Blau, grün und orange: Das sind die Farben von drei Betonwohnblöcken in dem einst verrufenen "Ghetto" in der Kovářská-Straße in Varnsdorf, einer Stadt im Norden Tschechiens. Heute ist es eine meist ruhige und teilweise leerstehende "ausgegrenzte Ortschaft".
In der zweiten Hälfte des letzten Jahres kaufte der örtliche Geschäftsmann Lukáš Rak einige der Wohneinheiten vom Vorbesitzer Pavel Troch mit der Absicht, sie zu renovieren. "Problematische" Mieter*innen, die mit der Miete im Zahlungsrückstand waren, wurden bereits im Sommer gezwungen, ihre Wohnungen zu verlassen. Später, im Herbst, mussten auch andere Mieter*innen trotz pünktlich Zahlungen gehen. Ihre Verträge liefen nur noch von Monat zu Monat, statt der ursprünglichen drei Monate, was eine fast sofortige Vertreibung der Mieter*innen aus ihren Wohnungen ermöglichte.
Am Ende des ersten Jahres der Covid-19-Pandemie, als er den letzten Mieter entließ, nutzte Rak diese Gelegenheit und begann mit dem Wiederaufbau der nun leerstehenden Wohnungen. All das geschah vor dem Hintergrund der Debatte über das Einfrieren von Mieten oder zumindest den Aufschub der Mietzahlungen in der Tschechischen Republik im Frühjahr 2020. Am Ende wurde nur die Möglichkeit eines Aufschubs bis zum Ende des Jahres beschlossen. Das war nicht genug, um den meisten einkommensschwachen Haushalten zu helfen.
Aus der Perspektive der Roma-Familien, die früher in Kovářská lebten, geht die ganze Debatte über den Schutz von Mietrechten in Zeiten der Pandemie in die falsche Richtung. Menschen in Wohnungsnot – insbesondere wenn sie Roma sind – werden üblicherweise übersehen. Warum sollte eine globale Pandemie daran etwas ändern? Für diese Menschen ändert die Ausrufung des Ausnahmezustands durch den tschechischen Staat leider nichts.
Auf dem Weg nach Varnsdorf erfahren wir von dem Journalisten und Schriftsteller Markus Pape, der uns auf die Situation in Kovářská aufmerksam gemacht hat, dass das tschechische Anti-Roma-Vokabular um einen neuen Begriff bereichert wurde: Statt des ursprünglichen "unbrauchbar" (nepoužitelných) hören wir nun "untauglich" (nepřizpůsobivých). Wenn das einen Schritt in Richtung größerer politischer Korrektheit darstellen sollte, dann ist er definitiv nicht gelungen.
Noch lebt Iveta Balážová mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in einer der offiziell leerstehenden Wohnungen, die für die Renovierung vorgesehen sind. Ohne jeden Vertrag. Sie würde gerne die Miete zahlen, aber es gibt niemanden, an den sie sie zahlen könnte. Sie hat nicht einmal eine neue Kontonummer erhalten. Sie ist zur Besetzerin geworden in dem Haus, in dem sie jahrelang als Putzfrau gearbeitet und Miete bezahlt hat.
Fast alle Möbel wurden entfernt, damit die Familie sie im Falle einer plötzlichen Zwangsräumung nicht verliert. Die Kinder schlafen auf Matratzen auf dem Boden in ihrem Zimmer und in der Küche steht nur noch ein Tisch. "Die Ukrainer sind schon dabei, den blauen aufzuräumen, ich habe Angst, dass sie hierher kommen werden." Balážová zeigt auf den gegenüberliegenden Block. Vor Weihnachten war sie sich nicht sicher, ob sie nicht auf der Straße landen würde, da sie vom neuen Besitzer durch Vermittler bedroht wurde. Ihre Situation ist noch nicht dramatisch, könnte sich aber jeden Tag verschlimmern.
Dabei hätte man alles ganz einfach lösen können. Im Juni hat die Stadt Varnsdorf einen Aufruf zur Vermietung von Sozialwohnungen an Menschen in Wohnungsnot veröffentlicht. Diese Wohnungen wurden zu diesem Zweck mit einem europäischen Zuschuss saniert.
Doch die Beamten und Politiker*innen im Rathaus halten die Situation der Familie Baláž nicht für dringend genug, um ihnen eine der siebzehn Sozialwohnungen anzubieten. Im Moment stehen nur vier Studios zur Verfügung und die sind für größere Familien ungeeignet. Der Bürgermeister erklärt, dass die Familien mit Kindern aus Kovářská nicht die Bedingungen des europäischen Zuschusses erfüllen, mit dem der Wiederaufbau der Sozialwohnungen finanziert wurde.
Der Bürgermeister und Priester Roland Solloch sagt, dass der Familie eine alternative Unterbringung in einem von der Stadt eingerichteten Wohnheim in der T. G. Masaryka Straße angeboten wurde. Diese Notunterkunft würde das Budget der Familie Baláž erschöpfen. Für die fünfköpfige Familie, von denen drei erwachsen sind, würde die Monatsmiete in einem städtischen Wohnheim 15.600 CZK (ca. 600 €) kosten. Für Essen, Transport und andere Dinge blieben nur ein paar Tausend Kronen übrig.
Die Familie Baláž möchte auch nicht an einem Ort landen, in dem sie ihre Privatsphäre verlieren würden, da sich das Lernen für ihre Kinder schwierig gestalten würde. Insgesamt würden sie ein Vermögen für eine minderwertige Unterkunft zahlen. Das Haus ist vernachlässigt, nur durch eine Rezeption zugänglich und das ganze Gebäude könnte leicht mit einem Gefängnis verwechselt werden. Die Stadt will ihnen aber außer ein paar Zimmern in diesem Gebäude keine anderen Sozialwohnungen anbieten.
"Die staatlichen Subventionsregeln für den Erwerb von Sozialwohnungen sind auf verschiedene Gruppen von Haushalten mit dringendem Wohnungsbedarf gerichtet. Es gibt aber mehrere dieser Untergruppen und die Zahl der Menschen in Wohnungsnot ist immer um ein Vielfaches höher als die Zahl der Sozialwohnungen. Die Antragsteller für Subventionen, wie zum Beispiel die Gemeinden, können dann aus den vielen Bewerbern auswählen und bevorzugen in der Regel Zielgruppen, wie beispielsweise Senioren”, sagt Vít Lesák, ein Ökonom bei der Organisation "Plattform für soziales Wohnen". Seiner Meinung nach besteht keine Gefahr, dass Varnsdorf Fördergelder verliert, wenn sie Familien in einer ähnlichen Situation wie Familie Baláž eine Wohnung zur Verfügung stellen. Es stimme auch nicht, dass die Familien die Kriterien, die das Rathaus auf seiner Website veröffentlicht, nicht erfüllen.
Latente Rassisten argumentieren oft, dass sie sich nicht um die Hautfarbe einer Person scheren, sondern darum, ob sie ihren eigenen Lebensunterhalt verdient und ob ihre Kinder zur Schule gehen. Die Familie Baláž ist die Definition schlechthin dieser Kategorie von "anständigen Roma". Seit Jahren arbeiten Frau Balážová und ihr Mann für dieselbe Stadt, die sich nun weigert, ihnen eine andere Unterkunft als ein Wohnheim zur Verfügung zu stellen. "Ich will nicht vom Staat abhängig sein, damit gibt es nur Probleme und man muss ständig etwas beweisen", erklärt Frau Balážová ihren Widerstand gegen die Abhängigkeit von Sozialleistungen.
Ihr Mann arbeitet seit fünfzehn Jahren bei den städtischen Diensten in Varnsdorf, und obwohl sie eine Teil-Invalidenrente hat, muss sie zwei Teilzeitjobs als Pflegerin und Putzfrau bewältigen. Beide arbeiten seit vielen Jahren ununterbrochen. Balážová, die die Berufsschule im letzten Jahr abbrach, als sie ihren zukünftigen Ehemann kennenlernte, legt großen Wert auf die Ausbildung ihrer Kinder und möchte, dass sie alle mindestens einen Berufsabschluss machen. Gleichzeitig ist sie sich des Paradoxes bewusst: Sie ist berufstätig und tut alles so, "wie es sich gehört", aber am Ende zahlt es sich nicht aus. "Ich denke, es ist eine Belohnung dafür, dass ich gearbeitet habe, meine Miete pünktlich bezahlt habe, nicht auf Sozialleistungen angewiesen war und meine Kinder anständig erzogen habe", denkt sie laut in ihrer möbellosen Küche.
Eine Aussage von Bürgermeister Solloch konnten wir nicht bekommen, aber nach mehreren Versuchen antwortete er am Tag unseres Besuchs in Varnsdorf wenigstens per E-Mail an Markus Pape, der ihn zuvor gebeten hatte, sich zu der Situation zu äußern. In der E-Mail stellte der Bürgermeister klar: "Die Stadt erfüllt die Bedürfnisse [dieser Bewohner], indem sie Hilfe bei Verhandlungen mit dem Arbeitsamt, dem Sozialamt, bei der Suche nach freien Wohnungen (außerhalb von Varnsdorf – was diese ablehnen) anbietet. Die Stadt hat keine Verpflichtung, Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Wir haben eine lange Schlange von Bürgern, die auf eine Sozialwohnung warten (die Roma verstehen das nicht und wollen alles sofort haben). Die Situation tut mir leid, aber alle wussten im Voraus, dass sie ihre Wohnungen verlassen müssten, und sie haben absolut nichts getan. Sie haben sogar die Wohnung des neuen Eigentümers zerstört, bevor sie gegangen sind. Sie verstehen wahrscheinlich, dass ich ihnen als Bürgermeister keine neu renovierten Wohnungen anbieten werde, die sie sofort zerstören werden. Sie haben aber nach den Subventionsregeln auch keinen Anspruch darauf. Im Notfall gibt es ein Wohnheim, das die Stadt anbietet, aber auch das wollen sie nicht annehmen, weil sie dort nach bestimmten Regeln leben müssten."
In seiner Antwort wirft der Bürgermeister und der Priester der Altkatholischen Kirche skrupellos alle Bewohner*innen der Kovářská in dieselbe Kategorie. Balážová selbst sagt, dass sie, wie auch andere Leute aus ihrer Straße, nach einer Wohnung gesucht hat, seit sie erfahren hat, dass sie ausziehen musste. Sie hat sogar Geld für eine Kaution gespart, was oft ein Hindernis sein kann. Der Bürgermeister beschreibt die Realität offensichtlich so, wie es ihm passt. Im Fall von Balážová hat er selbst in den Medien eine städtische Wohnung für ihre Familie versprochen. Er war sich also der Tatsache bewusst, dass die Stadt eine gewisse Verantwortung trägt.
Auch die Methode der erklärten Hilfe, bei der die Stadt versucht, nur außerhalb von Varnsdorf eine Wohnung zu finden, ist eigenartig und widerspricht direkt den Grundsätzen der Sozialdienste, wie sie im Gesetz festgehalten sind. Laut Gesetz sollen Sozialdienste so handeln, dass sie "eine Verschärfung der ungünstigen sozialen Lage vermeiden und die Inklusion stärken". Das ist bei Zwangsräumungen, bei denen die Bewohner*innen aus der Stadt vertrieben werden, definitiv nicht der Fall. Vor allem dann nicht, wenn die Beamten den Menschen absichtlich helfen, nur außerhalb von Varnsdorf eine Wohnung zu finden. Die grundsätzliche Frage schließlich, die der Bürgermeister nicht anspricht und die ihm gleichzeitig bewusst sein muss, ist der Rassismus und die Stigmatisierung der Menschen aus Kovářská, die ihre Möglichkeiten, eine Wohnung zu finden, stark einschränkt. Aber das stört ihn offensichtlich nicht, denn er selbst reproduziert Vorurteile sowohl gegenüber den Roma als auch gegenüber den Menschen aus Kovářská.
Heute sieht Kovářská sehr geordnet aus und sein schrecklicher Ruf in Varnsdorf und den umliegenden Orten scheint für Menschen von anderswo unverständlich. Aber so ruhig ist es hier nicht immer gewesen. Die Geschichte dieser kleinen ausgegrenzten Ortschaft ist teilweise die Geschichte der vernachlässigten Wohnungsfrage in der Tschechischen Republik. In den letzten Jahren hat die Regierung im Rahmen des Kampfes gegen die Armutsindustrie die Wohnbeihilfen gestrafft und gekürzt. Auch wurde den Städten erlaubt, Zonen ohne geförderten Wohnraum einzuführen. Die Notlage der Bedürftigen wurde jedoch überhaupt nicht adressiert. Der eigentliche Grund für die Existenz der Armutsindustrie, die eine Reihe von verschiedenen Arten des Missbrauchs der Armen beinhaltet, ist nicht verschwunden.
In den 2000er Jahren gehörten die Wohnblöcke in Kovářská dem örtlichen Textilunternehmen Velveta und dienten der Unterbringung seiner Angestellten. Später wurden sie an Jan Němec und Pavel Pražák verkauft; vor allem Roma und andere Menschen mit geringem Einkommen zogen daraufhin ein. Anfangs, so Iveta Balážová, die seit über zwölf Jahren in dem Haus wohnt, war das Leben hier erträglich und sogar angenehm und die Häuser waren gut gepflegt. Doch dann rechneten sich die Besitzer aus, dass es lukrativ wäre, das damals noch unbegrenzte Wohngeld abzukassieren. So konnte man für die Unterbringung von drei Personen in einem schimmeligen Keller Unterstützung vom Staat bekommen.
Es wurden so viele Menschen wie möglich in die Häuser gequetscht und das Aussehen und die Instandhaltung der Gebäude hatten für die Eigentümer keine Priorität mehr. Sie begannen, Millionen von tschechischen Kronen zu verdienen. Je mehr Menschen, desto mehr Geld. "Zum Beispiel wohnten zwölf Leute aus den Siedlungen in einem Studio und zahlten 20.000 CZK. Der Besitzer steckte sich das ganze Geld direkt vom Sozialamt selbst in die Tasche. Weil er sah, dass es weiter floss, war es ihm egal, wen er dort unterbrachte", kommentiert Marie Hučková, die einst in einem der Wohnblöcke lebte. Sie selbst spielt nun die Rolle, die entweder das Rathaus oder eine NRO, die sich um die Obdachlosen kümmert, erfüllen sollte.
Die Folge waren überfüllte Wohnungen, vernachlässigte Gemeinschaftsräume, Alkohol, häufige Schlägereien und Polizeieinsätze. Zusammen mit der damaligen Wirtschaftskrise und der enormen Arbeitslosigkeit (die besonders die Region Ústí nad Labem betraf, an deren Rand Varnsdorf liegt) bedeutete dies eine Zunahme der rassischen Spannungen, die schließlich zu einer Reihe von rassistischen Aufmärschen mit hoher Beteiligung Nazis des ganzen Landes und Einheimischen führte.
Balážová erinnert sich ungern an diese Zeit, aber wenn sie darüber nachdenkt, wann Kovářská zu einem Ort mit einem so beängstigenden Ruf wurde, kommt sie auf die Zeit der rassistischen Aufmärsche und den Höhepunkt der lokalen Armutsindustrie zurück. Wenn man eine Wohnung sucht, braucht man nur das Wort Kovářská zu sagen und die Mietvertragsverhandlungen enden schon, bevor sie erst einmal begonnen haben. Keiner will Leute von hier haben. Balážová hat dafür, auf vielleicht überraschende Weise, eine gewisse Sympathie: "Die erste Welle von Leuten, die Kovářská verlassen haben, waren Zahlungsunwillige und alle möglichen Leute. Wir sind anständig, aber die hören alle 'Kovářská' und denken wer weiß was." So beschreibt sie die Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche, die sie und ihre Familie seit September erleben. "Wenn sie keine Angst davor haben, dass du sie nicht bezahlst, haben sie Angst, dass du die Wohnung zerstörst oder Kakerlaken und Bettwanzen reinbringst. Man kann ihnen alles Mögliche versprechen und es macht keinen Unterschied." Eine Gruppe von Menschen aus Kovářská hat jedoch von der Stadt sofort und ohne die Notwendigkeit einer Verhandlung eine alternative Wohnung erhalten. Wenn man fragt, womit sie dieses Privileg verdient haben, muss man sich mit der Antwort zufrieden geben, dass sie weiße Rentner*innen waren.
Weniger als hundert Meter von den jetzt stigmatisierten Wohnblöcken entfernt gibt es eine lokale Pizzeria namens Priština, die von albanischen Besitzern geführt wird. Als wir hier zum Mittagessen anhalten, stellt der neugierige Kellner schnell fest, dass wir keine Einheimischen sind. Als er erfährt, dass wir wegen der Kovářská in Varnsdorf sind, kommt er sofort ins Gespräch: "Kovářská? Ich nenne es ein Ghetto und ich meine das nicht negativ."
Er erklärt, dass gerade, während er uns bedient, einige Roma aus den Wohnblöcken im hinteren Teil der Küche aushelfen, und er hat kein einziges schlechtes Wort für sie übrig. "Sie sind stolz auf ihre Arbeit. Früher saßen sie hier herum, aber das ist nicht mehr der Fall", stellt er fest und bemerkt, dass etwa zwanzig Roma aus Kovářská in Teilzeit in seinem Restaurant arbeiten und er im Grunde nichts zu beklagen hat. Im Gegenteil, dank ihnen kann sein Restaurant auch in den Zeiten von Covid-19 relativ gut laufen. Die Roma aus Kovářská arbeiten in Teilzeit für ihn und liefern Pizza und andere Essen in die Umgebung, hauptsächlich nach Deutschland.
Wohin sind andere Roma-Familien gegangen, die Kovářská abrupt verlassen mussten, obwohl sie nicht in die Kategorie der problematischen Mieter*innen fielen? Einige von ihnen wohnen in einem nahegelegenen Gebäude, einem ehemaligen Sägewerk. Es handelt sich dabei um nicht genehmigte, gewerbliche Räumlichkeiten, die selbst für Journalist*innen erschreckend wirken, die im Laufe der Jahre den Lebensstandard in Předlice, Krupka, Přednádraží in Ostrava und vielen anderen Wohnheimen gesehen haben. Die Familie Novotný mit ihren sieben Kindern ist in einem Zimmer mit Wänden aus Gipskartonplatten zusammengedrängt. Sie zahlen 10.000 CZK (etwa 380 €) im Monat, in bar und ohne irgendeinen Vertrag. Auch sie stießen im Rathaus auf kein Verständnis. Man sagte ihnen, dass niemand den Menschen aus Kovářská helfen werde.
"Sie sagten, wir erfüllten nicht die Bedingungen, um eine Sozialwohnung zu bekommen, denn ich bin berufstätig. Also mussten wir uns über Nacht selbst eine Wohnung suchen", erklärt Helena Novotná und erzählt darüber hinaus, dass das Rathaus ihrer Familie nahegelegt hat, Varnsdorf zu verlassen und nach Šluknov oder in ein Wohnheim in Liberec zu ziehen. "Aber ich habe hier eine Arbeit und meine Kinder gehen hier zur Schule. Und Leute aus Kovářská sind in Šluknov ebenso unerwünscht."
Auch Frau Novotná arbeitet bei der Stadt. Trotzdem findet sie nichts anderes als diesen unwürdigen Platz für mehr Geld und ohne die Möglichkeit von Sozialleistungen. Ohne Vertrag hat sie keinen Nachweis über die Mietzahlung und damit keinen Anspruch auf irgendetwas. Ihre ist nicht die einzige Familie, die nach der Vertreibung aus Kovářská hier gelandet ist. Etwa fünfzig Menschen leben in diesem Gebäude; gemeinsam nutzen sie eine unmöblierte Küche, eine Toilette und eine Dusche.
Wir sind uns sicher, dass noch einige Familien aus der letzten Vertreibungswelle woanders wohnen müssen. Und in der Tat. Marie Hučková, eine ehemalige Mieterin aus Kovářská, die jetzt in einem ehemaligen Eisenbahnhaus wohnt, das sie von der Tschechischen Bahn mietet, nahm drei Familien mit etwa zwanzig Mitgliedern auf, die meisten davon Kinder. Diese charakterstarke Frau erfüllt im Grunde die Rolle des Rathauses und als ihre erweiterte Familie vor Weihnachten nirgendwo mehr unterkommen konnte, richtete sie für sie eine Art Sozialwohnung ein.
Sie sah, wie der Besitzer der Kovářská durch die Wohnungen ging und die Leute aufforderte, sofort zu gehen. Sie erinnert sich ungern daran. "Er hat nicht geklopft, er ist einfach eingetreten, obwohl all diese Leute ordentlich Miete bezahlt haben." Es hatte keinen Sinn, mit ihm zu reden, seine Antwort war eindeutig: Die Zukunft der Mieter*innen sei ihm egal, die Wohnungen gehörten ihm und er könne mit ihnen machen, was er wolle. Er soll den Mieter*innen auch gesagt haben, wenn sie nicht kooperieren würden, kenne er Leute für diese "Situationen". Laut Hučková bezog er sich dabei auf seine Kontakte zur Mafia.
"Wenn ich nicht wäre, wären die Kinder bereits in Kinderheimen und Institutionen und andere auf der Straße", sagt Hučková über die drei Familien, denen sie ihre Türen geöffnet hat, und fügt hinzu, dass sie die Menschen über Weihnachten nicht auf der Straße lassen konnte. Doch die aktuelle Situation erschöpft sie und ihre Lieben. Sie dachte, dass es nur vorübergehend sein würde, vielleicht nur eine Woche, aber es geht so schon über zwei Monate.
Hučková ist eine der acht Frauen, die im November zum Rathaus gingen und ihre Unzufriedenheit mit dem Schicksal der Menschen aus Kovářská zeigten. Zwei von ihnen konnten schließlich ein Treffen mit Bürgermeister Solloch und dem stellvertretenden Bürgermeister Jiří Sucharda erzwingen, der für die Wohnungspolitik zuständig ist. Während des 45-minütigen Treffens bedankten sich die Männer bei Hučková dafür, dass sie es mit so vielen Menschen aufnimmt und baten sie, noch ein wenig durchzuhalten und vor allem keine weiteren Demonstrationen abzuhalten und nicht mit den Medien zu kommunizieren. Sie hörte Versprechen von Stadträten, dass die Stadt bald eine Unterkunft für die Familien finden würde, denen sie vorübergehend half. Aber seit dem Treffen ist mehr als ein Monat vergangen und weder der Bürgermeister noch der stellvertretende Bürgermeister beantworten ihre Anrufe, während drei Familien aus Kovářská noch keine andere Wohnung gefunden haben.
Das Büro des Bürgermeisters sagt ihr immer das Gleiche: Der Bürgermeister ist in einer Sitzung, der stellvertretende Bürgermeister ist nicht da, niemand ist erreichbar. Das war auch die Erfahrung der Autoren dieses Artikels. Weder ein Anruf noch ein Schreiben mit der Bitte um ein Treffen mit dem Bürgermeister oder dem stellvertretenden Bürgermeister führten zu irgendetwas: Wir erhielten keine Antwort. Keiner der führenden Vertreter des Rathauses wollte die Position der Stadt erklären. Aus den Interviews, die wir in Varnsdorf führten, geht hervor, dass sie die Medienöffentlichkeit scheuen.
Für Hučková ist die Absicht des Rathauses klar. Es geht darum, die Roma aus Kovářská nach und nach aus Varnsdorf zu verdrängen, auch die, die hier geboren wurden. Sonst würde die Stadt einen Teil der Sozialwohnungen an die Familien vergeben, die sie jetzt beherbergt. "Der Bürgermeister sagte mir, sie hätten zwar Wohnungen, aber die seien nicht für Familien gedacht, die kein Dach mehr über dem Kopf haben, sondern für Obdachlose. Nur für bestimmte Obdachlose. Ich habe ihnen gesagt, dass diese Leute jetzt auch obdachlos sind, sie können nirgendwo hin." Hučková schüttelt den Kopf und sagt, sie sei völlig erschöpft.
Man darf nicht vergessen, dass die Stadt Varnsdorf insgesamt 600 Wohnungen besitzt. Nach den Erfahrungen der Menschen aus Kovářská scheint es, dass Varnsdorf zwar mit Unterstützung der Europäischen Union Sozialwohnungen gebaut hat, diese aber für andere soziale Gruppen als die Roma aus dem Ghetto bestimmt sind. Die Schwester von Frau Hučková fasst die Situation lakonisch zusammen: "Das Rathaus ist froh, dass wir hier sind, sie sind uns losgeworden und das ist das Ende der Sache."
UPDATE vom 28. Januar 2021
Die Familie Baláž wurde Anfang Januar aus ihrer Wohnung in Kovářská vertrieben. Zusammen mit anderen zogen sie in das Haus von Marie Hučková, das bereits 25 Personen zählte. Der Familie Baláž wurde später eine Wohnung von einem vietnamesischen Geschäftsmann versprochen, aber die Details sind noch unklar. Marie Hučková, die die Familien unter ihrem Dach aufnahm, konnte die Situation mental nicht mehr bewältigen und ihre Familie sucht nun eine Unterkunft in Rumburk, acht Kilometer von Varnsdorf entfernt. In der Zeit, in der mehrere andere Familien bei ihr wohnten, hat sie allerdings Betriebskostenschulden angehäuft. Das Rathaus hat zumindest versprochen, ihr bei den Schulden auszuhelfen. Am Donnerstag, den 28. Jnauar, fand eine Demonstration der "Initiative für menschenwürdiges Wohnen" (Iniciativa za důstojné bydlení) statt, an der mehrere Dutzend Aktivist*innen aus Prag teilnahmen, darunter die ehemalige Ombudsfrau Anna Šabatová, die auf der Veranstaltung sprach und das Rathaus an seine gesetzliche Verpflichtung erinnerte, seinen obdachlosen Bürger*innen zu helfen. Die Aktivist*innen brachten auch materielle Hilfe mit und der Familie wurde der Erlös aus der öffentlichen Sammlung übergeben. An der Demonstration nahmen auch mehrere lokale Roma teil.