Entrevistas

"Kolumbien steht auf der richtigen Seite der Geschichte" – Ein Interview mit Daniel García-Peña

Daniel García-Peña, neuer Botschafter in den USA unter der ersten linksgerichteten Regierung Kolumbiens, sprach mit Jacobin über die Kampagne der Rechten gegen Präsident Gustavo Petro, den Abbau der diplomatischen Beziehungen zu Israel und ein unabhängigeres Kolumbien.
Im dritten Jahr seiner Amtszeit sieht sich Kolumbiens Präsident Gustavo Petro mit anhaltenden juristischen Prozessen im Auftrag der konservative Elite konfrontiert, die seine progressiven Reformen und außenpolitischen Veränderungen behindern. In diesem Interview erklärt Botschafter Daniel García-Peña, wie sich die Regierung Petro trotz interner Spannungen und Widerstände weiterhin für strukturelle Veränderungen, Friedensverhandlungen mit bewaffneten Gruppen und eine unabhängigere, souveränere Außenpolitik einsetzt, wozu auch der Abbruch der Beziehungen zu Israel wegen der Gaza-Krise gehört.

Gustavo Petro, der erste linke Präsident Kolumbiens, der nun sein drittes Amtsjahr antritt, hat kürzlich die Aufmerksamkeit der gesamten Welt auf sein Land gelenkt, als er vor dem warnte, was er als "Beginn eines Putsches" gegen seine Regierung bezeichnete. Obwohl Petro eine Rentenreform sowie eine 4 Milliarden Dollar schwere Steuerreform erfolgreich durchgebracht, eine neuartige Drogen-Strafverfolgungsstrategie eingeführt und die Außenpolitik Kolumbiens völlig umgekrempelt hat, werden die Bemühungen der Linken, Kolumbien zu verändern, von einer ständigen Flut juristischer Prozesse, die von rechtsgerichteten Kräften und der Elite angezettelt werden, bedroht.

Daniel García-Peña - Historiker, preisgekrönter Journalist, Hochkommissar für Frieden unter Präsident Ernesto Samper und Berater der nicht länger funktionierenden Demokratischen Allianz M-19 und nun Petros neu ernannter Botschafter in den Vereinigten Staaten - spricht in diesem Interview für Jacobin über diese Herausforderungen. Wie wird die erste linke Regierung Kolumbiens mit den USA umgehen, die seit langer Zeit auf Kolumbiens konservative Führung zählen, um ihre imperialen Interessen zu wahren?

In einem Gespräch mit dem Fotografen Jesse Gwilliam und dem unabhängigen Forscher Luca DeCola diskutierte Botschafter García-Peña über die Frage der juristischen Kriegsführung gegen Petros Regierung, die internen Spannungen und Herausforderungen für die kolumbianische Linke, die Aussicht auf Frieden inmitten interner bewaffneter Konflikte und den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Israel.

LUCA DECOLA: Ich möchte mit dem beginnen, was der Präsident das “Vorrücken eines sanften Staatsstreichs” in Kolumbien genannt hat. Wie beurteilen Sie den aktuellen Angriff der Rechten auf Petro Regierungsmacht in Form von Fehlinformationskampagnen und juristischer Kriegsführung?

DANIEL GARCÍA-PEÑA: Präsident Petro stellt zweifellos eine Herausforderung für die Interessen der Elite dar, die das Land seit Jahrzehnten in ihrem Griff hat. Seine Regierung und Anhänger übernahmen ein gut organisiertes politisches System und ein wirtschaftliches Modell mit politischen Praktiken, die kaum über Nacht zu ändern sind. Niemand von der Linken hat erwartet, dass dies einfach sein würde. Die juristische Kriegsführung in Kolumbien ist zu einem Stolperstein für Veränderungen geworden, zu einer Methode dieser Elite, um das progressive Programm der Regierung im Keim zu ersticken. Es ist jedoch auch ein Zeichen der Verzweiflung dieser Rechten und in vielerlei Hinsicht ihre Schwäche. Petros Wahl im Jahr 2022 war eine indirekte Folge des Friedensabkommens von 2016 mit den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) und der Höhepunkt eines ständigen Kampfes für Demokratie, Menschenrechte und den Ausbau der kolumbianischen Linken. Eine juristische Kampfansage von Seiten einer Elite war also zu erwarten, zumal sie anders als alle anderen in Lateinamerika ist - die gleichen Menschen und Familien halten sich seit hunderten von Jahren an der Macht.

JESSE GWILLIAM: Glauben Sie, dass die Koalition 'Historischer Pakt' die innere Stärke und den politischen Zusammenhalt besitzt, um Petros ehrgeizige Ziele gegen den Angriff von rechts und ein feindseliges Parlament zu verteidigen? Oder ist es ein historischer Moment mit einem wackeligen Fundament, der möglicherweise nicht lange dauern wird?

DANIEL GARCÍA-PEÑA: Das ist ein sehr schwieriges Problem und es hat nicht nur mit der kolumbianischen demokratischen Linken, sondern auch mit der Linken auf der ganzen Welt zu tun. Wie können wir die Vielfalt unterschiedlicher Ideen und Kräfte im linken Flügel würdigen und gleichzeitig die Notwendigkeit einer vereinten und organisierten politischen Struktur?

In seiner jüngsten Phase ist der 'Historische Pakt' von entscheidender Bedeutung, da er eine breite Palette von Gruppen, sozialen Bewegungen und politischen Parteien umfasst. Dennoch hat die Partei keine einheitliche Organisation oder Struktur; das Einzige, was die Koalition zusammenhält, ist die Figur von Petro, der mit der Regierungsführung des Landes beschäftigt ist. Wir versuchen also immer noch, ein Gleichgewicht zwischen politischer Vielfalt, die notwendig ist, und einem politischen Programm zu finden, das Wahlen gewinnen kann. Darum geht es eigentlich.

Trotzdem gibt es eine Agenda für Veränderungen, ein Programm und Ideen, die über Petro hinausgehen. Kolumbien ändert sich, und die Realitäten unserer Gegenwart zwingen die Menschen, sich aus Notwendigkeit in Bezug auf diese Agenda zur Umsetzung der Renten-, Gesundheits- und Bildungsreformen zu einigen, um die neoliberale Politik rückgängig zu machen und einen dauerhaften Frieden zu gewährleisten.

LUCA DECOLA: Vor einem US-Gericht des südlichen Distrikts von Florida wurde Chiquita Brands International kürzlich für die Finanzierung der paramilitärischen Kräfte der Vereinigten Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens (AUC) für schuldig befunden. Können Sie uns etwas über die Bedeutung dieses Urteils für die Kolumbianer sagen?

DANIEL GARCÍA-PEÑA: Das Urteil in Florida über Chiquita Brands ist aus verschiedenen Gründen gewaltig. Erstens ist da die Frage des kolumbianischen Justizsystems. Präsident Petro hat diesen Punkt angesprochen, als er getweetet hat: „Warum konnte das US-Rechtssystem gerichtlich festlegen, dass Chiquita Brands den Paramilitarismus in Uraba finanzierte? Warum konnte das kolumbianische Justizsystem das nicht tun?“ 

Die Paramilitärs und Chiquita Brands operierten nicht in einem Vakuum; sie arbeiten sehr eng mit den wirtschaftlichen Eliten in Kolumbien zusammen. Aber wer sind diese Kolumbianer, die daran beteiligt sind? Wer sind die kolumbianischen Eliten, die die Paramilitärs finanziert haben? Es liegt ein langer Weg vor uns, und das kolumbianische Justizsystem ist noch weit davon entfernt, sich mit der Beteiligung der Eliten am Paramilitarismus zu befassen.

Das Urteil gegenüber Chiquita erinnert auch daran, wie sich diese paramilitärischen Gruppen weiterentwickelt haben. Heute braucht die Elite keine bewaffneten Gruppen mehr; die Menschen, die sie ermorden wollten, wurden bereits umgebracht, und das Land, das sie sich aneignen wollten, wurde bereits besetzt. In vielen Teilen Kolumbiens haben die Paramilitärs den Krieg bereits gewonnen. Es ist traurig und erschreckend, aber wahr.

Wir stecken jetzt in einer neuen Phase der paramilitärischen Konsolidierung, es ist eine neue Generation: Die Söhne, die Erben der Paramilitärs, die noch nie eine Waffe in der Hand hielten, sondern fürs Studium in die USA geschickt wurden, sind alle Geschäftsleute. Und ein beträchtlicher Teil von ihrem Erfolg ist, sagen wir mal, ihre Fähigkeit, das politische System zu beherrschen und die politischen Parteien zu infiltrieren – sie betreiben Parapolitik.

LUCA DECOLA: Können Sie uns etwas über die Bemühungen der Regierung sagen, ihre 'paz total'-Agenda (totaler Frieden) umzusetzen und ein Abkommen mit bewaffneten Akteuren auszuhandeln, einschließlich der Guerillas der Nationalen Befreiungsarmee (ELN)? Wie sehen aktuell die Aussichten auf Frieden aus?

DANIEL GARCÍA-PEÑA: Das größte Hindernis für die Friedensverhandlungen sind heute die internen Spannungen innerhalb der ELN, die in der kürzlichen Abspaltung der südwestlichen Front der Gruppe und ihrem Streben nach separaten Verhandlungen mit der Regierung gipfelte. Die ELN ist eine Organisation, die sich stark von der FARC unterscheidet: Sie verfügt über eine Kommandostruktur, die viel stärker dezentralisiert ist und wo jede Front ein hohes Maß an Autonomie hat.

Aufgrund ihres ideologischen und historischen Ursprungs in der Befreiungstheologie, in dem die Zugehörigkeit zur ELN fast der Zugehörigkeit zu einer religiösen Organisation entspricht, ist die Frage der Einheit von entscheidender Bedeutung. Daher haben diese internen Spannungen eine Reaktion der Kommandozentrale der ELN ausgelöst, bei der die Spaltung der südwestlichen Front als Versuch der Regierung betrachtet wird, die Guerillas zu spalten.

Und doch sind bisher noch keine Verhandlungen mit der ELN so weit vorangekommen wie heute unter Präsident Petro. Nicht nur ist dies das erste Mal, dass die ELN einem Friedensprozess zugestimmt hat, ich sehe auch, dass die soziale und politische Basis der ELN die Guerillas tatsächlich unter politischen Druck setzt, um eine Lösung zu finden.

Ein weiterer Teil dieses Konflikts, der nicht ausschließlich ein Problem für Petro oder seine Regierung ist, ist die Ineffizienz und Bürokratie des kolumbianischen Staates. Die ELN hat also leider in vielerlei Hinsicht recht, wenn sie auf die Unfähigkeit des kolumbianischen Staates hinweist, ihre Politik im Allgemeinen umzusetzen, was ebenfalls ein erhebliches Problem mit dem Friedensabkommen von 2016 darstellt. Die Tatsache, dass so viele Unterzeichnenden des Friedensabkommens von 2016 ermordet wurden, ist ein Zeichen dafür, dass wir die systematische Ermordung der Partei Patriotische Union in den 1980er, 1990er und frühen 2000er Jahren noch immer nicht überwunden haben. Es ist schwer zu verstehen, wie ein Land mit so viel Gewalt demokratische Prozesse hervorgebracht hat.

LUCA DECOLA: Könnten Sie sich zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen der kolumbianischen Regierung zu Israel wegen dem Völkermord im Gazastreifen äußern sowie über die Zukunft der Beziehung zwischen Kolumbien und den USA?

DANIEL GARCÍA-PEÑA: Tatsache ist, dass Kolumbien auf der rechten Seite der Geschichte steht. Petros Entscheidung, die diplomatischen Beziehungen zu Israel abzubrechen, ist Teil eines internationalen Aufschreis gegen die israelische Regierung. Die Einstellung der israelischen Waffenverkäufe an Kolumbien wird keine wesentlichen Auswirkungen auf Israels Wirtschaft haben; sie werden ihre Waffen woanders verkaufen können. Aber moralisch und ethisch gesehen, ist es das Richtige. Ich bin stolz darauf, dass unser Präsident und unser Land in dieser Frage so unnachgiebig sind und ihre Meinung kundtun.

Vor Kurzem wurde ich zu einer Veranstaltung an der University of California in Santa Barbara eingeladen. Menschen aus aller Welt – aus dem Sudan, aus Ägypten und anderswo – sagten: „Ah, Ihr Präsident ist für das palästinensische Volk“, und ich dachte bei mir: „Wow, also hat das doch eine Wirkung!“ In vielerlei Hinsicht ist Petro in Bezug auf den Gazastreifen in Lateinamerika eine führende Stimme.

Kolumbiens Außenpolitik war schon immer sehr zaghaft, und die früheren Regierungen wollten die USA auf keinen Fall verärgern. Tatsächlich hat mir einer der Mitarbeiter der kolumbianischen Botschaft in Washington kürzlich gesagt, dass in der Vergangenheit die kolumbianische Regierung die USA üblicherweise informierte, bevor sie eine öffentliche Ankündigung zu politischen Fragen machte.

Aber dieses Mal, als wir die Beziehungen zu Israel abbrachen, haben wir den USA nichts davon gesagt. Sie können die Überschrift in der New York Times lesen, wie alle anderen auch. Dies sind einige der Anzeichen für einen unabhängigeren, souveräneren kolumbianischen Staat, mit dem sich die USA ab jetzt zufriedengeben müssen.

Available in
EnglishPortuguese (Brazil)SpanishGermanArabicFrenchItalian (Standard)
Translators
Nathalie Guizilin and ProZ Pro Bono
Date
20.11.2024
Source
JacobinOriginal article🔗
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