Migration

Emma Tenayucas Engagement für den Klassenkampf und die Rechte von Migrant*innen

Vor fast einem Jahrhundert stand die Aktivistin Emma Tenayuca im legendären Streik der Pekannuss-Schäler*innen in San Antonio an der Spitze der mexikanisch-amerikanischen Arbeiterinnen. Sie legte sich dabei mit Bossen, Polizei und dem Ku-Klux-Klan an.
Abstract: Im texanischen San Antonio der 1930er-Jahre wurde die jugendliche Arbeiteraktivistin Emma Tenayuca zu einer Schlüsselfigur in der radikalen Arbeiter\*innengeschichte, indem sie 12.000 Pekannuss-Schäler\*innen – überwiegend mexikanisch-amerikanische Frauen – in einen historischen Streik gegen ausbeuterische Löhne führte. Im Angesicht gewaltsamer Unterdrückung, Bedrohung durch den Ku-Klux-Klan und Überwachung durch den Staat verknüpfte Tenayucas militanter Aktivismus Arbeiter*innenrechte mit Antirassismus und internationalistischer Solidarität.

Emma Tenayuca war noch ein Teenager, als sie begann, sich in ihrer Heimatstadt San Antonio, Texas, für Gleichberechtigung zu engagieren. Nur wenige Jahre später, im Alter von einundzwanzig Jahren, führte sie 12.000 Pekannuss-Schälerinnen – hauptsächlich mexikanisch-amerikanische Frauen – in den Streik und legte dabei eine Leidenschaft and den Tag, die sie schließlich zur Zielscheibe des Ku-Klux-Klans machte und ihr einen dauerhaften Platz in der radikalen Arbeiterinnengeschichte garantierte.

Die US-Einwanderungs- und Zollbehörde ICE, die die aggressiven und diskriminierenden Pläne des Trump-Beraters Stephen Miller ausführt, rühmt sich heute der über zweihundert Festnahmen in San Antonio seit Beginn des landesweiten Entführungsprogramms „Operation At Large“. Diese von der Regierung unterstützten Entführungen und das Wiedererstarken eines hasserfüllten Nativismus sind ein geeigneter Anlass, um an Tenayucas mutige Militanz zu erinnern.

Tenayuca wurde 1916 in San Antonio geboren, zur Zeit der weltweit nachhallenden mexikanischen Revolution. Ihre Kindheit war geprägt von der extremen Armut der Großen Depression und der Massenvertreibung von Millionen Mexikanerinnen – der sogenannten “Repatriation” – aus den Vereinigten Staaten zurück nach Mexiko. Der Nationalismus der Epoche erreichte einen Siedepunkt, und manche seiner Charakterzüge kommen uns auch heute bekannt vor, darunter die Darstellung von Ausländerinnen als aufrührerische Verräter*innen und soziale Fremdkörper.

Die Mitglieder des radikalen Milieus im San Antonio des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, zu dem auch Tenayucas Eltern und Großeltern gehörten, versammelte sich jeweils am heutigen Market Square. Dort verarbeiteten sie diese welthistorischen Ereignisse und verliehen ihnen in ideologischen Debatten, in Unterhaltungen auf den belebten Straßen und in hitzigen Diskussionen einen Sinn. Hier war die junge Emma einem militanten Substrat organisierter Arbeiter*innen ausgesetzt, die sich mit Zeitungen und Lerngruppen für die gemeinschaftliche Weiterbildung einsetzten. Dabei kam es öfters vor, dass Sozialist*innen, Anarchist*innen und mexikanische Revolutionär*innen vor der begeisterten Menge Reden hielten.

Ihren erster Ausflug in die Organisationspolitik machte Tenayuca in der High School. Sie wurde Mitglied in der League of United Latin American Citizens (LULAC). Ihre Mitgliedschaft hielt jedoch nicht lange an. Die Gruppe stand nämlich in Konflikt mit ihren internationalistischen Überzeugungen, da sie die Mitgliedschaft auf mexikanische Amerikaner*innen beschränkte und mexikanische Staatsangehörige ausschloss. Stattdessen trat Emma 1937 im Alter von zwanzig Jahren der Kommunistischen Partei bei und steckte ihre Energie in die Organisierung der Arbeiterklasse ungeachtet der jeweiligen nationalen Herkunft. Sie begann, politische Reden in ganz San Antonio zu halten. Daraufhin kam es zu einer heftigen stadtweiten antikommunistische Hetzkampagne gegen diese junge Tejana [Texanerin mit mexikanischen Wurzeln, Anm. d. Ü.], die so leidenschaftlich den Kommunismus anpries.

Mit diesen unerschütterlichen Überzeugungen übernahm sie dann die Führung des historischen Streiks der Pekannuss-Schäler*innen – eine Revolte von etwa 12.000 Arbeiter*innen. Die meisten von ihnen waren mexikanisch-amerikanische Frauen und Mädchen, die in stickigen Schuppen für nur ein paar Cent pro Pfund schuften mussten. Dabei waren sie das unsichtbare Rückgrat der florierenden Pekannussindustrie von San Antonio: gebückte Arbeiter*innen, die Staub einatmeten und in vielen Fällen weniger als einen Dollar pro Woche verdienten. 1938 versuchten die Bosse, die Löhne weiter zu senken, was zum größten Arbeiter*innenstreik in der texanischen Geschichte führte.

Die Schäler*innen waren schon unzufrieden gewesen, bevor Tenayuca auftauchte. Aber dank ihrer radikalen politischen Bildung und ihrem scharfen Strategieverständnis wurde sie zur kämpferischsten Stimme dieser Unzufriedenheit und schließlich auch zur Anführerin des Streikkomitees. Der Streik dauerte drei Monate. Tenayuca behielt die ganze Zeit über ihre Führungsrolle bei und organisierte die Arbeiter*innen hinter den Kulissen, kommunizierte aber auch in deren Namen mit der Öffentlichkeit. „Ich wurde einige Male verhaftet“, sagte sie später, „aber ich habe nie an Angst gedacht. Ich dachte nur an Gerechtigkeit.“

Der Staat antwortete mit der Gewalt, die so typisch ist für die blutige Arbeiter*innengeschichte unseres Landes. Dieses Maß an unverhohlener Repression richtet sich auch heute noch fast ausschließlich gegen die Armen. Die Polizei von San Antonio griff aggressiv durch: Razzien bei Streikversammlungen, Tränengas gegen friedliche Streikposten, über tausend Verhaftungen. Tenayuca selbst wurde verfolgt, verhaftet, und die Presse ließ nicht von ihr ab. Die Texas Rangers wurden gerufen, um die Arbeitgeber zu unterstützen – eine Erinnerung daran, dass die polizeiliche und paramilitärische Gewalt in Texas kein Problem damit hat, ihre Kräfte im Dienste der Interessen des Kapitals zu vereinen. Trotz alledem blieben die Streikenden standhaft. Nach drei Monaten mutigen Widerstands gegen Gewalt und Hunger setzten sie eine Lohnerhöhung durch.

Später im selben Jahr wurde Tenayuca eingeladen, im Gemeindezentrum von San Antonio über ihre Erfahrungen während des Streiks zu sprechen. Aber die Reaktionäre vor Ort waren noch nicht fertig mit ihr. Im Gemeindezentrum wartete ein antikommunistischer Mob von Tausenden auf sie, darunter Hunderte Ku-Klux-Klan-Mitglieder und rassistische Bürgerwehren, die das Gebäude umzingelten, um sie zum Schweigen zu bringen. Sie musste durch einen Hinterausgang fliehen, um der Gewalt des Mobs zu entkommen.

Das war nicht nur reaktionärer Gegenwind, sondern staatlich gebilligter Rassenterror. Das Leben einer Frau, deren Vision über Lohnverhandlungen hinaus auf revolutionäre Möglichkeiten abzielte, musste zerstört werden. Die Bundesregierung hatte Tenayuca bereits im Visier. Ihre FBI-Akte würde schließlich 181 Seiten umfassen und war Teil einer breit angelegten Kampagne, mittels derer radikale Arbeiter*innen und Kommunist*innen als „innenpolitische Bedrohung“ kriminalisiert wurden.

Die Überwachung, Schikanen und öffentliche Ächtung trieben Tenayuca schlussendlich von San Antonio nach San Francisco. Als sie zwei Jahrzehnte später zurückkehrte, stand sie politisch aufgrund ihrer Verbindungen zur Kommunistischen Partei auf der schwarzen Liste. Anfangs hatte sie Schwierigkeiten, Arbeit zu finden, und wurde schließlich Lehrerin. Aber trotz der bösartigen Hetze gegen Kommunist*innen hat Tenayuca ihre politische Einstellung nie aufgegeben. Sie verstand die Wurzeln der Unterdrückung – dass nämlich wirtschaftliche Ausbeutung, Segregation und militarisierter Grenzschutz alles Fäden in einem miteinander verflochtenen Gewebe waren – und konnte dies unmöglich leugnen. Sie war in jeder Hinsicht ihrer Zeit voraus, und ihre Analyse passt auch zu unseren heutigen Kämpfen. In den 1940er-Jahren begann sie, gegen die wachsende Macht der Border Patrol zu protestieren und schloss sich mit der Workers Alliance zusammen, wobei sie den Kampf für Arbeitsplätze mit dem Kampf gegen Deportationen verband.

Tenayuca hat erst seit ihrem Tod im Jahr 1999 den Weg zurück in die öffentliche Bekanntheit gefunden. Sie wurde größtenteils wieder in den Kanon aufgenommen und mit der Bezeichnung „mexikanisch-amerikanische Bürgerrechtsaktivistin“ belegt. Ihre tatsächliche politische Zugehörigkeit und ihr Engagement für den Klassenkampf wurde damit feinsäuberlich verschleiert.

Die Parallelen zur Gegenwart sind nicht symbolisch, sondern strukturell. Heute tragen die Leute der ICE keine weißen Kapuzen, aber sie tragen Masken und verbergen auch ansonsten ihre Identität. Sie schlagen im Schatten zu, nehmen keine Rücksicht auf die Heiligkeit von Wohngebieten und Schulen, mit der vollen Unterstützung der städtischen Polizei und unter nur begrenztem Widerstand von Stadtregierungen; sie verhaften Väter an Tankstellen und jagen schamlos um Gnade flehende Verängstigte auf Bäume. Ihr Zweck ist bekannt – sie sollen Terror verbreiten, die am stärksten ausgebeuteten Segmente der Arbeiter*innenschaft disziplinieren, rassische und ethnische Spaltungen verstärken und Arbeiterfamilien of Color daran erinnern, dass die Eliten dieses Landes kein Problem damit haben, die Schlägertrupps der Bestrafungsbürokratie auf sie loszulassen.

Aber wie zu Tenayucas Zeiten leisten die Menschen Widerstand. In San Antonio mobilisieren sich Gruppen wie die San Antonio Democratic Socialists of America (DSA), die San Antonio Alliance und die Organisation SA Stands, um die Undokumentierten gegen das Durchgreifen von ICE zu unterstützen. Wieder organisieren sich junge Menschen unter grauenhaften Bedingungen, koordinieren ICE-Alarme, stellen Gerichtsbeobachter*innen und verurteilen Politiker*innen beider Parteien, die sich mit ihrer Beteiligung an dieser Maschinerie des Schmerzes mitschuldig gemacht haben. Sie entscheiden sich für Solidarität, statt fiktiven Grenzen Loyalität zu schwören. Sie ziehen explizit Verbindungen zwischen Polizeiarbeit, Grenzmilitarisierung und kapitalistischer Ausbeutung und legen, ganz im Geiste von Tenayucas Internationalismus, auch Zusammenhänge zwischen diesem Moment und dem Völkermord in Gaza offen.

Tenayucas Biografie dient nicht nur als nützliche Blaupause, sondern liefert uns darüber hinaus ein Exempel für profunde moralische Klarheit. Ihre Geschichte erinnert uns daran, dass der Kampf schon lange andauert. Sie zeigt aber auch, dass wir nun an der Reihe sind, Verantwortung zu übernehmen und ihn weiterzuführen. Die Frage ist nicht, ob wir mit Repressionen rechnen müssen. Das ist unvermeidlich. Die Frage ist: Werden wir, Tenayuca zitierend, statt Angst die Gerechtigkeit wählen?

Alex Birnel ist Community Organizer in San Antonio, Texas.

Available in
EnglishSpanishPortuguese (Brazil)GermanArabicRussianChinese (PRC)
Author
Alex Birnel
Translators
Constanze Huther, Nathalie Guizilin and Open Language Initiative
Date
23.07.2025
Source
JacobinOriginal article🔗
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