Labor

Chaos im Amazon-Lager: Gewerkschaftsvertretung soll mit "schmutzigen Tricks" verhindert werden

In einem Amazon-Lager in Coventry tobt der Kampf um die Anerkennung einer Gewerkschaft. Amazon kämpft mit immer härteren Bandagen, stellt nicht gewerkschaflich organisierte Arbeiter ein und bringt die Angestellten in finanzielle Schwierigkeiten.
Mit einer Kampagne von „schmutzigen Tricks“ unterwandert Amazon die Bemühungen der Gewerkschaft und begegnet dem Kampf der Belegschaft für bessere Arbeitsbedingungen und Rechte mit der Reduzierung von Überstunden, Überbesetzung und disziplinarischen Maßnahmen.
Mit einer Kampagne von „schmutzigen Tricks“ unterwandert Amazon die Bemühungen der Gewerkschaft und begegnet dem Kampf der Belegschaft für bessere Arbeitsbedingungen und Rechte mit der Reduzierung von Überstunden, Überbesetzung und disziplinarischen Maßnahmen.

Angesichts verstärkter Bemühungen, die Belegschaft des Amazon-Lagers in Coventry gewerkschaftlich zu organisieren, fährt der Konzern eine Anti-Gewerkschafts-Kampagne. Im riesigen Lager herrscht Chaos, seit Tausende nicht gewerkschaftlich organisierte Mitarbeiter*innen eingestellt wurden. Unterdessen versetzt das Ende der Überstunden die Belegschaft finanziell in eine Zwangslage.

Seit einem Jahr kämpft die Gewerkschaft GMB im sogenannten BHX4-Lager um die Anerkennung als Gewerkschaft. Die Belegschaft fordert 15 Pfund Stundenlohn und das Recht, mit Amazon über die Arbeitsbedingungen zu verhandeln.

Anfang dieses Monats stellte die GMB beim unabhängigen zentralen Mediationskommittee CAC einen Antrag zur Anerkennung als Gewerkschaft. Wenn die Gewerkschaftszugehörigkeit im BHX4-Lager 50% übersteigt, dann könnte Amazon von der CAC gezwungen werden, die GMB anzuerkennen.

Die GMB warnt jedoch, Amazon wende „schmutzige Tricks“ an, um diese Anerkennung zu „umgehen“.

Letzte Woche verteilte Amazon im Lagerhaus Flyer. Der darauf abgedruckte QR-Code erstellt automatisch eine Email an die Gewerkschaft GMB Midlands, in der die Mitgliedschaft gekündigt wird.

Auf dem Flyer hieß es: „Sie entscheiden, was am Besten für Sie ist. Es ist Ihnen freigestellt, einer Gewerkschaft beizutreten oder nicht. Wenn Sie persönlich sich entschieden haben, aus der Gewerkschaft auszutreten, dann können Sie mit Ihrer Smartphone-Kamera diesen QR-Code scannen.“

Die GMB war im Juni gezwungen worden, ihren ersten Antrag auf Anerkennung zurückzuziehen, nachdem Amazon der Gewerkschaft zufolge 1300 nicht gewerkschaftlich Organisierte eingestellt hatte, um den Antrag zum Scheitern zu bringen.

Seitdem hat Amazon der GMB zufolge die Neueinstellungsstrategie fortgesetzt und die Belegschaftzahlen am Standort Coventry erhöht, um die stetig steigenden Gewerkschaftseintritte auszugleichen.

Amazon hat dem Vorwurf, die Entscheidung des CAC durch die neu rekrutierte Arbeiterschaft beeinflussen zu wollen, öffentlich widersprochen. Die Neueinstellungen, so Amazon, seien betrieblich notwendig geworden.

Angestellte des Standorts Coventry berichten jedoch, Überbesetzung habe das Warenhaus ins Chaos gestürzt.

Im Dezember 2022, zum Hochpunkt der Neueinstellungen für das Weihnachtsgeschäft, bestätigte Amazon öffentlich eine Beschäftigtenzahl von 1400 Menschen. Diese Zahl hat sich seitdem mehr als verdoppelt und ist auf 3500 hochgeschossen. Amazon hat weiter in großem Umfang neu eingestellt, sogar zu Jahresbeginn, wo es nach dem Weihnachtsgeschäft üblicherweise relativ ruhig ist.

Die GMB schätzt, dass die Bezahlung von 1300 zusätzlichen Angestellten Amazon mehr als 300000 Pfund pro Woche kostet.

Das Lager BHX4 wurde 2017 in einem ehemaligen Jaguar-Werk eröffnet und ist für eine Belegschaft von 1650 Menschen ausgerichtet. Beschäftigte berichten, dass es im Warenlager nicht genug Arbeit für die Belegschaft gibt.

Um die Anzahl der Arbeiter*innen, die zur jeweiligen Schicht antreten, zu regulieren, bietet Amazon sogenannte Voluntary Time Off (Freiwillige Ausfallzeiten) an. Bei Schichtantritt  und mit einer SMS vor Schichtbeginn wird jeder Arbeitende gebeten, einen solchen (unbezahlten) Freiwilligen Ausfalltag zu nehmen. 

Durch die Freiwilligen Ausfalltage bietet Amazon technisch gesehen seinen Arbeiter*innen weiterhin die vertraglich vereinbarten Stunden, senkt tatsächlich aber den Beschäftigungsumfang und spart dadurch Lohnkosten ein.

Die Ausfalltage sind zwar als freiwilliges Angebot gedacht; Arbeiter*innen äußerten gegenüber Novara Media jedoch, dass sie sich unter Druck gesetzt fühlen, sie in Anspruch zu nehmen.

„Amazon will Leute nicht fürs Herumstehen bezahlen. Sie verschwenden nicht gerne Geld,“ sagte Darren Westwood, ein Amazon-Arbeiter und Gewerkschaftsmitglied der GMB.

Zwei Amazon-Angestellte berichteten, wer sich weigere, Ausfalltage in Anspruch zu nehmen, werde anderorts im Lagerhaus eingesetzt, und zwar oft für körperlich anstrengendere Aufgaben. Angestellte, die sich weigerten, in einem anderen Bereich des Lagers zu arbeiten, riskierten eine Abmahnung.

„Man kann Sie nicht zwingen, einen Ausfalltag zu nehmen, wenn Sie das nicht wollen“, heißt es in einer SMS, die die Gewerkschaft an die Lagerarbeiter*innen schickt. Amazon „kann Sie nur dann in einem anderen Bereich einsetzen, wenn Sie dafür ausgebildet sind, Ihr Training auf dem neuesten Stand ist, und Ihre Gesundheit und Sicherheit dadurch nicht gefährdet werden.“

Westwood berichtet, aufgrund der Überbesetzung werde es immer schwieriger, einen freien Arbeitsplatz zu finden. „Es sieht wirklich aus wie Reise nach Jerusalem,“ sagte er. Wer früher zur Arbeit kommt, um einen Arbeitsplatz zu ergattern, riskiert eine disziplinarische Maßnahme, weil dies gegen Amazon-Regeln verstößt.

Aufgrund der vielen Neueinstellungen sind die Toiletten und Betriebskantinen stets überlaufen.

Ein Belegschaftsmitglied, das anonym bleiben möchte, sagte gegenüber Novara Media, weil die Toiletten entweder überlaufen oder zur Reinigung geschlossen seien, müsse man „auf der Suche nach einer Toilette 25 Minuten herumlaufen.“

In Amazons Mitarbeiterüberwachungssystem bekommen Arbeiter*innen einen negativen Vermerk, wenn sie in der Schlange warten oder nach einer freien Toilette suchen.

„Wenn Du an den Arbeitsplatz zurückkommst, fragen die Vorgesetzten Dich, wo du warst“, berichtet das Belegschaftsmitglied. Arbeiter*innen äußerten Novara Media gegenüber, sie würden Toilettengänge während der Schicht vermeiden, weil sie negative Einträge befürchteten.

Für die Betriebskantine steht man bis zu einer halben Stunde an und Arbeiter*innen haben nur wenig Zeit zum Essen, bevor sie an den Arbeitsplatz zurück müssen.

Aufgrund der Überbesetzungskrise gibt es jetzt nicht mehr die Möglichkeit, Überstunden zu machen, was viele Arbeiter*innen, die auf diese Extrastunden angewiesen waren, vor finanzielle Probleme stellt.

GMB-Mitglied und Amazon-Angestellter Garfield Hylton sagte: „Leute sahen sich gezwungen, 60 Stunden zu arbeiten, um ihre Lebenshaltungskosten zu decken, und jetzt sind es plötzlich nur noch 40. Das ist ein riesiger Verlust.“

„Manche Leute arbeiten Überstunden, um eine Ausbildung zu finanzieren oder um ihre Familie hier oder im Ausland zu unterstützen,“ sagte Hylton. „Dieses Geld wurde ihnen genommen.“

Ein weiteres Belegschaftsmitglied, das anonym bleiben wollte, berichtete: „Viele meiner Kollegen konkurrieren jetzt um eine kleine Anzahl von Überstunden.“ Manche seien gezwungen, „für Uber oder Just Eat“ zu arbeiten.

„Viele Menschen haben mir gesagt, wie viel Stress das für sie bedeutet, und das in einer Branche, die an sich schon stressig ist.“

Stuart Richards, ein regionaler Gewerkschaftsvertreter der GMB, sagte: „Amazon hat einen schlechten Ruf als gewerkschaftsfeindliches Unternehmen, und das Verhalten der Manager in Coventry passt in dieses Bild. Während die Mitgliederzahlen der Gewerkschaft zugenommen und immer mehr Arbeiter*innen sich dem Ruf nach einer gewerkschaftlichen Vertretung am Arbeitsplatz angeschlossen haben, gab es mehr und mehr Neueinstellungen.

„Trotz alledem halten Amazon-Arbeiter*innen zusammen. Es sieht so aus, als wäre die Quote an Gewerkschaftsmitgliedern wieder bei 50%. Die GMB kämpft also wieder um die formale Anerkennung.“

Die Nonprofit-Organisation Foxglove vertritt im Anerkennungsprozess die Rechte von GMB und der Belegschaft von Coventry. Direktorin Rosa Curling meint: „Die Arbeiter*innen von Coventry machen Geschichte. Denn den schmierigen Anti-Gewerkschaftspraktiken von Amazon zum Trotz sind sie die Ersten, die einen Antrag auf die Anerkennung gewerkschaftlicher Vertretung in einem Amazon-Lager stellen. Jeff Bezos hat offensichlich kein Interesse an Fair Play. Deshalb unterstützen wir diese Arbeiter*innen, um sicherzugehen, dass sie dieses Mal die rechtliche Anerkennung bekommen, die sie verdienen.“

Offiziell ließ Amazon verlauten: „Wir überprüfen regelmäßig unsere Bezahlung, um sicherzugehen, dass wir wettbewerbsfähige Löhne und Benefits anbieten. Bis April wird unser Einstiegsgehalt je nach Einsatzort bei 12.30 bzw. 13 Pfund pro Stunde liegen. Das sind 20% Lohnanstieg in den letzten zwei Jahren und 50% seit 2018. Wir tun auch unser Bestes, um der Belegschaft gute Benefits, ein positives Arbeitsklima und exzellente Karrierechancen zu bieten. Dies sind nur einige der Gründe, warum Menschen für Amazon arbeiten wollen; sei es nun ihr erster Job, ein saisonaler Job oder die Chance, Karriere zu machen.

Wir bei Amazon rekrutrieren ständig neue Teammitglieder, landesweit und das ganze Jahr hindurch, um Tausenden von Menschen großartige Karrierechancen zu bieten und den Kundenbedarf zu decken.“


Polly Smythe ist die Korrespondentin für die Arbeiterbewegung bei Novara Media und wird von der Rosa-Luxemburg-Stiftung (Büro London) finanziert.

Available in
EnglishSpanishArabicPortuguese (Brazil)GermanFrenchItalian (Standard)
Author
Polly Smythe
Translators
Constanze Huther and ProZ Pro Bono
Date
11.04.2024
Source
Original article🔗
Privacy PolicyManage CookiesContribution Settings
Site and identity: Common Knowledge & Robbie Blundell