HAVANNA – Der Anblick hungriger Menschen, die Müllcontainer durchwühlen und um Almosen betteln, war in US-amerikanischen und europäischen Städten einst häufiger anzutreffen als in Havanna. Aber eine Reihe von stillen Schachzügen, zuerst von Trump und jetzt von Biden, haben eine humanitäre Krise in Kuba herbeigeführt.
Ramone Montagudo, 72, pensionierter Geschichtslehrer, lässt jeden Tag von seiner schattigen Veranda im Süden Havannas aus die Welt an sich vorbeiziehen. Er beobachtet den Niedergang aus der ersten Reihe. Bis vor einigen Jahren leerten die Müllmänner regelmäßig die blauen Abfallcontainer an der Ecke seiner Straße, wo er und seine Nachbar*innen ihren Hausmüll entsorgen. Jetzt schwirren die Fliegen in der schwülen Hitze über einem riesigen Haufen von Müll. Er sieht einige seiner ärmeren Nachbar*innen – die bis vor ein paar Jahren genug zu essen hatten – Essensreste aus dem fauligen Abfall klauben.
„Was Lebensmittel und Medikamente angeht, befinden wir uns in einer außerordentlich schwierigen Situation“, sagt Montagudo. „Dieses Land wurde schon immer sanktioniert, und wir sind irgendwie durchgekommen. Aber Trump hat dann die Gesetzeslücken gestopft.“
Die Sanktionen gegen Kuba sind länger in Kraft als gegen jedes andere Land der modernen Geschichtsschreibung. Vor fast einem Jahrzehnt lockerte die Obama-Regierung jedoch die Sanktionen gegen die Insel und stellte die diplomatischen Beziehungen zu Havanna wieder her. Man gab damals zu, dass man selbst mit mehr als einem halben Jahrhundert erzwungener Verarmung der Insel einen Sturz der kommunistischen Regierung nicht hatte erzwingen können. Das Land erholte sich daraufhin wirtschaftlich schnell. Doch in den letzten Wochen der Trump-Administration setzte das Weiße Haus Kuba wieder auf die State-Department-Liste der staatlichen Förderer des Terrorismus, neben Iran, Syrien und Nordkorea – aus rein politischen Gründen und ohne Beweise zu liefern.
Kuba-Beobachterinnen gingen davon aus, dass Biden Obamas Fortschritte wiederherstellen werde. Schließlich hatte Biden im Wahlkampf 2020 versprochen, er werde als Präsident „die gescheiterte Trump-Politik, die den Kubanerinnen und ihren Familien Schaden zugefügt hat, rückgängig machen“.
Stattdessen hat Biden Trump sogar noch überboten, indem er Kubas Tourismusindustrie – den Hauptmotor der kubanischen Wirtschaft – stärker angriff als die Vorgängerregierung. Vor zwei Jahren verweigerte Bidens Außenministerium Ausländer*innen, die Kuba besucht hatten, die visafreie Einreise in die USA. Für Menschen aus Großbritannien, Frankreich, Spanien und 37 anderen Ländern hieß das, dass ein bloßer Urlaub in Kuba ihre Befreiung von der Visumspflicht zunichtemachen könnte. Viele beschlossen daher, lieber keinen Besuch auf der Insel zu riskieren. Im Gegensatz zur restlichen Karibik hat sich der Tourismus in Kuba seit der Pandemie nicht wieder erholt. Der europäische Reiseverkehr auf die Insel ist nur noch halb so umfangreich wie vor der Pandemie.
Die Einstufung als Terrorstaat hat zusammen mit den mehr als 200 Sanktionsmaßnahmen, die seit Obamas Amtsantritt gegen die Insel verhängt wurden, die kubanische Wirtschaft zerstört, indem dem bereits angeschlagenen kubanischen Staat wichtige Einnahmen entzogen wurden. Ökonom*innen haben errechnet, dass die Einbußen bei den Tourismuseinnahmen aufgrund der Terrorstaat-Einstufung den Staat jährlich Hunderte von Millionen Dollar kosten. Die Kosten der Trump-Biden-Sanktionen belaufen sich nach ihren Angaben auf mehrere Milliarden Dollar pro Jahr.
Aber die menschlichen Kosten für Montagudo und Millionen wie ihn sind nicht berechenbar. Vor drei Jahren wurde der pensionierte Lehrer mit Parkinson diagnostiziert. Er kann sich zwar Rezepte ausstellen lassen – Kuba hat pro Kopf immer noch mehr Ärzt*innen als jedes andere Land der Welt –, aber es gibt keine Medikamente. Wie bei allem anderen auch, ist das Angebot versiegt. „Früher ging man in die Apotheke, und die Medikamente waren da. Aber jetzt…“ – er beißt sich auf die Lippen und zuckt mit den Schultern.
Der doppelte Tiefschlag von verschärften Sanktionen und der Pandemie hat für die Kubaner*innen eine düstere neue Realität geschaffen. Bei vielen herrscht mittlerweile mehr als 12 Stunden pro Tag Stromausfall. Angesichts leerer Apothekenregale ist der Preis von Medikamenten auf dem Schwarzmarkt so stark gestiegen, dass ein Großteil der Bevölkerung nicht mehr mithalten kann. Da kein Geld für die Reparatur der alten Infrastruktur da ist, leben mittlerweile Hunderttausende ohne fließendes Wasser. Schlimmer noch: Die Lage ist schon seit so vielen Jahren unter jeder Würde, dass die Menschen die Hoffnung verloren haben.
Mit dem gesunkenen Lebensstandard und dem zerstörten Traum von einer besseren Zukunft haben die Trump-Biden-Sanktionen auf der Insel eine Massenflucht historischen Ausmaßes ausgelöst. In den letzten drei Jahren hat eine Rekordzahl von Kubaner*innen das Land verlassen. Offiziellen Angaben zufolge haben zwischen 2022 und 2023 zehn Prozent der Bevölkerung – mehr als eine Million Menschen – das Land verlassen.
Dabei hat weder die Trump- noch die Biden-Regierung US-Firmen verboten, Parkinson-Medikamente nach Kuba zu verkaufen. Die Sanktionen gegen Kuba erlauben sogar ganz offiziell „Ausnahmen und Genehmigungen für die Ausfuhr von Lebensmitteln [und] Medikamenten.“ Und im Jahr 2022 führte das Biden-Finanzministerium „allgemeine Lizenzen“ für lebensrettende Güter für Kuba ein: „Die Bereitstellung humanitärer Hilfe zur Linderung des Leids gefährdeter Bevölkerungsgruppen ist ein zentrales Element unserer amerikanischen Werte“, so die Begründung.
Aber der Wirtschaftskrieg bleibt eine der Hauptwaffen der US-Außenpolitik, wie eine umfassende Untersuchung der Washington Post kürzlich belegte. Hinter der Bühne von Ankündigungen, Pressekonferenzen und Schlagzeilen sind beide US-Regierungen zu einer Politik des Regimewechsels übergegangen, die darauf abzielt, den Fluss harter Devisen in die Inselkasse zu verringern und das Leid von Menschen wie Montagudo zu vergrößern.
Joy Gordon ist Expertin für Sanktionen an der Loyola-Universität in Chicago und Autorin des Buches Invisible War: The United States and the Iraq Sanctions. Gegenüber Drop Site News erklärte sie, seitdem die Sanktionen gegen den Irak in den 1990er-Jahren zu weit verbreiteter Unterernährung und Epidemien geführt hätten, gebe es nun eine Tendenz zur Minimierung des sichtbaren Schadens für die Zivilbevölkerung. „Die Strategie besteht darin, die Durchsetzung der Vorschriften an den privaten Sektor abzuschieben“, sagt sie. „Die US-Politik hat Bedingungen geschaffen, die den privaten Sektor wirtschaftlich dazu zwingen, sich aus ganzen Märkten zurückzuziehen. Das führt zu ernsten und umfassenden wirtschaftlichen Problemen, aber in einer Form, die nicht direkt den politischen Entscheidungsträgern der USA anzulasten ist.“
Ein gutes Beispiel dafür ist der Helms-Burton-Act. Im Jahr 2019 erklärte Trump den Abschnitt III des Gesetzes für rechtskräftig, worauf alle früheren US-Präsidenten verzichtet hatten. Dieser Abschnitt erlaubt es Amerikaner*innen, Unternehmen zu verklagen, die Geschäfte mit Kuba machen. Kreuzfahrtunternehmen, die während der Obama-Jahre amerikanische Tourist*innen nach Havanna gebracht hatten, wurden daraufhin vor einem Bundesgericht in Florida auf Hunderte von Millionen Dollar verklagt, weil sie im Haupthafen von Havanna anlegten. Multinationale Konzerne werden so von Investitionen auf der Insel abgehalten.
Aber vielleicht das beste Beispiel für eine fast unsichtbare, aber heimtückische Sanktion ist die Einstufung Kubas als „Unterstützer-Staat für Terrorismus“. Diese Einstufung wird nicht als Waffe im Wirtschaftskrieg präsentiert, sondern als gutgemeintes politisches Instrument, um die Welt sicherer zu machen, und sie hat „Kuba“ für die Weltwirtschaft mehr denn je zu einem Unwort gemacht. Fast über Nacht hat dieses Etikett sowohl internationale Banken als auch lebenswichtige Exportfirmen dazu veranlasst, sich aus dem kubanischen Markt zurückzuziehen, wie Diplomat*innen und Geschäftsleute auf der Insel berichten.
„Nur sehr wenige Banken wollen noch etwas mit Kuba zu tun haben“, sagte ein in Havanna ansässiger europäischer Geschäftsmann, der anonym bleiben wollte, gegenüber Drop Site News. Seine Bank habe ihm nur wenige Tage nach der Einstufung sein Konto gekündigt.
Die Insel stand schon einmal, bis zum Jahr 2015, auf der Terrorliste des amerikanischen Außenministeriums. Doch seit der Wiederaufnahme in die Liste im Jahr 2021 reichen die Auswirkungen noch weiter. In den letzten zehn Jahren wurden die Vorschriften zur Bekämpfung von Terrorismus und Geldwäsche verschärft. „Over-compliance“ hat ebenfalls zugenommen, da die Banken versuchen, milliardenschwere Geldstrafen des immer aggressiver agierenden Finanzministeriums zu vermeiden.
Da multinationale Unternehmen gezwungen wurden, den Handel mit der Insel einzustellen, muss der Staat für seine Importe auf einen kleineren und unzuverlässigeren Lieferantenpool zurückgreifen. Und weil man Banken zur Einstellung des Zahlungsverkehrs mit Kuba gedrängt hat, ist es selbst dann, wenn der kubanische Staat genug Geld und einen verkaufswilligen Anbieter aufgetrieben hat, oft schlicht nicht möglich, die Transaktion zur Zahlung durchzuführen.
„Die Vollstreckung wird jetzt an die Banken delegiert, die in die Selbstanklage getrieben wurden“, berichtet ein anderer westlicher Geschäftsmann mit Sitz in Havanna. „Sie können nicht mehr behaupten, sie wüssten von nichts.“
Aufgrund der erhöhten Risiken und verringerten Rentabilität haben viele Anbieter den kubanischen Markt verlassen. „Ein kleines Land, das mit Verspätung zahlt – damit will der Markt nichts zu tun haben“, sagt ein dritter europäischer Geschäftsmann, der aufgehört hat, High-Tech-Produkte an das kubanische Gesundheitsministerium zu verkaufen. Geschäfte mit Kuba seien schon immer riskant gewesen, fügt er hinzu, aber die Einstufung als Terrorstaat war ein Wendepunkt: „Wenn jetzt auch nur die Spur eines kubanischen Kontos auftaucht, wird es blockiert.“
Auf die Frage, warum Medizintechnik- und Pharmaunternehmen in den letzten Jahren den Handel mit Kuba eingestellt hätten, antwortet der Gründer einer mittelständischen europäischen Pharmafirma: „Es ist ein kleiner Markt: Wer will schon für Peanuts so ein Theater mitmachen?“
Es sei für sein Unternehmen nicht mehr rentabel, das kubanische Gesundheitsministerium zu beliefern, aber er mache es trotzdem. „Wie kann man sich das ansehen und nicht mit ihnen mitfühlen?“, sagt der Geschäftsmann, der anonym bleiben will. Er befürchtet, sein Firmenkonto könne gesperrt werden, wenn die große europäische Finanzinstitution, über die die Unternehmenskonten laufen, von seinen Lieferungen nach Kuba erfährt.
Befürworter der Biden-Regierung argumentieren, Kubas wirtschaftliche Probleme gingen weit über diese Strafmaßnahmen hinaus. Sie haben Recht. Die von der regierenden Kommunistischen Partei in den letzten zwei Jahrzehnten immer wieder gestarteten Reformversuche haben die Produktivität des staatlichen Sektors, der nach wie vor stark zentralisiert und schwerfällig ist, nicht verbessern können. Die staatlichen Löhne sind miserabel und werden immer schlechter. Abwesenheit vom Arbeitsplatz ist an der Tagesordnung. Der Hinweis auf die vielfältigen Ursachen der wirtschaftlichen Probleme der Insel ist aber keine Rechtfertigung für die Sanktionen.
William LeoGrande, Politikwissenschaftler an der American University, nennt die Einstufung als Terrorstaat „eine Front in Washingtons Wirtschaftskrieg gegen Kuba“. Eine direkte Folge der Terroreinstufung und anderer Trump-Biden-Sanktionen sei, dass der kubanische Staat mittlerweile jedes Jahr Milliarden von Dollar an Einnahmen verliere. Dabei seien die Hauptimporte momentan Lebensmittel und Treibstoff. „Die Sanktionen“, fügt er hinzu, „wirken sich heute stärker auf das kubanische Volk aus als je zuvor.“
Die Nahrungsmittelrationen der Regierung – ein Rettungsanker für die Armen des Landes – schrumpfen. Die einheimische Landwirtschaft, die schon immer wenig produktiv war, ist in den letzten Jahren aus Mangel an Saatgut, Dünger und Benzin zusammengebrochen, sodass der Staat gezwungen ist, 100 Prozent der subventionierten Produkte des Grundbedarfs zu importieren.
Aber dafür ist nicht genug Geld da. Letztes Jahr strich die Regierung Hühnchen aus dem Nahrungsmittelkorb, den die meisten Erwachsenen erhalten. Im vergangenen Monat wurde die tägliche Brotration, die allen Kubaner*innen zur Verfügung steht, um ein Viertel gekürzt. Sogar lebenswichtige Grundnahrungsmittel wie Reis und Bohnen werden mittlerweile verspätet geliefert. Einem aktuellen Bericht der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte zufolge nimmt die Ernährungsunsicherheit auf der Insel immer weiter zu. Besonders schutzbedürftige Gruppen – ältere Menschen, Schwangere, Kinder und Menschen mit chronischen Krankheiten – sind von den Auswirkungen der US-Politik am stärksten betroffen.
„Wenn die Lebensmittelrationen vom Staat finanziert werden, ist es nicht verwunderlich, dass bei einem Staatsbankrott die Ernährungsunsicherheit zunimmt, vor allem für diejenigen, die keine Familie im Ausland haben, die ihnen Geld schickt“, so Gordon, Professorin am Loyola College.
Im März bekamen die USA einen Vorgeschmack auf die Unruhen, auf die ihre Politik abzielt. Hunderte von Menschen gingen in Santiago im Osten Kubas auf die Straße, klagten über lange Stromausfälle und skandierten: „Wir haben Hunger!“
Die meisten Kubaner*innen, die aus diesem Elend fliehen, zieht es in die USA. Mehr als 100.000 von ihnen sind seit Januar 2023 im Rahmen des „humanitären Bürgschaftsprogramms“ der Regierung Biden legal eingewandert. Viele weitere haben die Grenze illegal überquert. Ein Gesetz aus dem Kalten Krieg, der Cuban Adjustment Act von 1966, macht Kuba zum einzigen Land, aus dem Migrant*innen illegal in die USA einreisen und ein Jahr und einen Tag später eine Green Card erhalten können. Manche Kubanerinnen bauen klapprige Boote, und in diesem Jahr starben laut der Internationalen Organisation für Migration mehr als 140 Kubanerinnen beim Versuch, die Florida-Meeresstraße zu überqueren. Wer Verwandte hat, die ein Flugticket bezahlen können, fliegt nach Nicaragua und tritt dann den gefährlichen Weg zur US-mexikanischen Grenze an.
Durch die Aufrechterhaltung der Terrorstaat-Einstufung und anderer Sanktionen hat die Biden-Regierung diese rekordverdächtige kubanische Migrationswelle nur angeheizt. In den letzten drei Jahren sind nach Angaben der Zoll- und Grenzschutzbehörde mehr als eine halbe Million Kubaner*innen in die Vereinigten Staaten eingereist. Die ganze Dynamik hat einen Anflug von Wahnsinn: Die von der Biden-Regierung angestachelte Rekordmigration aus Kuba feuert die allgemeine „Grenzkrise“ an, die im Vorfeld der Präsidentschaftswahl Trump in die Hände spielt.
Die Liste der Staaten, die Terrorismus fördern, stand schon immer an der Grenze zwischen Analyse und Propaganda. Egal, wie schlecht ihre Bilanz aussieht – Verbündete schaffen es nie auf die Liste, Gegner schon.
Die Reagan-Regierung stufte Kuba 1982 erstmals als staatlichen Sponsor des Terrorismus ein. Havanna war über diese Entscheidung verärgert, da die USA in der Vergangenheit Terroranschläge auf der Insel unterstützt und gebilligt hatten. Es gab da etwa die Operation Mongoose, einen Geheimeinsatz, bei dem in den 1960er-Jahren zivile Ziele in Kuba angegriffen wurden. Die US-Regierung wusste 1976 auch Bescheid über die Pläne von durch die CIA ausgebildeten Exilkubanern, ein kubanisches Zivilflugzeug in die Luft zu sprengen. Washington entschied sich, Havanna nicht zu warnen. 73 Männer, Frauen und Kinder kamen bei der Explosion ums Leben.
Aber: Kuba unterstützte in den 1980er-Jahren nationale Befreiungskämpfe in Zentralamerika und Afrika. Kubas Freiheitskämpfer*innen waren Washingtons Terrorist*innen. Die Einstufung hatte also zumindest aus der Perspektive des Kalten Krieges eine gewisse Logik. Und in der Tat verübten einige der von Havanna unterstützten Bewegungen gelegentlich politische Gewalt gegen Zivilist*innen, je nach politischer Sichtweise besser bekannt als Terrorismus. US-Nachrichtendienste konnten somit überzeugende, informationsbasierte Argumente für die Einstufung liefern. Doch als die Sowjetunion zerfiel und der Kalte Krieg sich dem Ende zuneigte, schlitterte Kuba in eine tiefe interne Wirtschaftskrise, während die Einflusssphäre des Landes deutlich schrumpfte. Die kubanische Unterstützung für Befreiungskämpfe im Ausland endete mit dem 20. Jahrhundert, doch die Terroreinstufung besteht weiter.
Nach Angaben ehemaliger Insider aus Geheimdienst und Außenministerium gehen die US-Nachrichtendienste schon seit drei Jahrzehnten davon aus, dass die Insel seit den 1990er-Jahren nichts mehr gefördert hat, was nach US-Definition als Terrorismus gelten würde. Als Obama die Insel 2015 von der Liste strich, twitterte Ben Rhodes, der Kuba-Beauftragte der Regierung: „Einfach ausgedrückt: Der Präsident will dafür sorgen, #Kuba von der Liste der Terrorismus-Sponsoren zu streichen, weil Kuba kein Terrorismus-Sponsor ist.“
Um Kuba wieder auf die Liste zu setzen, brauchte das Trump-Außenministerium eine Begründung. Man argumentierte, dass Kuba US-Justizflüchtlingen und Anführern der Nationalen Befreiungsarmee Kolumbiens (Ejercito de Liberación Nacional, ELN) Zuflucht gewähre.Bei den gealterten US-Justizflüchtlingen handelt es sich hauptsächlich um Black-Power-Aktivist*innen, denen Kuba in den 1970er- und 80er-Jahren Asyl gewährte. Die kubanische Staatssicherheit überwacht sie, und es gibt keine Beweise dafür, dass sie jemals kubanisches Hoheitsgebiet zur Durchführung oder Unterstützung terroristischer Aktivitäten genutzt haben.
Den Befehlshabern der ELN wurde unterdessen ein sichere Schutzzone gewährt – dies geschah im Rahmen von Friedensverhandlungen, zu deren Ausrichtung die Obama-Regierung Kuba ermutigt hatte.
Die Gespräche wurden von Kuba und Norwegen angeregt (Norwegen ist der Terroreinstufung trotz seiner Rolle irgendwie entkommen). Die kolumbianische Regierung und die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia, FARC), die zweite große Guerillagruppe des Landes, schlossen 2016 mit Hilfe Havannas ein historisches Friedensabkommen, doch ein Friedensschluss zwischen dem kolumbianischen Staat und der ELN blieb aus.
2019 verübte die ELN einen tödlichen Angriff auf eine Polizeiakademie in Bogota, Kolumbien, bei dem 22 Menschen ums Leben kamen. Die kolumbianische Regierung ersuchte Kuba mehrfach um eine Auslieferung der ELN-Führer, die Kuba jedoch verweigerte.
2016 hatten die ELN und die kolumbianische Regierung jedoch ein geheimes Protokoll unterzeichnet, das die Sicherheit der ELN-Unterhändler in Havanna „im Falle eines Scheiterns der Friedensgespräche“ garantiert. Das von der kubanischen Delegation unterzeichnete Dokument stellt klar, dass eine Auslieferung nicht zur Debatte steht und dass die Unterhändler in die Gebiete des kolumbianischen Territoriums zurückkehren können, die sie für sicher halten.
Darüber hinaus hat der kolumbianische Präsident Gustavo Petro – selbst ein ehemaliger Guerillakämpfer – den Auslieferungsantrag 2022 zurückgezogen und Kubas Aufnahme in die Liste als „Ungerechtigkeit“ bezeichnet.
Die Friedensgespräche zwischen der kolumbianischen Regierung und der ELN, der letzten verbliebenen Guerillagruppe des Landes, wurden letztes Jahr in Havanna wieder aufgenommen. Die beiden Seiten haben inzwischen einen Waffenstillstand angekündigt.
Laut Fulton Armstrong, ehemaliger US- Geheimdienstbeauftragter für Lateinamerika, hätte Kuba mit einer Auslieferung der ELN-Unterhändler seine Fähigkeit untergraben, zur Beendigung der blutigen Kriege in Kolumbien beizutragen.
„Es geht nicht darum, nett zu ehemaligen Guerillas zu sein“, sagt er. „Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit.“
Seit den ersten Monaten seiner Amtszeit hat Bidens Team – sowohl öffentlich als auch privat gegenüber Kongressmitgliedern – wiederholt erklärt, es führe eine umfassende Überprüfung der Kuba-Politik, einschließlich der Terroreinstufung, durch.
Außenminister Antony Blinken sagte im Jahr 2022, dass die Regierung „bei Bedarf überprüfen wird, ob Kuba diese Einstufung weiterhin verdient“.
Doch im vergangenen Jahr wurde diese Behauptung als irreführend entlarvt. In einer privaten Sitzung teilte ein Beamter des Außenministeriums den Kongressabgeordneten mit, es sei noch nicht einmal ein Überprüfungsverfahren eingeleitet worden, so die anwesenden Quellen.
Das vom demokratischen Abgeordneten Jim McGovern aus Massachusetts und anderen an der Kuba-Politik Interessierten einberufene Treffen war Teil der Bemühungen, die Regierung zu einer Abkehr von ihrer strafenden Haltung gegenüber Kuba zu bewegen. McGovern und seine Verbündeten im Kongress glaubten nach Angaben von internen Quellen, wenn man der Biden-Administration Handlungsspielraum gewähre und den Druck auf das Weiße Haus verringere, würden sie das Richtige tun. Diese Einschätzung erwies sich als falsch, und nun ist für das Außenministerium die Uhr abgelaufen.
Die Regierung überschüttet Journalist*innen mit langweiligen Ausführungen zu bürokratischen „Prozessen“, die sich nur schwer in einem Artikel verwenden lassen (im Gegensatz zum bissigen, aufrührerischen Slogan der Trump-Regierung vom „maximalen Druck"). Die Diskussion über die Wirksamkeit der Terror-Liste hat die Biden-Regierung damit unterbunden.
Die Presse hat es versäumt, die Regierung zur Rechenschaft zu ziehen. Aber selbst mit gutem Willen lassen sich die spezifischen Auswirkungen der Sanktionen auf die Bevölkerung nur schwer nachweisen. Das Zusammenspiel zwischen den internen wirtschaftlichen Problemen Kubas und den ineinandergreifenden Strategien der Strangulierung Kubas von außen macht es nahezu unmöglich, einen bestimmten Mangel auf eine einzelne politische Maßnahme zurückzuführen.
Darüber hinaus hat die jahrzehntelange Strategie der Auslagerung der Sanktionspolitik an den privaten Sektor auch dazu geführt, dass die journalistische Berichterstattung über die Auswirkungen der Sanktionen abgenommen hat. Nachrichtenagenturen bevorzugen übersichtliche Stories, die sich dem Publikum schnell vermitteln lassen. Es ist auch schwierig, Unternehmen zu finden, die zu Ausführungen darüber bereit sind, wie und warum sie ihre Geschäftstätigkeit und ihre Investitionen eingestellt haben.
Für Armstrong, den ehemaligen Geheimdienstbeamten, war die Rede von einem „Überprüfungsprozess“ immer Augenwischerei. Von Regierungsseite habe man lediglich die US-Geheimdienste zusammenrufen und fragen müssen, ob es irgendeinen evidenzbasierten Grund dafür gebe, Kuba auf der Terrorstaatenliste zu belassen. „Das hätte einen halben Tag gedauert“, sagt er.
Analyst*innen sind sich einig: Mit dem entsprechenden politischen Willen hätte man Kuba schon Wochen nach Bidens Amtsantritt im Jahr 2021 von der Liste streichen können. Etwa 80 Demokrat*innen im Repräsentantenhaus haben Biden in einem Schreiben aufgefordert, genau das zu tun, und zwar wenige Wochen nach seinem Amtsantritt. Selbst wenn die Verwaltung eine sechsmonatige Überprüfung durchgeführt hätte, wie es das Gesetz vorschreibt, hätte die Einstufung bereits in der Mitte von Bidens erstem Amtsjahr aufgehoben werden können. Hätte das Weiße Haus das getan, wären vielleicht Hunderttausende Kubaner*innen zu Hause bei ihren Angehörigen geblieben, mit einem besseren Zugang zu Lebensmitteln und Medikamenten, anstatt sich zur Grenze durchzuschlagen und mit dem kafkaesken US-Immigrationssystem zu kämpfen.
Die Position der Regierung Biden wurde im Mai noch verworrener, als sie Kuba von der Liste der Länder strich, die hinsichtlich der Terrorismusbekämpfung nicht „vollständig mit den USA kooperieren“. Der offiziellen Einstufung zufolge kooperiert Kuba nun „voll und ganz“ mit den entsprechenden Bemühungen zur Terrorismusbekämpfung, während es gleichzeitig den Terrorismus „sponsert“. Wie ein Land beides gleichzeitig tun kann, bleibt unklar. Auf die Frage, warum das Außenministerium noch nicht einmal mit einer Überprüfung begonnen habe, erklärte Sprecher Matt Miller auf einer Pressekonferenz gegenüber Drop Site, die US- Politik beabsichtige, „die demokratischen Bestrebungen des kubanischen Volkes“ zu fördern – ein Verweis auf das Ziel der USA, das Regime zu stürzen.
„Sollte der Status als Terror-Unterstützerstaat aufgehoben werden, müssten bestimmte gesetzliche Kriterien für die Aufhebung dieser Bestimmung vorliegen“, sagt er. „Jede Überprüfung der Einstufung Kubas auf der Liste – wenn eine solche denn jemals durchgeführt werden sollte – würde auf dem Gesetz und den vom Kongress festgelegten Kriterien basieren. Aber der Präsident und Generalsekretär [Antony] Blinken halten weiter fest an unserer Politik, die die demokratischen Bestrebungen des kubanischen Volkes vorantreibt.“
Man kann aber auch unverblümter beschreiben, wie die Sanktionen funktionieren. Im April 1960, als in Washington diskutiert wurde, wie man mit der neuen revolutionären Regierung umgehen sollte, verfasste ein hoher Beamter des Außenministeriums ein inzwischen berüchtigtes Memo, das die Grundprinzipien des sich anbahnenden Wirtschaftskriegs darlegt. „Es sollte alles getan werden, um die Wirtschaft Kubas umgehend zu schwächen“, so Lester D. Mallory, damals stellvertretender Staatssekretär für Angelegenheiten der westlichen Hemisphäre. „So subtil und unauffällig wie möglich“, fügte er hinzu, solle die US-Politik „große Anstrengungen unternehmen, um Geldflüsse und Importe nach Kuba abzuschneiden, um die Nominal- und Reallöhne zu senken und Hunger, Verzweiflung und den Sturz der Regierung auszulösen.“ Biden hat sich geweigert, mit dieser Logik zu brechen. Das ist sein Vermächtnis in der Kuba-Politik.
Photo: Drop Site