Health

Beschäftigte des SUS organisieren sich gegen soziale Gesundheitsorganisationen

Das VivaSUS-Forum kritisiert die Privatisierung der Grundversorgung im Gesundheitswesen in São Paulo durch soziale Gesundheitsdienstleistern (OSS) und prangern Arbeitsrechtsverletzungen, mangelnde öffentliche Aufsicht und marktbedingte Ineffizienzen an.
Das VivaSUS-Forum, eine Bewegung von Beschäftigten im Gesundheitswesen und SUS-Nutzer*innen kritisiert São Paulos Abhängigkeit von gemeinnützigen Gesundheitsdienstleistern (OSS). Dieses Modell leitet Milliarden öffentlicher Gelder in private Hände und untergräbt gleichzeitig Arbeitnehmerrechte und eine gerechte Gesundheitsversorgung. Das Forum wurde als Reaktion auf die marktorientierte „Zielverordnung“ gegründet und zeigt auf, wie OSS-Unternehmen trotz ihres gemeinnützigen Status de facto als Unternehmen agieren, die öffentliche Aufsicht abbauen, fachliche Positionen durch politische Stellen ersetzen und ausbeuterische Arbeitsbedingungen durchsetzen.

VivaSUS Forum im Interview mit Gabriel Brito

Nationale Referenz bei der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, setzt São Paulo seit Jahren auf das Modell der sozialen Gesundheitsdienstleister (OSS) als Methode zur Verwaltung des öffentlichen Gesundheitsversorgungssystems SUS. Diese 1998 während der Regierung von Fernando Henrique Cardoso geschaffene Rechts- und Verwaltungsform verlangt von den Entitäten, dass sie sich als gemeinnützig deklarieren – aber nach mehr als 15 Jahren Tätigkeit ist klar, dass eine solche Beschreibung ziemlich fragwürdig ist.

Diejenigen, die diese Kritik an den OSS üben, sind auch diejenigen, die das SUS tatsächlich tragen, von Arbeiter*innen im System bis hin zu Forscher*innen und Aktivist*innen. Wegen dieses entmutigenden Zustand wurde in São Paulo das Forum VivaSUS gegründet – vielleicht die jüngste soziale Bewegung zur Verteidigung des Gesundheitssystems, das seit Jahrzehnten unter den unvermeidlichen Widersprüchen der durch die vorherrschende Marktkultur erzeugten Gegensätze besteht. Gegründet von Angehörigen der Gesundheitsberufe und Nutzer*innen des Systems, entstand das Forum im Jahr 2022 als Reaktion auf die Zielverordnung – ein Meilenstein der Verschärfung der prekären Situation, bei dem dem Gesundheitswesen industrielle Taktarbeit auferlegt wurde.

„Die Arbeit im SUS ist apathisch, aseptisch, fragmentiert, isoliert, kontrovers. Es gibt keine Initiativen, es gibt keine Chance, kreativ zu sein, an eine Pflege zu denken, die für die Bevölkerung sinnvoll ist. Wir sprechen davon, das SUS zurückzuerobern, aber im Laufe unserer Überlegungen sind wir zu dem Schluss gekommen, dass es nie wirklich uns gehörte“, erklärten ihre Vertreter in einem harten Kollektivinterview gegenüber Outra Saude.

Allein die Tatsache, dass sie es vermeiden, ihre Identität zu preiszugeben, zeigt die Toxizität der Arbeits- und Managementbeziehungen, die das OSS-Modell erzeugt, welches zu einem undurchsichtigen Abfluss für öffentliche Gelder geworden ist.

„Es ist eine Möglichkeit, das Gesetz zu umgehen, denn es sind die gleichen öffentlichen Gelder, die verwendet werden, um Leute einzustellen. Die OSS treten in diese Lücke und beginnen, als Unternehmen zu agieren, egal wie oft sie sich als gemeinnützig deklarieren. Mehr als 80 Prozent des Gesundheitsbudgets von São Paulo befindet sich in den Händen der OSS. Das ist eine Menge Geld, Milliarden von Reals, die an eine private und kommerzielle Verwaltung abgegeben werden, denn genau das ist es, was sie wirklich sind“, prangert das Kollektiv an.

Hier ist es notwendig zu erläutern, dass die Regeln des fiskalischen Sparkurses und der „Ausgabenkontrolle“ willkürliche, ideologisch gekleidete Methoden sind, bei denen das Geld keine rechtlichen Beschränkungen hat, sobald es von privaten Akteur*innen verwaltet wird. Am Ende wird ein teures und ineffizientes System geschaffen, das im Gegensatz zu den Versprechen der Ideologen des Unternehmensmanagements steht, die auf den Staat angewandt werden.

In diesem Gespräch beschreibt VivaSUS, wie sich die OSS der sozialen Kontrolle entzogen haben, indem sie fachliche Positionen in politische Ernennungen umgewandelt und die Fähigkeit des Staates untergraben haben, seine eigene Gesundheitspolitik umzusetzen. Sie prangern auch die Farce der Effizienz der Privatwirtschaft an, die Milliarden von öffentlichen Mitteln in die Hände von Unternehmen legt, die dann ohne Grund Leute entlassen, bei Arbeitsklagen betrügen und Ziele durchsetzen, die mit einer umfassenden Krankenpflege unvereinbar sind.

„Wir stellen fest, dass die Fähigkeit des Staates, die öffentliche Gesundheitspolitik zu steuern, ständig abnimmt und die Macht dieser Unternehmen und der Manager dieser Unternehmen und ihrer Eigentümer – denn das sind sie: Unternehmen mit Eigentümern  – zunimmt", warnt VivaSUS.

Darüber hinaus erklären die Arbeiter*innen, dass die Erfahrung von São Paulo landesweit immer öfter repliziert wird. Dieses Modell, das auf falschen Parametern zur Gewährleistung des Rechts auf Gesundheit basiert, verwendet eine Marktlogik, die von mehreren anderen Zentren übernommen wurde. Und schlimmer noch, von der Bundesregierung selbst.

"Vieles von dem, was in den Regierungen Temer und Bolsonaro verlorenging und widerrufen wurde, ist nicht wiederhergestellt worden. Wenn es zum Beispiel um die Aufrechterhaltung der primären Gesundheitsversorgung auf der Grundlage vermeintlicher Ziele geht, sehen wir, dass die Regierung eine Geisel der Logik des Marktes ist, was sich konkret auf unsere Tätigkeit als Arbeitnehmer*innen auswirken wird.“

Für das Forum VivaSUS ist im Jahr 2025 das 35-jährige Jubiläum des einzigartigen Gesundheitssystems, das Brasilien geschaffen hat, eher ein Aufruf, für seine Zukunftsgarantie zu kämpfen, als eine Feier an sich. Hier folgt nun das vollständige Interview.

Was ist das Forum Viva SUS, welche Gründe erklären seine Entstehung und wie weit verbreitet ist es?

Es ist eine autonome, horizontale und überparteiliche soziale Bewegung, die von Arbeitnehmer*innen und von Nutzer*innen des SUS hier in São Paulo geführt wird. Es begann als Reaktion auf die Veröffentlichung der Zielverordnung im Jahr 2022, das Sahnehäubchen auf der Prekarisierung und Entfremdung der Arbeit im SUS, in einer Logik der Unternehmensproduktion unter zunehmender Leitung der OSS.

So wie das SUS in São Paulo jetzt funktioniert, sind wir, die Arbeiter*innen, gezwungen, uns um Zahlen zu kümmern, nicht mehr um Prozesse, um Menschen, um das Gebiet. Die Arbeit im SUS ist apathisch, aseptisch, fragmentiert, isoliert, kontrovers. Es gibt keine Initiativen, es gibt keine Chance, kreativ zu sein, an eine Pflege zu denken, die für die Bevölkerung sinnvoll ist. Deshalb haben wir uns um die Idee herum versammelt, Arbeiter*innen und Menschen, die das SUS nutzen, zu sensibilisieren, zu provozieren und zu organisieren.

Wir haben über die Rückeroberung des SUS gesprochen, sind aber im Laufe unserer Überlegungen zu dem Schluss gekommen, dass es nie wirklich uns gehört hat. Vielleicht geht es gerade darum, andere zu sensibilisieren, sich auszurüsten, kollektiv aktiv zu werden, sich zu organisieren, um das System zu verwandeln und einen für die Gesellschaft sinnvollen Zugang zur Gesundheitsvorsorge vorzuschlagen.

Da sie sich in São Paulo befinden, betrachten sie den Staat und die Staatshauptstadt als Laboratorien für das, was eine Privatisierung innerhalb des Systems wäre? Welche historische Bilanz ziehen Sie über die sozialen Organisationen OSS?

Die OSS entstanden als Möglichkeit, damit die Geschäftsführungen schnell und einfach Leute einstellen konnten. Wenn wir an die Anfänge des Systems denken, als es viel weniger Dienstleistungen und Mitarbeiter*innen gab, nutzten die Verwaltungen – insbesondere der Parteien PT und PSDB – diese Möglichkeit, um das System auszuweiten, im Sinne der Kapillarität; aber ohne die Hauptprobleme anzugehen, wie die Haushaltsrichtlinie, das Gesetz zur fiskalischen Verantwortung, das die öffentlichen Ausgaben einschränkt für Einstellungen, Menschen, Gesundheit, Bildung...

In den privaten Sektor zu wechseln ist eine Möglichkeit, das Gesetz zu umgehen, weil es dasselbe öffentliche Geld ist, das verwendet wird, um Leute einzustellen. Die OSS traten in diese Lücke ein und begannen, als Unternehmen zu agieren, egal wie oft sie sich als gemeinnützig deklarieren. Mehr als 80 Prozent des Gesundheitsbudgets von São Paulo sind in den Händen der OSS. Das ist eine Menge Geld, Milliarden von Reals, die an eine private und kommerzielle Verwaltung übergehen, denn das ist es, was sie wirklich sind.

Und hier kommen wir zum Umgang mit den Mitarbeiter*innen. Sie können ihnen kündigen, weil sie mit ordentlichen Arbeitsverträgen arbeiten, sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen, auch nicht in Bezug auf Mitarbeiter*innen, die einen öffentlichen Dienst leisten, indem sie sich um die Gesundheit der Bevölkerung kümmern. Es gibt mehrere Fälle von Entlassungen, und wenn sie in einen Arbeitsprozess geraten, behaupten sie, kein privates Unternehmen zu sein.

Das SUS ist weithin als Modell der öffentlichen Politik anerkannt. Trotz allem leistet das SUS einiges. Wir haben es geschafft, einige Privatisierungsoffensiven zu stoppen, aber innerhalb des Systems konnten sie sich stärken und haben bereits den größten Teil des Budgets an sich gerissen. Und wenn sie das Budget haben, kontrollieren sie auch die Verwaltung des Systems. Wir sehen zu, wie OSS Modelle entwickeln, entscheiden, welches Informationssystem verwendet wird, um Krankenakten zu erstellen, das Produktionsnetzwerk zu verwalten...

Und es scheint keine Kritik mehr an dieser Art von Managementformel zu geben, die angeblich effizienter ist, aber in der Praxis die Öffentlichkeit, die das SUS nutzt, bei weitem nicht zufriedenstellt.

Es ist wichtig, nach vorne zu schauen. Als Arbeiter*innen und Nutzer*innen müssen wir die Grenzen dieses Systems verstehen, um von einer Alternative zu träumen und zu kämpfen. Es gibt viele Menschen, auch die Linken in São Paulo, die denken, dass das nicht möglich ist, weil sie zu groß sind und irgendwie dafür sorgen werden, das System aufrechtzuerhalten. Aber es braucht andere Wege, Leute einzustellen, das SUS und die Arbeit zu verwalten.

Nach mehr als einem Jahrzehnt sind mehr als 90 Prozent der Arbeiter*innen in der Stadt São Paulo Angestellte von OSS. Und wir nehmen eine immer geringere Kapazität des Staates wahr, die öffentliche Gesundheitspolitik zu steuern, während die Macht dieser Unternehmen und der Manager dieser Unternehmen und ihrer Eigentümer – denn das sind sie: Unternehmen mit Eigentümern – ständig zunimmt. Unsere Stimme hat immer weniger Wert, die Arbeitsbedingungen sind prekär und das beeinträchtigt die Idee der sozialen Kontrolle des SUS, sowohl durch die Arbeitskräfte als auch durch die Bevölkerung.

Ein weiterer Aspekt ist, dass mit dem Ende der Einstellung von Beamten die hierarchischen Organisationsebenen der Stadtverwaltung von São Paulo immer mehr Vertrauenspositionen schaffen. Stellen, die vor zehn Jahren von Beamt*innen mit Engagement für die Umsetzung der öffentlichen Politik und im Rahmen des theoretischen und praktischen Aufbaus der SUS besetzt wurden, befinden sich bis zu den untersten Verwaltungsebenen in jedem der Gesundheitsviertel oder Unterbezirke in den Händen von lokalen Berater*innen. Beratung für die psychische Gesundheit, für die Gesundheit von Frauen... Alles verwandelt sich in Vertrauenspositionen.

Was bedeutet das?

Mit dieser Aushöhlung der kommunalen Macht in Form von Personen, die öffentlich ausgeschriebene Prüfungen bestanden haben, wird die Macht an die Eigentümer der sozialen Gesundheitsorganisationen übertragen, die in Absprache mit den gewählten Bürgermeistern Personen nach politischer Ernennungen unter Vertrag nehmen, die sich kaum für das SUS engagieren.

Hinzu kommt, dass mit der Verdünnung des Arbeitsverhältnisses, mit mehreren verschiedenen OSS, die Mitarbeitenden selbst sich nicht mehr als Bestandteil des SUS sehen, sondern oft als Angestellte des Unternehmens, welches das SUS in dieser Region verwaltet.

Dies untergräbt grundlegende Aspekte des SUS von innen, wie z.B. den von dessen eigenen Mitarbeiter*innen etablierten Aufbau, die Umsetzung einer nationalen Gesundheitspolitik, die der Marktlogik widerspricht, welche durch diese Art von Vertrag und das unzureichende Verhältnis zwischen den öffentlichen Behörden, den Vertrauenspositionen und den Geschäftsinhabern erzwungen wird.

Dies zeigt sich bei der Festlegung von Arbeitszielen, schadet den Arbeitnehmer*innen, verringert die Qualität der Pflege und schwächt die Bevölkerung. Denn mit dieser Machtkonzentration in den Händen von Positionen, die durch politische Ernennung besetzt wurden, und in den Händen der Unternehmen werden die Mechanismen der sozialen Kontrolle vollständig ausgehöhlt. Ob es sich um die Gesundheitskonferenzen oder die lokalen oder kommunalen Verwaltungsräte handelt, alles wird ausgehöhlt.

Heutzutage leben wir in einer Situation, in der die Instrumente, die früher als deliberativ galten, keine wirkliche Macht mehr haben. Die politisch verteilten Positionen erreichen immer niedrigere Ebenen, da es keine öffentliche Angestellten mehr gibt (sie gehen in den Ruhestand), die Teil der Berufskarriere sein können, und so bestimmen die Eigentümer der OSS vor Ort, was sie wollen.

Können wir sagen, dass diese Logik von der Bundesregierung unberührt bleibt, die mit der entscheidenden Unterstützung der sozialen Bewegungen gewählt wurde, die für die Verbesserung des SUS und seiner Arbeitnehmer*innen kämpfen?

Die Logik, die in São Paulo über OSS implementiert wurde, wird auch in der Bundesregierung angewendet, d.h. die neoliberale Logik von Gesundheit als Ware, wie z.B. die Idee von Volkskrankenversicherungen zu 100 Reals, die innerhalb einer Regierungsbehörde (ANS) ausgearbeitet wurde. Das steht im klaren Gegensatz zum SUS, da universell und kostenlos ist. Aber es würde sehr gut zu dem passen, was in der Stadt São Paulo umgesetzt wird. 

Es stimmt, dass wir sechs Jahre lang einen Blackout hatten, aber es fehlt an Dialog und nationalen Indikatoren für die Überwachung sowohl der Investitionen als auch der Ergebnisse im Gesundheitswesen. Ganz ähnlich wie in São Paulo, wo sich die Parameter der Behandlungen nicht auf die Ergebnisse beziehen.

Auch auf staatlicher und kommunaler Ebene hat sich der Dialog verschlechtert, unter anderem mit den Institutionen wie Cosems und Conasems sowie mit Universitäten. Jeder schaut nur auf seinen eigenen Vorteil, und wir haben keinen SUS, der dreigliedrig wäre, nicht nur in Bezug auf die Finanzierung, sondern auch bei der Bewertung der Ergebnisse.

Was wurde also mit dem Erbe der Regierungen von Michel Temer und Jair Bolsonaro gemacht, die eindeutig administrative Maßnahmen zur Aushöhlung und Entfinanzierung des SUS angehäuft haben?

Wie jede soziale Bewegung analysiert VivaSUS die Situation, und dabei ist es unmöglich, über die derzeitige Regierung zu sprechen, ohne die Regierungen Temer und Bolsonaro miteinzubeziehen. Es gab eine positive Veränderung in der Finanzierung in Bezug auf das Finanzierungsmodell der Regierung Temer, mit dem Programm Previne Brasil, das ein Managementmodell mit einigen konkreten Aktivitäten schuf, um zu Geld zu kommen. Es war eine sehr wichtige Veränderung, denn wie kann man zum Beispiel die Pflege im psychosozialen Versorgungsnetzwerk messen?

Aber es gab auch Änderungen in der Herangehensweise bezüglich der Primärversorgung, deren Modell bereits in der Geschichte der Gesundheitsreform diskutiert worden war und in einem ultra-neoliberalen System, das von der Bolsonaro-Regierung vorgeschlagen wurde, zurückkehrte. In der Praxis gibt es eine Reihe von Problemen, die eine gute Arbeit boykottieren und verhindern.

In São Paulo zeigt sich dies sehr gut und konkret in der Frage der Ziele. Und wenn wir dann eine Bundesregierung haben, die sich selbst als links bezeichnet, glauben wir, dass sich das ändern wird, noch mehr nach der Reorganisation des Nationalen Impfprogramms, nach dem Trauma von Covid-19 und dem Anti-Impf-Diskurs.

Aber vieles von dem, was von den Regierungen Temer und Bolsonaro abgeschafft und widerrufen wurde, ist nicht wiederhergestellt worden. Wenn wir zum Beispiel bei der Aufrechterhaltung einer primären Gesundheitsversorgung auf vermeintliche Ziele setzt, nehmen wir eine Regierung als Geisel der Logik des Marktes wahr, was sich konkret auf unsere Tätigkeit auswirken wird, wie es in Hauptstädten wie São Paulo, Rio de Janeiro, Fortaleza, Florianópolis bereits der Fall ist...

In all diesen Städten ist die Marktvision der Gesundheit zu erkennen. Kein Wunder also, dass die Profite dieser privaten Unternehmen, die die großen Lobbys des Gesundheitswesens formen, nur steigen und sie nur wachsen. Und das wird nicht diskutiert, wird das nicht bemerkt? Im Gegenteil, wir haben eine Regierung, die über ein Projekt zur Popularisierung von Krankenversicherungen diskutiert, eine Idee der Regierung Temer und seines Ministers Ricardo Barros.

Deshalb müssen wir tatsächlich Kritik an der Bundesregierung üben und fordern, dass wir den Argumenten der sozialen Bewegungen und Akteur*innen des Sektors – die sie unterstützen – mehr Gehör schenken. Es scheint, als ob alles nur existiert, um den Finanzmarkt zufrieden zu stellen. Zu welchem Preis? Es ist schlicht unmöglich, das SUS mit einer so expliziten Marktlogik aufrechtzuerhalten.

Es ist immer ein schneller und marketingorientierter Versuch, auch auf soziale Probleme zu reagieren. Selbst wenn man die soziale Bewegung in die Diskussion einzubringen versucht, sehen wir eine Regierung, die völlig von der Agenda der Arbeiter*innen abgekoppelt und mit der Logik des Finanzmarktes verbunden ist, was uns jegliche Türen verschließt.

Wie beurteilen Sie generell die Organisation des SUS in Bezug auf dessen Grundprinzipien zu einer Zeit, in der Regierungen, Institutionen und soziale Bewegungen das Jubiläum ihres 35-jährigen Bestehens feiern?

Die Feier ist wichtig, aber wir werden die Grundprinzipien des SUS nicht aufrechterhalten können, ohne uns Gedanken darüber zu machen, wie die Arbeitsabläufe konkret organisiert werden. Nicht nur aus der Sicht der Arbeiter*innen, sondern auch in Bezug auf soziale Kontrolle und Partizipation. São Paulo ist ein Beispiel dafür, wie eine über OSS implementierte Marktlogik in Verbindung mit momentanen politischen Interessen diese Prinzipien untergräbt, sowohl in der Organisation der Arbeiterschaft als auch in der sozialen Kontrolle.

Heutzutage wird die öffentliche Politik nicht mehr direkt von der Bevölkerung und den Arbeitnehmer*innen entschieden. Diese Logik, die heute in diesem System umgesetzt wird, zerstört die organisatorische Kapazität eines einheitlichen Gesundheitssystems, wie es in unserer Verfassung festgelegt wurde. Es ist eine Subversion, etwas, das das SUS zerstört und die Umsetzung seiner Prinzipien kappt.

Wie analysieren Sie auf einer breiteren Ebene die Bundesregierung in Bezug auf die sogenannte Reorganisation des SUS nach Jahren der Demontage durch Temer und Bolsonaro, die vor allem von der gesundheitlichen Katastrophe der Pandemiebewältigung geprägt waren?

In Bezug auf die doktrinären Prinzipien des SUS fragen wir uns, ob wir die Universalität aufrechterhalten können, wenn jemand mit Bauchschmerzen oder Grippesymptome sein Gesundheitszentrum aufsucht und es am Ende wieder weinend verlässt, weil er sechs Stunden, acht Stunden gewartet hat und nur vom Arzt untersucht werden kann, wenn ein anderer Patient nicht auftaucht, weil es keinen Terminplan gibt. Die Person wird nicht behandelt und fühlt sich zutiefst gedemütigt, sowohl aus der Sicht des Personals als auch des Patienten.

Das reicht nicht aus, das ist keine Umsetzung, das kann nach der öffentlichen Ordnung unmöglich SUS genannt werden. Wie können wir Gleichberechtigung garantieren, wenn wir schwere Fälle in unserem Wirkungsbereich sehen, die keine Behandlung bekommen, weil die für die Rehabilitation zuständigen Dienste zum Beispiel so wenige Fachkräfte und eine so lange Warteliste haben, dass sie die Patient*innen nur zwei Jahre lang behandeln und sie dann mit der Begründung entlassen, dass sie die therapeutische Limite erreicht haben, obwohl das noch nicht der Fall ist? Das liegt daran, dass sie Patient*innen wegschicken müssen, um anderen die Chance einer Behandlung zu geben. Da es unmöglich ist, alle gleichzeitig zu behandeln, kann man nicht garantieren, dass alle Menschen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben. Am Schluss entscheiden sie, wer heute Zugang zur Gesundheitsversorgung hat und wer nicht, wer ohne Behandlung nach Hause zurückkehren muss und sein Leben nur leidig weiterführen muss. Ein Leben ohne Zugang zu Funktionalität, ohne Zugang zu Lebensqualität, ohne Zugang zu gesellschaftlicher Mitwirkung, ohne Möglichkeit, gesellig zu werden.

Und welche Ganzheitlichkeit wird erreicht, wenn wir uns in 15 Minuten, sogar im fachübergreifenden Team, um die Patienten kümmern? Die Ärzt*innen allein sind schon lange nicht mehr in der Lage, die Person als Ganzes zu sehen. Und das fachübergreifende Team noch viel weniger. Denn den Konsultationen fehlt nun die wertvollste Ressource, nämlich Zeit, um zu verstehen, wie das Leben dieser Person aussieht, abgesehen von den Symptomen, wie ihre Routine aussieht, wie ihre sozialen Beziehungen sind, zu welcher Art von Nahrung sie Zugang hat... Mehrere Fakten, die viel komplexer sind, als einfach nur eine Beschwerde zu behandeln. „Oh, Sie haben Kopfschmerzen? Hier, nehmen Sie Ihre Medizin.“ „Haben Sie Angststörungen? Hier ist Ihre Aurikulotherapie.“ Das ist keine ganzheitliche Behandlung.

Um auf die Konstruktion der sozialen Bewegung zurückzukommen, ist die Arbeitsfrage ein zentraler Punkt des Forums VivaSUS. Was können Sie über das Treffen erzählen, das am 17. in São Paulo unter dem Motto „Rückeroberung des SUS“ stattfand? Wie beschreiben Sie die aktuellen täglichen Arbeitsbedingungen im SUS und was schlagen Sie vor?

Unser Aufbau war auch eine Reaktion auf das unaufrichtige erste Treffen des Psychosozialen Netzwerks (RAPS), das das städtische Gesundheitsamt letztes Jahr ins Leben gerufen hatte und bei dem die Arbeiter*innen im Grunde von der Leitung zum Schweigen gebracht wurden. Jegliche Kritik wurde abgeschnitten, einer der geladenen Gäste wurde angegriffen, da sie andeutete, dass die SUS-Fachkräfte als Unterdrücker agieren würden, weil sie nicht mit den OSS und ihren technischen Aufsichtsbehörden sprechen wollten, während die Realität der Unterdrückung genau das Gegenteil ist. Das von VivaSUS organisierte Treffen war eine weitere Aktion einer Bewegung, die eine wöchentliche Agenda hat, sei es im Wirkungsbereich, in der Bildung oder mit anderen sozialen Bewegungen, und war ein bedeutsamer Austausch mit vielen Teilnehmenden. 

Es war sehr schön und untermauerte einige Symptome. Niemand erträgt es, für ein Unternehmen zu arbeiten, das vorgibt, das SUS zu sein. Es gab viele furchtbare Berichte über Schikanen, über institutionelle Gewalt innerhalb des SUS. Die Zahl der politischen Kündigungen nimmt schreckliche Ausmaße an. Fachkräfte werden gefeuert, weil sie das SUS verteidigen. Bei diesem Treffen, wurde vorgeschlagen, das Bewusstsein zu schärfen und die Macht der Arbeiter*innen zurückzuerobern, um für das Gesundheitswesen zu kämpfen, das wir verteidigen.

Wir streben nach einer strategischeren, organsierteren und kreativeren Handlungsweise. Und freuen uns sehr über das, was wir gemeinsam erreichen können.

Es gibt eine Kundgebung am 30. im Zentrum von São Paulo mit dem Titel „Destrava SUAS“, um das Einheitliche Sozialhilfesystem zu retten. Was sind die zentralen Kritikpunkte des Forums an dieser Dimension des Gesundheits- und Sozialhilfesystems?

Wir stellen immer die Arbeitnehmer*innen in den Mittelpunkt, denn alle sollten eine menschenwürdige Arbeit haben, um leben zu können. Aber wenn wir über das Gesundheits- und Pflegesystem nachdenken, sehen wir das große Paradoxon: Wenn wir universelle, grundlegende Richtlinien für die Wasserversorgung, das Wohnwesen, die Ernährung, Kultur und Freizeit hätten, gäbe es das Gesundheitssystem vielleicht nicht einmal so, wie wir es heute kennen, selbst mit den besten Absichten und Formulierungen.

Aber da es existiert, ist es schwierig mitanzusehen, wie therapeutische Gemeinschaften vom Bund übermäßig gestärkt werden und das Einheitliche Sozialhilfesystem (SUAS) geschwächt wird. Warum nicht das SUAS stärken, während wir über den Zugang von Menschen nachdenken, die sich vorübergehend oder ständig in prekären Situationen befinden, schutzbedürftig sind und ebenfalls von diesem System profitieren würden? Weil wir ein Modell, das Menschen einsperrt, unterdrückt, angreift, vergewaltigt, als eine Form der „Fürsorge“ ansehen. Wie rechtfertigen wir das in einer Regierung, die sich angeblich für die Wohlfahrt einsetzt? Wir müssen diese Widersprüche anprangern, in der Lage sein, über sie nachzudenken und uns davon überzeugen, dass jeder Kampf gerechtfertigt ist, solange wir diese Formen für notwendig halten.

Gabriel Brito ist Journalist für die Website Outra Saude.

Available in
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Author
Gabriel Brito
Translators
Nathalie Guizilin and Open Language Initiative
Date
01.08.2025
Source
Outras PalavrasOriginal article🔗
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