Statements

Wir mobilisieren nach Ungarn

Die Progressive Internationale entsendet eine Delegation nach Ungarn im Vorfeld der Parlamentswahlen am 3. April – eine Wahl, von der viele erwarten, dass sie weder fair noch demokratisch sein wird.
Die PI-Delegation wird sich mit sozialen Bewegungen, Gewerkschaftern, unabhängigen Medien, Aktivisten und Vertretern politischer Parteien treffen, um die Bedrohung des demokratischen Prozesses im Land und die Unterdrückung von sozialen Kämpfen zu beobachten.

In Ungarn fanden die letzten freien und fairen Wahlen vor zwölf Jahren statt, als die Fidesz-Partei von Viktor Orbán zusammen mit ihrem Koalitionspartner KDNP eine Zwei-Drittel-Mehrheit im ungarischen Parlament errang. Diese ermöglichte es ihr, die Verfassung des Landes zu ändern.

Seitdem hat Fidesz – oft unter der schützenden Hand rechter politischer Kräfte in der Europäischen Union – die Rechtsstaatlichkeit, die demokratischen Institutionen und die Integrität des Wahlprozesses langsam ausgehöhlt.

Als Reaktion auf die Benachteiligung der Opposition bei den Wahlen haben sechs politische Parteien eine gemeinsame Liste für die bevorstehenden Parlamentswahlen am 3. April aufgestellt. Allerdings treten sie nicht unter gleichen Voraussetzungen an.

Seit 2010 hat das von Fidesz dominierte Parlament über 700 Änderungen am Wahlsystem beschlossen – oft ohne öffentliche Konsultation, trotz des Widerstands der Oppositionsparteien und im Zuge des Ausnahmezustands während der Pandemie. Dazu gehörte auch die schrittweise Umgestaltung der Wahlkreise – das sogenannte „Gerrymandering“ – zugunsten von Fidesz-Kandidaten.

Die Partei hat zudem den Großteil der Medien unter ihre Kontrolle gebracht. Seit seiner Gründung im Jahr 2018 hat das regierungsnahe Medienkonglomerat KESMA einen erheblichen Teil des ungarischen Medienmarkts übernommen, während die Regierung unabhängige Medien systematisch behindert und eingeschüchtert hat.

Ein Bericht des Internationalen Presseinstituts aus dem Jahr 2022 kommt zu dem Schluss, dass die Partei „das am weitesten fortgeschrittene Modell der Vereinnahmung von Medien verfolgt, das jemals in der Europäischen Union entwickelt wurde“, womit sie ihre Angriffe auf Minderheiten, Migranten und Oppositionelle befeuert und die Entstehung eines alternativen politischen Diskurses verhindert hat.

Gleichzeitig verwischte die Regierung zunehmend die Grenzen zwischen Partei- und Staatsgeldern, wobei öffentliche Gelder für so genannte „Informationskampagnen der Regierung“ – in Wirklichkeit aber für den Wahlkampf von Fidesz – verwendet wurden. Damit wird eine faire Repräsentation aller politischen Parteien Ungarns in den Medien unterbunden.

Diese Maßnahmen führten unter anderem dazu, dass die OSZE-ODIHR-Wahlbeobachtungsmission die ungarischen Wahlen von 2014 und 2018 als „frei, aber nicht fair” bezeichnete.

Seit 2018 hat Fidesz weitere Schritte unternommen, die die Integrität des Wahlprozesses in Frage stellen, wie etwa die Diskriminierung von im Ausland lebenden ungarischen Bürgerinnen und Bürgern bei der Stimmabgabe, eine verstärkte fremdenfeindliche und LGBTQ-feindliche Rhetorik, die Vereinnahmung von Wahlgremien und politische Einflussnahme auf Gerichte sowie willkürliche Einschränkungen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Mit dem Pegasus-Skandal im Jahr 2021 wurde außerdem bekannt, dass die Regierung NSO-Spionageprogramme zur Überwachung unabhängiger Journalisten, Demonstrierender und Aktivisten einsetzte.

Am Wahltag selbst wächst die Besorgnis über Unregelmäßigkeiten. Im November 2021 hat die Regierungspartei den „Wählertourismus“ in Ungarn praktisch legalisiert. Ohne die Verpflichtung, an der registrierten Adresse zu wohnen, ermöglicht die Gesetzesänderung die massenhafte Registrierung ungarischer Bürgerinnen und Bürger aus Nachbarländern – und könnte damit die Registrierung fiktiver Adressen erleichtern. In 10 bis 15 Wahlbezirken, in denen der Unterschied zwischen zwei Kandidaten weniger als 1000 Stimmen betragen dürfte, könnten solche Unregelmäßigkeiten am Wahltag entscheidend werden.

Parallel zur Aushöhlung des fairen Parteienwettbewerbs hat Orbán eine kleptokratische Elite auf Kosten der Allgemeinheit bereichert. Orbán kam nach einer breiten Gegenreaktion auf die vom IWF auferlegten Sparmaßnahmen nach der Finanzkrise 2008 an die Macht. Seine Regierung brach aber schnell das Versprechen, die Austeritätspolitik zu beenden. Stattdessen stärkte Orbán die lokalen Oligarchen – er stützte sich dabei vor allem auf EU-Subventionen und insbesondere deutsche Investitionen – und setzte eine Reihe von antisozialen und arbeitnehmerfeindlichen Maßnahmen durch.

2018 verabschiedete das ungarische Parlament das sogenannte „Sklavengesetz“: ein neues Arbeitsgesetz, das es Arbeitgebern erlaubt, Hunderte von Überstunden pro Jahr zu verlangen und die Bezahlung bis zu drei Jahre hinauszuzögern – was vor allem multinationale Unternehmen begünstigte. Zu Beginn der Covid-19-Pandemie – als jeden Tag 4.000 Ungarn ihren Arbeitsplatz verloren – weigerte sich die Regierung, den neuen Arbeitslosen Hilfe zu gewähren. Zuletzt versuchte die Regierung während der Pandemie, ihre Notstandsbefugnisse zu nutzen, um die bisher größte Mobilisierung ungarischer Lehrenden zu verbieten – und Tarifverhandlungen generell zu unterdrücken.

Aus diesem Grund entsendet die Progressive Internationale (PI) im Vorfeld der Wahlen am 3. April eine Delegation nach Ungarn. Die Delegation wird sich mit sozialen Bewegungen, Gewerkschaftern, unabhängigen Medien, Aktivisten und Vertretern politischer Parteien treffen, um die Bedrohung des demokratischen Prozesses im Land und die Unterdrückung von sozialen Kämpfen zu beobachten.

Allerdings steht nicht nur auf nationaler Ebene viel auf dem Spiel.

Seitdem Fidesz an die Macht gekommen ist, sucht Orbán das Bündnis mit rechten und antidemokratischen Kräften auf der ganzen Welt. Gemeinsam mit 15 anderen rechten Parteien hat Fidesz bei den Europawahlen 2019 für den Schutz des „jüdisch-christlichen Erbes Europas“ geworben. Erst im Januar diesen Jahres unterstützte Donald Trump Viktor Orbáns Kandidatur, der seinerseits den ehemaligen US-Präsidenten einlud, mit ihm während des Wahlkampfes aufzutreten. Im darauffolgenden Monat empfing Orbán den rechten brasilianischen Regierungschef Jair Bolsonaro, der Ungarn bei seinem Besuch als Brasiliens „kleinen großen Bruder“ bezeichnete. Die ursprünglich eine Woche vor der Wahl geplante „Conservative Political Action Conference” in Budapest, eine Konferenz mit Verbindungen zu amerikanischen Konservativen, bei der republikanische Abgeordnete, der Vorsitzende der rechtsextremen spanischen Partei VOX und Jair Bolsonaros Sohn Eduardo auf der Rednerliste standen, wurde wegen des Krieges in der Ukraine auf Mai verschoben. Zugleich ist Orbán bis heute der engste politische Verbündete von Wladimir Putin in der Europäischen Union.

Aber Ungarns progressive Kräfte formieren sich neu. Im Jahr 2018 gingen Tausende von Menschen und Gewerkschaftern in Budapest auf die Straße, um gegen die Einführung des „Sklavengesetzes“ zu protestieren. Im Mai 2021 forderte eine große Demonstration eine Lösung für die Wohnungskrise und die niedrigen Löhne in Ungarn. Im März 2022 widersetzten sich die ungarischen Lehrenden den Versuchen der Regierung, ihren unbefristeten Streik zu verbieten, und protestieren noch in diesem Moment gegen niedrige Löhne, Personalmangel sowie fehlende Ressourcen und Infrastruktur, die den ungarischen Bildungssektor an den Rand des Zusammenbruchs gebracht haben.

Jetzt, bei den Parlamentswahlen 2022, fordern die progressive Kräfte Ungarns eine menschenwürdige Gesellschaft auf der Grundlage von Solidarität, Gleichheit und Demokratie.

Foto: Pixabay

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Date
28.03.2022
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