Entrevistas

Bedrohte Friedenszone in der Karibik: Ein Gespräch mit David Abdulah

Ein trinidadischer Gewerkschaftsaktivist spricht über die unterwürfige Haltung seiner Regierung gegenüber den USA angesichts des imperialistischen Aufmarsches gegen Venezuela und das Kräfteverhältnis in der Region.
Als Reaktion auf die zunehmenden militärischen Bewegungen der USA in der Karibik hat die Versammlung der karibischen Völker dazu aufgerufen, die Region erneut als „Friedenszone“ zu bestätigen. In diesem Interview analysiert der Gewerkschaftsführer von Trinidad und Tobago, David Abdulah, die Bedrohung für die regionale Souveränität. Er kritisiert die Ausrichtung seiner Regierung auf Washingtons Regimewechsel-Agenda in Venezuela und warnt vor einer Spaltung der CARICOM und vom Verrat einer langjährigen Doktrin der Nichteinmischung. Abdulah argumentiert, dass die Kooperation in Sachen Sicherheit mit den USA zwar nicht neu sei, die aktuellen Einsätze jedoch offensiv seien und sich gegen Venezuela richteten, was illegalen Tötungen ohne Gerichtsverfahren gleichkomme.

Am 16. Oktober 2025 rief die Versammlung der Völker in der Karibik zu einem Internationalen Aktionstag zur Verteidigung der Karibik auf, mit Demonstrationen und Veranstaltungen in mehr als einem Dutzend Ländern, um die Region als Friedenszone zu bestärken. Die Initiative erfolgte inmitten einer drastischen Eskalation der US-Militäraktivitäten im karibischen Becken, einschließlich neuer Stationierungen von Kriegsschiffen und Flugzeugen, außergerichtlicher Angriffe auf Boote und bilateraler Abkommen, die die regionale Souveränität und Integration bedrohen.

In diesem Zusammenhang interviewte Venezuelanalysis den Gewerkschaftsführer und Politiker David Abdulah von der Versammlung der karibischen Völker, der außerdem Koordinator der Bewegung für soziale Gerechtigkeit in Trinidad und Tobago [MSJ] ist. Im Interview spricht Abdulah über den Zusammenschluss von Trinidad und Tobago mit Washington, die Versuche der USA, die CARICOM [Karibische Gemeinschaft] zu spalten, sowie über die dringende Notwendigkeit einer Mobilisierung an der Basis zur Verteidigung der regionalen Souveränität. Er erinnert außerdem an Eric Williams’ kraftvolle Vision der karibischen Unabhängigkeit und reflektiert über die Rolle der regionalen Organisationen ALBA-TCP und CELAC bei der Wiederbelebung des langjährigen Engagements der Karibik für den Frieden.

Während Washington seine Militärpräsenz in der Nähe Venezuelas verstärkt, haben einige lateinamerikanische und karibische Länder ihre Besorgnis oder sogar offene Ablehnung geäußert. Inzwischen hat die Regierung von Trinidad und Tobago die Entsendung befürwortet, wobei Premierministerin Kamla Persad-Bissessar die US-Operationen ausdrücklich unterstützt. Wie interpretieren Sie die Position von T&T im Zusammenhang mit der Belagerung Venezuelas durch das US-Militär? Bevor sie Premierministerin von Trinidad und Tobago wurde, erklärte Frau Kamla Persad-Bissessar während ihrer Zeit als Oppositionsführerin offen ihre Unterstützung für Juan Guaidó als sogenannten Präsidenten Venezuelas. Sie ging sogar so weit, die Vereinigten Staaten dazu aufzufordern, Sanktionen gegen Trinidad und Tobago zu verhängen, nachdem Vizepräsidentin Delcy Rodríguez während der COVID-19-Pandemie dem Land einen kurzen Besuch abstattete, um sich mit dem damaligen Premierminister Keith Rowley zu treffen.

Kurz gesagt, Persad-Bissessar ist seit langem mit Washingtons Position Venezuela gegenüber einig. Ihre derzeitige Haltung ist daher nicht überraschend, wenn auch zutiefst enttäuschend, da sie die langjährige Tradition Trinidads und Tobagos in den Wind schlägt, eine unabhängige Außenpolitik zu verfolgen, die auf den Prinzipien der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten und der gegenseitigen Achtung der Souveränität basiert.

Einige CARICOM-Staaten haben ihre Souveränität verteidigt und die Karibik als „Friedenszone“ bezeichnet, während andere schwache Erklärungen abgegeben oder es vermieden haben, Stellung zu beziehen, womit sie der Militarisierung der USA Vorschub leisten. Können Sie die Ursprünge und die Bedeutung der Doktrin der Friedenszone erläutern und wie Sie das derzeitige Kräfteverhältnis innerhalb der CARICOM sehen, da die Vereinigten Staaten versuchen, ihre Kontrolle über die Region zu festigen? Ist die Integration der Karibik – und die Fähigkeit der CARICOM, eine autonome Außenpolitik zu etablieren – in Gefahr?

Vor vielen Jahren haben die Führer der nun unabhängigen CARICOM-Länder bekräftigt, dass die Karibik eine Friedenszone sein sollte. Errol Barrow war Premierminister von Barbados, als die CARICOM 1973 von vier Ländern gegründet wurde: Jamaika, Guyana, Trinidad und Tobago und Barbados.

Dies ist ein Auszug der Rede von Barrow einige Jahre später, im Jahr 1986, als er sich an die Regierungschefs der CARICOM wandte: 

Auch meine Position bleibt klar: Die Karibik muss als Friedenszone anerkannt und respektiert werden. In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf die Rede von [dem ehemaligen T&T-Premierminister] Eric Williams „Von der Sklaverei zu den Chaguaramas“ verweisen, die er 1960 über die Frage des US-Stützpunkts [in Chaguaramos, Trinidad, ehemals ein britischer Marinestützpunkt] gehalten hatte: 

„Als Europa fortging, kamen die USA. Nach der Erlangung ihrer Unabhängigkeit, die auf weitreichende Handelsverbindungen mit Westindien beruhte, von denen die meisten illegal waren und Schmuggel umfassten, begannen die neuen USA von Anfang an, Westindien und das Karibische Meer als ihren Machtbereich zu betrachten. Kurz nach der Unabhängigkeit begannen sie mit der Veröffentlichung der Monroe-Doktrin, in der sie erklärten, dass sie keine Ausweitung des europäischen Kolonialismus in Westindien sehen wollten... Das damals klar formulierte Ziel war, die gesamte Hemisphäre zu beherrschen... Aber wenn die ganze westindische Bewegung darauf abzielt, ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln, möchte ich auch die Klausel in Adams Vermächtnis kennen, die dem westindischen Volk einen Anteil an dieser Welt verweigert, besonders den Teil der Welt, der rechtmäßig ihnen gehört!“

Ich habe gesagt, und ich wiederhole das, solange ich Premierminister von Barbados bin: Unser Territorium wird auf keinen Fall dazu benutzt werden, einen unserer Nachbarn einzuschüchtern, sei es der Nachbar Kuba oder die USA! Und ich glaube nicht, dass die Größe notwendigerweise das einzige Kriterium für die Bestimmung dieser Fragen ist. Aber es ist wichtig, die Menschen wissen zu lassen, wo man steht, wenn sie einen in unserem moralischen Engagement für den Frieden in unserer Region unterstützen.

Es sei darauf hingewiesen, dass die vier Länder, die zum Zeitpunkt der Gründung der CARICOM unabhängig waren, Kuba anerkannten und diplomatische sowie andere Beziehungen mit dem Land aufnahmen. Das war 1973, als in dieser Hemisphäre nur Mexiko es wagte, Kuba anzuerkennen!

Trump wollte die CARICOM schon immer spalten. Er tat dies bereits in seiner ersten Amtszeit, und dies führte dazu, dass einige CARICOM-Länder der verhassten Lima-Gruppe beitraten [eine von den USA geförderte Koalition rechter lateinamerikanischer Regierungen, die gebildet wurde, um einen Regimewechsel in Venezuela voranzutreiben].

Er tut jetzt dasselbe in Bezug auf Venezuela und wird dabei von einigen CARICOM-Regierungen unterstützt. Dies verursacht eine Spaltung innerhalb der CARICOM, vielleicht so tief wie die, die entstand, als einige CARICOM-Staatschefs Reagan bei der Invasion von Grenada im Oktober 1983 unterstützten und andere dagegen waren. Es dauerte fast ein Jahrzehnt, bis sich die CARICOM von dieser Spaltung erholte.

Das ALBA-TCP-Bündnis, dem mehrere karibische Staaten angehören, war eine der lautstärksten Stimmen, die den US-Militäreinsatz als Bedrohung für den Frieden, die Souveränität und die regionale Stabilität verurteilen. Welche Rolle können ALBA und andere Instrumente der lateinamerikanischen und karibischen Integration Ihrer Meinung nach dabei spielen, ein Gegennarrativ zur US-Intervention zu formulieren und die Souveränität unserer Region zu verteidigen?

Die ALBA-TCP ist ein wichtiges Gremium, das mit einer kollektiven Stimme die Souveränität der Region verteidigen kann. Das Gleiche gilt für die Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) und die Vereinigung Karibischer Staaten, zu der alle Länder gehören, die vom Karibischen Meer umspült werden. Progressive Länder müssen sicherstellen, dass diese und andere multilaterale Gremien, insbesondere die Organisation Amerikanischer Staaten [OAS], nicht dazu verwendet werden, ihre Entscheidungen rückgängig zu machen. Mit anderen Worten: Solche Institutionen dürfen auf keinen Fall im Dienst der imperialen und kolonialen Agenda der USA als Waffe eingesetzt werden.

Wir müssen auch anerkennen, dass es in ganz Lateinamerika und der Karibik viele rechte oder Washington-freundliche Regierungen gibt. Wir müssen Wege finden, sie daran zu hindern, multilaterale Foren zu nutzen, um die Interessen der USA voranzutreiben. Jeder Mechanismus und jedes Forum, das dieses Thema ansprechen kann, muss einbezogen werden, denn dies ist ein entscheidender Moment in der Geschichte unserer Region und tatsächlich der Welt. Schweigen ist keine Option.

Berichte deuten auf die Präsenz von US-Kriegsschiffen, U-Booten, Marine-Einsatzgruppen, Flugzeugen und Raketenabwehrsystemen in karibischen Gewässern hin, zusammen mit zunehmenden bilateralen Militärübungen. Die USA haben mit Trinidad und Tobago ein Status of Forces Agreement [SOFA] unterzeichnet, und es gibt sogar Berichte über Spezialoperationen und Black-Hawk-Hubschrauber vor der Küste des Landes. Was ist eigentlich über US-Einsätze bekannt, und wie interpretieren Sie die wachsende militärische Einflussnahme Washingtons in und um Trinidad und Tobago?

Es besteht in Sicherheitsfragen seit langem eine Zusammenarbeit zwischen den CARICOM-Regierungen und den Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs. Die meisten dieser Abkommen betreffen gemeinsame Anstrengungen zur Bekämpfung illegaler Aktivitäten wie Drogen-, Menschen- und Waffenhandel. Diese Zusammenarbeit ist an und für sich nicht negativ, da die Kriminalität international ist und einen Informationsaustausch, Aufklärung und Zusammenarbeit bei deren Bekämpfung erfordert.

Seit vielen Jahren gibt es Verträge, unter anderem SOFAs, ebenso wie gemeinsame Militärübungen. Die letzte Regierung von Trinidad und Tobago unterzeichnete jedoch ein SOFA, das kein Ablaufdatum hatte. Das ist sehr schlimm. Diese Abkommen geben den USA keine ausdrückliche Erlaubnis, ihr Militär in unseren Ländern zu stationieren. Die USA benötigen die ausdrückliche Genehmigung unserer Regierung, um auf unserem Territorium stationiert zu werden. Deshalb war es für die Premierministerin von T&T so gefährlich, offen zu erklären, dass sie den USA die Erlaubnis geben würde, das Territorium unseres Landes zu nutzen, falls Venezuela Guyana angreifen würde. Natürlich wird Venezuela Guyana nicht angreifen, daher deutete dieses Zugeständnis auf die Möglichkeit einer Operation unter falscher Flagge hin. 

Die USA üben großen Druck auf andere CARICOM-Länder aus, die Stationierung militärischer Ausrüstungen auf ihrem Territorium zu erlauben, wie aus Grenada berichtet wurde. Der Chef von SOUTHCOM hat diese Woche Grenada und Antigua besucht, und ich bin sicher, dass dies Teil der US-Strategie in Bezug auf ihr militärisches Ziel in Venezuela ist. Es gibt derzeit keinen US-Militäreinsatz in T&T, aber wir alle wissen, dass die USA massive militärische Mittel in die südliche Karibik entsandt haben. Sie sind nicht dazu gedacht, den illegalen Handel zu bekämpfen, sondern sind offensive Mittel, die darauf ausgelegt sind, ein anderes Land anzugreifen, und ihr Ziel ist ein Regimewechsel in Venezuela.

Die Bombardierung mehrerer kleiner Boote und die Tötung aller an Bord befindlichen Personen ist ein Verbrechen. Darüber hinaus haben die USA keine Beweise dafür vorgelegt, dass diese Personen an kriminellen Aktivitäten beteiligt waren. In jedem Fall handelte es sich um Tötungen ohne Gerichtsverfahren, was an sich schon ein Verbrechen ist.

Nach der Ausweitung der US-Militärpräsenz in der gesamten Karibik, welche konkreten Schritte sollten Trinidad und Tobago – und die CARICOM als Ganzes – unternehmen, um ihre Souveränität zu verteidigen, die regionale Integration zu stärken und die Karibik als Friedenszone zu bekräftigen? Welche diplomatischen, rechtlichen oder Volksinitiativen könnten dazu beitragen, dass jegliche militärische Aktivität in der Region den Völkern der Karibik gegenüber rechenschaftspflichtig wird?

Ich denke, dass das tatsächliche Handeln zur Verteidigung der Karibik als Friedenszone zuerst von der Basis kommen muss. Aus diesem Grund hat die Versammlung der karibischen Völker eine Erklärung verfasst, die inzwischen von mehr als 500 Personen unterzeichnet wurde, von denen viele progressive Organisationen, soziale Bewegungen und politische Parteien sowie bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens vertreten.

Wir haben gerade am Donnerstag, dem 16. Oktober, einen regionsweiten „Aktionstag zur Verteidigung der Karibik“ organisiert. In 15 Ländern fanden Aktivitäten statt, von Pressekonferenzen und Stellungnahmen bis hin zu Mahnwachen vor US-Botschaften und öffentlichen Demonstrationen. Das Wichtige ist, dass wir einen Prozess begonnen haben, durch den unsere kollektiven Stimmen zu diesem Thema erhoben werden. Dies sollte jene CARICOM-Regierungschefs stärken, die an der prinzipientreuen Position festhalten, dass die Karibik eine Zone des Friedens bleiben muss, eine ermutigende Botschaft an diejenigen senden, die unter US-Druck stehen, standhaft zu bleiben, und diejenigen, die Washington unterstützen, daran erinnern, dass sie auf der falschen Seite der Geschichte stehen.

Available in
EnglishPortuguese (Brazil)GermanItalian (Standard)ArabicSpanish
Author
Cira Pascual Marquina
Translator
Nathalie Guizilin
Date
05.11.2025
Source
VenezuelanalysisOriginal article🔗
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