Eine Freundin von mir in Bronzefield erzählte mir einmal, während wir durch den Hof stapften, ihre größte Angst sei, das Haftpersonal könne ihr die Mittel zum Suizid wegnehmen. Dieses letzten Akts der Autonomie beraubt zu werden, war die qualvollste Entbehrung, die sie sich vorstellen konnte. Ich habe darüber oft nachgedacht, besonders im Zuge des Völkermords in Gaza und eines vor kurzem begangenen Suizids im Gefängnis Low Newton am 13. Februar 2025. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Berichts befinde ich mich seit 308 Tagen im Gefängnis. Mit 17 weiteren Inhaftieren – zusammen sind wir bekannt als die Filton 18 – stecke ich in Untersuchungshaft.1 Uns wird vorgeworfen, an einer direkten Aktion zur Störung einer Elbit-Systems-Fabrik beteiligt gewesen zu sein. Die Fabrik in Filton nahe Bristol stellt Waffen her – unter anderem Drohnen, mit denen in Gaza aktuell ein Völkermord begangen wird. Wir wurden unter Anwendung des Terrorismusgesetzes festgenommen und inhaftiert, obwohl die Delikte, derer wir beschuldigt werden, keine Terrordelikte sind. Derzeit bin ich in der Frauenhaftanstalt HMP Low Newton, habe aber auch Zeit in HMP Bronzefield und HMP Polmont verbracht. Während ich aus meiner Zelle die liberale Mainstream-Berichterstattung über den Völkermord mitverfolgte, habe ich lange über die Unterdrückung und den Widerstand der Palästinenser*innen nachgedacht und Parallelen zur Kontrolle über Inhaftierte im Vereinigten Königreich gezogen.
Das Personal bemühte sich, die Verbreitung der Suizid-Nachricht in Low Newton zu unterbinden, doch unweigerlich wussten alle innerhalb von 20 Minuten Bescheid. Es ist allgemein bekannt, was ein „Code Blue“ ist, und wenn darauf ein gefängnisweiter Lockdown folgt, kann das nur eines bedeuten. Es erschien daher wie eine verdächtig durchdachte Geste, als der Tod am folgenden Morgen den Inhaftierten offiziell bekanntgegeben wurde. Eine uns unbekannte Frau in roséfarbener Satinbluse und makellos glänzenden High Heels informierte uns über das „traurige Ableben“ und lud uns ein, mit dem Personal zu sprechen, falls wir das Bedürfnis dazu hätten. Nachdem diese oberflächlichen Formalitäten erledigt waren, ging sie zum Hauptzweck ihrer Ansprache über: Informationskontrolle. Wir wurden davor gewarnt, Gerüchte zu verbreiten, und dazu gedrängt, nicht über die Todesursache zu spekulieren. Der Selbstmord wurde als „Schock“ und „Tragödie“ bezeichnet, als wäre er ein unerwarteter Unfall – etwas völlig Unvorstellbares, das niemals wieder passieren würde –, als wären wir nicht in einer Todesfabrik gefangen, die von streng frisierten Eugeniker*innen mit mitfühlend gerunzelter Stirn geleitet wird, dachte ich bei mir.
Wenn eine Inhaftierte hier jedoch die Frau in Satinbluse beim Wort nähme und sich dem Personal anvertraute, würde sie sofort einer „ACCT“ unterstellt. Obwohl ich selbst bei meiner Ankunft (trotz meiner heftigen Proteste) eine solche Zuweisung erhielt, weiß ich bis heute nicht, wofür das Akronym steht. Aber jeder weiß, dass es nichts Gutes bedeutet. Man wird in eine kahle Zelle (umgangssprachlich als „Selbstmordzelle“ bezeichnet) verlegt, muss sich manchmal entkleiden und „Anti-Strangulations-Kleidung“ anziehen und wird einem militanten Programm von halb- oder viertelstündlichen Kontrollen unterzogen, die die ganze Nacht hindurch stattfinden. Bei diesen Kontrollen taucht dann ein Auge im Tür- oder Wandspion auf, dazu der grelle Strahl einer Taschenlampe, wenn du dein eigenes Licht ausgeschaltet hast, und ein scharfes Bellen deines Namens, falls du dich nicht bewegst, damit du zeigst, dass du noch am Leben bist. Eine meiner Freundinnen, die als Kind inhaftiert wurde und mittlerweile in ihren Zwanzigern ist, erduldete diese Behandlung ein ganzes Jahr lang. Es versteht sich von selbst, dass das Ziel nicht darin besteht, Suizidgedanken zu lindern, sondern lediglich zu verhindern, dass sie unter staatlicher Aufsicht in die Tat umgesetzt werden.
Kaum eine Woche vergeht ohne einen neuen Inspektionsbericht, der die „Krise der psychische Gesundheit“ in britischen Gefängnissen verurteilt2 und die entsetzlichen Zustände anprangert, die so viele dazu zwingen, den Tod als ihren einzigen Ausweg zu betrachten. Laut der Ombudsperson für Strafvollzug und Bewährungshilfe kam es im Jahr 2023 alle dreieinhalb Tage zu einem Inhaftiertenselbstmord. Ein Essay in Inside Time wies darauf hin, dass im Jahr 2024 in Schottland mehr Menschen in Gefängnissen starben als durch Mord. Doch mit unserem Appetit auf solche sensationellen Zahlen übersehen wir, dass die Statistik unzählige Beinahe-Todesfälle ausblendet: die Suizidversuche, die Behinderungen infolge verbreiteter medizinischer Vernachlässigung3 und die verheerenden Auswirkungen unmenschlicher Haftbedingungen, bei denen immer mehr Gefangene für mehr als 22 Stunden am Tag in winzigen Zellen eingesperrt werden.4 Die Geschichte meiner Freundin Sandra5 ist beunruhigend typisch. Sie litt wochenlang Höllenqualen und bettelte um einen Termin beim Gefängnis-Gesundheitspersonal. Nach wochenlangem Warten wurde sie endlich untersucht, jedoch nicht ernstgenommen und abgewimmelt. Sie verlor über zwei Drittel ihres Körpergewichts und konnte, über den alten Rollator einer anderen Inhaftierten gebeugt, kaum den Gang entlangschlurfen. Erst als eine Aufsichtsperson aus dem Urlaub zurückkehrte und schockiert war, wie mager und schwach die Inhaftierte geworden war, wurde ein Krankenwagen gerufen. Als sie im Krankenhaus ankam, wurde multiples Organversagen festgestellt und ein Großteil ihres Darms war nicht mehr zu retten: Er musste entfernt und durch einen Stomabeutel ersetzt werden. Aufgrund ihres Gewichts von nur 35 Kilo waren die Ärzt*innen sich nicht sicher, ob Sandra die Operation überleben würde. Eine Pflegefachkraft erklärte sich freundlicherweise bereit, ihrer Familie Bescheid zu geben, denn das Gefängnis hatte sie nicht informiert, um etwaige Fluchtversuche zu unterbinden. Sandras Kinder standen um ihr Bett und weinten. Ihr Bruder beklagte sich bei der Justizaufsichtsperson über die grausame Demütigung einer Kette um ihr Handgelenk, die so schwer zu wiegen schien wie sie selbst. Die Wachperson zeigte sich davon jedoch unbeeindruckt und verzögerte sogar die Operation, weil sie sich weigerte, Sandra gemäß ärztlicher Anweisung die Handschellen abzunehmen, solange dies von der Gefängnisleitung nicht genehmigt worden war. Obschon die 41-jährige Sandra sich bereits mit dem Tod abgefunden hatte, überlebte sie. Hätte sie einige Monate früher medizinische Hilfe erhalten, dann wäre keine so drastische, lebensverändernde Operation nötig gewesen. Meine Nachbarin Katie6 war auf Codein, als sie ins Gefängnis kam. Dieses war ihr zehn Jahre zuvor ärztlich verschrieben worden, um die Schmerzen einer Nervenverletzung in ihrer Wirbelsäule zu behandeln, die durch eine falsch verabreichte Epiduralanästhesie verursacht worden war. Das Gefängnispflegepersonal sagte ihr, sie könne kein Codein bekommen und müsse sich mit Paracetamol begnügen. Für den Entzug wurde ihr Methadon verschrieben – ein Heroinersatzmittel. In zwei Monaten wird Katie das Gefängnis Low Newton mit einer Methadonabhängigkeit verlassen, ohne dass sie in ihrem Leben jemals Heroin genommen hat.7
Diese Beispiele haben zwar extreme Konsequenzen, ihre Ursachen sind aber ganz banal. Wenn wir es denn schaffen, einen Termin zu bekommen, reagiert das medizinische Personal in der Haftanstalt auf die von uns vorgebrachten Beschwerden routinemäßig mit Misstrauen. Es wurde daraufhin ausgebildet, alle Inhaftierten als gierige, lügende Faulenzerinnen und Drogenabhängige zu sehen.8 Krankheiten oder Selbstverletzungen, die einen Krankenhausaufenthalt erfordern, werden standardmäßig als Fluchtversuch behandelt – daher das Zögern der Aufsichtsperson, sich von Sandra loszuketten, selbst als sie in den Operationssaal geschoben wurde. (Eine andere Insassin erinnert sich, wie bei einem Krankenhausbesuch der an sie gekettete Wärter sogar das ärztliche Beharren, er könne nicht an sie gekettet bleiben, während sie ins MRT-Gerät geschoben wurde, anzeifelte. Auch hier musste erst telefonisch eine Genehmigung eingeholt werden, bevor sie sich der Untersuchung unterziehen konnte.) Dieser Kontext der medizinischen Vernachlässigung und des Misstrauens führt zu einer Umgebung, die schon an und für sich gesundheitsschädlich ist. Zusätzlich zum psychischen Stress, aus unserem Leben gerissen worden zu sein und unter strengster, feindseliger Überwachung zu stehen, werden wir auch schlecht ernährt. Die Mahlzeiten bestehen überwiegend aus billigen, hochverarbeiteten Kohlenhydraten, und sofern wir uns bei der Arbeit nicht bewegen, gibt es kaum die Möglichkeit, sich körperlich zu betätigen. Es ist kaum verwunderlich, dass laut *Inside Time jede/r fünfte/r Gefangene Typ-2-Diabetes hat.9 Es ist schwer, gut zu schlafen – gar unmöglich, wenn man es sich auf der dünnen blauen Plastikmatte auf einem Brett, das als Bett durchgeht, nicht bequem machen kann oder von der Taschenlampe der Nachtpatrouille gestört wird, die die Dunkelheit unserer Zellen durchbohrt. Die Nacht ist jedoch friedlich, wenn das die einzigen Dinge sind, die den Schlaf stören. Viel schlimmer ist es, wenn die nächtliche Stille vom Kreischen und Heulen von Insassinnen in Not zerrissen wird oder von schrecklichen, dumpfen Geräuschen einer Person, die ihren Kopf gegen die Wand oder Tür schlägt. Anfangs verursachten diese Geräusche einen Kloß des Mitgefühls in meinem Hals; jetzt klemme ich mir einen Gehörschutz über meine Ohrstöpsel und versuche, auf dem Rücken zu schlafen.
Diese Realitäten lassen sich nicht in prägnante Schlagzeilenzahlen destillieren. Trotzdem stellen sie eine Kampagne des langsamen Todes dar, die unserer Lebenserwartung Jahre raubt, zusätzlich zu den Jahren in Freiheit, die der Staat uns wegnimmt. Gleichermaßen stellt die populäre Analyse der Verwüstung, die durch Israels Völkermord an den Palästinenserinnen verursacht wurde, die Zahl der Todesopfer über alle anderen Maßstäbe und vermittelt auf heimtückische Weise den falschen Eindruck, mit den Verwundeten, Kranken, Ausgehungerten, Traumatisierten und Hinterbliebenen würde schon alles gut werden. Die ausführlich dokumentierte Politik der israelischen Streitkräfte, anstelle von tödlichen Schüssen zu „schießen, um zu verkrüppeln“,10 wird von westlichen Beobachter\innen oft fälschlicherweise als Beleg dafür aufgefasst, dass es der Armee daran gelegen ist, Leben zu bewahren. Tatsächlich ist im Kontext strategischer Ressourcenentziehung und gezielter Infrastrukturvernichtung, in dem die Zuführung oder das Vorenthalten von medizinischer Versorgung, Treibstoff, Strom, Nahrung und Wasser vollständig vom israelischen Unterdrücker kontrolliert wird, die anhaltende und bewusste Praxis der Verstümmelung gleichbedeutend mit der Verurteilung zu einem langsamen und qualvollen Tod. Entscheidend ist, dass diese hinausgeschobenen Todesfälle nicht den israelischen Streitkräften zugeschrieben werden. Die Zahl der Todesopfer, welche den westlichen Regierungen, die diesen Völkermord finanzieren und Israels Vorwand der „Selbstverteidigung“ anführen, schon etwas unbehaglich wird, wird so künstlich gesenkt. Diese Taktik dient nicht nur dazu, westliche Liberale zu besänftigen, sondern auch, Palästinenser*innen die Würde und Ehre des Märtyrertodes zu verweigern, wenn dies ihre einzige Option ist. Im Jahr 2016 dokumentierten Berichte des BADIL Ressourcenzentrums für palästinensische Aufenthalts- und Flüchtlingsrechte die Knieschuss-Kampagnen in Flüchtlingslagern im gesamten Westjordanland. Ausführlich sind darin die Aussagen eines israelischen Kommandanten wiedergegeben, der die Bedeutung dieser Verweigerung des Todes vollständig erfasste – und sich daran erfreute. Hauptmann Nidal erklärte: „Ich werde alle Jugendlichen dieses Lagers zu Behinderten machen.“ Die israelische Journalistin Amira Hass berichtete in Haaretz, dass Nidal „zu Jugendlichen sagte, es werde keine Märtyrer im Lager geben, sondern 'ihr alle werdet auf Krücken enden'“.11 Jasbir K. Puar, Autorin des Buches The Right To Maim [„Das Recht auf Verstümmelung“, Anm. d. Ü.], beschreibt dies als „auf den Tod abzielen, aber nicht töten“12 und bemerkt: „Es ist, als ob das Vorenthalten des Todes … zu einem Akt der Entmenschlichung wird: Die Palästinenser*innen sind nicht einmal menschlich genug für den Tod“.13
Es ist eine häufig angeführte Ironie, dass die westlichen Staaten, die das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) zum Großteil finanzieren, die gleichen sind, die Israel Milliarden für Munition zur Verfügung stellen – welche dann wiederum dazu verwendet wird, von der UNRWA gebaute Schulen und Krankenhäuser zu zerstören. Eine ähnlich unglaubliche Heuchelei zeigt sich in der Haltung der britischen Regierung gegenüber Haftanstalten. Der Jahresbericht der HMI-Gefängnisse für 2023 bis 2024 erklärte, dass wir uns in „verzweifelten Zeiten“ befinden, und stellte fest, dass Suizid und Selbstverletzungen in Männergefängnissen „signifikant“ zugenommen und sich in einigen Einrichtungen verdoppelt haben. Die Selbstverletzungsrate der in Frauengefängnissen Inhaftierten ist dabei neunmal höher als im Männerbereich. Dennoch kündigte Ende 2024 Lordkanzlerin und Justizsekretärin Shabana Mahmood ein Regierungsprogramm über zehn Milliarden Pfund an. In den nächsten sieben Jahren sollen damit vier neue Gefängnisse gebaut und damit zusätzliche 6.400 Haftplätze für die ständig wachsende Inhaftiertenbevölkerung des Vereinigten Königreichs geschaffen werden. Vielleicht ist der Widerspruch hier nicht offensichtlich. Schließlich würden mehr Haftplätze die durch Überbelegung verursachten Belastungen verringern und das zusätzliche Geld könnte zur Rehabilitierung und Unterstützung von Gefangenen verwendet werden. Wer zu solchem Optimismus neigt, sollte beachten, dass Mahmoods Ankündigung verdächtigerweise kein Wort über eine Änderung der kulturellen Herangehensweise verliert. Der Schwerpunkt liegt ausschließlich auf der physischen Expansion. Niemand scheint sich die naheliegende Frage zu stellen: Warum steigt eigentlich die Zahl der Gefangenen unablässig? Denn dann müsste man natürlich zugeben, dass „Kriminelle“ eine sozial konstruierte Bevölkerungsgruppe sind. Und an diesem Punkt wäre es schwierig, nicht zu dem Schluss zu kommen, dass tatsächlich alle Vorurteile, mit deren Überwindung wir uns als Gesellschaft so gerne brüsten, immer noch sprießen und gedeihen – nur werden sie eben jetzt unter dem Begriff der Kriminalität zusammengefasst. Die einfache Wahrheit ist: Mehr Gefängnisse bedeuten mehr tote und behinderte Gefangene. Wie könnte es auch anders sein? Jeder Versuch, sich sinnvoll mit den Ursachen der Verzweiflung der Inhaftierten auseinanderzusetzen, würde zwangsläufig zur Abschaffung der Gefängnisse führen – und dann wären all diese Vollzugsbeamt*innen arbeitslos. In diesem Land gibt es zwar keine Todesstrafe, aber dafür ein immer größer werdendes, immer repressiveres Gefängniswesen und einen rasch wachsenden staatlichen Überwachungs-, Kontroll- und Disziplinierungsapparat. Tod und Behinderung sind vielleicht nicht die ursprüngliche Absicht dieses Apparats, aber unbestreitbarerweise sein Resultat.
Sowohl in der israelischen als auch in der britischen Staatspropaganda wird der heuchlerischen Rhetorik der guten Absichten bei der Bewertung der Resultate großes Gewicht beigemessen. Jeder Artikel und Bericht zur Aufdeckung der Missstände im Strafvollzug strotzt nur so von obligatorischem Händeringen und Kopfschütteln, leeren Beileidsbekundungen an die Familien der Opfer und der Zusicherung, dass alle Beteiligten ihr Möglichstes tun, um sicherzustellen, dass genau das Gegenteil von dem geschieht, was tatsächlich passiert. Es spielt kaum eine Rolle, dass die meisten Gefangenen Wiederholungstäterinnen sind14 (weil Inhaftierung die Rückfallquote nicht verringert15) – die erklärte *Absicht ist es schließlich, die Rückfallquote zu reduzieren. Und ja, der ehemalige leitende Gefängnisinspektor Peter Clarke nannte die Suizid- und Selbstverletzungsrate in britischen Gefängnissen einen „Skandal“,16 aber in Wirklichkeit sei es doch so, dass alle Gefängnismitarbeiterinnen sich dafür einsetzen, Inhaftierte zu respektieren, sich um uns zu kümmern, uns dazu zu ermutigen, unser Potenzial zu entfalten und unsere ruchloses Verbrecherleben hinter uns zu lassen. Und genauso müssen wir jetzt wirklich endlich damit aufhören, immer wieder darauf hinzuweisen, dass nach einem Jahr Völkermord fast 70 Prozent der Opfer Israels Frauen und Kinder waren. Wenn man *beide Seiten anhören würde, dann wüsste man doch, dass Israel „kein Interesse hat, der Bevölkerung zu schaden“, wie Netanjahu im Dezember 2023 auf einer Pressekonferenz behauptete. Eine nützliche Daumenregel, um diese Kluft zwischen Lippenbekenntnissen und Realität zu überwinden, ist das Prinzip von Stafford Beer: „Der Zweck eines Systems ist, was es tut“. Es ist sinnlos, auf einer angeblichen Absicht zu beharren, wenn das tatsächliche Resultat diese Absicht stets widerlegt. Wenn Israel wirklich nicht sie Absicht hätte, Zivilist*innen zu töten, dann könnten die israelischen Streitkräfte darauf verzichten, Schulen, Krankenhäuser und dicht bevölkerte Flüchtlingslager zu bombardieren. Wenn die britische Regierung wirklich die Überbelegung in Gefängnissen verringern wollte, dann könnte sie aufhören, Menschen wegen so lächerlich geringfügigen Bewährungsverstößen wie dem zehnminütigen Zuspätkommen zu einem Termin bei der Bewährungshilfe wieder zu inhaftieren, wie es bei einer weiteren Freundin aus der Haftanstalt HMP Bronzefield der Fall war.
Im Gefängnis, wie im besetzten Palästina, ist das Gespenst des Todes immer präsent, ob er nun plötzlich oder langsam ist, herbeigesehnt oder bekämpft wird. Der Akt der Tötung ist ein scharfes und wirksames Instrument biopolitischer Kontrolle – er lässt unerwünschte Teile der Bevölkerung verschwinden –, aber auch die Verweigerung des Todes ist wirkungsvoll. Indem die israelischen Streitkräfte gezielt Kinder zur Verstümmelung ins Visier nehmen, sammeln sie Menschlichkeits-Punkte bei vorsätzlich leichtgläubigen westlichen Liberalen und setzen gleichzeitig jeden zukünftigen Widerstand außer Gefecht. Diese kalkulierte Technik zur Aufstandsbekämpfung greift Elon Musks Vorhersage voraus, die traumatisierten und trauernden Waisen der Märtyrerinnen würden bestimmt zu Hamas-Mitgliedern heranwachsen.17 Die Beobachtung Musks wurde von einigen als seltener Moment der Einsicht wahrgenommen. In Wirklichkeit verrät sie, wie wenig die Menschen das tiefgreifende Ausmaß der Schwächung der palästinensischen Kinder begreifen. Dennoch stieß Musk auf eine wichtige Wahrheit: Tod stachelt an. Wie viele Menschen im Westen kennen mehr Namen toter Palästinenser\innen als lebender? Wie viele halten Palästinenser*innen für überzeugendere und akzeptablere Opfer, wenn sie massakriert werden, als wenn sie Widerstand leisten? Die Macht des Todes – aufzuwecken, zu empören, zu politisieren und zum Handeln zu bewegen – ist es, die sowohl das Vereinigte Königreich als auch Israel dazu veranlasst, ihren jeweiligen Überschusspopulationen den Tod bewusst vorzuenthalten. Beide Staaten halten diese Populationen in völliger Verelendung und Verzweiflung, sodass sie zu schwach sind, um sich zu wehren. Gleichzeitig verwehren sie ihnen einen Tod, der ihren Kampf aufwerten würde.18 Es geht genau darum, nicht mehr Märtyrer*innen und Gefängnisselbstmorde zu haben. Ich möchte ja gar nicht, dass noch mehr Leben dem revolutionären Kampf geopfert werden müssen. Aber ich möchte, dass wir uns fragen: Warum warten wir auf den Tod, um unseren Widerstand anzufeuern? Niemand kann für uns – das Volk – festlegen, was unsere Toleranzschwelle gegenüber Ungerechtigkeiten ist. Der Völkermord hätte nie passieren dürfen, und auch die Masseninhaftierung hätte nie passieren dürfen. Glücklicherweise folgt aber aus der Tatsache, dass es zwischen den Haftbedingungen und der Besatzung unter Israel so viele Ähnlichkeiten gibt, dass in beiden Kämpfen auch dieselben Widerstandsstrategien angewendet werden können. Wenn wir Palästina befreien helfen, dann können wir nicht umhin, auch die trügerischen Logiken hinter dem Konsens zu hinterfragen, die Inhaftierung sei eine sinnvolle Lösung für soziale Probleme. Und wenn wir auf die Abschaffung des Strafvollzugs hinarbeiten, dann verpflichten wir uns damit auch, für eine Welt zu kämpfen, in der niemand einem anderen Wesen seine Freiheit nehmen kann.
Quellen
1 Um mehr über die Filton 18 zu erfahren und ihre Befreiungskampagne zu unterstützen, folge bitte @freethefilton18 auf Instagram und Twitter.
2 „Mental Health Failings at Gartree and Lewes Found After Inmate’s Death“, Converse, August 2024; S. 7; „Prisoners are Poorly“, Inside Time, Mai 2024, S. 11; „IMB Watch“: Forest Bank, Drake Hall, Guys Marsh, Inside Time, Mai 2025, S. 15; „Lives at Risk over Inaction on Prisons, says Report“, Converse, August 2024, S. 23; „Teenager Kills Himself at Scottish Young Offender Institution“, Converse, August 2024, S. 33; „IMB: Leicester Prison Under Pressure“, Converse, August 2024, S. 35; „HMP Liverpool is a cluster death site ... completely inhumane“, „IMB Report Published: HMP Liverpool“, Converse, Oktober 2024, S. 16; „HMP Ryehill: Self-Harm Cases Up 40%“, Converse, Oktober 2024, S. 33; „Rochester Prison: Urgent Notification“, Converse, Oktober 2024, S. 38; „HMP Durham – Risk Assessment Concerns Raised Again After Cell Suicide“, Converse, Januar 2025, S. 39.
3 „You Can’t Visit Him Today, He’s Dead“, Inside Time, Mai 2024, S. 15; „We’ve Lost Your False Leg“, Inside Time, Oktober 2024, S. 11; „The Mount: Third Critical Death Report in Three Months“, Converse, Oktober 2024, S. 10; „Woman Told Officers She Felt Suicidal“, Inside Time, November 2024, S. 14; „Naked Barking Man Wasn’t Treated“, Inside Time, Februar 2025, S. 14; „A Deadly Diagnosis: If You Have Cancer in Prison, You’re More Likely to Die From It', Inside Time, Februar 2025, S. 16; „No Help for Self-Harmers“, Inside Time, Mai 2024, S. 2; „Not a Place for Disabled Prisoners“, Inside Time, Mai 2024, S. 4; „Hopeless Healthcare“, Inside Time, Mai 2024, S. 9.
4 „Endless Bang-up“, Inside Time, November 2024, S. 26; „The Figures Say It All“, Inside Time, November 2024, S. 26.
5 Name geändert.
6 Ein weiteres Pseudonym.
7 Erschreckenderweise scheint dies Standardpraxis zu sein. Ein Inhaftierter im HMP Parc bezeugt: „Die Gesundheitsversorgung ist absolut chaotisch – sie nehmen den Leuten ihre Schmerzmittel und setzen sie auf Methadon-Rezepte“; „No Structure Here‘, Inside Time, November 2024, S. 6.
8 Die Pflegekraft traf eine „Fehleinschätzung“, da sie „fälschlicherweise glaubte, er habe Drogen genommen“; „Prisoner Died After Nurse Called Off Ambulance“, Inside Time, Februar 2025, S. 15.
9 „One in five prisoners has type 2 diabetes“, Inside Time, 31. Dezember 2024, https://insidetime.org/newsround/one-in-five-prisoners-has-type-2-diabetes/#:~:text=The%20data%2C%20released%20to%20The%20Times%20following%20a,sugar%20in%20the%20blood%20to%20become%20too%20high. Zugriff am 05.11.2025
10 „Speziell ausgebildete israelische Einheiten schießen also ganz gezielt, um zu verstümmeln, während die Statistik der getöteten Palästinenserinnen niedrig gehalten wird“; Tanya Reinhart, *Israel/Palästina: How to End the War of 1948, S. 114. Puar, unter Berufung auf Reinhart (S. 113): „Im Jahr 2002 analysierte die israelische Linguistin Tanya Reinhart 'die Politik der Verletzungen' während der Zweiten Intifada ... Unter Berufung auf Interviews mit IDF-Soldaten in der Jerusalem Post wählt sie eine repräsentative Stichprobe mit dem israelischen Scharfschützen Sergeant Raz ... der verkündet: 'Ich habe zwei Menschen ... in die Knie geschossen. Das soll ihre Knochen brechen und sie neutralisieren, aber nicht töten'“, Jasbir K. Puar, The Right to Maim, S. 131. „Eine Delegation von Physicians for Human Rights kam zu dem Schluss, 'dass israelische Soldaten offenbar absichtlich auf die Köpfe und Beine palästinensischer Demonstranten zielten, selbst in nicht lebensbedrohlichen Situationen'“; Ephron, Boston Globe, 4. November 2000, zitiert in Jasbir K. Puar, The Right to Maim (North Carolina, USA: Duke University Press, 2017), S. 131. „Während der Zweiten Intifada gab es Berichte, dass die IDF 'Hochgeschwindigkeits'-Fragmentationsgeschosse einsetzte. Sie erzeugten im Körper einen 'Blei-Schneesturm'-Effekt – die Kugeln verteilten sich und verursachten mehrere innere Verletzungen ... nach internationalen Menschenrechtsregelungen verbotene Dumdum-Geschosse sind schwer zu entfernen, wenn sie sich nach dem Eindringen in den Körper explosiv verteilt haben, und garantieren in der Regel, dass die Getroffenen 'lebenslang leiden' werden“, Puar, The Right to Maim, S. 131.
11 Puar, The Right to Maim, S. 221.
12 Puar, The Right to Maim, S. 139.
13 Puar, The Right to Maim, S. 141.
14 Peter Cuthbertson: „Who goes to prison? An overview of the prison population of England and Wales“, Civitas, Dezember 2017, S. 2 https://www.civitas.org.uk/content/files/whogoestoprison.pdf.
15 „Abolition of short custodial sentences“, The Suntory and Toyota International Centres for Economics and Related Disciplines, https://sticerd.lse.ac.uk/case/new/research/Inequalitiesand_Poverty/policy-toolkit/crime-short-custodial-sentences.asp. Zugriff am 05.11.2025.
16 Jamie Greierson, „Prison suicide rate is a scandal, says HM chief inspector“, The Guardian, 9. Juli 2019, https://www.theguardian.com/society/2019/jul/09/jails-slow-react-deluge-of-drugs-hm-chief-inspector. Zugriff am 05.11.2025.
17 Elon Musk, zitiert in „Elon Musk: War, AI, Aliens, Politics, Physics, Video Games, and Humanity | Lex Fridman Podcast“, Lex Fridman, 9. November 2023, https://www.youtube.com/watch?v=JN3KPFbWCy8. Zugriff am 05.11.2025.
18 Für ein erschütterndes Zeugnis des Glaubens an die Kraft des Todes, um Veränderungen zu katalysieren, siehe „Prisoner Hoped Suicide Would Change IPP Policy“, Inside Time, Oktober 2024, S. 12.