»Sie schreckte nie zurück, auch wenn der Kampf hart war.« In seiner Rede am 16. Dezember in Rom beschwor der britische Premierminister Rishi Sunak mit diesen Worten seine entfernte Amtsvorgängerin Margaret Thatcher und schmeichelte gleichzeitig seiner Gastgeberin Giorgia Meloni, indem er sie mit seiner Heldin verglich. Sunak deutete an, die italienische Ministerpräsidentin würde Thatchers Erbe auf neue Herausforderungen übertragen: »Heute müssen wir Thatchers Radikalismus auf die illegale Einwanderung anwenden.«
Viele Kommentare zu diesem Zusammentreffen betonten den herzlichen Umgang zwischen Sunak und Meloni. Sunak erwiderte mit seinem Auftritt beim Treffen von Melonis Partei Fratelli d’Italia den Gefallen, dass sie zuvor an seinem ansonsten ziemlich einsamen Gipfel über Künstliche Intelligenz in London teilgenommen hatte. Noch vor drei Jahren wurde ein Tory-Abgeordneter gerügt, weil er bei einer rechtsextremen Veranstaltung in Rom mit ähnlicher Rednerliste auftrat. Heute begrüßt Sunak Meloni als eine gleichgesinnte Konservative.
Sunak ist in dieser Hinsicht kein Ausreißer: Melonis Partei hat zwar ein faschistisches Erbe und verbreitet die Verschwörungstheorie des Großen Austauschs, doch ihr Engagement für die euro-atlantischen Institutionen hat ihr einen festen Platz in der rechten Mitte der EU eingebracht, immer näher an der christdemokratischen Europäischen Volkspartei. Der von Sunak beschworene »Radikalismus« ist heute Mainstream. Als Meloni im April London besuchte, bat Sunaks Team sie sogar, seinen Plan zu befürworten, Menschen, deren Asylgesuche abgelehnt wurden, unabhängig von ihrem Herkunftsland nach Ruanda abzuschieben. Sie willigte ein und behauptete, das Wort »Deportation« treffe auf die Abschiebung illegal eingereister Migrantinnen und Migranten überhaupt nicht zu.
Fast drei Jahre nachdem der Brexit durchgeführt und das britische Grenzregime umgestaltet worden ist, können wir im Rückblick feststellen, welchen Weg das Land eingeschlagen hat. Und Sunak hat recht: Es ist in der Tat ein römischer Weg beschritten worden. Mit der steigenden Zahl von Menschen, die versuchen, auf dem Seeweg einzureisen – zum Teil aufgrund des Brexits, aber auch wegen der enormen Unterdrückung in französischen Geflüchtetenlagern – hat der britische Staat zu altbekannten Instrumenten gegriffen, um harte Grenzen durchzusetzen: Menschen auf See sterben lassen, bilaterale Abkommen mit Auswanderungsländern schließen und angebliche »Schleuser« kriminalisieren.
Das ist nicht nur in Großbritannien so. Im Sommer reiste Meloni als Galionsfigur des »Team Europa« zusammen mit dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach Tunis. Ziel war es, sich die Hilfe des tunesischen Staates bei der Überwachung der Migration über das Mittelmeer zu sichern.
Die Unterdrückung in Drittländer mit schlechter Menschenrechtsbilanz auszulagern, ist inzwischen zur gängigen EU-Politik geworden. Seit 2016 wurden ähnliche Pakte zunächst mit der Türkei und dann mit Libyen geschlossen. Unter dem Eindruck des anhaltenden Streits zwischen den EU-Ländern über die interne Verteilung von Migrantinnen und Migranten hat sich der Block auf eine Linie der »Festung Europa« mit harten Außengrenzen geeinigt. Das Abkommen mit Kais Saieds Tunesien ist jedoch im Wesentlichen gescheitert – eine bodenlose Senke für EU-Gelder, die weder das Leben von flüchtender Menschen geschützt noch den Wunsch der Rechten befriedigt hat, die Ausreise zu verhindern.
Vielleicht waren es die Monate vergeblicher Diplomatie mit Tunesien, die die glücklose Meloni dazu veranlassten, auf spektakuläre Weise eine weitere undurchführbare Initiative anzukündigen: Nun sollen Aufnahmezentren in Albanien entstehen.
Auch dieser Plan setzt darauf, Migrationskontrolle in ein Drittland auszulagern und weist damit eine klare Parallele auch zu Großbritanniens Ruanda-Plan auf. Nur dass man sich in diesem Fall auf ein Nicht-EU-Land stützt, das einst vom faschistischen Italien besetzt wurde. Das Abkommen wurde über die Parlamente beider Länder hinweg abgeschlossen, hat aber dennoch die rechte Basis in Italien aufgewühlt.
Der albanische Ministerpräsident Edi Rama nahm vor zwei Wochen ebenfalls am Treffen der Fratelli d’Italia in Rom teil und bildet ein wichtiges drittes Standbein der besonderen Beziehung zwischen Sunak und Meloni. So hatte er schon zuvor mit der Tory-Regierung zusammengearbeitet und einem Abschiebeplan zugestimmt, der seine eigenen Bürgerinnen und Bürger an der Überfahrt über den Ärmelkanal hindert. Damit wurde die Einwanderung von Albanerinnen und Albanern auf dem Seeweg nach Großbritannien 2022 effektiv beendet.
Beide neuen Pläne beruhen auf eindeutig ungleichen Machtverhältnissen: Sowohl Albanien als auch Ruanda sind winzige Volkswirtschaften mit einer hohen Nettoauswanderung (ein Drittel beziehungsweise die Hälfte der Bevölkerung), während Großbritannien und Italien große kapitalistische Mächte sind. Man kann die Beziehungen zwischen den Staaten durchaus als neokolonial bezeichnen. So hat die Opposition in Albanien etwa den Vorschlag nicht gut aufgenommen, dass die neuen Aufnahmezentren, obwohl sie sich auf albanischem Hoheitsgebiet befinden, unter italienischer Hoheitsgewalt stehen sollen. Und in Ruanda hat die Oppositionsführerin Victoire Ingabire Umuhoza den gefassten Plan scharf kritisiert, da er im Grunde genommen die politische Unterdrückung und das gewaltsame Verschwindenlassen im ostafrikanischen Staat durch Großbritannien absegnet.
Während sich die früheren Deals mit der Türkei und Libyen (sowie das versuchte Abkommen mit Tunesien) auf die Transitländer konzentrierten, betreffen die neuen Verträge mit Albanien und Ruanda nicht deren eigene Bürgerinnen und Bürger oder die Durchreisenden. Der Plan, nach Ruanda abzuschieben, den Großbritanniens damaliger Premierminister Boris Johnson vor anderthalb Jahren erstmals vorstellte, sieht vor, Menschen, die irregulär über den Ärmelkanal kommen, in Ruanda festzuhalten, während die britischen Behörden ihre Ansprüche prüfen.
Der italienische Plan ähnelt dem, doch anstatt Menschen, die bereits auf italienischem Festland angekommen sind, in ein Drittland abzuschieben, schlägt er vor, dass Schiffe, die Menschen auf See retten, direkt nach Albanien umgeleitet und die Geflüchteten in den dortigen Zentren festgehalten werden sollen, während ihre Gesuche bearbeitet werden. Pläne, wie diese Verfahren, die mit etlichen juristischen und praktischen Problemen behaftet sind, im Detail funktionieren sollen, sind nicht öffentlich bekannt und existieren womöglich überhaupt nicht.
Was würden diese Abkommen in der Praxis tatsächlich bedeuten? In beiden Fällen würden sie einen der wenigen Wege abschneiden, über den Menschen aus der Arbeiterklasse von außerhalb der EU an Dokumente gelangen können: irregulär einreisen, Asyl beantragen und dann ihre erfolgreiche Integration nachweisen – also dass sie zum Beispiel in ihrem neuen Land arbeiten, studieren oder eine Familie haben. Die Pläne Großbritanniens und Italiens, Menschen daran zu hindern, auf ihren Hoheitsgebieten einen Asylantrag zu stellen, sollen nicht nur abschrecken, sondern auch eingereisten Menschen die Möglichkeit nehmen, zu bleiben.
Sunak und Meloni haben in ihrer Rhetorik beide einen Schwerpunkt darauf gelegt, dass Menschen auf der Flucht von Schleusern ausgebeutet würden. Da sie nicht gewillt sind, Donald Trumps Linie des offenen Rassismus zu folgen, behaupten sie wie viele vor ihnen, das Leben von Flüchtenden zu schützen, indem sie alle kriminalisieren, die die illegale Einreise ermöglichen. Doch das ist ein Bluff: Solange die EU und Großbritannien Hürden für die legale Einreise aufrichten, werden Organisationen und Einzelpersonen weiterhin die illegale Einreise erleichtern, sei es aus humanitären Gründen, aus Profitgründen oder beidem.
Bootsfahrer zu Sündenböcken zu machen, hat in der Vergangenheit sowohl auf der Rechten als auch auf der Linken funktioniert. Die Rechten forcieren dadurch einen rigiden Ansatz zur Grenzkontrolle, der Rassismus mit Sadismus verbindet. Aber auch Mitte-Links-Parteien greifen häufig in Reaktion auf Schiffbrüche von Flüchtenden zu diesem Mittel, wie kürzlichdie britische Labour Party nach einer Schiffskatastrophe im Ärmelkanal. Wie bei Sunaks und Melonis freudigem Instagram-Statement werden auch in solchen Fällen in der Regel »Menschenschleuser« und »Menschenhändler« verwechselt. Man tut so, als sei jede Person, die bei einem Grenzübertritt hilft, grausam, gewalttätig und habe Missbrauch im Sinn.
Derzeit sitzen rund tausend Menschen wegen Schleusung in italienischen Gefängnissen. Die meisten von ihnen werden lediglich beschuldigt, ein Boot gesteuert zu haben. Melonis Regierung hat neue Gesetze erlassen, die die Strafen noch verschärften. Die britische Regierung hat unterdessen vor Gericht dafür gekämpft, dass bevorzugt die Fahrer kleiner Boote verfolgt werden können, auch wenn dies gegen internationale Menschenrechtsvorschriften verstößt. In den letzten Monaten hat eine neue Runde von Gipfeltreffen – sei es der von den Vereinten Nationen angekündigte globale Krieg gegen Schleuser oder die globale Allianz zur Bekämpfung des Menschenschmuggels der EU – versucht, die heikle Frage der Freiheiten Geflüchteter dadurch zu lösen, dass sie deren Recht auf Schutz vor den bösen Schleusern ins Zentrum stellen.
Die Sunak-Meloni-Linie beeinflusst im Vorfeld der für Juni 2024 angesetzten EU-Parlamentswahlen auch die allgemeine europäische Politik. Meloni ist keine nationalistische Ausreißerin ohne Einfluss in Brüssel, die nur darüber streitet, welche Staaten wie viele Menschen aufnehmen sollen. Besser versteht man ihre Position dahingehend, dass die italienische Rechte zunehmend Erfolg dabei hat, ihre Vision für ganz Europa durchzusetzen.
Als der Rechtsextreme Matteo Salvini 2018/19 Italiens Innenminister war, befürwortete das Land eine Reform der Dublin-Verordnung, die vorsieht, dass Asylanträge im Ankunftsland geprüft werden. Italien bestand darauf, dass andere EU-Mitgliedstaaten helfen sollten, indem sie Menschen aufnehmen, die zuerst an den Küsten Italiens ankommen. Im vergangenen Jahr änderte Meloni jedoch diese Haltung, (Ost-)Europa habe viel getan, um ukrainische Geflüchtete aufzunehmen, und Italiens Rolle bestehe nun darin, Europa vor jeglicher Migration über das Mittelmeer zu schützen.
Wie London behauptet auch Rom manchmal, man würde Leben retten, indem man die Grenzen von Ländern an der Peripherie verhärtet und so Menschen daran hindert, überhaupt den Seeweg nach Europa anzutreten. Solche vorgeblich humanitären Anliegen sind natürlich lediglich politisches Marketing, doch sie erleichtern es Meloni tatsächlich, ihre Beziehungen zur Europäischen Volkspartei zu verbessern, der auch Kommissionspräsidentin von der Leyen angehört.
Dennoch sollte man nicht annehmen, ihr Ziel sei, Migration gänzlich zu unterbinden. Wir erleben heute vielmehr, wie zwar die Migrationsabwehr ausgeweitet wird, aber mitunter im Austausch dafür, dass einige wenige glückliche (und/oder reichere) Nichteuropäer als Gastarbeiter ohne Staatsbürgerrechte einreisen dürfen.
Dies ist die Realität hinter den neuen Migrationsgesetzen, die nicht nur von offen rechtsgerichteten Regierungen, sondern auf dem gesamten Kontinent verabschiedet wurden. In Frankreich hat die Regierung von Emmanuel Macron vergangene Woche ein neues Gesetz beschlossen, das den Zugang von Migrantinnen und Migranten zu Sozialleistungen einschränkt, Obergrenzen für potenzielle Neuankömmlinge festlegt und den Familiennachzug begrenzt. Das Gesetz – das auch einen »humanitären« Aspekt aufweist, da es eine bedingte Legalisierung für eine Minderheit von Migrantinnen und Migranten zulässt und Ausnahmen für Wirtschaftssektoren mit Arbeitskräftemangel vorsieht – wurde nur dank der Unterstützung von Marine Le Pens Rassemblement National verabschiedet.
Auch einigte sich der Rat der Europäischen Union kürzlich auf einen »historischen« neuen Migrations- und Asylpakt. Darin werden nicht nur die Grundlagen des Dublin-Prinzips beibehalten, gegen das Reformkräfte jahrelang gekämpft haben, sondern auch die Notwendigkeit betont, harte Außengrenzen beizubehalten und »Solidarität« mit den südlichen und östlichen »Frontstaaten« zu zeigen, die die meisten Asylbewerber aufnehmen.
Der Pakt wurde von den Fraktionen der Linken und der Grünen im EU-Parlament sowie von Amnesty International kritisiert. Die Organisation wies darauf hin, dass das »gestraffte« Antragsverfahren de facto bedeutet, dass mehr Menschen an den Grenzen inhaftiert, Länder außerhalb der EU für die Festsetzung von Asylsuchenden finanziert werden und diese Staaten in der Tat die Möglichkeit bekommen, in »Notsituationen« auf den Schutz der Menschenrechte zu verzichten.
Es sieht also danach aus, dass der Radikalismus der Ansichten von Meloni und Sunak bei den europäischen Zentristen schnell Fuß fasst – in einem gleichermaßen verzweifelten wie rassistischen Versuch, vor den Europawahlen im Juni einen politischen Block zu bilden.
Doch selbst ihre eigenen kitschigen Mythologien offenbaren die Vergeblichkeit der wütenden Unterstützung für Gefängnisse und Grenzen und ihres fadenscheinigen Zorns gegen Schleuser. Bei der Veranstaltung in Rom, auf der Sunak und Meloni sprachen, handelte es sich offiziell um ein jährliches Treffen der Jugendorganisation der italienischen rechtsextremen Partei. Dieses 1998 von Meloni selbst ins Leben gerufene »Atreju«-Treffen ist nach dem kämpferischen Protagonisten des Fantasy-Romans und -Films Die unendliche Geschichte benannt – einer Story über eine magische Welt, die von einer dunklen Macht namens »das Nichts« bedroht wird.
Wenn sich der italienische Faschismus einst auf eine tragische Mischung aus technologischer Kriegsführung und manipulierten Mythen stützte, so ist die heutige Version eine Farce, bei der zwei Ministerpräsidenten auf einem nach der Hauptfigur eines Fantasy-Films aus den 1980er Jahren benannten Treffen eine aufmunternde Rede darüber halten, wie man im wahrsten Sinne des Wortes das Nichts bekämpft. Oder besser gesagt, eine Geschichte über ihren heuchlerischen, blutigen Krieg gegen die außereuropäischen Arbeiterklasse – ein Mittel, um Europas Bevölkerung zu spalten und abzulenken, während man zugleich den Klassenkampf gegen diese intensiviert.
Photo: Jacobin, Alessandra Benedetti / Corbis via Getty Images