Anmerkung der Redaktion: Am 9. Februar trat Biren Singh als Ministerpräsident des indischen Bundesstaates Manipur zurück und die Region wurde unter die Herrschaft des Präsidenten gestellt.
Am 27. November 2018 verhaftete die Polizei in Manipur den Journalisten Kishorechandra Wangkhem wegen eines Videos, das er in den sozialen Medien veröffentlicht hatte. Darin kritisierte er den Ministerpräsidenten des Bundesstaates, N Biren Singh, seine Partei Bharatiya Janata Party (BJP) und den indischen Premierminister Narendra Modi. Wangkhem wandte sich in seiner Videobotschaft gegen den Vorstoß der Regierung, eine lokale Feier der Rani von Jhansi zu fördern. Diese Königin aus dem 19. Jahrhundert wird von Hindu-Nationalisten verehrt, hat jedoch wenig bis gar keinen Bezug zur Geschichte von Manipur. Die Gerichte beschlossen seine Freilassung, da sie keinen Grund für eine gerichtliche Klage gegen Wangkhem fanden. Einige Tage später wurde er jedoch wegen desselben Social-Media-Beitrags erneut verhaftet, dieses Mal unter Berufung auf das strenge Gesetz zur nationalen Sicherheit.
Seitdem wurde Wangkhem immer wieder wegen seiner Online-Kritik an der BJP und ihrer ideologischen Mutterorganisation, der Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS), angeklagt und verhaftet. Seine Inhaftierungen wurden vom Staat wiederholt mit dem Schutz der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt und sind eine öffentliche Demonstration der Staatsmacht gegenüber allen, die das vorgegebene Narrativ der Regierung von Manipur zu kritisieren beabsichtigen. Wangkhem stammt aus der Meitei-Gemeinschaft. Seine Verfolgung zeigt, dass auch andersdenkende Mitglieder der ethnischen Mehrheit von Manipur, die Biren Singh als sein eigenes Volk bezeichnet, nicht vor der Unterdrückung durch den Staat sicher sind.
Diese Machtlogik geht zwar über ethnische und kommunale Grenzen hinaus, wirkt jedoch in ungleichem Maß. Der Kontrollapparat der Biren-Singh-Regierung geht gegen Minderheitengemeinschaften härter und repressiver vor. Am großzügigsten setzt der Staatsapparat seine Gewalt gegen die Minderheit der Kuki-Zomi-Hmars ein.
Am 30. April 2023 wurde Hanglalmuan Vaiphei, ein 21-jähriger Kuki-Zomi-Student, verhaftet. Das geschah nur wenige Tage, bevor ethnische Gewalt zwischen Meiteis und der ethnischen Minderheit Kuki-Zomi-Hmar ausbrach – eine Gewalt, die nun seit 20 Monaten ohne Unterlass andauert. Vaipheis Vergehen bestand lediglich darin, einen Facebook-Post zu teilen, der die Regierung von Manipur kritisierte. Seine Inhaftierung wurde von Verfahrensfehlern begleitet; beispielsweise wurde seine Mutter genötigt, Dokumente zu unterzeichnen, die sie nicht verstand. Noch im Mai desselben Jahres wurde das Polizeifahrzeug, in dem Vaiphei von seinem Gerichtsverfahren abgeholt wurde, von einer aufgebrachten Menschenmenge aufgehalten und er wurde zu Tode geprügelt.
Unter der von der BJP-geführten Regierung von Biren Singh im Bundesstaat Manipur sind Festnahmen, Einschüchterung und Manipulation der Berichterstattung zu einem Instrument zur Kontrolle der Öffentlichkeit geworden. In der Gewalt, die im Mai 2023 in Manipur ausbrach, zeigten sich deutlich die jahrzehntelangen ethnischen Spannungen im Bundesstaat, die durch Biren Singhs spaltende ethnische Politik noch verschärft wurden. Schaut man auf die Entwicklung von Manipur, wird ein Aspekt oft übersehen: Die tief verwurzelten Spannungen wurden durch jahrelange systematische Repression seitens der Staatsmaschinerie noch angeheizt. Diese Repression hatte zum Ziel, Kritiker mundtot zu machen und Minderheiten zu marginalisieren; all das, um die Macht zu festigen.
Nach Jahrzehnten der Marginalisierung war der unmittelbare Auslöser für die ethnischen Minderheitengemeinschaften von Manipur die Frage ihrer Landrechte und die Bedrohung dieser Rechte durch die Regierung von Biren Singh. Dieser Streit ist kennzeichnend für ihre allgegenwärtigen Probleme mit institutioneller Diskriminierung und Vernachlässigung. Währenddessen wuchs auch unter der Mehrheitsgemeinschaft der Meitei auf der anderen Seite der ethnischen Kluft von Manipur die Unzufriedenheit gegenüber der Regierungsführung unter Biren Singhs Herrschaft. Die Reaktion des Staates war eine Berichterstattung, die dazu beitrug, die Gewalt zu eskalieren und zu fördern. Sie verwandelte die Frustration in Wut und lenkte sie gegen die ethnischen Gemeinschaften statt gegen die Regierung.
Dass der Staat demokratische Stimmen der Meitei-Gemeinschaft zum Schweigen bringt und gleichzeitig die Angst der Mehrheit vor den Kuki-Zomi-Hmars schürt, gehörte schon immer zum politischen Muster in Manipur. Die staatliche Orchestrierung ethnischer Spannungen durch die Politik und den öffentlichen Diskurs machte die Unterschiede praktisch unüberbrückbar und bot keine andere Möglichkeit als die Konfrontation.
Diese Doppelstrategie dient einem umfassenderen Ziel: dem Zersplittern des demokratischen Widerstands. Durch die Kriminalisierung von kontroversen Ansichten über ethnische Grenzen hinweg und die Eskalation von Konflikten entlang ethnischer Linien hat der Staat das Misstrauen verstärkt und potenzielle Gegner isoliert.
MIT DEM AUFSTIEG der BJP-Regierung in Manipur im Jahr 2017 erweiterte der Staatsapparat seinen Wirkungsbereich über die Regierungsführung hinaus und arbeitete auf die Schaffung einer systematischen Kontrollstruktur hin. Diese Kontrolle wird durch ein kompliziertes Zusammenspiel von Überwachung, Strafmaßnahmen und der Regulierung des öffentlichen Diskurses aufrecht erhalten und richtet sich nicht nur gegen ethnische Gemeinschaften, sondern gegen jeden, der als Bedrohung für die Autorität des herrschenden Regimes wahrgenommen wird. Diese Mechanismen spiegeln eine tief verwurzelte Machtlogik wider, die darauf abzielt, Unterwerfung zu normalisieren und abweichende Meinungen durch kalkulierte Demonstration staatlicher Kontrolle zum Schweigen zu bringen.
Die staatliche Unterdrückung beschränkt sich nicht auf physische Inhaftierungen, sondern zeigt sich insbesondere auch in der Fähigkeit, die Berichterstattung zu kontrollieren. Im Januar 2021 wurden zwei Redakteure von Frontier Manipur wegen Volksverhetzung unter Berufung auf gewisse Paragraphen der Verordnung zu Ungesetzlichen Aktivitäten (Prävention) verhaftet. Ein weiteres strenges Gesetz, das willkürlich gegen Regierungskritiker angewendet wird. Die fadenscheinige Begründung des Staates war, dass die Redakteure einen Artikel veröffentlicht hatten, der scheinbar mit der anhaltenden bewaffneten Bewegung für Manipurs Abspaltung von Indien sympathisierte. Beide Redakteure hatten zuvor Kritik an der BJP und ihrer Politik geäußert. Wie bei Wangkhems Verhaftungen verdeutlicht dieser Vorfall die Anstrengungen des Staates, den Informationsfluss zu regulieren. Durch die effektive Kriminalisierung der Veröffentlichung von Kritik versucht die Regierung, Andersdenkende zu delegitimieren und damit ihre ideologische Hegemonie zu festigen. Die Verhaftung des 23-jährigen Usham Manglem im Juli 2020 wegen der Veröffentlichung von Social-Media-Beiträgen, in denen der Ministerpräsident Biren Singh verspottet wurde, zeigt, wie selbst die banalsten Ausdrucksformen überwacht und bestraft werden.
Die Regierung von Manipur versucht auch über die Grenzen des Bundesstaats hinaus, die Berichterstattung zu kontrollieren und Kritik zu unterdrücken. Als die Editors Guild of India (EGI) einen Bericht über die Ursachen der anhaltenden Gewalt in Manipur veröffentlichte, erhob der Staat Anklage gemäß Paragraf 153A des indischen Strafgesetzbuches und beschuldigte die Autoren, Hass in der Gemeinschaft zu schüren. Der Oberste Gerichtshof wies diese Beschwerden jedoch als „Gegenberichterstattung“ der Landesregierung zurück und betonte, dass Fehler in einem Bericht keine kriminelle Handlung darstellten. Die Angriffe der Regierung von Manipur auf die Mitglieder der EGI zeigen ein weitreichendes Muster auf: Journalisten und Faktenfindungsorganisationen werden zum Schweigen gebracht, sodass ein vorherrschendes Narrativ aufrechterhalten werden kann. Durch die Kriminalisierung von Kritik an Institutionen verschleiert der Staat die eigentlichen Ursachen für die Gewalt und das Systemversagen.
Überwachung, Disziplinarmaßnahmen, Festnahmen, Gefängnisstrafen und Todesfälle haben die Angst und Unterwerfung im Staatsgefüge verankert. Dadurch hat ein Großteil der Bevölkerung einen bedingungslosen Gehorsam verinnerlicht und passt sein Verhalten in Erwartung des strafenden Blicks des Staates an.
Während der Staat jeglichen Widerstand unterdrückt, verstärkt die ungleiche Anwendung von Macht das Misstrauen zwischen den Gemeinschaften und vertieft die Spaltungen, die der Staat zur Aufrechterhaltung seiner Kontrolle nutzt. Wie sich im aktuellen Konflikt zeigt, hat sich der Staat bewusst so positioniert, dass er sich einem ultranationalistischen kulturellen Gefühl mit den Meiteis im Zentrum zugehörig gibt. Dies zeigt sich am deutlichsten in Biren Singhs Rhetorik.
Der Ministerpräsident hat wiederholt auf die Notwendigkeit hingewiesen, die „indigene“ Bevölkerung von Manipur vor der Infiltration durch illegale Einwanderer zu schützen – ein Seitenhieb auf die Kuki-Zomi-Hmars, die angeblich eine Bedrohung für die Identität und Integrität von Manipur darstellen. Er sagte: „Wir werden keine Kompromisse mit Außenstehenden eingehen, die unsere Kultur und unser Land zerstören wollen.“
VERLETZUNGEN DER RECHTE DER INDIGENEN GEMEINSCHAFTEN, kulturelle Marginalisierung und Landenteignung sind unter Biren Singhs Regierungsführung zu Instrumenten der Kontrolle geworden. Biren Singh wurde im Jahr 2017 Ministerpräsident, und zwar nach einem Zusammenbruch der örtlichen Kongresspartei, die früher die dominierende politische Kraft im Bundesstaat gewesen war, und nach zahlreichen politischen Protesten in den beiden großen Städten von Manipur, Imphal und Churachandpur.
Die Meiteis bilden die Mehrheit im Imphal-Tal, wo sich auch die Landeshauptstadt befindet. Die Hügel im Norden des Bundesstaates werden hauptsächlich von der Naga-Gemeinschaft bevölkert, die auch in kleineren zusammenhängenden Gebieten in den äußeren westlichen, östlichen und südöstlichen Hügelgebieten leben. Die Kuki-Zomi-Hmars sind inzwischen in der Regel in den südlichen Hügeln sowie in den Ausläuferregionen unmittelbar nördlich, östlich und westlich des Tals angesiedelt, die zwischen den von Naga und Meitei dominierten Gebieten liegen.
In Imphal wuchs im Vorfeld der Gewalt die Besorgnis der Meiteis in Bezug auf den Besitz von Geschäften und Einrichtungen durch „Migranten“. Das führte zu Forderungen, ein „Inner Line Permit“ -System einzuführen, das nach Manipur Zugezogenen spezielle Genehmigungen und Dokumente vorschreiben würde, die ihren Aufenthalt im Bundesstaat einschränken. Dies sollte den Zustrom von Migranten kontrollieren und verhindern, dass Unternehmen und Land an Gebietsfremde übertragen werden. Diese Besessenheit gipfelte in der raschen Verabschiedung von drei Gesetzen: dem Gesetz zum Schutz der Bevölkerung von Manipur, dem Gesetz über die Landumsätze und Landreformen in Manipur (siebte Änderung) und dem Gesetz über Geschäfte und Einrichtungen in Manipur (zweite Änderung).
Diese Gesetze erweiterten die Autorität der Imphal-Regierung auf die Bergbezirke und lösten den Ausschuss für Berggebiete der gesetzgebenden Versammlung auf, der aus gewählten Abgeordneten aus den von indigenen Gemeinschaften dominierten Gebieten des Bundesstaates bestand und Verwaltungsbefugnisse über sie ausübte. Die vorgeschlagenen Reformen drohten, große Teile der indigenen Bevölkerung in „Nicht-Einheimische“ umzuwandeln, wobei Landgebiete, die derzeit unter Kontrolle der indigenen Gemeinschaften stehen, in staatliches Eigentum überführt würden. Mehr als zwei Jahre lang kämpften viele der indigenen Gemeinschaften dagegen an, bevor dann die Gewalt ausbrach.
Diese Proteste und die Gegenproteste der Meitei legten den Grundstein für eine weitere Polarisierung. Biren Singh wurde von der Welle des wiederauflebenden Meitei-Ultranationalismus getragen, welcher von der Wut gegen die protestierenden indigenen Gemeinschaften noch zusätzlich angeheizt wurde und ihn so an die Macht brachte. Als nach dem Putsch in Myanmar im Jahr 2021 der Zustrom von Flüchtlingen über die Grenze nach Nordostindien zunahm, schürte das die Angst, mit Ausländern und Nicht-Einheimischen überlastet zu werden. Biren Singh nutzte diese Angst der Meitei vor Fremden aus, indem er die Probleme von Flüchtlingen, Separatisten und Minderheiten auf einer Ebene zusammenbrachte. Die daraus entstandene Erosion des sozialen Vertrauens wurde sowohl zu einem Instrument als auch zum Ergebnis der staatlichen Strategie für mehr Kontrolle.
Anfang 2023 zog Biren Singh die Bundesstaatsregierung aus den trilateralen Gesprächen über die Einrichtung von lokalen Verwaltungsräten zurück. Die Gespräche fanden jeweils im Rahmen eines 15-jährigen Abkommens über die Aussetzung von Operationen zwischen der Zentralregierung, der Bundesstaatsregierung und den ethnischen Gemeinschaften statt. Letztere wurden von der United Progressive Front (UPF) und der Kuki National Organisation (KNO), zwei aufständischen Parteien, vertreten. Die lokalen Verwaltungsräte sollten diesen ethnischen Gemeinschaften besondere verfassungsrechtliche Vorteile sichern, so wie sie bereits ethnischen Bevölkerungen in anderen Bundesstaaten Nordostindiens gewährt wurden. Vor dem Rückzug von Manipur waren die Parteien einer Einigung offenbar sehr nahe.
Ein dauerhafter Friedensvertrag jedoch hätte den Wirkungsbereich der Bundesstaatsregierung eingeschränkt und sie daran gehindert, die administrativen und finanziellen Angelegenheiten in den Bergdistrikten zu diktieren. Biren Singhs Position und Macht beruhen auf einer an den Meitei ausgerichteten ultranationalistischen Rhetorik. Sie stützt sich auf Tiraden gegen „illegale Einwanderer“ und beschuldigt führende Organisationen innerhalb der UPF und KNO wie die Zomi-Revolutionsarmee und die Kuki-Nationalarmee des „Separatismus“. Eine Zusage für einen lokalen Verwaltungsrat im Einvernehmen mit diesen Parteien könnte als Schwächung der harten Linie angesehen werden, die ihn bisher an der Macht gehalten hat.
Biren Singhs Macht über den demokratischen Widerspruch war bisher nicht allumfassend. Um kritische Stimmen innerhalb der eigenen Reihen, der Meitei-Mehrheit, zu unterdrücken, greift die Regierung auf verfassungsrechtlich fragwürdige Praktiken zurück. Der Menschenrechtsaktivist Babloo Loitongbam und der Polizeibeamte Thounaojam Brinda fielen beide Bürgerwehrgruppen wie der Meitei Leepun und der Arambai Tenggol zum Opfer. Dies als Folge ihrer Kritik an Biren Singh wegen seiner mutmaßlichen Beteiligung am Drogenhandel, gegen den er selbst noch lauthals gewettert hatte.
Die Meitei Leepun und Arambai Tenggol sind jedoch keine Randgruppen. Beide haben vielmehr enge Verbindungen zum politischen Establishment. Insbesondere die Arambai Tenggol wurden mit BJP-Führern in Verbindung gebracht, darunter Robin Mangang Khwairakpam, dessen Profile in den sozialen Medien seine Verbindung zum nationalen Exekutivkomitee der BJP unterstreichen. Darüber hinaus wurden sie auch von prominenten Persönlichkeiten wie Sanajaoba Leishemba, einem Parlamentarier und dem Oberhaupt der ehemaligen königlichen Familie von Manipur, unterstützt. Vielerorts werden Stimmen laut, die den Staat ob seiner Zögerlichkeit, entschlossene Maßnahmen gegen ihre illegalen Aktivitäten zu ergreifen – einschließlich Angriffe auf Regierungskritiker – der stillschweigenden Unterstützung bezichtigen.
DIE ANHALTENDE GEWALT begann im Mai 2023 zwar als lokale Massenausschreitungen, war aber das Ergebnis des jahrelangen tief verwurzelten Misstrauens und der systematischen Unterdrückung in einem viel größeren Ausmaß. Der unmittelbare Auslöser war der Indigene Solidaritätsmarsch am 3. Mai 2023, eine Protestaktion gegen das aggressive Vordringen des Staates in die Wälder der indigenen Gemeinschaften. Kuki-Zomi-Hmars, die vom Protestmarsch zurückkehrten, stießen an den Grenzen des Bezirks Churachandpur auf Organisatoren einer Meitei-Blockade. Von da an eskalierte die Situation. Es begann mit der Verbrennung des Tors zum Gedenken an den Anglo-Kuki-Krieg vor hundert Jahren, vorgeblich durch Meiteis, und nahm seinen Lauf mit Online-Gerüchten über angebliche Massenvergewaltigungen von Meitei-Frauen durch Kuki-Zomi-Hmar-Männer.
Die Gleichzeitigkeit der Ereignisse und Gerüchte, die zur Eskalation der Gewalt führten, hat viele zu der Annahme veranlasst, dass diese Gewalt bereits im Voraus geplant gewesen war. Die Basis war gelegt durch den Argwohn und das Misstrauen zwischen den Gemeinschaften, die auf ein strukturelles Versagen der Regierungsführung von Manipur zurückzuführen sind. Dies wurde deutlich, als die wütenden Kundgebungsteilnehmer unkontrolliert randalierten, was zur Vertreibung von etwa 60.000 Kuki-Zomi-Hmars aus Imphal und den umliegenden Ausläufern der Berge sowie von 10.000 bis 15.000 Meiteis aus den Bergbezirken führte.
Zu dem Zeitpunkt, als der Protestmarsch stattfand, waren die gesellschaftlichen Gräben so tief, dass eine Konfrontation fast unvermeidlich schien. Anfang November 2024, nach anderthalb Jahren unterschwelliger Spannungen und episodischer Gewalt, wurde eine weitere Welle gewalttätiger Unruhen durch den brutalen Mord an einer Hmar-Frau ausgelöst, die in ihrem Haus im Distrikt Jiribam in Brand gesteckt geworden war. Anschließend wurden sechs Frauen und Kinder, hauptsächlich aus der Meitei-Gemeinde, tot aufgefunden. Berichten zufolge kam es zwischen dem 1. Oktober und dem 18. November 2024 zu mindestens 16 gewalttätigen Vorfällen mit Todesopfern, Verletzten, Brandstiftungen und schweren Schießereien. Mindestens 20 Menschen starben zwischen dem 7. und 18. November in Jiribam. Manipurs Sicherheitsberater, Kuldiep Singh, berichtete, dass die Zentralregierung in Neu-Delhi zusätzlich 90 Einheiten von Sicherheitskräften nach Manipur entsandt hätte, um zu versuchen, die Situation unter Kontrolle zu bringen. Damit würde sich die Gesamtzahl der im Bundesstaat eingesetzten zentralstaatlichen Soldaten auf über zehntausend erhöhen. Dem Bundesstaat wurde ab dem 16. November für etwa zwei Wochen eine komplette Internetsperre auferlegt, ähnlich wie zu Beginn der Gewalt.
Die Folgen des 3. Mai 2023 unterstreichen eine wichtige Tatsache: Machtmechanismen, die Kritik unterdrücken und eine Spaltung fördern, destabilisieren die Gesellschaft. Die Krise in Manipur ist mehr als nur ein lokaler Konflikt. Sie ist ein Testfeld für die Maschinerie staatlich geförderter Unterdrückung und ist nicht nur in Manipur ein Problem. Was in dem Bundesstaat geschehen ist, ist auch eine Blaupause für eine autoritäre Regierungsführung anderswo. Dabei werden Kritiker zum Schweigen gebracht und die Wut auf einen zweckdienlichen „Anderen“ gelenkt, statt auf defekte staatliche Institutionen.
Frieden in Manipur erfordert mehr als nur die Bewältigung der aktuellen Krise. Dazu braucht es eine Überarbeitung des gesamten Systems, der Art und Weise, wie Macht ausgeübt wird. Der Staat muss von einem auf Herrschaft basierenden Regierungsmodell zu einem Modell übergehen, das Gerechtigkeit, Gleichheit und Autonomie für seine Bürger in den Vordergrund stellt. Dazu gehört die Anerkennung der Rechte von Minderheiten auf Selbstbestimmung, die Möglichkeit, die Anliegen der Mehrheit ohne Angst zu äußern – auch wenn diese die Regierungsmacht infrage stellen – und die Schaffung von Strukturen, die den Dialog und nicht eine Spaltung fördern.
Wahre Versöhnung ist nur mit Rechenschaftspflicht möglich. Der Staat muss sich den historischen und anhaltenden Ungerechtigkeiten stellen, die er seinem Volk angetan hat, und diese aufheben. Ohne eine solche Abrechnung wird sich der Kreislauf der Gewalt fortsetzen, und die Unterdrückungsmaschinerie wie die in Manipur wird weiter gedeihen und sich ausbreiten. Wenn sie nicht aufgehalten wird, ist es nur eine Frage der Zeit, wann und nicht ob dieselben Mechanismen auch anderswo in Indien eingesetzt werden. Ob sie abgebaut werden, wird ein Test dafür sein, ob Indiens Regierungsführung demokratisch bleibt oder tiefer in den Autoritarismus abrutscht.