie man andere als Polizist*innen behandelt, die Guerilla wie man die Guerilla behandelt und die Paramilitärs wie man die Paramilitärs behandelt", sagte Manuel Correa, "(...) sie haben alle ihre eigene Ideologie, aber sie sind weit entfernt von der Weltsicht der schwarzen Bevölkerung." Correa ist Gemeindeführer in der Gemeinde Riosucio, im Bajo Atrato (Chocó). Er gehört der Asociación de Consejos Comunitarios y Organizaciones del Bajo Atrato (Ascoba, Vereinigung der Gemeinderäte und Organisationen des Bajo Atrato) an und ist außerdem der zweite Hauptmann der Cimarrona-Wache für diese Region.

Für Manuel ist die Übernahme der Rolle des Gemeindewächters eine Ausübung der Macht des Volkes, die dazu beiträgt, eine enge Beziehung zum Wissen der schwarzen Bevölkerung zu erhalten. Viele Verordnungen und gesetzliche Bestimmungen wurden eingeführt, um die Autonomie der kollektiven Territorien zu schützen, wie z. B. das Dekret 1745 aus dem Jahr 1995, das Friedensabkommen und das Ethnische Kapitel. Aber die Realität sieht anders aus für diejenigen, die in einem Umfeld ständiger Korruption, Enteignung von Land und Menschenrechtsverletzungen leben.

"Sie sehen die Wache als einen Dorn im Auge, weil sie auch eine interne und externe Kontrolle darstellt. Die Wache wird nicht alle Probleme lösen, aber sie kann Aufgaben zuweisen und aufdecken, wenn jemand die Gemeinschaft betrügt", sagt Manuel. 


Die Cimarrona-Wache geht auf die schwarzen Menschen zurück, die während der Kolonialzeit versklavt wurden und ihre Freiheit durch die Flucht nach San Basilio Palenque (Bolívar) erlangten, wo sie ihren Kampf fortsetzten. 

In einem so vielschichtigen Gebiet wie dem Chocó, in dem es verschiedene legale und illegale bewaffnete Gruppen gibt, ist die Zugehörigkeit zur Cimarrona-Wache eine riskante Aufgabe, bei der sie Angriffen, Drohungen und Attentaten ausgesetzt sind. Trotz der Gefahr sagen sie, dass sie jeden Tag Kraft sammeln, um ein Projekt zu stärken, dem ein historischer Widerstand zugrunde liegt.

Diese gemeinschaftlichen Praktiken der Volksmacht haben sich seit August 2013 verstärkt, als zum ersten Mal über siebentausend Stimmen aus verschiedenen Gebieten den Ersten Nationalen Kongress der Schwarzen, Afrokolumbianischen, Raizal- und Palenquero-Völker in Quibdó (Chocó) abhielten. Dort haben die Gemeinschaften viele ihrer Aufträge zum Schutz der Wassereinzugsgebiete, des Landes, der Tiere, des Saatguts, der traditionellen Medizin und der kulturellen Praktiken zusammengefasst.

Guardia Campesina (Bäuer*innenwache)

"Wer sind wir? Die Bäuer*innenwache!

Was verteidigen wir? Leben und Land!"

Der Widerstand und die Organisation der Bäuer*innenwache leiten sich aus den strukturellen Bedürfnissen ihrer eigenen Gemeinschaften ab, die von verschiedenen Ebenen der Gewalt betroffen sind.

"Wir wissen, dass die unterdrückerischen Regierungen die Bedürfnisse der Bäuer*innen nie berücksichtigt haben. In unseren Gebieten gibt es Menschen, die 12 Stunden von den Hauptstraßen entfernt sind, es gibt keine Wege, gar nichts. Im Departement Cesar kann nur 1 Prozent der bäuerlichen Bevölkerung zur Universität gehen, wir haben keine Gesundheitsversorgung (...)", versichert David Donado, Mitglied der Bewegung der Landarbeiter*innen (MTTC, Movimiento de Trabajadores y Trabajadoras Campesinas) im Cesar und einer der Führer der MTTC in diesem Departement.

Die Bäuer*innenwache ist ein Ausdruck der Autonomie der Gemeinschaft in einem schwierigen Umfeld, in dem der Staat zu den Tätern gehört. Im äußersten Norden des Landes wurde die Catatumbo-Bäuer*innenwache, die von der bäuerlichen Vereinigung Asociación Campesina del Catatumbo (Ascamcat) organisiert wird, 2014 als Mittel des organisierten Selbstschutzes im Kontext systematischer Gewalt im Zusammenhang mit Bergbau- und Energieprojekten und der gewaltsamen Ausrottung der Koka-Kulturen in der Region gegründet.

"Cesar ist eine der Regionen mit den größten Kohlereserven in Kolumbien und laut der Nationalen Bergbaubehörde (ANM) wurden in diesen Reserven zwischen 2018 und 2019 64 Prozent der gesamten Kohle des Landes gefördert", sagt David. Diese Realitäten stellen für die Wächter*innen einen ständigen Kampf dar, mit dem sie sich gegen ein extraktivistisches Wirtschaftsmodell wehren, das die Lebensprojekte der Gemeinden bedroht.

Nach Ansicht der Wächter*innen hat die derzeitige Regierung Botschaften verbreitet, die ihre Arbeit stigmatisieren, was die Repression gegen die Mitglieder der Wächter*innen weiter verschärft.

Nach Angaben des Instituto de Estudios para el Desarrollo y la Paz (Indepaz, Institut für Studien für Entwicklung und Frieden) wurden von den 310 im Jahr 2020 ermordeten sozialen sozialen Kämpfer*innen und Aktivist*innen 89 als Bäuer*innen und 19 als Afrokolumbianer*innen identifiziert.

David Donado würdigt die Bäuer*innenwache als Leuchtturmprojek, das Hoffnung für die Lebensprojekte der ländlichen Gemeinden spendet. Während des nationalen Streiks, der am 28. April 2021 begann, spielten die Bäuer*innenwache eine entscheidende Rolle, die ihnen in der öffentlichen Meinung einen Ruf als Beschützer*innen und Verteidiger*innen des Lebens verschaffte.

Guardia Indígena (Indigene Garde)

"Die Volksmacht der Garde entsteht durch den Schutz meiner Umgebung, meines Partners, meiner Nachbar*innen. Ich verstehe, was um mich herum passiert, löse das Problem und beginne von dort aus zu sehen, was der Auslöser ist. (...) Die Garde schließt niemanden aus, sondern lädt alle ein, unsere Mutter Erde zu verteidigen und zu pflegen”, beschreibt Daniela León, eine junge Frau, die Wächterin des Consejo Regional Indígena del Cauca (CRIC, Regionaler Indigener Rat von Cauca) ist.

Wie Daniela schließen sich immer mehr Frauen der indigenen Garde in Cauca an. "Wir wollen den vielen systematischen Massakern in unseren Gebieten ein Ende setzen; deshalb sind wir die Wächter*innen des Territoriums, und deshalb haben die Menschen auch die Notwendigkeit gesehen, Garden (Cimarrona, städtische, bäuerliche) in verschiedenen Teilen des Landes zu schaffen, damit die Gemeindemitglieder selbst für die Sicherheit ihres Raums sorgen können", sagt Daniela.

Die indigene Garde von Cauca pflegt und erhält seit Jahrzehnten die seit Jahrhunderten überlieferten Praktiken der Volks- und Ahnenmacht. Dieses Wissen wird durch den Kommandostab repräsentiert, der an diejenigen weitergegeben wird, die als der Gemeinschaft verpflichtet gelten.

"Da unsere Anführer*innen bedroht sind und Mutter Erde durch die Ankunft der multinationalen Konzerne in Gefahr ist, war es notwendig, die Kiwe the'gsa/pu'yaksa'wesx Indigene Garde wieder ins Leben zu rufen und zu stärken. Dabei handelt es sich um Gruppen von Personen, die von der Gemeinschaft, den traditionellen Ärzten und der höchsten Autorität ernannt werden", so die Asociación de Autoridades Ancestrales Territoriales Nasa (Vereinigung der territorialen Autoritäten der Nasa).

Die Ausübung des Selbstschutzes und der Volksmacht wird weiterhin legitimiert.

Für Wachen der Indigenen, Cimarrona und Bäuer*innen, die sich in der Nationalen Volksversammlung trafen, war die Gründung anderer Gemeinschaftswachen, wie der Ersten Linien, eine große "Überraschung", wie Manuel, ein Mitglied der Cimarrona-Garde, sagte. "(...) Aber es war erfreulich, die Zustimmung aller Leute zu finden, die hier in der Volksbewegung sind. Wir haben in anderen Zusammenhängen, in den Städten, bei der Inbesitznahme von Gebieten, bei der Einnahme von Gebieten Äußerungen von Wächtern gefunden", sagt Manuel.

Nach Ansicht der Ersten Linie und in Übereinstimmung mit dem, was in der NVV diskutiert wurde, entsprechen ihre Handlungen der legitimen Ausübung des sozialen Protests und sind eine Reaktion auf die brutale Unterdrückung durch die Sicherheitskräfte bei öffentlichen Demonstrationen.

Im Juli legte die Interamerikanische Menschenrechtskommission 42 Empfehlungen zur Wahrung der Menschenrechte von Demonstrierenden vor. Nach einer Systematisierung der Zahlen der Organisation Defender Libertad (Freiheit verteidigen) wurden zwischen dem 28. April und dem 30. Juni 84 Menschen getötet, 106 Menschen erlitten geschlechtsspezifische Gewalt, 1.790 Menschen wurden körperlich verletzt (davon 298 Menschenrechtsverteidiger*innen) und 3.274 wurden festgenommen.

Sie hoffen, in den kommenden Monaten die erste Nationale Versammlung der Garden und der Ersten Linien abzuhalten, auf der sie versuchen werden, die nationalen und lokalen Vorschläge im aktuellen humanitären Kontext zu festigen.

Available in
EnglishSpanishPortuguese (Brazil)FrenchItalian (Standard)German
Translator
Nicole Millow
Date
12.10.2021
Source
Colombia InformaOriginal article🔗
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