Briefing

PI-Rundbrief | Nr. 40 | Klimaschutz im Zeitalter des Völkermords

Die Systeme der Erde werden uns nicht retten, ebenso wenig wie der Kapitalismus.
Im 40. Rundbrief der Progressiven Internationale aus dem Jahr 2024 bringen wir die neuesten Beweise für den Zusammenbruch eines globalen Systems und die Revolten dagegen. Wenn du unseren Rundbrief per E-Mail erhalten möchtest, kannst du dich über das Formular unten auf dieser Seite anmelden.

Wir leben in äußerst unsicheren Zeiten. 2023 war das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, und 2024 wird voraussichtlich noch heißer. Wissenschaftler*innen können nicht mit Sicherheit vorhersagen, wie sich diese steigenden Temperaturen auf die komplexen, dynamischen und empfindlichen Systeme der Erde auswirken werden.

Eines dieser Systeme ist die Aufnahme von CO2 durch Wälder, Böden, Pflanzen und Ozeane. Zusammen als natürliche CO2-Senken bekannt, nehmen sie etwa die Hälfte der CO2-Emissionen der Menschheit auf. Ohne sie würde sich die globale Erwärmung beschleunigen.

Diese Woche veröffentlichte ein internationales Forscherteam vorläufige Ergebnisse, die zeigen, dass die Wälder, Böden und Ozeane, die bisher stillschweigend das überschüssige CO2 der Menschheit absorbiert haben, nun zusammenbrechen. Das Land – Wälder, Pflanzen und Böden – hat im vergangenen Jahr fast kein CO2 absorbiert, und die Fähigkeit der Ozeane, unsere Emissionen zu puffern, nimmt mit steigenden Meerestemperaturen ab.

Kurz gesagt, es ist schlimmer, als wir dachten. Das stabile Klima des Holozäns – einer Ära, die der menschlichen Zivilisation über 12.000 Jahre lang eine Blütezeit ermöglichte – ist zu Ende. Wir treten in ein neues geologisches Zeitalter ein, das von Störungen und Instabilität geprägt ist.

Wir wissen vielleicht nicht, wohin dieses neue geologische Zeitalter führt, aber wir kennen den Schuldigen, der uns hierher gebracht hat: Die aktuelle Epoche der Menschheitsgeschichte, die durch die koloniale Akkumulationsweise definiert ist und die wir das Zeitalter des Völkermords nennen können.

Seit 1492 wird die Welt von einem europäischen – und später euro-atlantischen – Herrschaftsprojekt der herrschenden Klasse geprägt. Es ging darum, Ressourcen aus allen Teilen der Welt auszubeuten und zu gewinnen – Menschenleben hin oder her. Dieses Projekt bahnte sich einen brutalen Weg durch ganze Kontinente und zog eine „globale Farblinie“, die die Menschheit in diejenigen teilte, die Reichtum und Macht anhäufen würden, und diejenigen, die unter der Last von Gewalt und Ausbeutung leiden würden. Völkermord und Versklavung wurden zu Werkzeugen einer zunehmend von fossilen Brennstoffen angetriebenen kolonialen Akkumulationsweise, die bis heute anhält.

Im globalen Norden betrachten viele die Kolonialzeit als Geschichte. Doch diese Illusion zerbröckelt, wenn wir den Völkermord in Gaza, die Impfstoff-Apartheid während der Covid-19-Pandemie oder die Tatsache betrachten, dass 90 % der klimabedingten Todesfälle im Süden auftreten. Der Zusammenbruch der CO2-Senken im Jahr 2023 ist nur das jüngste Kapitel in einer langen Geschichte der Zerstörung. Die Menschen im globalen Süden, die am wenigsten für die Klimakrise verantwortlich sind, sind mit den verheerendsten Folgen konfrontiert: Extremwetter, Vertreibung, Ernährungsunsicherheit und Landverlust.

Der Grund, warum der Süden immer noch leiden muss, ist, dass er weiterhin die Superreichen im Norden bereichert. Wie Jason Hickel et al. in einem jüngsten Artikel zeigen, werden jedes Jahr über 10 % der globalen Wirtschaftsleistung unbezahlt vom Süden in den Norden abgeführt. In den 25 Jahren zwischen 1990 und 2015 belief sich dieser Betrag auf 242 Billionen US-Dollar. Der Imperialismus ist unsere Gegenwart und seine rassistische Logik ist in das Gefüge der globalen Politik, der Wirtschaft und unserer sich verändernden Umwelt eingebaut.

Aber es gibt Hoffnung. Die Geschichte hat das Holozän beendet. Der Mensch hat die Geologie verändert und verändert unser Klima. Dieselbe Kraft – die enorme, fast unvorstellbare Produktionskapazität von acht Milliarden Menschen – könnte die Dinge radikal zum Besseren verändern.

Um dies zu erreichen – und damit das Überleben unserer und unzähliger anderer Arten auf unserem Planeten zu sichern – muss das koloniale Projekt der Ressourcenplünderung und der Unterwerfung des Menschen beendet werden. Wenn wir dies nicht tun, wird unser Klima auf eine Weise zusammenbrechen, die wir kaum begreifen können, weil diejenigen, die von der kolonialen Akkumulationsweise profitieren, dem menschlichen Leben zwangsläufig einen so geringen Wert beimessen.

Maßnahmen des globalen Südens – und seiner Verbündeten im revoltierenden Norden – zur Demontage unserer historischen Ära und zum Aufbau einer neuen Ära stellen die sinnvollste Form des Klimaschutzes dar. Sogenannte grüne Politik, die die grundlegende Struktur der kolonialen Akkumulation bewahrt – wie das Greenwashing von Amazon mit Netto-Null-Emissionen, CO2-Gutschriften, CO2-Abscheidung und -Speicherung, die falschen Dekarbonisierungspläne der großen Ölkonzerne, die jährlichen COP-Treffen, die neue imperiale Plünderung von Ressourcen für die „grüne Wirtschaft“ – dient nur dazu, von unserem ökologischen Zusammenbruch abzulenken oder ihn zu verstärken.

Echte Maßnahmen, die eine Chance haben, das kollektive Handeln der Menschheit zu bündeln, um einen stabilen Planeten und ein menschenwürdiges Leben für alle zu sichern, werden von den Medien und der politischen Klasse im globalen Norden verteufelt. Aber sie finden statt, in der Regel in Form einer Revolte gegen die herrschende Ordnung: ihre Regeln, ihre Gewalt, ihre Heuchelei.

In Palästina kämpft das palästinensische Volk gegen die Besatzung und die Ausbeutung der Gasfelder vor der Küste des Gazastreifens durch Israel. Im Amazonasgebiet kämpfen indigene Gemeinschaften gegen illegale Holzfäller, die als Speerspitze der globalen Fleischindustrie agieren. Von Senegal bis Mali verhandeln neue Regierungen wichtige Verträge mit multinationalen Unternehmen in den Bereichen Bergbau, Öl und Gas neu. In Vanuatu führte die Agitation von Studenten dazu, dass sich das höchste Gericht der Welt, der Internationale Gerichtshof, mit der rechtlichen Verantwortung von Staaten aufgrund des Klimawandels befasste. In Kolumbien hat die Regierung von Gustavo Petro das staatliche Ölunternehmen Ecopetrol in ein Energieunternehmen umgewandelt, während die Ölarbeitergewerkschaft USO einen Plan für einen sinnvollen grünen Wandel entwickelt. In Indien haben die Landwirte die Regierung und die globale Agrarindustrie mit den größten Streiks in der Geschichte der Menschheit besiegt, die über zwei Jahre andauerten. Und in China wurden die Kapazitäten staatlicher Investitionen und Planung gebündelt, um wichtige Klimaziele sechs Jahre früher als geplant zu erreichen.

Dies ist nur eine kleine Momentaufnahme des Widerstands und der Revolten, die darauf abzielen, den gegenwärtigen Zustand abzuschaffen, der Leben zerstört und unseren Planeten verwüstet. Sie können gestärkt und zusammengeführt werden, um eine Neue Internationale Wirtschaftsordnung für das 21. Jahrhundert zu schaffen, die nicht nur eine Chance bietet, soziale Gerechtigkeit herzustellen, sondern auch die Geologie unseres Planeten zu stabilisieren und die Bedingungen für alles Leben auf der Erde zu erhalten.

Überall auf der Welt rebellieren unterdrückte Bevölkerungen. Unsere Aufgabe ist es, diese Revolten zu vertiefen und zu vereinen, um das Zeitalter des Völkermords zu beenden und eine Zukunft aufzubauen, in der wir wirklich leben können.

Das Neueste aus der Bewegung

Bombenanschlag auf Krankenhäuser

Vor einem Jahr standen Ärzte zwischen den Leichen der Opfer des Bombenanschlags auf das Al-Ahli-Krankenhaus und warnten davor, dass weitere Angriffe auf die Krankenhäuser im Gazastreifen folgen würden, wenn Israel weiterhin straffrei davonkäme. In dem Jahr, das seitdem vergangen ist, wurden alle Krankenhäuser im Gazastreifen angegriffen und das Gesundheitssystem zerstört.

Unter den anwesenden Ärzten war Ghassan Abu-Sittah, ein Augenzeuge des Anschlags, dessen Aussage übersehen wurde. Forensic Architecture hat sie hier aufgezeichnet.

Internationaler Arbeitskongress

Diese Woche kündigte die spanische Arbeitsministerin Yolanda Díaz den ersten „Internationalen Arbeitskongress“ an, der am 13. und 14. November in Madrid stattfinden soll und Minister, Gesetzgeber, Gewerkschaften, Arbeitnehmer, Experten und Intellektuelle zusammenbringt, um einen neuen Konsens über die Arbeitnehmerrechte im 21. Jahrhundert zu schmieden. Die Progressive Internationale wird vor Ort sein und über die Entwicklungen in den kommenden Wochen berichten.

Gerechtigkeit für Guam

Guam, eine nur 30 Meilen lange Insel, sieht sich mit der größten Ansammlung von US-Militärkräften in der Geschichte des Pazifiks konfrontiert. Dort begehen US-Streitkräfte systematische Menschenrechtsverletzungen gegen das einheimische Volk der Chamorro. Diese Woche, am Tag der indigenen Völker, reichten PI-Ratsmitglied Julian Aguon und seine Kollegen eine neue Eingabe beim UN-Sonderberichterstatter für die Rechte indigener Völker ein, in der die Missbräuche dokumentiert werden.

Kunst der Woche: Star Gossage (geb. 1973) ist eine Künstlerin aus Aotearoa Neuseeland, die von Ngati Manuhiri/Wai, Ngati Ruanui, französischer, englischer und portugiesischer Abstammung ist und sich mit Themen wie Emotionen und Erinnerung, Verlust und Ausdauer auseinandersetzt. Während sie sich auf europäische Bewegungen wie Expressionismus, Impressionismus und Surrealismus bezieht, bezieht sie in ihre Arbeit Māori-Konzepte wie whānau (Familie) und whakapapa (vage übersetzt als Genealogie, aber mit einer umfassenderen Perspektive dessen, was dies ist) ein. Gossages nostalgische Abstraktionen, in denen Porträtmalerei und Landschaft verschmelzen, sprechen für die Verbundenheit der Menschheit mit der Umwelt. Über ihre Arbeit hat Gossage gesagt, dass die Figuren nicht „jemand Bestimmtes“ darstellen, sondern „etwas Universelleres“.

Available in
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Date
18.10.2024
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